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Tag der Erinnerung und der Trauer an die Russland-Deutschen

Der 28. August – Tag der Erinnerung und der Trauer an due Russland-Deutschen. An diesem Tag gedenken wir der tragischen Ereignisse, die das gesamte deutsche Volk der Sowjetunion berührten. .

Am 26. August versammelten sich am Gedenkstein für die Opfer der Verfolgungen, der auf Initiative der Abgesandten des Bezirksrats der Deputierten des Krasnoturansker Bezirks F.L. Schtschukina aufgestellt wurde, ein paar Menschen. Es waren nicht viele. Doch sie alle kamen mit Blumen, die sie sorgsam am Fuße des Marmorsteins niederlegten. Sie alle würdigten das Gedenken an ihre Angehörigen und Freunde.

Die Versammlung wurde von F.L. Schtschukina eröffnet. «Jede Tragödie in der Geschichte der Völker hat ihre Meilensteine und Daten im Kalender, die an großes Leid erinnern, aber gleichzeitig auch Symbole des Mutes sind, - sagte sie,- für die Russland-Deutschen ist der 28. August ein solcher Tag der Trauer. An diesem Tag, im Jahre 1941, wurde das Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR «Über die in den Wolga-Rayons lebenden Deutschen» veröffentlicht. Am Vorabend dieses denkwürdigen Datums wenden wir uns an alle Russland-Deutschen: wahrt die Erinnerung an eure Väter und Großväter, die Russland aufrichtig gedient haben, aber in jenen Jahren grundlos zu Opfern von Repressalien wurden. Zehntausende Russland-Deutsche, Männer, Frauen, alte Menschen und Kinder kamen auf dem Weg zu ihren Deportationsorten, in der Arbeitsarmee, in den Jahren des Sondersiedlungsregimes ums Leben. Hunderttausende litten durch Diskriminierung in den Nachkriegsjahren…»

Es war unmöglich, ohne Tränen, ohne Angst und Empörung den Zeilen des Jugend-Schulaufsatzes zum Thema «Die Wolgadeutschen» zu lauschen, der von Sophia Iwanowna Seiferts Urenkelin geschrieben wurde. Das Thema «Die Wolgadeutschen» ist unmittelbar mit meiner Familie verknüpft, d.h. mit den Großeltern meiner Eltern. Meine Oma mütterlicherseits starb, als ich noch ganz klein war, aber meine Mutter erzählte mir, dass sie damals eine bekannte Frau war, und hier nun das, was ich von ihr erfuhr.

«Nun, da ich schon älter geworden bin, verstehe ich den Sinn des Lebens ein wenig besser und kann wohl von jenen schrecklichen Jahren berichten, von denen meine Großmutter Sophia Iwanowna so oft sprach. Sie lebte mit ihrem Mann an der Wolga, im Gebiet Saratow. Die beiden hatten 10 Kinder, 6 – starben an Hunger; zwei Söhne und zwei Töchter überlebten. Sie arbeiteten gewissenhaft, ohne den Rücken geradezubiegen, um ihre Kinder ernähren zu können und sie groß zu bekommen. Doch dann kam das verhängnisvolle Jahr 1941, das allen Menschen der Sowjetunion Unheil brachte und für die Deutschen gleich in zweifacher Hinsicht fatal und folgenschwer war. Innerhalb von 24 Stunden sollten sie ihre angestammten Wohnorte verlassen. Sie ließen alles zurück: ihre Häuser, Höfe und Sachen. Nur das Allernötigste durften sie mitnehmen. Die Kinder waren noch klein. Meine Mutter war damals gerade 7 Jahre alt, aber sie erinnerte sich ihr Leben lang daran. Viele wurden damals auf Lastkähne verladen, die in den Bombenhagel und den Granatenbeschuss der faschistischen Luftwaffe gerieten, viele wurden mit dem Zug verschickt. Meine Oma und mein Opa kamen zur Sonderansiedlung in die Region Krasnojarsk, in den Idrinsker Bezirk. Sie mussten sich an die neuen Orte und Menschen gewöhnen. Großmama sagte immer, dass die Welt nicht ohne gute Menschen ist. Die Russen halfen ihnen, doch auch unter ihnen befanden sich solche, die sie als Faschisten und Gestapo-Leute beschimpften. Ja, dieser Krieg setzte einen schwarzen Fleck auf die gesamte Nation der Deutschen. 1942 holten sie Sophia Iwanowna zu den Baubataillonen, und kurz darauf mobilisierten sie den Großvater und den ältesten Sohn in die Arbeitsarmee. Die Kinder blieben völlig allein zuhause zurück. Die Kinder lebten, die älteren halfen den jüngeren, und meine Mama war im Alter von acht Jahren gezwungen, für ein Stückchen Brot bei fremden Leuten die Wäsche zu waschen. 1944 erlaubten sie Oma Sophia zur Familie zurückzukehren, und bald darauf kam auch der Großvater heim. Aber ihre Gesundheit hatte bereits Schaden genommen. Die Kinder mussten auf ihre eigenen Füße gestellt werden, jeden Tag hatten sie sich in der Kommandantur zu melden, nirgends durften sie ohne ausdrückliche Erlaubnis hingehen. Erst im Dezember 1955 kam ein Dekret über die Abschaffung der Kommandantur-Aufsicht heraus. Und am 31. Januar 1956 wurden sie aus der Sonderansiedlung freigelassen…»

Wie viele tausend verstümmelte Schicksale! Ich, die Urenkel der lieben und guten Oma Sophia, kann diese Zeilen nicht ohne Tränen schreiben. Ich weiß, dass auch die Großeltern väterlicherseits in der Arbeitsarmee waren, aus Erzählungen habe ich gehört, dass es keinem der Umsiedler gelungen ist diesem Los zu entrinnen. Und noch viele lange Jahre sollten die Deutschen ihre Rechte nicht zurückbekommen, wenngleich 1956 ein Dekret herauskam… Meine Mama erinnerte sich an die Worte, die ihre Großmutter Sophia einmal äußerte: «Lege deine Aufmerksamkeit nie auf die Nationalität, wenn nur der Mensch gut ist. Sei er Chakasse oder Usbeke – die Nationalität ändert nichts. Ein Mensch muss immer ein Mensch sein… Wir, die junge Generation des nun schon 21. Jahrhunderts, befinden uns in einer unbezahlbaren Pflicht gegenüber den Großvätern und Urgroßvätern. Wir achten die Geschichte, wir lieben unsere heimatliche russische Erde und streben danach, die Vergangenheit zu erfahren… Wir dürfen nicht vergessen und wenigstens für diejenigen etwas tun, die noch am Leben sind… Ich möchte im Namen meiner gesamten Generation den heute noch Lebenden sagen: vielen Dank für eure Geduld und Standhaftigkeit. Diejenigen, die die schrecklichen Nöte jener schrecklichen Jahre erlebt haben, werden sterben, aber es bleiben die, die nebenan wohnen und ihre Erinnerungen hörten. Trotzdem bin ich der Meinung, dass viele ihren Schmerz mit ins Grab genommen haben… Ewiges Gedenken sei allen Opfern der politischen Verfolgungen! Und möge die Erde, in der sie ruhen, wie Flaumfedern sein!»

Es herrschte eine solche Stille, dass die angekündigte Schweigeminute mit ihr förmlich verschmolz. Die Tränen in den Augen der Menschen trockneten im warmen, zarten Wind, und irgendwie waren alle überzeugt, dass die in die Ewigkeit gegangenen Verwandten ganz in der Nähe und sehr dankbar für das ihnen entgegengebrachte Andenken wären.

„Turaner Echo“, 28.08.2016


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