Unsere Mama, Maria Iwanowna Sorokina, wurde 1931 auf dem Territorium des heutigen Gebietes Saratow geboren. Ihre sorglose Kindheit verging schnell. 1941 wurden die Russland-Deutschen – und Mama war der Nationalität nach Deutsche – Repressionen ausgesetzt und ihres Wohnortes verwiesen.
So geriet sie zusammen mit den Eltern und ihren beiden Schwestern in die Balachtinsker Getreide-Sowchose, Region Krasnojarsk. Am eigenen Leib erfuhr die Familie Hunger und Kälte in vollem Ausmaß. Nach den Erzählungen der Mutter, gruben sie aus dem Acker Vorjahreskartoffeln aus, die ganz schwarz aussahen. Und wenn sie zufällig plötzlich auf eine weiße Knolle stießen, dann bedeutet es das größte Glück für sie.
Der Vater wurde in die Arbeitsarmee geholt und starb bald darauf. Unsere Großmutter blieb mit den drei Kindern allein zurück: das Jüngste war gerade ein Jahr alt, das mittlere 6 und die Mama 10 Jahre alt.
Wegen des großen Elends musste Mama das Lernen in der Schule abbrechen und arbeiten gehen. Mit ihren 10 Jahren verwunderte sie bereits viele mit ihrem seltenen Fleiß und ihrer ernsthaften Einstellung gegenüber der Sache.
Nachdem sie herangewachsen war, heiratete sie unseren Vater, Anton Ilitsch Sorokin. Wir drei Kinder, alles Mädchen, wurden geboren,- Tatjana, Nadjeschda und Natalia.
Mama arbeitete weiterhin viel. Sie hatte stets schwere Arbeiten zu verrichten: sie lieferte der Farm bis zu 16 Fuhren Heu täglich, selbst bei grimmigem Frost versorgte sie die Häuser mit Wasser, mähte, säte, nähte, stickte, wusch – man kann das alles gar nicht aufzählen. Vom frühen Morgen bis zum späten Arbeit war sie in Bewegung; zum Hinsetzen blieb keine Zeit.
Das Familienleben bereitete ihr noch mehr Laufereien. Zu Hause herrschte stets tadellose Ordnung, auf dem Tisch lagen schneeweiße, gestärkte Servietten und es gab bei uns immer frisch zubereitete, leckere Mittag- und Abendessen. Wir, die Kinder, unterschieden uns von den anderen durch unsere adrette Kleidung.
Ihre wichtigsten Prinzipien im eben waren Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit und Ordnung. As brachte sie auch ihren Kindern bei. Für uns bedeutete die Mutter den wichtigsten Menschen im Leben, wir nahmen uns immer ein Beispiel an ihr und verstehen bis heute nicht, wie man einen solchen Menschen so betrügen und ihm alles nehmen kann.
...Wir wurden erwachsen und begaben uns in verschiedene Städte. Als unser Vater aus dem Leben schied, arbeitete Mutter trotzdem im Haus weiter, räumte die Schneewehen, schleppte Kohle und Wasser heran, sägte und hackte Holz, kümmerte sich um den Gemüsegarten.
Sie – Veteranin des Krieges und der Arbeit, besitzt 5 Jubiläumsmedaillen und eine große Anzahl Dankesschreiben. In den Jahrzehnten schwerer Arbeit bekam sie viele Krankheiten, wurde zur Invalidin der 1. Kategorie, aber ohne Bewegung und Arbeit kann sie nicht existieren – das war der Sinn ihres Lebens.
Sie liebte ihr Dorf, das Feld und die Wiese, ihr Haus; und sie hatte maßlosen Respekt vor den anderen Dorfbewohnern.
Dieses Frühjahr, am 7. April, ging es Mama nicht gut. An diesem Tag verstarb sie an einem Hirnschlag, drei Monate vor ihrem Geburtstag und einen Monat vor – dem Tag des Sieges.
Wir haben nicht nur unsere Mama, sondern eine großartige Frau verloren, die für sieben arbeitete und weder Müdigkeit noch Urlaub kannte.
Sie war das Leuchtfeuer unseres Lebens, ein Musterbeispiel ungebrochener Willensstärke, ein Mensch mit sprühender Energie und einem scharfen Gefühl für Gerechtigkeit und Lebensfreude. Wir verneigen uns vor dieser legendären Arbeiterin, die am eigenen Leib die raue Zeit des Krieges erfahren musste...
Mami, du wirst auch weiterhin unser Vorbild sein. Du wirst immer als hellster Stern leuchten und uns auf den richtigen Lebensweg geleiten.
Natalia Sorokina, Tatjana Parfjonowa, Nadeschda Borodina. Siedlung Tschistoje
Pole, Balachtinsker Bezirk.
Foto aus dem Familien-Archiv.
„Krasnojarsker Arbeiter“, 11.05.2017