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Die Kulaken-Operation

Vor achtzig Jahren begann die Vernichtung des Volkes au Befehl N° 00447
des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten

Die Familie Dolginski, als Kulaken (Großbauern) enteignet und 1930 nach Igarka verschleppt, und 1938 wurden drei Männer aus der Familie erschossen

Am 31. Juli 1937 wurde der Befehl des NKWD N° 00447 „Über die Operation zur Verfolgung ehemaliger Kulaken, Krimineller und anderer antisowjetischer Elemente“ vom Politbüro bestätigt und von Jeschow unterzeichnet. Der Befehl selbst trägt das Datum des 30. Juli, doch in Wirklichkeit trat er genau am 31. Juli in Kraft, nach der Bestätigung des Politbüros.

Bis heute finden sich Menschen, die bekräftigen, dass der Große Terror eine Eigenmächtigkeit Jeschows war, wofür er später auch seine Strafe bekam. Offensichtlich war das aber nicht der Fall: der Befehl wurde gemäß Befehl des Politbüros vom 2. Juli ausgearbeitet und von demselben auch bestätigt. Die gesamte Operation wurde unter der vollständigen Inszenierung und Kontrolle des Politbüros durchgeführt, Jeschow stellte lediglich die ausführende Hand dar.

Der Befehl N° 00447 ist bekannt; im Internet findet er auf hunderten von Seiten einen Platz. Mit zwei Worten lässt er sich folgendermaßen wiedergeben: es wurden Kategorie von zu verfolgenden Personen festgelegt, für jede Region Mindestgrenzen für diese zwei Kategorien (Erschießung oder Lagerhaft) bestimmt sowie die Technologie zur Erhöhung dieser Limits beschrieben; außerdem die außergerichtliche Art und Weise zur Prüfung der Fälle (regionale Troikas).

Am 5. August begann die Operation gemäß Befehl N° 00447, verhaftet wurden diejenigen, die für die erste Kategorie (Erschießung) vorgesehen waren. Nach diesem Befehl wurden innerhalb von etwas mehr als einem Jahr, zwischen August 1937 und November 1938, nicht weniger als 818000 Menschen verurteilt, von denen mindestens 436000 erschossen wurden. Er bildete die Grundlage für den Großen Terror, durch alle weiteren Befehle wurde er lediglich ergänzt.

Lassen Sie uns die Punkte des Befehls einmal im Einzelnen anschauen.

Beim NKWD selbst nannte man die Aktion „Kulaken-Operation“. In der Liste der Kontingente, die der Verfolgung ausgesetzt waren, stehen als erste drei Kategorien – die „Kulaken“, und erst dann kommen ehemalige Partei-Mitglieder, Geistliche, „ehemalige Weiße“, Kriminelle u.a. In der Liste der 1939-1938 in der Region Krasnojarsk Erschossenen ist die soziale Lage bei fast allen – „entrechteter Großbauer“, „Sondersiedler“, „Enteigneter“. Die Repressionen berührten auch andere Gesellschaftsschichten, bis hin zu den höchsten, hauptsächlich „dank“ des Punktes im Befehl, der es gestattete, grundsätzlich jede beliebige Person zu verhaften: …die besonders feindlich gesinnten und aktiven Mitglieder der nun zu liquidierenden aufständischen Kosaken- und Weißgardisten-Organisationen sowie faschistischen, terroristischen und konterrevolutionären Spionage- und Sabotage-Formierungen“. Aber der Hauptschlag richtete sich gegen die Bauern, nicht gegen die parteiwirtschaftliche Nomenklatur.

Der Befehl schreibt vor, nicht nur diejenigen zu verfolgen, die sich in Freiheit befinden, sondern auch jene, die bereits in Lager und Arbeitssiedlungen verbracht worden sind. Am 5. August kommt eine gesonderte Direktive des NKWD über die Durchführung der Operation innerhalb des GULAGs gemäß Befehl N° 00447 heraus. Für die Lager werden Mindestgrenzen für die erste Kategorie festgelegt. Wie das stattfindet: der Mensch sitzt im Lager, zählt die Tage bis zu seiner Freilassung, und plötzlich bringen sie ihn, ohne jegliche Erklärung, zur Erschießung. Nichts Persönliches, aber die regionale Troika hat ihren Plan zu erfüllen. Das Urteil erfolgt wegen derselben Anklage, wegen der der Mensch bereits einsitzt. Die Troika fällt das Urteil auf Grundlage einer Auskunft der Lager-Administration. Und die Lager-Administration entfernt dann lediglich noch die notwendige Anzahl Häftlinge, die ihr aus irgendeinem Grund am wenigsten gefallen.

In Sibirien, wohin hauptsächlich enteignete Bauern geschickt wurden, wurde dieses Plansoll auf sehr einfache Weise verwirklicht. Das im Befehl N° 00447 vorhandene Wort „Arbeitssiedlungen“ eröffnete diesbezüglich breit gestreute Möglichkeiten. Da sind sie, die „Kulaken“, und leben dicht gedrängt in Sonder-Siedlungen. Schieb sie mit dem Spaten zusammen, erfülle den Plan. In der Region Krasnojarsk war anfangs ein Minimum von 750 Mann nach der ersten Kategorie vorgegeben, aber insgesamt erschoss man dann letztendlich allein aufgrund von Urteilen der Troika 12000 Personen.

Und so verlief die Erhöhung der Mindestgrenzen. Punkt 3, Absatz II, trägt die Überschrift: „Die bestätigten Zahlen dienen der Orientierung. Allerdings verfügen die Volkskommissariate der republikanischen NKWD-Behörden und die Leiter der Regions- und Gebiets-Verwaltungen des NKWD nicht über das Recht, sie eigenmächtig zu überschreiten.

Für den Fall, dass eine Situation die Heraufsetzungen der bestätigten Zahlen erforderlich macht, sind die Volkskommissariate der republikanischen NKWD-Behörden und Leiter der Regions- und Gebiets-Verwaltungen des NKWD verpflichtet, mir entsprechend begründete Anträge vorzulegen.

Eine Senkung der Zahlen und gleichzeitig ein Übertrag von Personen, die zur Verfolgung nach der ersten Kategorie vorgemerkt sind, in die zweite Kategorie – oder umgekehrt – erlaubt“.

Verteidiger Stalins verweisen gern auf diesen Punkt: es heißt, dass dieser ganze Große Terror eine Eigenmächtigkeit der regionalen Barone war, der Stalin mit viel Mühe nach einem Jahr Einhalt gebieten konnte. Eine Senkung der Mindestgrenzen war erlaubt, eine Überschreitung – nicht. Die Heraufsetzung der Mindestgrenzen geschah auf Initiative von unten. Folglich tragen Stalin und das Politbüro dafür auch keine Verantwortung.

In Wirklichkeit hätte dem Terror sehr leicht Einhalt geboten werden können – auf „Bitten von unten“, keine neuen Mindestzahlen zu gestatten.

Und nun schauen wir uns an, ob es möglich war, dass die Leiter der regionalen NKWD-Behörden die Limits nicht erfüllten. Der Leiter der NKWD-Behörden im Gebiet Omsk, Salyn, erlaubte sich lediglich, die festgelegten Mindestgrenzen anzuzweifeln – und bereits am 10. August 1937 wurde er verhaftet und später auch erschossen. Wegen Passivität bei der Durchführung der „Kulaken“- und der „Polen“- Operationen verhaftete man den Leiter der NKWD-Behörden im Gebiet Kalinin, Dombrowski, sowie den Volkskommissar für innere Angelegenheiten Mordwiniens – Weisager. Die Chefs der regionalen NOWD-Behörden hatten so gut wie keine Wahl: entweder Banner und Orden oder Arrest und Tod durch Erschießen.

Aleksej Babij
Vorsitzender der Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft

„Neue Zeitung“, 07. August 2017


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