Für gewöhnlich verfügen Revolutionäre und Oppositionelle über heroische Gefängnisbiografien. A.I. Solschenitzyn führte sogar den Begriff «Patience» ein — wenn sie irgendeinen Funktionäre «nicht von jener Partei» stufenlos aus der Verbannung in den „Minus-Status“, aus dem Minus“ ins Isolationsgefängnis, vom Isolator ins Zentralgefängnis, bis jener auf der nächsten Insel des Archipel GULAG gänzlich verschwindet.
Allerdings hätten auch völlig unbekannte Bauern mit keiner geringeren Auswahl an Inhaftierungen prahlen können, besonders nach 1928. Denn die Sowjetmacht inhaftierte schnell und leicht, mit Vergnügen und aus beliebigem Anlass.
Pjotr Michailowitsch Komin, Bauer aus dem Dorf Schoschkino, begann seine Gefängnis-Laufbahn noch zu Zarenzeiten. Während des ersten Weltkriegs diente er beim 223. Odojewsker Regiment, wo er am 23. Januar 1917 seine erste Haftstrafe erhielt: 8 Jahre Straflager wegen antimilitärischen Verhaltens. Der unsinnige Krieg, in den der Imperator das Land hineingezogen hatte, war keineswegs beliebt, schon gar nicht in der Armee. «Drauf pfeifen, drauf pfeifen, nicht mehr zu den Waffen greifen!» — dachten viele, und Komin ließ es zudem auch noch verlauten. Dafür musste er dann bezahlen.
Er war noch nicht einmal ins Straflager abgefahren – da ereignete sich die Februar-Revolution. Pjotr Michailowitsch ging in die Freiheit hinaus und kehrte nach Schoschkino, zu seiner Ehefrau und seinem fünfjährigen Sohn, zurück. Es ist nicht bekannt, auf welcher Seite Pjotr im Bürgerkrieg kämpfte und ob er es überhaupt tat. In Sibirien verlief der Bürgerkrieg hauptsächlich entlang der Transsibirischen Eisenbahnlinie, bis nach Schoschkino musste sie erst noch gebaut werden. Aber man weiß, auf wessen Seite er nach dem Krieg stand: 1922 verhaftete man ihn wegen «Unterstützung von Banden». Nach dem Sieg der Sowjetmacht mit ihrer Losung «wegnehmen und teilen» begannen im Suchobusimsker Amtsbezirk, wie auch in zahlreichen anderen, die Bauernaufstände. Übrigens wurde er auch diesmal wieder schnell entlassen, um 1926 erneut wegen derselben Sache verhaftet zu werden. Diesmal gaben sie ihm 5 Jahre Lagerhaft. Er war noch nicht einmal entlassen, als man ihm auch schon die Wahlrecht in seiner Eigenschaft als «Kulak» (Großbauer; Anm. d. Übers.) entzog und ihn ein weiteres Mal verhaftete. Es heißt, dass er bis zur Krupskaja vorgedrungen soll und auf ihre Fürbitte hin der Fall eingestellt wurde. Die OGPU „juckte“ jedoch das Vorhandensein eines derartigen «Rückfalltäters» im Bezirk, und so versuchte man ihn 1932 erneut zu verhaften. Diesmal ergab Komin sich nicht, sondern floh in die Baikal-Region. Die OGPU-Leute inhaftierten seine Frau und den Sohn, hielten beide drei Monate lang im Gefängnis fest, doch auch das nützte nichts, um das Familienoberhaupt zu ergreifen. Nach dem die Familie freigekommen war, begab sie sich ins Baikal-Gebiet, wo sie zusammen entbehrungsreiche Jahre erlebten. Später ging scheinbar die Gefahr vorüber, so dass sie 1936 nach Krasnojarsk zurückkehrten, wo Pjotr Michailowitsch als Wagenlenker bei der Hauptverwaltung des Nordmeer-Seewegs tätig war.
Allerdings stellte sich heraus, dass der Streifen in ihrem Leben, der vermeintlich so schwarz ausgesehen hatte, in Wirklichkeit weiß gewesen war, denn es näherte sich das Jahr 1937. Der Sergeant der Staatssicherheit Skorodelow und der Sergeant der Miliz Kirjuchin waren nicht faul, aus Suchobusimo nach Krasnojarsk zu kommen, um Komin festzunehmen. Das war am 10. Juli, als der Befehl ¹00447 gerade noch in Vorbereitung war. Doch sobald er ergangen war, wurde Pjotr Michailowitsch sogleich ohne Umstände nach ihm «abgefertigt». Er fiel unter sämtliche Paragraphen: flüchtiger ehemaliger Kulak, Mitglied von Rebellen-Organisationen, u. ä… Eine gute Leistung für die Statistik. Am 5. Oktober wurde Pjotr Michailowitsch von einer Troika der MKWD-Behörde der Region Krasnojarsk nach §58-10 (konterrevolutionäre Agitation) verurteilt und zwei Tage darauf erschossen. Wieder ein Bauer weniger.
Aleksej Babij
Vorsitzender der Krasnojarsker «Ìåìîðèàë»-Gesellschaft
„Neue Zeitung“, 06.10.2017