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Zurück in die Zukunft?

Ich denke nicht zufällig an die Ende der achtziger Jahre in der ganzen Welt bekannte Phantasy-Filmtrilogie des Regisseurs Robert Zemeckis zurück. Mit ebensolchen multidirektionalen Botschaften war das Ende des Jahres 1917 angereichert.

Es ist wohl an der Zeit, an den Tannenbaum und das bevorstehende Jahr 2018 zu denken, doch nach dem "feierlichen" - zum 100. Jahrestag des FSB – Interview mit dem Oberhaupts dieser Behörde, Aleksander Bortnikow, haben sich die Gedanken aus irgendeinem Grunde nicht vorwärts sondern zurück gewendet, zur Geschichte des GULAG und der Holzfällerei...

Es scheint, als ob alle sich bereits damit abgefunden haben, dass am 18. März 2018 in Russland die Stimmabgabe für Putin stattfinden wird - "wenn nicht er, wer dann?". Der Dualismus läge lediglich in der Wertung – ist das "zurück" oder "in der Zukunft"?

Aber hier kamen die Kommunisten unerwartet auf den hundertjährigen (zurück?) berühmten Leninschen Begriff " und zeigten - "wer, wenn nicht er" (in die Zukunft?). Dabei ist dieser "wer" – Direktor der nahe Moskau gelegenen Lenin-Sowchose, Pawel Grudinin – eigentlich überhaupt keine Kreatur der Kommunisten, sondern vielmehr der einzige nicht systematische Kandidat der linken Kräfte. Somit also der "russische Donald Trump".

Allerdings ist Russland, wie bekannt – nicht Amerika, und sein FBI – nicht unser 100-jähriger FSB.
Was soll man aus der Vergangenheit in die Zukunft mitnehmen? Den revolutionären Aufbruch des Volkes zu einem neuen besseren Leben oder den Rücklauf in die "rote" Leibeigenschaft und Opritschnina der Sowjetepoche? Die heutige Staatsmacht hat diese Frage schon seit langem entschieden. Ersteres wird im Strafgesetz als "Verbrechen gegen die Grundlagen des konstitutionellen Aufbaus und der Staatssicherheit" gekennzeichnet. Zweites erhält unklare oder offene Rechtfertigung und bisweilen auch Befürwortung. Je weiter, desto mehr.

Um Frühjahr 2016 bezeichnete der Abgeordnete der Staatsduma der Region Krasnojarsk und der Liberal-Demokratischen Partei Russlands, der Judo-Kämpfer Dmitrij Nossow, Josef Stalin als großen Staatsmann, der für Russland viel getan habe, und er bezweifelte das Ausmaß der stalinistischen Repressionen sowie die Sterblichkeitsrate innerhalb des GULAG-Systems.

Damals schien es sich dabei um eine extravaganten Narretei des nicht sonderlich kundigen und erfahrenen Sportler-Politikers zu handeln. Umso merkwürdiger war es, dies aus dem Munde eines Deputierten der Region Krasnojarsk zu hören (allerdings mit Moskauer Wohngenehmigung), in deren Hauptstadt sich die einzige Gedenkstätte für die Opfer der politischen Repressionen ihrer Art in ganz Russland befindet, dem Abgeordneten einer Region, in der fast jedes Fleckchen Erde in der einen oder anderen Form vom „großen Terror“ betroffen war"...

Später, unter anderem wegen Verrats, als Nossow am Vorabend der Wahlen in die Staatsduma an der Vorwahl von "Geeintes Russland" teilnahm, wurde er aus der Liberal-Demokratischen Partei ausgeschlossen. Danach wurde der Stalinist und Judo-Kämpfer von den Kommunisten "wie eine Schlange am Busen genährt", indem sie ihn als ihren Kandidaten im Gebiet Diwnogorsk aufstellten allerdings erfolglos... Ich bin doch wegen etwas anderem hier.

Vieles von dem, was 2016 wie ein provokatives Auftreten der öffentlichen Politik aussah, ging Ende 2017 in das wohl überlegte Interview mit dem Oberhaupt des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation ein. Übrigens haben Aleksander Bortnikow auch schon russische Wissenschaftler und Akteure aus dem Bereich der Kunst geantwortet.

Für die Zukunft ist meiner Meinung nach nicht das Interview mit dem Oberhaupt des FSB wesentlich gefährlicher, sondern vielmehr die Kommentare, die dazu von einigen einfachen Russen in den sozialen Netzwerken abgegeben wurden, darunter von Leuten, die territorial nahe stehen – die über eine krasnojarsker Wohngenehmigung verfügen:

"...Niemand hat die Tatsache bestritten, dass Stalin die Interessen Russlands (der UdSSR) so verteidigt hat, wie es seinem Verständnis entsprach. Und Bortnikow verstand Stalins politischen Motive, indem er seine Meinung äußerte. Und ich habe auch genau das zum Ausdruck gebracht, was ich verstanden habe".
"Das erzählen Sie mal den 700.000 Erschossenen".

"In meiner Verwandtschaft gab es keine Verbrecher und niemanden, der unter den Repressionen zu leiden hatte".

So eine Meinung gibt es: die Oberste Macht kann mit denen machen, was sie will, die nur allzu gut die Interessen Russlands verstehen, um so mehr, als von meinen Angehörigen keiner zu den Leidtragenden gehörte.

Noch eine nicht weniger "interessante" Aussage von einem schon nicht mehr ganz so einfachen Krasnojarsker, der als Berater der derzeitigen Staatsmacht tätig war:

"Und zu anderen Zeiten gab es genügend Menschen, die nicht aus freiem Willen für die Interessen der Heimat litten, wie sie die Staatsführung verstand? Umso mehr, als viele, sogar sehr viele dieser 700.000 (und das ist nur die offizielle von den Behörden angegebene Zahl der in den Jahren 1921-1953 zur Höchststrafe verurteilten Personen.- Anm. d. Autors) sehr Wohl nach ihrem Willen litten, nachdem sie sich nämlich zur Verletzung der geltenden Gesetzgebung entschlossen hatten".

In Deutschland gab es ebenfalls zwischen 1933 und 1945 genügend "Personen, die nicht aus eigenem Willen für die Interessen der Heimat litten, wie sie die Staatslenkung verstand",- hätte ich nur zu gern dem abwesenden Opponenten durch Zitieren seiner eigenen Worte entgegnet. Und sehr viele der 2,5 Millionen Häftlinge der Konzentrationslager "litten durchaus aus eigenem Willen, weil sie sich entschieden hatten, die geltende Gesetzgebung (in Deutschland und den besetzten Territorien) zu verletzen".

Doch im laufe weiterer Polemik bekam ich die"meisterliche" antwort:

"Auch in Deutschland. Auch in Japan. Auch in Italien. Auch in Spanien. Auch in den USA. Auch in Brasilien. Auch in Afrika. Also - überall. Das Leben ist leider so. Menschen umbringen ist prinzipiell schlecht, da stimme ich überein, aber Mord und Todesstrafe sind zweierlei Dinge, so sehr auch die Menschenrechtler diese Begriffe anders sehen mögen. Und zweitens verhält es sich im Leben so: manchmal ist auch Mord eine annehmbare Variante".

Ehrlich gesagt, nach solchen Erklärungen von Menschen, die sich, wenn auch nur recht geringfügig, an irgendeine Macht angenähert haben, bin ich traurig um die Vergangenheit und mir wird schrecklich zumute, wenn ich an die Zukunft denke.

Aber wir sind alle grundverschiedene Leute – Bürger eines rätselhaften Landes namens Russland, in dem, wie überall auf dem Planeten Erde, bald das neue Jahr 2018 beginnt. IEs ist an der Zeit, den Tannenbaum aufzustellen, und sich in den nächsten zehn Tagen auf eine feierliche oder wenigstens apolitische Laune einzustimmen.

Kurz gesagt - vorwärts ins Neujahrsmärchen! Und die Zukunft? Die wird sich nach dem 9. Januar zeigen...

Andrej Kusnezow.
„Krasnojarsker Arbeiter“, 29.12.2017


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