Im Bartatsker Dorf-Kulturpalast fand eine Themenstunde statt, die dem Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressionen gewidmet war.
Die Thematik der Repressionen ist ein unveräußerlicher Teil der Geschichte unseres Staates. Wenn Erwachsene eine solche Kraftreserve besaßen, wie mag es damit dann wohl um die Kinder bestellt gewesen sein, die zusammen mit ihren Eltern gezwungen waren, unter unmenschlichen Bedingungen zu existieren? Gerade sie stellen die Folgegeneration unseres Landes dar. Viele von ihnen haben gegen den Faschismus gekämpft, das zerstörte Land wieder aufgebaut, das Land, das sich ihnen gegenüber derart rau, um nicht zu sagen grausam, verhalten hat. Und genau für sie fand die Veranstaltung «Die Schicksale der schuldlos Schuldigen» statt. Die Teilnehmer des patriotischen Klubs «Erben Russlands» erinnerten uns an die schrecklichen Ereignisse. Für die Gäste wurde ein Teetrinken organisiert. Wir wollten, dass sie in ungezwungener Atmosphäre mit uns ihr Qualen teilten, und man konnte sehen, dass sie nicht reden wollten und es ihnen schwerfiel. Aber trotzdem ist es wichtig zu sprechen. Aller Anfang war schwer, aber nachdem sie einmal begonnen hatten, ließen sie sich schon nicht mehr aufhalten. So viele Emotionen wurden bei jedem freigesetzt. Wie viel Schmerz kam darin zum Ausdruck!
Aus den Erinnerungen von Nadja Dmitriewna KOROBANKO:
«Als erstes erinnere ich mich an meine Mama und daran, wie sie mir mit Tränen in den Augen erzählte, was sie alles hatte durchmachen müssen. Man nahm ihr die Heimat, das Zuhause, die Kindheit. Sie taten so, als ob der Vater schuld war, den sie für einen Vaterlandsverräter hielten. Und heute gilt er als Held. Warum sollen Kinder für die Fehler ihrer Eltern verantwortlich sein?!»
Aus den Erinnerungen von Nina Gustavna LEMLE:
«Mama wurde mit ihrer Familie nach Sibirien vertrieben, aber durch eine Verwechslung der Waggons schickte man sie nach Deutschland. Dort lebten sie zwei Wochen und wurden dann doch noch in die Ortschaft Mostowskoje verschleppt. Der Vater wurde verwundet; eine Deutsche brachte ihn irgendwie durch, indem sie ihn vor den Faschisten versteckte. Sie wurde seine erste Frau, mehr weiß ich von ihr nicht. Ihr siebtes Kind bekam die Mutter auf dem Weg nach Sibirien. Als ich in die Schule kam, beschimpften die Kinder mich als Faschistin; im Unterricht brachte ich manche Wörter durcheinander. Die russischen Kinder verprügelten mich, gruben mich in Schneewehen ein». Aber 1999 kehrte Nina Gustavnas Familie nach Deutschland zurück, sie selber ist jedoch kategorisch dagegen, weil sie Russland für ihre Heimat hält.
Aus den Erinnerungen von Alexander Jegorowitsch Aisner (Eisner):
«Wir lebten im Gebiet Saratow. Vor lauter Hunger sammelten wir Kornähren; die nahm man uns weg und zertrampelte sie. Sie jagten uns mit Peitschen. Wir gingen um Almosen betteln. Die Mutter arbeitete auf einer Farm im Kraslag, hütete Schweine und war als Näherin tätig. 1942 pflanzten sie keine Kartoffeln an, weil sie dachten, dass wir abreisen würden, doch das war nicht der Fall. Niemand half. Die Menschen kannten kein Mitleid ».
Es lassen sich noch viele Beispiele zerstörter Familien allein in einer einzigen Siedlung nennen. Jede persönliche Tragödie bleibt untrennbar mit der allgemeinen Tragödie des gesamten sowjetischen Volkes verbunden. Heute hat die Gerechtigkeit triumphiert. Die meisten derer, die unter den Repressionen zu leiden hatten, wurden rehabilitiert. Besitz, das Recht, jemanden einfach nur als Menschen und nicht als Kind eines „Volksfeindes“ zu bezeichnen – all das kann man widerherstellen, aber wer gibt einem die verlorenen Kindheit zurück? Jene frohen Minuten, die eigentlich jeder in seiner Kindheit erleben sollte? Und unsere Pflicht ist es, die Vergangenheit zu kennen und sich an sie zu erinnern und nicht so zu tun, als ob sie längst in ungreifbar weiter Ferne liegt...
T.J. Oblomejewa
„Neue Zeit“, ¹ 45 vom 10.11.2018