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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Fedor Dawidowitsch Arndt

Geboren 1926 im Dorf Gnadenfeld, Bezirk Eckheim, Gebiet Saratow.

Eltern:

Mutter – Maria Iwanowna, geboren 1903; arbeitete in der Kolchose; verstarb 1939.

Vater – Dawid Filippowitsch Arndt; Kolchosarbeiter, Traktorist, Ingenieur in der Kolchose.

Fedor Dawidowitsch beendete insgesamt nur vier Schulklassen, denn er mußte früh arbeiten gehen und seine Eltern bei der Ernährung der Familie unterstützen.

Die neunköpfige Familie lebte in einem Vierzimmer-Haus, dessen Wände mit Ziegelsteinen aus zerschlagenem Lehm errichtet worden waren; das Dach war aus Holz.

1929 wurden die Großeltern entkulakisiert, man nahm ihnen das Vieh weg (zwei Kühe und vier Pferde). Alle anderen Sachen mußten sie zurücklassen,und dann wurden der Großvater und die Großmutter in verschiedene Richtungen abtransportiert.

Während der Hungersnot im Jahre 1933 aßen sie das Fleisch von Zieselmäusen. Zuerst kochten sie es, dann wurde es gebraten. Das Fett verwendeten sie zum Heilen kranker Menschen. Die Felle gaben sie an einen besonderen Mann aus der Kolchose ab und bekamen dafür jeweils einen Rubel.

Die Kolchose war groß, dort wurde Getreide und Tabak angebaut. Insgesamt gab es im Dorf zwei Kolchosen, fünf Brigaden und auch Farmen. Die Brigaden betrieben ausschließlich Ackerbau.

Ihr Gemüsegarten war ziemlich klein. Dort pflanzten sie einen Eimer Kartoffeln an, Wassermelonen und Kürbisse.

In den letzten Augusttagen des Jahres 1941 wurde ihre Umsiedlung offiziell angekündigt; man gab ihnen drei Tage zum Packen ihrer Sachen. Alle wurden über den Ukas vom 28. August bezüglich der Zwangsumsiedlung der Wolgadeutschen informiert. Sie nahmen Werkzeug, gebratene Koteletts, Mehl und Graupen mit.

Bis zum Zug fuhren sie mit Leiterwagen, später – mit dem Zug, in Viehwaggons, deren Boden mit Heu ausgelegt war. Es gab keine Toilette und auch keinen Platz zum Sitzen. Während der Fahrt wurden die Menschen nicht verpflegt, obwohl sie zwei Monate unterwegs waren (wohl eher zwei Wochen oder einen Monat? – A.B.). Nur ein einziges Mal erhielten sie eine warme Mahlzeit – irgendein Teegebräu.

In Krasnojarsk trafen sie am Abend ein. Dann fuhren sie mit einem Lastkahn zwei Tage bis nach Galanino. Gegen Morgen näherten sie sich der kleinen Insel in Galanino, wo sie bereits von ihren „Käufern“ abgepaßt wurden.

Der Vorsitzende, der die Familie Arndt „kaufte“, „erwarb“ insgesamt neun Familien. Er selbst stammte aus der Siedlung Wodoresowo.

Ihre Familie wurde bei einer Großmutter (Oma Olja) untergebracht. Und bis zum neuen Jahr wohnten sie in einem Zimmer (zehn Personen). Der Vater heiratete.

Später stellte man ihnen ein kleines Haus zur Verfügung. Den ältesten Bruder holten sie im Alter von 18 Jahren in die Trudarmee, danach wurde auch der Vater einberufen.

Das Verhalten der anderen Dorfbewohner ihnen gegenüber war ziemlich gut. Der Kolchosvorsitzende Kirjan Nesterowitsch Ripnikow half ihnen, wo er nur konnte. Natürlich hatten sie trotz allem einen schwierigen Lebensalltag, weil sie die russische Sprache nicht konnten. Sie verständigten sich „mit den Fingern“, durch Gesten.

Sie besuchten den Klub

Für ihre Arbeit in der Kolchose bekamen sie Milch, Brot; diese Produkte konnten sie auch kaufen, wenn es Geld gab. Manch einer verkaufte seine Kleidungsstücke oder tauschte sie gegen Lebensmittel ein. Im zweiten Jahr gab man ihnen bei Vorlage der Bescheinigung über die Beschlagnahme des Besitzes eine Kuh und einen halben Sack Weizen.

1947 fuhr der Vater zur Bahnstation Reschoty. Dort arbeitete er, fällte Bäume (er konnte dort nicht auf eigene Faust hinfahren; vermutlich handelt es sich nicht um das Jahr 1947, sondern um das Jahr 1941, als sie den Vater in die Trudarmee holten – damals hat er mit Sicherheit im Kraslag in der Holzfällerei gearbeitet. Allerdings hat er sich möglicherweise auch aufgrund einer besonderen Verfügung tatsächlich im Jahre 1947 dorthin begeben - AB).

Zweimal im Monat mußten sie sich melden und registrieren lassen.

Fedor Dawidowitsch ließ sich 1948 für einen Zeitraum von drei Jahren anwerben und zog mit seiner Ehefrau nach Momotowo um. Seine Frau war Tschuwaschin – Anastasia Osipowna; sie war mit ihren Eltern nach Wodoresowo gezogen. Sie starb 1987.

In Momotowo gab es zwei Lager, in denen ehemalige Kriegsgefangene gehalten wurden.

In ihre Heimat (an der Wolga) fuhren sie nicht wieder, aber man berichtete ihnen, daß ihr Haus immer noch dort steht.

Ab 1956 brauchte Fedor Dawidowitsch sich nicht mehr behördlich registrieren lassen.

Die Schicksale der Geschwister verliefen unterschiedlich.

Fedor Dawidowitsch hat 3 Kinder; derzeit lebt die Tochter bei ihm.


Schulfotos der Arndts - Swetlana Fedorowna Schestoperowa

Alles Geschehene bewertet er nicht als Bestrafung, sondern als zwangsweise notwendige Maßnahmen. Er sagt: „Wir waren Kinder und fuhren deshalbeinfach mit den Eltern; wo sie hingingen, dorthin gingen wir auch....“

Die Befragung erfolgte durch Tatjana Dschnojewa und I.N. Moisejewa.

(AB – Anmerkungen von Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“
Sechste Expedition für Geschichte und Menschenrechte, Momotowo 2009.


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