Am 19.06.1941 wurde von dem Einzelgehöft HAJRAJ im Kreis BASCHKAJ (heute PASWALIS), Litauen, das 2 km von der lettischen Grenze entfernt stand, die lettische Bauernfamilie MIKAJNIS deportiert:
In der Nacht wurde bei ihnen eingebrochen. Nachdem man der Familie erlaubt hatte insge-samt 200 kg Gepäck mitzunehmen, brachte man sie zum Bahnhof der Stadt BIRSCHAJ. Die ältere Tochter Jelena (Tochter von Wiljus) MAIKAJNITE, geb.1923, machte in diesen Tagen in BIRSCHAJ gerade ihre Abschlußprüfungen am Gymnasium. Sie und ihre Familie wurden in einen Güterwaggon mit zweistöckigen Pritschen verladen, in den man insgesamt etwa 50-60 Menschen hineinstopfte. Es wurde gesagt, daß dies bereits der 5. Gefangenentransport (seit dem 14. Juli) aus BIRSCHAJ war.
Der Platz auf den Pritschen reichte nicht für alle, ein Teil der Deportierten lag auf dem Boden.
Der Zug fuhr durch Smolensk und Rschow, unterwegs wurde er bombardiert. Erst im Ural wurden die Menschen zum ersten Mal hinausgelassen, unweit irgendeines Flüßchens, und man erlaubte ihnen dort sich zu waschen.
Während eines Zughaltes, irgendwo in Sibirien, betrat der Leiter des Gefangenentransportes mit seinen Wachen den Waggon: „ Wer will, daß die Männer bei ihren Familien bleiben können, der muß mir Geld geben“. Er nahm Geld entgegen und sagte auch beim Gold nicht nein.
In denselben Waggon wie die Familie MIKAJNIS war auch die lettische Bauernfamilie MORKUNAS geraten:
Die Deportierten wurden in Krasnojarsk vom Zug geladen. Nach ein paar Tagen wurden die Familien MIKAJNIS, MORKUNAS, WEJSBERGIS, KIGJALIS, SCHULZ(AS) und WAJTEKUNAS mit einem Lastkraftwagen nach Süden abtransportiert, in den Kreis NOWO-SJOLOWO, und in dem Dorf TRIFONOWO am linken Ufer des Jenissej abgesetzt, gegen-über von dem Dorf KOMA (heute ist Trifonowo überflutet). Außer den oben genannten gerieten auch andere Familien, die aus Litauen deportiert worden waren, nach TRIFONOWO.
Die Verbannten wurden zum Arbeiten in die Kolchose „Roter Pflüger“ geschickt. Die Familie MIKAJNIS erhielt im Dorf ein freies Haus mit einem Gemüsegarten. Im Laufe der Zeit gelang es ihnen eine Kuh zu kaufen. Es schien so, als wäre das Leben irgendwie in Ordnung gekommen.
Die Familien MORKUNAS, WEJSBERGIS, KIGJALIS, SCHULZ(AS), WAJTEKUNAS blieben bis 1958 in TRIFONOWO in der Verbannung. Die Familien WEJSBERGIS, MORKUNAS und KIGJALIS fuhren nach der Freilassung fort, jedoch (laut Angaben des Forschungszentrums für Repressionen in Litauen) nicht nach Litauen, sondern nach Lettland.
Die Familie SCHULZ(AS) kehrte nicht in die Heimat zurück, sie blieben im Nowosjo-lowsker Kreis wohnen.
Das Schicksal des Wiljus MIKAJNIS und seiner Familie zeigte sich anders. Ungefähr am 04.07.1942 schickte man sie in die Kreisstadt NOWOSJOLOWO und verfrachtete sie auf den Dampfer „Josef Stalin“. Es blieb keine Zeit, die Kuh zu verkaufen; sie mußten sie in Nowo-sjolowo an einen Pfahl binden und zurücklassen.
Man brachte die Verschleppten in den Kreis TURUCHANSK and lud sie bei der Siedlung TSCHORNOOSTROWSK, am rechten Ufer des Jenissej, aus. Dort befand sich ein kleines
Dörfchen, in dem ein paar einheimische Familien wohnten. Dorthin verschleppte man etwa 30 verbannte Familien: Deutsche, Finnen, Letten. Später wurden Griechen dorthin ver-schleppt.
Die Verbannten lebten dort in Baracken und fingen Fische unter der Leitung des örtlichen Brigadeführers. Einmal im Monat suchte der Kommandant der Sonderkommandantur die Siedlung auf, Tichon LUKJANOW. Später, als er bereits in Pension gegangen war, wurde er von seinem eigenen Sohn umgebracht, der ihm eine Flasche über den Schädel schlug. Als die ehemaligen Verbannten das erfuhren, sagten sie nur: “Der Hund ist des Hundes Tod“.
Nach TSCHORNOOSTROWSK gelangte außer der Familie von Wiljus MIKAJNIS (er selbst starb 1943 an einem Magengeschwür: es gab weder einen Arzt, noch Medizin) nur eine Familie aus Litauen. Es waren Litauer – und zwar Ehefrau und Söhne eines Beamten aus BIRSCHAJ, die ebenfalls im Juni 1941 deportiert worden waren:
In TSCHORNOOSTROWSK befand sich eine finnische Familie – Mutter und Sohn – in der Verbannung:
Unter den verbannten Deutschen befand sich Maria KEMPF, geb. ~1923, mit ihrer Mutter und einer Schwester; David HASENKAPMF, geb. ~1890, mit seiner Ehefrau sowie den Söhnen David und Iwan/Johann.
In TSCHORNOOSTROWKA gab es eine lettische Familie, die aus LETTLAND deportiert worden war – eine Mutter mit ihren beiden Töchtern:
(Nach ihrer Freilassung kehrten sie in die Heimat zurück).
Ab 1947 lebte M. (F.) MIKAJNENE mit ihren Kindern in Verbannung in dem Dorf BAKLANICHA, 20 km von TSCHORNOOSTROWSKA entfernt, ebenfalls am rechten Ufer des Jenissej. Aus der Kommandantur-Unterstellung wurden sie erst am 15.06.1958 befreit.
Die Familien KIREJLIS, AGABA, BUMBULIS wurden ebenfalls Ende der 40-er Jahre nach BAKLANICHA verlegt, und aus TSCHORNOOSTROWSKA wurden alle Verbannten entfernt: dort ließ sich eineTruppen-Einheit nieder.
In der Verbannung ging Ajna MIKAJNITE die Ehe mit R. (J). KIREJLIS ein. Auch sie blieben nach ihrer Freilassung im Norden und lebten in Turuchansk, wo Ajna (Tochter von Wiljus) auch heute noch wohnt. J. (S.) KIREJLENE kehrte in den 60-er Jahren mit ihren beiden Söhnen in die Heimat zurück.
Erika MIKAJNITE heiratete den verbannten Griechen Grigorij (Sohn von Dmitrij) GEORGIADI, geb. 1927. Nach der Freilassung aus der Verbannung ging sie mit ihrem Mann nach Kasachstan und nahm auch ihre Mutter dorthin mit.
Jelena MIKAJNITE heiratete einen Ortsansässigen. Sie lebte in Turuchansk und arbeitete im Kreis-Krankenhaus; 1993 zog sie jedoch mit ihrer Tochter nach Krasnojarsk um.
W. (W.) MIKAJNIS blieb bis an sein Lebensende in Turuchansk.
01.09.1993, aufgezeichnet von W.S. Birger, Krasnojarsk, Gesellschaft“Memorial“