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Mitteilung von Iwan Iwanowitsch Bekker (Becker)

Iwan Iwanowitsch Bekker, geb. 1955.
Vater: Iwan Bekker, Deutscher, geb. 1929, gebürtig und wohnhaft in Krasnomaisk, aus der ASSR der Wolgadeutschen deportiert.

Mutter: Deutsche, Mädchenname Wagner, geb. 1925, aus dem Dorf Podsosnowo, Altai-Gebiet; Eltern trafen dort 1909 im Rahmen der Stolypin-Reform ein.

Die Familie des Vaters wurde aus dem Kuraginsker Bezirk ausgewiesen; er arbeitete auf einer Farm in der Milch-Sowchose in Baidowo. Die Familie der Mutter (sechs Personen) wurde nach Bugurtak verschleppt. Die Mutter erzählte, dass sie zum Arbeiten auf dem Feld war; dort griff man sie auf, ließ sie in ein Auto einsteigen und fuhr mit ihr davon. Sie durfte sich vorher nicht einmal mehr waschen. Im Dorf heulen die Hunde, das Vieh brüllt. Alle Leute wurden weggebracht. Und als später bekannt wurde, dass man die Deutschen von hier verschleppt hatte, siedelte man andere Leute an, ebenfalls Umsiedler, in den fix und fertig eingerichteten Häusern an. In Viehwaggons transportierte man sie ab. Man war ihnen hier mit Misstrauen begegnet, weil man dachte, dass die Deutschen Hörner hätten, wie Wilde aussähen, aber später wurden die Beziehungen zu ihnen besser. Sie hatten ein schweres Leben, sammelten auf den Feldern gefrorene Kartoffeln, schlugen sich den ganzen Krieg über irgendwie durch. Sie holten die Mutter angeblich zur Ausbildung in die Betriebsfachschule nach Artjomowsk. Aber dort arbeiteten sie beim Holz-Abflößen: bis zur Taille im Wasser. Sie floh.

Einer der Großväter kam in der Arbeitsarmee ums Leben, der andere starb kurz nach seiner Rückkehr. Die Mutter war auch in der Arbeitsarmee.

Vater und Mutter heirateten Anfang der 1940er Jahre. Die Mutter ist evangelisch getauft, Iwan Iwanowitsch ebenfalls. Zuhause haben sie eine Bibel, aber in die Kirche gingen sie nicht. Die Großmütter gingen zum Gebet, trafen zu diesem Zweck zusammen.

Von der Familie sind noch er selbst und zwei Schwestern übrig – die eine lebt hier, die andere in Deutschland (der Bruder reiste auch nach Deutschland aus, wo er später starb). Auch die Tante ging nach Deutschland. Er selber kann kein Deutsch mehr. In der Familie wurde es nur selten gesprochen.

Verheiratet ist er mit einer Russin, die Geschwister haben ebenfalls russische Partner geheiratet. Halle sind assimiliert. Nur die Schwester, die nach Deutschland ausgereist ist, hat einen Deutschen geheiratet.

Die Mutter und die Großmutter kochten deutsche Gerichte. Auch heute werden in der Familie noch Kreppel, deutsche Pfannkuchen, zubereitet. Die Hochzeit wurde ganz gewöhnlich gefeiert, nicht nach deutschem Brauch. Der Befragte ist der Ansicht, dass die Sommerküchen in Russland von den Deutschen herrühren.

Niemand von der Familie ist an die Wolga gereist, aber aus anderen fuhren sie dorthin und berichteten, dass das Vaterhaus noch steht. In der Milch-Sowchose gab es zahlreiche Deutsche. Im Sommer arbeiteten sie als Traktoristen, im Winter bauten sie Häuser.

Der Befragte bestätigt, dass es gewisse Listen mit dem Buchstaben „Ч“ gab, in denen alle Deutschen vermerkt waren, und diese Listen existierten bis 1991.

Der älteste Bruder wollte eine Juristen-Ausbildung bekommen – es klappte nicht, obwohl er bei der Miliz tätig war.

Die Beziehungen zu den Ortsansässigen waren gut, obgleich es in der Schule vorkam, dass die Jungs ihn als „Faschisten“ beschimpften. Zu den Pionieren, in die Kommunistische Jugendorganisation und in die Partei kam er ohne Probleme.

Stadt-Siedlung Kuragino, 13.07.2017
Interview: Jelena Sberowskaja

Expedition der Staatlichen Pädagogischen W.P. Astafjew-Universität, Krasnojarsk, zum Projekt „Volksgruppen in Sibirien: Bedingungen für den Erhalt der kulturellen Erinnerung“, 2017, Bezirke Karatus und Kuragino


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