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Verbannungs-/Lagerhaftbericht von Jossif Grigorijewitsch BOHNER

Jossif Grigorijewitsch wurde 1907 in der Nähe von Krakau geboren. In den zwanziger Jahren wurde er in Berlin Mitglied der Deutsche Kommunistischen Partei. Ab 1932 lebte er in Moskau und war dort im Apparat der Komintern tätig.

Am 21. August 1937 wurde er verhaftet und saß im Butyrka-Gefängnis (größtes Moskauer Gefängnis) ein. Er unterschrieb nichts; im Februar 1938 wurde er laut Beschluß der OSO (= Sonderkollegium, das in Abwesenheit des Angeklagten Urteile verhängte) zu 8 Jahren (wegen konterrevolutionärer Aktivitäten) verurteilt und mit einem Gefangenentransport nach MARIINSK geschickt. Unterwegs wurde die Etappe wegen einer Epidemie, die in der Mariinsker Verteilungsstelle (für neu angekommene Häftlinge) ausgebrochen war, nach JURGA-2 umgeleitet. Im Sommer 1938 befand er sich in einem Lager in NORILSK, beim Bau des Mühlenkombinates in der Straße der Kommunisten. Ab November 1938 bis März oder April 1939 saß er im SIBLag in Belogorka im Altaj. Dort jagte man ihn zum Bäumefällen und gab ihm nicht mehr als einen einzigen Soja-Ölkuchen zu essen. Im Frühjahr 1939 geriet Jossif dann in die Verteilungsstelle in MARIINSK, wo der Gefangenenzug einige Zeit aufgehalten wurde. Unter den „Alteingesessenen“ der Mariinsker Verschickung ging das Gerücht, daß sich im Mariinsker Gefängnis (die Häftlinge wurden daran vorbei zur Arbeit geführt) Fanni Kaplan und Karl Radek befunden haben sollen. Anschließend beförderte man die Etappe nach Krasnojarsk und von hier aus in einer ganzen Karawane von Lastkähnen den Jenissej flußabwärts Richtung Norden. Anfang August 1939 kam die Etappe in DUDINKA an, und man schickte ungefähr 500 Häftlinge zum Bau einer neuen Lagerabteilung an einen Ort, an dem sich nichts weiter befand, als ein noch unvollständig errichtetes Badehaus.

Der Koch der Abteilung, ein Chinese, schien durch die Komintern irgendwie mit dem Orientologen KRYMOW bekannt zu sein, der später ins Gorlag geriet, dann jedoch als einer der ersten die Rehabilitation erhielt. Er starb im Januar 1989 in Moskau.

Jossif verrichtete für die Dauer von eineinhalb Jahren Kolonnenarbeiten; man trieb die Gefangenen zum Hafen, wo sie Schiffe und Lastkähne entladen mußten.Mit Nahrung wurden sie nicht schlecht versorgt: 1 kg normales Brot, warmes Frühstück und Mittagessen.

Ab 1941 erledigte Jossif statistische Arbeiten in Dudinka. Er hatte dort mit Zahlenmaterial bezüglich eingehender Gefangenentransporte und der Anzahl der Häftlinge zu tun. Er erinnert sich daran, daß im Handbuch des GULAG für die erste Hälfte der vierziger Jahre 39 Lagerverwaltungen verzeichnet waren.

Er wurde am 17. August 1945 aus der Gefangenschaft entlassen und blieb in Dudinka. Rehabilitiert wurde er Mitte der fünfziger Jahre, arbeitete aber auch dann weiter in Norilsk. Später zog er nach Moskau um.

Das GORLAG (Staatliches Lager mit verschärfter Anstaltsordnung) gehörte nicht zum Bestand des Norillag. Ein bekannt gewordener Aufstand fand in eben diesem Gorlag statt, wo viele hohe Offiziere der lettischen Armee einsaßen. Gerüchten zufolge sollen dort einst drei Letten, die auf dem Flugplatz arbeiteten, ein Flugzeug bestiegen haben und damit fortgeflogen sein. Was aus ihnen geworden ist, blieb unbekannt.

In Dudinka lebte TSCHAPLIN, der Bruder von Nikolaj Tschaplin, dem 1. Sekretär des ZK WLKSM (= Zentral-Komitee des Allrussischen leninistisch-kommunistischen Jugend-verbandes). Er und seine Frau starben in den Jahren 1986 und 1987 in Moskau.

In Dudinka stand BRAGINSKIJ (der Onkel von Emil Braginskij, der bis zur Verhaftung Staatsanwalt gewesen war) vor dem Lagergericht, aber es gelang ihm, sich glänzend zu verteidigen, so daß er letztendlich freigesprochen wurde.

Februar 1989, aufgezeichnet von W.S. Birger, Krasnojarsk, Gesellschaft „Memorial“


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