Andrej Adolfowitsch Gaun wurde am 22.Oktober 1942 im Altai-Gebiet,in der Ortschaft Saratowka, geboren.Der Großvater war im Rahmen der Stolypin-Reform im Jahre 1905 aus der Region Saratow ins Altai-Gebiet umgezogen. Dort bekam er ein Stück Land. 1920 besaß er 12 Kühe,10 Pferde, 400 Schafe sowie Ackerland.
Andrej Adolfowitsch hat drei Schwestern – Atelija? (Adele?), Sina und Lida, und väterlicherseits nach Katka und Olga. Erist der jüngste in der Familie. 1943 wäre Andrej beinahe gestorben –die Kuh hatte nicht gekalbt, es gab keine Milch und er wurde krank.
Gaun beendet 7 Schulklassen,lernte an der Meisterschule, war Bautechniker, Meister, Bauleiter. Er arbeitete auch als Tischler. Sie wohnten unweit des Semipalatinsker Truppenübungsplatzes, wo Atombomben-Versuche durchgeführt wurden. Viele Menschen starben dort an Blutarmut, es kamen zahlreiche Mißgeburten zur Welt, und Andrej Adolfowitsch ging bereits mit 50 Jahren in Rente.
Seine Mutter heißt Amalia Andrejewna. Sie arbeitete in einer Kolchose, konnte weder lesen noch schreiben; sie war Baptistin. Irgendwie träumte sie eines Nachts davon, daß Gott sagte: am Sonntag darf man nicht arbeiten – das ist Sünde.Und am nächsten Tag ging sie nicht zur Arbeit. Man verurteilte sie nach § 58 zu 25 Jahren (Anmerkung A.B. – vermutlich Zwangsarbeit). Sie verbüßte die Strafe an der Kolyma von 1949 bis 1956. Von Wladiwostok bis Magadan gingen sie 12 Tage zufuß, gerieten in einen schweren Sturm. Zusammen mit ihr im Lager waren junge Mädechen von 17, 18 Jahren; sie vermochten nichts zu tun, waren schwach und starben.
Im Lager organisierten die Gefangenen einen Streik, und viele Menschen wurden von Maschinenpistolen erschossen. Die Leichen wurden aufLastwagen verladen, weit fortgebracht und in einem Massengrab beerdigt.
1956 wurde Amalia Andrejewna rehabilitiert.
Nachdem die Mutter verhaftet worden war, blieb Andrej Adolfowitsch beim Großvater in Saratowka,lebte dort ein Jahr lang, und als der Vater aus der Arbeitsarmee zurückkehrte, holte dieser seinen Sohn nach Nasarowka und lebte mit ihm 5 Jahre zusammen. Dann kehrte dieMutter aus dem Lager zurück und holte ihren Sohn zu sich nach Saratowka. Und seine Schwestern waren bei der Tante in Saratowka. Andrej Adolfowitsch wohnte im Hause des Großvaters und hatte gut zu essen,aber nachdem der Vater ihn zu sich geholt hatte, wurde er sehr schlecht verpflegt. Die schönsten Erinnerungen an sein Leben sind- als er in der Kindheit seinen ersten Pfefferkuchen geschenkt bekam,als die Mutter aus demLager zurückkehrte, das Widersehen mit seiner Ehefrau, die Geburt der Kinder und Enkel.
Die Mutter hat zwei Schwestern, Lisa und Charlotta, sowie 3 Brüder. Die Schwestern wurden zusammen mit ihrer Mutter verhaftet. Im Lager verdiente die Mutter Geld und schickte es zu den Kindern nach Hause. Andrej Adolfowitsch nimmt an, daß dieses Geld hauptsächlich für den Haushalt verwendet wurde. Die Mutter wurde unter Wachbegleitung zur Arbeit gebracht, sie wurde furchtbar geschlagen und gezwungen, sich in eine Pfütze zu legen. Tat sie es nicht, dann schlug man sie mit Stöcken und Gewehrkolben.
Andrej Adolfowitschs Mutter und Schwestern reisten nach Deutschland aus. Die Mutter verstarb im Frühjahr 2006. Andrej Adolfowitsch reiste 1996 und 2001 nach Deutschland. 2005 kam seine Schwester Sina aus Deutschland zu Besuch. Andrej Adolfowitschs drei Söhne leben in Krasnojarsk
Die Befragung wurde von Nina Bespalowa und Walentina Mordwinowa durchgeführt.