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Mitteilung von Maria Davidowna Gorochowa

Maria Davidowna Gorochowa wurde 1940 in der Ortschaft Taskino, Bezirk Karatus, Region Krasnojarsk geboren.

Eltern: David Iwanowitsch Gurich (geb. 1914), Warwara Petrowna Gurich (Dulson, geb. 1914)

David Iwanowitschs Eltern wohnten ganz in der Nähe, am Fluss Wjatka. Sie besaßen 5 Kühe, 25 Pferde, eine Menge Schafe. Und alle haben von Kindesbeinen an gearbeitet. Es gab eine Presse, Zuckerrüben wurden gepflanzt und zu Sirup zerkocht. Das war wie Honig, nur dass man eben Zuckerrüben verwendet hatte. Sie beschäftigten auch Arbeiter. Später wurden sie als Großbauern enteignet. Der Bruder nahm den Vater fest, er war Tschekist. Später fand man Iwan Gurich ohne Kopf; was geschah, wurde nie bekannt.

1941 wurde die Familie Gurich aus der Stadt Engels, ASSR der Wolga-Deutschen, in die Ortschaft Scherlik, Bezirk Minussinsk, Region Krasnojarsk, deportiert. Mama wurde 1942 oder 1943 als zweites Kind geboren und erkrankte sofort an einer Lungenentzündung. 8 Monate lag sie schwerkrank da; die Großeltern holten sie zu sich, während M.D. beim Vater blieb. Es herrschte Krieg, und er war ständig auf der Arbeit. Mit drei Paar Ochsen beförderte er im Herbst das Getreide. Das Getreide ging zu Ende, er brachte es nach Minussinsk, dann fuhr er zurück in die Taiga. Aus der Taiga, brachten sie später, im Frühjahr, dann erneut Aussaat und Holz mit Ochsen aus Kotschergino fort. Und nachher war er sein Leben lang Pferdepfleger. Man ernannte ihn zum Brigadier, als die Arbeit in der Brigade zusammenbrach. Er konnte weder lesen noch schreiben; genauer gesagt – er schrieb, aber nur auf Deutsch. Er heiratete eine Russin aus Taskino.

Sie waren eine städtische Familie, deswegen nahm man ihnen das Vieh nicht weg. Den deportierten Dorfbewohnern gab man Kühe, Hühner, Ferkel, aber ihnen nicht.

In den sechziger Jahren reiste der Vater mit der Stiefmutter in die Heimat.
In Scherlik lebten sie in ärmlichen Verhältnissen, Maria arbeitete ständig. Sie trug schwere Säcke und schuftete wie ein Esel – Tag und Nacht. Sie kam noch nicht einmal zum Schlafen.

In der Klasse waren zwei, die noch einen Vater hatten. Den Sohn des Dorfratsvorsitzenden ließ man in Ruhe – sein Vater war als Invalide aus dem Krieg zurückgekehrt. Aber die Tochter eines Deutschen – die bekam ihren Teil ab, wurde beschimpft und geschlagen. Für Maria war ein Kindermäntelchen gekauft worden, das warfen sie in eine Pfütze und trampelten darauf herum. Sie trug dünne Filzstiefel; mit denen ging sie zur Schule. Obwohl sie nur durch den Gemüsegarten gehen brauchten, erlitt sie auf dem Weg in die Schule schon Erfrierungen an den Füßen. Die Lehrerin zerrte mir anschließend die Schuhe von den Füßen, wärmte und trocknete sie.

Mit 14 Jahren ging ich arbeiten. Ich verließ die Schule, weil wir jeden Tag hungerten. Die Stiefmutter gab uns nur abends etwas zu essen. Wir litten an heftigem Hungerschmerz, Maria war sehr schwach, schon ein kleiner Windstoß wehte sie um. In den Frühlingsferien verließ sie die Schule, um in der Kolchose zu arbeiten, um dort die Schafe zu hüten. Später transportierte sie Schwarzerde mit Hilfe von Körben und zerrte sich dabei den Rücken. Sie ging als Kälberhirtin auf die Farm. Dort wurden fünf Öfen beheizt, sie musste das Holz selber zersägen – und dann noch bei minus vierzig Grad; von der Holzstation trug sie den vollen Tragekorb zurück. Maria war zu der Zeit spindeldürr, nur Haut und Knochen. Der Tragekorb war um ein Vielfaches schwerer als sie selber.

1960 heiratete sie einen Russen und fuhr mit ihm nach Taskino.

Onkel Iwan Iwanowitsch reiste in den neunziger Jahren nach Deutschland aus. Von dort schrieb er, dass sie bloß nicht auf die Idee kommen sollten, dorthin zu kommen. Hier sind wir Menschen zweiter Klasse, niemand braucht uns. Innerhalb von sieben Monaten starb er. Seine restliche Familie blieb dort.

Maria Davidowna kann kein Deutsch. In der Schule bekam sie für Deutsch die Zensur 3; dort lernten sie ein ganz anderes Deutsch im Vergleich zu dem, das der Vater sprach.

Zur Zeit der Deportation wurde die Schwester des Vaters nicht ausgesiedelt, weil sie mit einem Russen verheiratet war. Schustow hieß er. Schustow geriet ins Kriegsgeschehen; sie erhielt dreimal eine Todesnachricht, schenkte ihnen jedoch keinen Glauben, sondern sagte, dass er noch am Leben sei – und tatsächlich stellte sich später heraus, dass er in Kriegsgefangenschaft war, und zehn Jahre nach dem Krieg kehrte er nach Hause zurück.

In der Verbannung erlitt der Vater eine Erkrankung des Rachens. Er fuhr nach Minussinsk, wo gerade ein Professor aus Moskau eingetroffen war. Zu dem Zeitpunkt kam der Kommandant, um festzustellen, wo der Vater abgeblieben war. Nachdem er es erfahren hatte, drohte er, ihn einzusperren, aber der Vater kam noch einmal davon.

Deutsche Gerichte gab es in der Familie nicht, aber Kohl salzten sie ein, so wie es die Deutschen machen – mit Rettich.но капусту солили по-немецки, с редькой.

Der Vater war nicht religiös, aber er besaß zwei Gebetbücher; manchmal las er laut daraus vor.

Die Arbeit war schwer. Man zog mich vom Kälberstall zu den Melkerinnen hinüber. In der Station war der Fußboden weggebrochen (verfault), alle halbe Meter befanden sich Birken-Balken; darüber fuhren sie mit ihren beladenen Karren. Du hebst ein Stöckchen auf, legst es hin – für die Männer war das eine Kleinigkeit, aber für die Frauen war es sehr schwer. Später wurde der Boden ausgelegt, und die Ladungen wurden auf Schlitten befördert. Sie arbeiteten mit schweren, kraftvollen Pferden. Der Last-Korb war so groß, dass er nicht durch die Tore der Farm passte, weder in der Höhe, noch in der Breite. Auf einer Farm viele die Hälfte des Milchertrags zu Boden; die Melkerinnen beschwerten sich. Aber sie waren ganz allein; bei der einen war das Kind erkrankt, die andere hatte eine alte Mutter… Und in Maria Davidownas Brigade waren von sechs Leuten immer zwei anwesend, und die mussten bis zu 50 Kühe melken. Im Winter melkten sie mit der Hand, denn da gab es nicht so viel Milch. Aber wenn du im Sommer melken musst, werden dir die Hände taub und deine Tränen fallen zusammen mit der Milch in den Eimer. Und wenn sie mit dem melken fertig sind, gehen sie aufs Feld, und die Melkerinnen und Tierwärterinnen binden in Scherlik die Luzerne von der zweiten Mahd zusammen. Bis zum Abend werden Garben gebunden, anschließend auf die Fuhre gelegt und dann zum Verfüttern auf die Farm gebracht…

Interview: D.W. Swirina.

Expedition der Staatlichen Pädagogischen W.P. Astafjew-Universität, Krasnojarsk, zum Projekt „Volksgruppen in Sibirien: Bedingungen für den Erhalt der kulturellen Erinnerung“, 2017, Bezirke Karatus und Kuragino


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