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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Prokopij Stepanowitsch Grjasnow

Region Krasnojarsk
Nischne-Ingaschsker Kreis, Siedlung Reschoty
31. September 1989

Prokopij Stepanowitsch Grjasnow wurde 1905 in dem Großdorf Nadeschna, Tarbagatajsker Kreis, Burjatische ASSR, geboren. Das Dorf zählte 300 Höfe. In den 1930er Jahren arbeitete er als Rechnungsführer. Er wurde am 7. Dezember 1937 in der Ortschaft Kujtun, 6 km von Nadeschna entfernt, verhaftet. Zur gleichen Zeit wurden etwa 20 Männer verhaftet. Unter ihnen befanden sich auch Safon Iwanowitsch Sajzew (geb. etwa 1903), Arbeiter in der Spiritusfabrik. Etwas früher, im November 1937, wurden Ponkrat Jerepewitsch Sajzew (geb. ca. 1904) und Foma Sysojewitsch Trifonow verhaftet. Sie beide wurden ebenfalls Häftlinge des KrasLag. F.S. Trifonowitsch geriet auf der Etappe in ein und denselben Waggon wie Prokopij Stepanowitsch. P. J. Sajzew blieb nach seiner Freilassung im Nischne-Ingaschsker Kreis. Er starb vor ein paar Jahren.

P.S. Grjasnow kann sich noch daran erinnern, daß im Jahre 1930 Bauern aus der Ortschaft Nadeschna in die Region Turuchansk verbannt wurden, und zwar in die Irbejsker und Plansker Kreise.

Die Verhafteten wurden im Kreiszentrum in eine aus Holzstämmen gebaute Kate gestoßen, die als NKWD-Gefängnis diente und in der bereits etwa 20 Mann einsaßen. Hier begannen sie mit den Verhören. Es stellte sich heraus, daß für die ihnen zur Last gelegten Sachen wohl die gesamte Kreis-Nomenklatur mobilisiert wurde: Prokopij Stepanowitsch wurde nacheinander vom Leiter der Straßen-Abteilung Prochorzew, dem Geschäftsführer der Bank Fedorow, dem Leiter der Kreis-Binnenhandelsorganisation Skworzow und obendrein, als Zugabe, noch von dem Milizionär Innokentij Stepanowitsch Mordwin verhört. Die Verhöre liefen zwischen dem 11. und 19. Dezember ununterbrochen. Zum Schluß wurde Prokopij Stepanowitsch zum Leiter der NKWD-Kreisabteilung Werschinin geführt, und der fing an, vor seinen Augen dicke Stapel von Papier herumzuschütteln und schrie dabei, daß dies die ganzen über ihn zusammengetragenen „Materialien“ seien. Anschließend verließ Werschinin den Raum und ließ einen Offiziersschüler zurück, der dann sogar einschlummerte. Als Prokopij Stepanowitsch das sah, trat er an den Tisch heran und band den Aktenordner auf, in dem sich alle möglichen Schriftstücke befanden, die überhaupt in keinerlei Bezug zu seiner Person standen. Während des Verhörs hatten sie ihn unterhalb der Rippen geschlagen, damit er nicht einschlief. Als sie ihn endlich in die Zelle zurückbrachten, fiel er zu Boden und schlief einen Tag und eine Nacht lang durch, bis die Zellengenossen irgendwann sogar nachsahen, ob er überhaupt noch atmete.

Ende Dezember jagte man die Häftlinge zufuß in das 45 km entfernte Ulan-Ude. Dort stopfte man sie in eine Lederfabrik neben dem Gefängnis, in der sich etwa 200 Gefangene befanden. Im Januar 1938 fingen sie nachts an, immer etwa 30 Mann herauszurufen. Gerüchten zufolge wurden einige von ihnen zum Erschießen gebracht. Irgendwann kam auch Prokopij Stepanowitsch mit an die Reihe; den Häftlingen wurde befohlen, sich bis zur Gürtellinie zu entkleiden, und dann ließ man sie einzeln ins Kabinett hinein, wo man ihnen den Beschluß der Trojka verkündete. Wenn man danach urteilen kann, daß sich alle halb ausziehen mußten, läßt sich vermuten, daß dort gleichzeitig eine Ärztekommission tätig gewesen ist. In dem Urteil, das man Prokopij Stepanowitsch zeigte, stand: „10 Jahre Konzentrationslager“.

Anfang Februar 1938 wurde eine Etappe zusammengestellt, und um den 15. Februar herum erreichte der Zug Ilansk. In jedem der 40 Waggons befanden sich ungefähr 40 Gefangene, insgesamt nicht weniger als 1500 Mann. Man schickte sie in die Waldwirtschaft, 17 km von Ilansk und etwa 2-3 km vom Algaskisker Dorfsowjet entfernt. Mit eben jener Etappe aus Ulan-Ude gerieten neben Prokopij Stepanowitsch auch P.J. Sajzew und F.S. Trifonow (Kolchosbauer, geb. 1902 oder 1903) ins KrasLag. Trifonow fuhr mit ihm im selben Waggon. Ebenfalls auf diesem Transport waren Jegor Jefremowitsch Kolesnikow (Kolchosnik aus der Ortschaft Kujtun, geb. 1902 oder 1903, gestorben 1948) und Oleg Petrowitsch Nemtschinow (1910-1955), Buchhalter aus Kjachta, der ebenfalls in Ulan-Ude im Gefängnis gesessen hatte. Bis zu seiner Verhaftung hatte er in der Lederfabrik gearbeitet.

Das Lager bei Ilansk wurde „Block 17“ genannt und zählte etwa 1000 Häftlinge. Merimow war der Lagerleiter. Der Leiter der Ilansker Lager-Abteilung des KrasLag war Baraz. 1940 wurde manch einer noch einmal verurteilt und erhielt einen „Zuschlag“ von 10 Jahren. Gleichzeitig wurden der Leiter des KrasLag Jefim Samuilowitsch Schatow-Lewschin sowie dessen Stellvertreter auf dem Produktionssektor eingesperrt.

Später wurden aus diesem Lager 700 Häftlinge ins Lager „Mamontow Log“ („Mammut-Schlucht“; Anm. d. Übers.) verlegt, hinter dem Dorf Juschno-Alexandrowka an der Pojma. im Süden der Region Ilansk. Das geschah Ende 1940. Noch etwas später kam Prokopij Stepanowitsch in das Lager „Tscheremschanij Log“ („Bärenlauch-Schlucht“), ebenfalls im Ilansker Gebiet. Überall gab es Holzfällerei, Kolonnenarbeiten. All diese Lagerpunkte gehörten zur 1. Lagerabteilung, die sich in Ilansk befand. 1945 wurde Prokopij Stepanowitsch nach Reschoty verlegt, wo man ihn als Buchhalter beim Holzeinschlag einstellte.

P.S. Grjasnow wurde am 8.November 1947 in die Freiheit entlassen, wobei ihm ein Monat angerechnet wurde. Prokopij Stepanowitsch arbeitete danach auch weiterhin beim Holzeinschlag. Er wollte seine Familie nach Reschoty holen, aber die Durchfahrt durch das weiter östlich gelegene Irkutsk ohne Passierschein war verboten. Die Kommandantur in Reschoty gab eine solche Reiseerlaubnis nicht heraus. Sie antworteten, daß Passierscheine nur in Krasnojarsk ausgestellt werden könnten, es aber nicht ratsam war, dorthin zu fahren – denn auch dort würde man ihm sicher keinen geben.

Die Leitung des Büros für Holzeinschlag verhielt sich gegenüber Prokopij Stepanowitsch freundlich, aber auf das Ausstellen eines Passierscheins konnten sie keinen Einfluß nehmen, und so stellte ihm der Leiter eine Dienstreisebescheinigung nach Ulan-Ude aus. Aber der Kassierer an der Bahnstation weigerte sich, ihm einen Fahrschein zu verkaufen, solange er keinen Passierschein vorweisen konnte. Schließlich gelang es dennoch, den Fahrschein dank der Hilfe des ihm bekannten und mitleidigen stellvertretenden Stationsleiters zu bekommen. Hinter Irkutsk wurden in den Waggons Patrouillen durchgeführt und man begann damit, die Passierscheine der Reisenden zu überprüfen. Prokopij Stepanowitsch setzte sich zu einer Gruppe von Soldaten, die vom Urlaub nach Wladiwostok zurückkehrten. Jene hatten bemerkt, daß er beunruhigt schien, und als sie den Grund dafür erfuhren, hatten sie ihn oben in einer Schlafkoje untergebracht und mit einem Uniformmantel zugedeckt. Als die Patrouille sich dann zur Passierschein-Kontrolle näherte, sagten die Soldaten, daß einer von ihren dort oben schlafen würde. Damit gab sich die Patrouille zufrieden.

Prokopij Steopanowitsch holte seine Familie und kehrte nach Reschoty zurück. Auf dem Rückweg gab es in dem Zug keine Kontrollen.

Die zweite Verhaftung fand im September 1949 statt. P.S. Grjasnow wurde nach Krasnojarsk geschickt. Zuerst hielten sie ihn einen Monat im Untersuchungsgefängnis fest, anschließend 5 Monate im Untersuchungsgefängnis (an der Majertschak-Straße). Auf Beschluß der OSO

(Sonderkollegium; Anm. d. Übers.) wurde ihm die Verbannung auf Lebenszeit „angelötet“, und er mit einer Etappe nach Bogotol geschickt, von wo aus die 50 Verbannten dann auf zwei Lastwagen nach Tjuchtet gefahren wurden. Der Leiter des hiesigen NKWD war zu jener Zeit Major Fradkin und später, in den 1950er Jahren, Major Jeremejew.

In Tjuchtet befand sich auch ein Staatsanwalt von der Krim (an den Nachnamen kann sich Prokopij Stepanowitsch nicht mehr erinnern), der in den 1930er Jahren gut mit Wyschinskij bekannt war. Nach Beendigung seiner Lagerhaftstrafe fuhr dieser Staatsanwalt nach Moskau, um bei Wyschinskij Beschwerde einzulegen, und gleich nach seiner Rückkehr ging er ab in die Verbannung.

Aus der Kreisstadt wurden 6 Verbannte in die Kirow-Kolchose (im Dorf Medwedka, Rubinsker Dorfsowjet) geschickt, wo sie bis zum Dezember 1950 blieben; danach arbeiteten sie bis März 1951 in der Holzbeschaffung. An einen von ihnen kann sich Prokopij Stepanowitsch nicht mehr erinnern, aber die anderen vier waren alle ungefähr 50 Jahre alt (geboren zwischen 1900 und 1905). Es handelte sich um:

Ignatij Iwanowitsch Pawlow, Lehrer aus der Moskauer Region

Michail Petrowitsch Bredichin, Mitarbeiter des Kreis-Komitees aus der Ukraine, kam nach Verbüßung seiner Strafe im NorilLag in die Verbannung (seine Ehefrau folgte ihm dorthin nach).

Anatolij Iwanowitsch Meschtscherjakow, Journalist aus Moskau

Wassilij Barabasch, Buchhalter

Nach seiner Tätigkeit bei der Holzbeschaffung wurde Prokopij Stepanowitsch als Buchhalter in der Tschulsker Motoren- und Traktorenstation in Tschindat eingestellt. Die Verbannten mußten sich zweimal im Monat zur Registrierung in der Kommandantur melden.

Die Verbannung wurde im September 1954 abgeschafft, und nach dem 7. November fuhr P.S. Grjasnow nach Reschoty. Im Dezember 1956 wurde er aufgrund zweier Verordnungen vom 29. Dezember 1937 und 25. Februar 1950 rehabilitiert (Bescheinigung vom 2. Januar 1957).

Prokopij Stepanowitsch erhält eine Rente von 120 Rubel. Er hört sehr schlecht und benötigt daher dringend ein Hörgerät.

Krasnojarsk, 10. September, 30. Oktober 1989
Aufgezeichnet von W.S. Birger
Gesellschaft „Memorial“


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