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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Anatolij Gumerowitsch Gumerow

Saki (laut Paß Anatolij) Gumerowitsch Gumerow (1909-1993, Tatar) trat 1928 in die medizinische Fakultät der Universität Saratow ein. Im Frühjahr 1930, als Stalins bekannter Artikel „Vor Erfolgen von Schwindel befallen“ herauskam und den Studenten vorgeschrieben wurde ihn zu studieren, da sprach er laut die Überlegung aus, daß Stalin die ganze Schuld auf jene schob, die lediglich seine Anweisungen erfüllten. Es drohte der Ausschluß, aber es gelang Saki Gumerowitsch, an die Kasaner Universität überzuwechseln. Er beendete sie 1932 und bekam sogar eine Aspirantur. Zu jener Zeit leitete er die Abteilung Gesundheitswesen in der Kasaner Nähfabrik.

1934 wurde er in die Armee einberufen, wo er zunächst als Assistenz-Arzt des Regiments diente. Ab 1936 stand er im Dienstgrad eines Militärarztes 3. Ranges auf dem Posten des Oberarztes des selbständigen Pionier-Bataillons der 71. Division, die auf Dauer in der Stadt Kemerowo stationiert war.

Im Sommer 1937 befand sich die Division im Militärlager in JURGA (heute KEMEROWSKER Gebiet). Dort waren auch Divisionen aus anderen Städten Sibiriens stationiert. Saki Gumerowitsch arbeitete an der Wasser-Station (am Fluß Tom), 15 km von der Station JURTA-1 entfernt. Am 05.07.1937 tauchten der Leiter der Divisionssonder-Abteilung MAKOWLEW und der Untersuchungsrichter LITWINOW aus derselben Abteilung bei ihm auf, um ihn zu holen. Wohin und weshalb sie ihn vorluden, das sagten sie ihm selbstverständlich nicht, aber der Ermittler, ein ziemlich guter Bekannter, riet ihm, seinen Regenmantel oder, besser noch, seinen Pelzmantel, mitzunehmen. Saki Gumerowitsch befolgte den Rat und bereut das später auch nicht.

Der Ermittlungsrichter brachte ihn (als einzigen) zum Zug nach NOWOSIBIRSK und rief vom Bahnhof aus den Militär-Staatsanwalt an: „Ich hab’ den hierher gebracht, sie können den Befehl rechtskräftig werden lassen!“ Daraufhin lieferte er Saki Gumerowitsch beim Stab des Militär-Bezirks ab, wo er ins Untersuchungsgefängnis gesteckt wurde. Dort verbrachte er in verschiedenen Zellen alles in allem 11 Monate.

In einer Zelle mit einer Größe von 40-50 qm befanden sich mehr als 100 Verhaftete. Es waren zweistöckige Pritschen aufgestellt, die aber später entfernt wurden. Die Insassen schliefen auf dem Boden; es war so eng, daß sie sich nur alle gleichzeitig umdrehen konnten – auf Kommando.

Als Saki Gumerowitsch in die Untersuchungszelle kam, befand sich in der Zelle, neben anderen Insassen, auch ein gewisser SCHATOW (geb. um 1885), der kurz zuvor noch Leiter beim Bau der TurkSib gewesen war. Seine Biografie war recht stürmisch: von 1905 bis 1917 lebte er in der Emigration, 1921 kommandierte er ein Regiment beim Sturm auf Kronstadt. Kurz nach Saki Gumerowitsch, im Juli 1937, gerieten in jene Zelle auch seine Bekannten von der Wasser-Station in JURTA: Oberleutnant BURDEJEW (geb. um 1911) aus dem Tomsker Artillerie-Regiment, Michail JACHONTOW (geb. um 1907) – Militärperson aus Nowosibirsk, Leutnant BESOTSCHESTWO (geb. um 1910), gebürtig aus Bogotol. Dort saß der ehemalige Sozialrevolutionär ZEJTLIN (geb. um 1890), der bis 1917 Politemigrant gewesen und am Militär-Fliegerhorst KRIWOSCHTSCHOKOWO verhaftet worden war.

Im Untersuchungsgefängnis verständigte er sich mit den Nachbarzellen durch Klopfzeichen und erfuhr dabei, daß ganz in der Nähe MOROS und MOLOTOW saßen, die man ebenfalls dort verhaftet hatte.

Neben dem Korridor befand sich die „Generals“-Zelle, in der Tabak ausgegeben wurde und die Insassen eine ganz andere Verpflegung erhielten. Aber SCHATOW sagte, daß aus dieser Zelle alle erschossen würden.

Später brachte man SCHATOW aus der Zelle und, wie man vom Hörensagen erfuhr, wurde er erschossen.

Saki Gumerowitsch wurde zu Verhören zu eben jenem LITWINOW gejagt. Der Ermittler war mit einem Papier aus dem Jahre 1930 über die Geschichte an der Universität Saratow bewaffnet. Auf dieser Grundlage erhob er die Anklage: KRA (konterrevolutionäre Agitation, d.h. § 58-10), Verteidigung von Kulaken. Der Untersuchungsrichter gab zu verstehen, daß der Urheber des Verhörs KUNAKOW war (es gab ein Parteimitglied mit solchem Namen an der medizinischen Fakultät in Saratow).

Aber das war noch nicht alles. Ein Kind des Kommissars des Pionier-Bataillons litt an Diathese; aus diesem Anlaß hatten sie es Saki Gumerowitsch einmal gezeigt, aber danach befaßte sich der Feldscher mit der Angelegenheit. Etwas später infizierte sich das Kind mit Windpocken und starb. Der Ermittlungsrichter versäumte keine Möglichkeit, um ihm eine Anklage nach § 58-8 zurechtzuzimmern. Zusammen mit Untersuchungsrichter TSCHERTULOWYJ und noch zwei weiteren Ermittlungsbeamten, die sich ununterbrochen mit dem Verhör ablösten (das nannte sich bei ihnen „Konveyer“ – Fließband), ließ er Saki Gumerowitsch vier Tage und Nächte auf den Beinen stehen. Erzwingen konnte er damit jedoch nichts, und so warf er ihn nach einem Zeitraum von weiteren vierundzwanzig Stunden in den dunklen, feuchten Karzer, der von flüssigem Unrat und Schmutz überflutet war. Als er zu der Überzeugung gekommen war, daß er auch mit dieser Maßnahme nichts erreichen würde, schickte er Saki Gumerowitsch zurück in seine Zelle.

Später verbrachten sie Saki Gumerowitsch nach KEMEROWO, wo er im Gefängnis saß – in einer kleinen Zelle, zusammen mit zwei anderen Häftlingen. Dort begrüßte er das neue Jahr 1938. Etwa im März 1938 schickten sie ihn zurück nach NOWOSIBIRSK, in das neue, erst vor kurzem erbaute Untersuchungsgefängnis. Dort saß in der Zelle ein Biologe aus TOMSK – Professor JABLOKOW (geb. um 1880), und auf der Pritsche lag mit geschwollenen Beinen der ergraute Mathematik-Professor PETROW (geb. um 1870) von der Charbiner Universität.

Etwas später bestellte ihn der Untersuchungsrichter noch einmal zu sich, aber an den § 58-8 erinnerte er ihn nicht mehr. Übrig blieb der § 58-10 wegen der Saratow-Geschichte, und das unterschrieb Saki Gumerowitsch auch. Bald darauf transportierten sie ihn im „schwarzen Raben“ zum Gericht. Die Verhandlung dauerte gerade einmal 10-15 Minuten und endete mit der Verurteilung nach § 58-10, Absatz 2: 8 Jahre Haft und 3 Jahre Entzug der Rechte. Laut Rehabilitationsbescheinigung wurde das Urteil am 27. / 28.03.1938 vom Militär-Tribunal der 78. Tomsker Schützen-Division verhängt. Leiter des Gerichts war TARASOW.

Von dort schickten sie Saki Gumerowitsch zurück ins Untersuchungsgefängnis, in eine allgemeine Zelle, in der auch nichtpolitische Kleinkriminelle saßen. Dort war es schon nicht mehr so eng; geschlafen wurde auf Strohmatratzen. Offensichtlich war das eine Durchgangs-, eine Etappen-Zelle.

Die Etappe, die aus reichlich 100 Häftlingen bestand, darunter auch nichtpolitische Alltagsgauner, wurde nach TOMSK geschickt. An der Station TOMSK-2 mußten sie aussteigen und wurden ans rechte Flußufer gejagt, wo sich neben dem „Tataren-Städtchen“ die Verwaltung der Tomsker Lager, des TOMSKLAG, befand.

Von dort hetzten sie die gesamte Häftlingsetappe zufuß 20 km weiter nach Osten, in die Taiga, zum 23. BLOCK. So nannte sich der Lagerpunkt, der aus zwei Zonen bestand – eine für §-58-er, die andere für Alltagsgauner. KUDRJWZEW war dort der Leiter. In der Zone für § 58-er befanden sich ungefähr 200 Gefangene.

Sie lebten in zwei Baracken ohne Türen; darinnen standen durchgehende Pritschen aus dicken Holzstangen. Die normale Ration betrug 600 gr, die mögliche „Rekordration“ 800 gr. Die nach § 58 Verurteilten saßen ohne das Recht auf Briefwechsel und konnten auch nicht wegen Krankheit freigestellt werden. In der Zone gab es eine stationäre Krankeneinrichtung mit 15 Bettstellen.

Die Gefangenen wurden zum Bäumefällen in den Wald gejagt. Das Holz wurde mit der Schmalspurbahn nach TOMSK transportiert. In der ersten Zeit verrichtete Saki Gumerowitsch Kolonnen-Arbeiten, wurde später jedoch Arzt am Ambulatorium. Die Krankenstation wurde von Josif Michailowitsch BELDJUK (geb. um 1900), einem Arzt aus WEISSRUSSLAND, geleitet. Natürlich saß er wegen des § 58 und war früher als Saki Gumerowitsch zum 23. BLOCK geraten.

Im Sommer 1939 , ungefähr im Juli, wurde die Zone aufgelöst. Fast alle § 58-er wurden mit einer Etappe ins INGASCHSKER OLP (Zweiglager) gebracht, welches damals zum Bestand des KRASLAG gehörte, 3-4 km südlich der Kreisstadt NISCHNIJ INGASCH.

BELDJUK kam nicht mit auf diesen Transport. Später vernahm Saki Gumerowitsch, daß BELDJUK nach seiner Freilassung im NISCHNEINGASCHSKER Kreis in der Verbannung lebte.

In der Männerzone des INGASCHSKER OLP gab es etwa 10 Baracken mit jeweils 150-200 Insassen. Alles in allem befanden sich dort mehr als tausend Mann, unter ihnen auch gewöhnliche Kriminelle und Diebe. Die Diebe arbeiteten nicht; sie stahlen und lebten auf Kosten der § 58-er. Die nach § 58 Verurteilten durften auch hier keine Briefe empfangen oder schicken. Die Häftlinge aus der Zone wurden für Holzfällerarbeiten in den Wald getrieben.

Saki Gumerowitsch wurde zunächst zu Kolonnen-Arbeiten herangezogen, aber nach einigen Tagen versetzte man ihn als Arzt in die Ambulatoriumssprechstunde. Gegenüber der Männerzone befand sich eine getrennte Krankenzone und daneben – ein kleines Frauenlager mit ungefähr 200 weiblichen Häftlingen. Dort wurde eine Nähwerkstatt betrieben.

In der Männerzone saßen die § 58-er SONKIN (geb. um 1900, (aus CHARKOW?), der vor seiner Verhaftung Leiter der südlichen Eisenbahnroute gewesen war, sowie KANAKOTIN (geb. um 1900) aus MOSKAU. Sie waren nicht bei Kolonne-Arbeiten eingesetzt, sondern verrichteten in der Zone Stubendienst. Der Krim-Tartar BALYKTSCHI (geb. um 1910), Arzt von beruf, arbeitete in der Zone, später schickte man ihn irgendwo anders hin. Auch er saß wegen des § 58.

In der Krankenzone arbeitet als Arzt der Kardiologe Viktor Petrowitsch CHOCHLOW (geb. um 1905). In der Frauenzone arbeitete als Ärztin die Ehefrau des Sekretärs des WORONESCHSKER Gebietskomitees BOROWSKIJ (geb. um 1905, nach ihrer Freilassung lebte sie in Kansk). Dort saß auch eine kleine Alte namens NEPOMNJASCHTSCHAJA (geb. um 1880), ebenfalls Ärztin. Sie kontrollierte die sanitären Verhältnisse in der Männerzone. Im Frauenlager saß die Ehefrau des Sekretärs des NOWOSIBIRSKER Gebietskomitees EICHE (geb. um 1895). Vor ihrer Verhaftung arbeitete sie als Leiterin der Maschinen-Traktoren-Station. Einmal lam sie zu Saki Gumerowitsch in die Sprechstunde. Es stellte sich heraus, daß sie ein Korsett trug. Sie war nicht in der Lage im Wald in einer Brigade zu arbeiten, und so überwies Saki Gumerowitsch sie in die Nähwerkstatt. Ebenso wie die bereits genannten Ärzte saß auch sie nach § 58.

Im Juni 1941, unmittelbar vor Kriegsausbruch, wurde Saki Gumerowitsch für einen Sondereinsatz nach TUGATSCH (Außenlagerpunkt des KrasLag im SAJAN-Kreis). Ebenfalls aufgrund eines besonderen Arbeitseinsatzes wurden mit ihm der Buchhalter Michail JACHONTOW (geb. um 1912) und der Rechnungsführer SMOLIN (geb. um 1910) dorthin geschickt.

Bis zu seiner Verhaftung hatte JACHONTOW als Schreiber beim Stab des Sibirischen Wehrkreises (in Nowosibirsk) gearbeitet und war nach § 58 von eben jenem Tribunal-Vorsitzenden TARASOW verurteilt worden. Man ließ ihn in TUGATSCH in der Buchhaltung der Außenlagerstelle. Nach seiner Freilassung fuhr er nach Mittel-Asien. SMOLIN geriet nach KUSCHO (siehe weiter unten).

In TUGATSCH verbrachte Saki Gumerowitsch einige Tage, danach schickte man ihn in eine Lagernebenstelle in der Nähe des Dörfchens BOLSCHAJA RETSCHKA, etwa 40 km nordöstlich von TUGATSCH, zwischen dem Dorf TALOE und dem Fluß Kungus gelegen. Dort gab es ungefähr 200 Litauer und Polen, die in Litauen Mitte Juni 1941 verhaftet worden waren. Unter ihnen befand sich der litauische Premierminister STULTSCHINSKAS, der litauische Botschafter in Argentinien, ein General, viele Oberste, Oberstleutnante und andere Offiziersränge.

Im Herbst 1941 schickte man sie alle nach RESCHOTY, und BOLSCHAJA RETSCHKA wurde geschlossen. Saki Gumerowitsch kam zur Lageraußenstelle WERCH-KUSCHO (oder einfach KUSCHO) am Oberlauf des Bergflüßchens KUSCHO, dem linken Zufluß des KUNGUS. Sie befand sich 25 km südöstlich von TUGATSCH an der Bahnstrecke.

Leiter der Zone war KRJUTSCHKOW. Es gab dort ungefähr 1000 Häftlinge, die meisten von ihnen § 58-er. Alle wurden zur Arbeit in den Wald geschickt, zum Bäumefällen. Eine Krankenstation gab es im Lager nicht, die Kranken wurden nach TUGATSCH geschickt. Saki Gumerowitsch leitete den Medpunkt und führte die ambulante Sprechstunde durch.

Als er nach KUSCHO kam, fand er dort ziemlich viele Osseten vor, die jedoch bald darauf wegen der ständigen Reibereien, die zwischen ihnen und den anderen Häftlingen entstanden, an einen anderen Ort verlegt wurden.

In dem Dörfchen MARIN KLEIN (10 km nördlich von TUGATSCH), existierte ein landwirtschaftliches Nebenlager für Frauen. Dort saßen nichtpolitische Alltagsverbrecher und § 58-er – bei diesen handelt es sich jedoch ausschließlich um Spezialisten.

In den Lageraußenstellen des TUGATSCHINSKER Lagerpunktes gab es sehr viele Gefangene aus KASACHSTAN, darunter auch richtige Kasachen. In TUGATSCH, an den Lagerstellen KUSCHO und MAMSA, machten Kasachen bis zu 20 Prozent der Gesamtzahl an Gefangenen aus.

In KUSCHO gab es auch chinesische Häftlinge, darunter den ehemaligen Direktor des charbinsker Theaters.

Da es in KUSCHO keine eigene Krankenstation gab, brachte man die Kranken nach TUGATSCH oder in andere Außenlager. Verstorbene Häftlinge wurden in KUSCHO nicht begraben, man brachte sie ebenfalls nach TUGATSCH.

Saki Gumerowitsch verbrachte zwei Jahre im Außenlager KUSCHO. 1943 wurde dieser Lagerpunkt geschlossen, und man verlegte ihn zur Leitung der Krankenstation zum Straflagerpunkt MATWEEW KLJUTSCH, 10 km südlich von TUGATSCH und im Westen von KUSCHO, das heißt etwas näher zum Fluß KAN hin. Die Krankenstation war klein, sie hatte nur 15 Bettstellen. Schwerkranke wurden nach TUGATSCH transportiert.

Im Straflagerpunkt saßen in erster Linie Diebe. Zusammen mit den Alltagsgaunern waren das ungefähr 500 Mann. Nach § 58 saßen dort ca. 100 Personen. Der größte Teil von ihnen lebte in der Wirtschaftszone, getrennt von den Dieben.

Unter ihnen ein Ingenieur aus KASACHSTAN, Nikolaj Alexandrowitsch NECHOROSCHEW (geb. um 1910). In der Lagerzone leitete er die Produktionsabteilung.

Ungefähr 1944 versetzte man ihn für denselben Posten nach TUGATSCH. Nach seiner Freilassung lebte er in Chakassien. Es gibt von ihm ein Foto aus dem Jahre 1967.

Der Ingenieur und Physiker aus Moskau, Leonid PONOMARJOW (geb. um 1920) saß in MATWEEW KLJUTSCH nach § 58 – mit einer Haftstrafe von 10 Jahren. Bis zu seiner Verhaftung studierte er in Aspirantur bei Joffe. Er organisierte in der Lagerzone eine Teerbrennerei zur Gewinnung von Terpentin. Einmal fiel ihm eine Zeitung mit einem Artikel von Joffe in die Hände, in dem seine eigene Ausarbeitung „Eskapon“ (synthetischer Kautschuk von Ponomarjow) Erwähnung fand, und er schrieb daraufhin einen Brief an Berija.

Nach einiger Zeit brachte man ihn nach MOSKAU.

Wegen § 58 saß auch Boris Lasarewitsch KRUGLJAK (geb. um 1910) aus CHARKOW, der vor seiner Verhaftung Leiter der Sonder-Abteilung der südlichen Eisenbahnroute gewesen war. Nach seiner Freilassung lebte er in Krasnojarsk, begab sich jedoch Mitte der 1950-er Jahre nach Leningrad.

Der deutsche PROBST (geb. um 1915) arbeitete in der Lagerzone beim Kraftwerk. Auch er saß wegen des § 58.

Der nichtpolitische Alltagsgauner Stepan Latkin war bis zur Verhaftung Mitarbeiter der Post gewesen; er hackte sich drei Finger ab: ob du arbeiteset oder nicht, der Gauner wird dir sowieso alles wegnehmen. Saki Gumerowitsch schickte ihn nach TUGATSCH, damit der Oberarzt ihn bei einer „leichten Arbeit“ unterbringen sollte – wie einen Invaliden. Aber der Oberarzt erklärte, daß er dies nicht tun würde: wenn er nur noch fünf Finger hätte – dann wäre es schon etwas anderes, aber so ...! Latkin machte sich sogleich auf, um eine Axt zu suchen und hackte sich dann noch zwei Finger ab. Erst dann wurde er vom Oberarzt als Invalide anerkannt.

Latkin fing an, Brot aus der Bäckerei auszufahren. Als er in der Lagerzone von den Dieben überfallen wurde, weil er das Brot herausrücken sollte, zog er ein Messer hervor und zerschnitt dem nächststehenden Dieb den Mund; die anderen rannten daraufhin fort. Den verwundeten Gauner brachte Latkin zu Saki Gumerowitsch: näh’ ihn zu, sagte er.

Die Freilassung kam für Saki Gumerowitsch durch einen Anruf am 5. Juli 1945. Er blieb als freier Arzt am TUGATSCHINSKER Lagerpunkt. Die Bescheinigung über die Freilassung wurde unterzeichnet vom stellvertretenden Leiter der Verwaltung des KrasLag – Hauptmann der Staatssicherheit KALININYJ, und dem Leiter des OURZ (Abteilung zur Erfassung und Verteilung der Häftlinge; Anm. d. Übers.), Oberleutnant der Staatssicherheit ARONSON. Drei Jahre war er als Verbannter registriert, wurde jedoch nicht gezwungen, sich regelmäßig in der Kommandantur zu melden.

Saki Gumerowitsch wurde auf Beschluß des Obersten Gerichts der UdSSR vom 10.06.1964 rehabilitiert. Es erklärte das Urteil des Militär-Tribunals vom 28.03.1938 und den Entscheid des Militär-Kollegiums des Obersten Gerichtshofes der UdSSR vom 23.05.1938 für ungültig.

Saki Gumerowitsch GUMEROW und Jewgenia Jewdokimowna BERESINA können sich noch an viele Ärzte erinnern, die wegen § 58 im KRASLAG einsaßen.

Anna Isakowna GINSBURG (geb. um 1902), verhaftet in MOSKAU, arbeitete als Ärztin in TUGATSCH. Während des Krieges wurde sie nach SCHEDARBA verlegt. Nach der Freilassung arbeitete sie als Ärztin in SAMSONOWKA (Dörfchen und landwirtschaftliche Außenlagerstelle für Frauen des TUGATSCHINSKER Lagerpunktes, unweit des Flußes KUNGUS) und starb 1947 oder 1948 an einer Angina. Ihr Sohn war Musikant – Geiger.

ANMERKUNG

Am linken Zufluß des KUNGUS, dem Flüßchen SCHEDARBA, befand sich der Sonder-Lagerpunkt NOWAJA SCHEDARBA mit seinen Außenstellen: WERCHNJAJA, NISCHNJAJA, STARAJA SCHEDARBA und UST-KUSCHO. Später wurde dieser Sonder-Lagerpunkt aufgelöst, während der Sonder-Lagerpunkt TUGATSCH noch bis Mitte der 1950-er Jahre in Betrieb war.

Der bedeutende kasachische Chirurg Kabysch Medeowitsch URASBAJEW (geb. um 1905) wurde 1937 oder 1938 in ALMA-ATA verhaftet. Sie hätten ihn normalerweise schon längst freigelassen, aber dann konnte er sich nicht der Versuchung enthalten laut herauszusagen: „Hätte ich denn jemals daran denken können, daß unter der Sowjetherrschaft so etwas passieren kann?...“. Als Folge davon schickte man ihn für 5 Jahre ins KRASLAG. Er arbeitete als Chirurg in der Krankenstation von SAMSONOWKA, und blieb dort nach Ablauf seiner Haftzeit als Freier. Später arbeitete er als Chirurg in Kansk und starb dort an Bruzellose (Entzündung des Zentralnervensystems; Anm. d. Übers.), mit der er sich zufällig in SAMSONOWKA infiziert hatte.

Der Feldscher Nikolaj Grigorjewitsch GALJAN (geb.um 1900) saß in SCHEDARBA ein und wurde später nach SAMSONOWKA überführt. Er hatte keine Zähne: sie waren ihm alle während der Verhöre ausgeschlagen worden.

Die Therapeutin Klawdia Grigorjewna BARJAJEWA (geb. im 1900) leitete in den Jahren 1939-1940 das Ambulatorium in NOWAJA SCHEDARBA; während des Kieges arbeitete sie in SAMSONOWKA.

Der Therapeut Kasimir Karlowitsch SITTEL (geb. um 1895), Pole, arbeitete entsprechend seiner Berufserfahrung in SAMSONOWKA – zur selben Zeit wie URASBAJEW. Er starb während des Krieges.

Der Therapeut Grigorij Petrowitsch Neswjaschschennyj (geb. um 1890), Ukrainer, leitete das Ambulatorium und die Krankenstation in NOWAJA SCHEDARBA in den Jahren 1941-1942.

Rachil (Rahel) Grigorjewna FIGATNER (geb. um 1885) arbeitete während des Krieges in SAMSONOWKA als Laborärztin. Man hatte sie in MOSKAU wegen ihres Mannes verhaftet, der irgendein hohes Tier gewesen war.

Die Kinderärztin Sofia Michailowna KORNBLAT (geb. um 1905) saß wegen des § 58 und arbeitete als Ärztin an der Frauen-Lageraußenstelle MARIN KLEIN.

Der Therapeut SPEKTOR (geb. um 1892, er ging am Stock) saß in SCHAJBINO (einer Außenstelle des Lagers TUGATSCH am Flüßchen SCHAJBINO - einem Zufluß der SCHEDARBA) ein und leitete dort die Krankenstation und das Ambulatorium. Wurde etwa 1947 freigelassen und nach JAKUTIEN geschickt. Starb dort in der Verbannung.

Der Feldscher Pjotr Crisanfowitsch ROLITSCH (geb. um 1880) saß Mitte der 1940-er Jahre in der Lager-Außenstelle LENKOW KLJUTSCH ein.

Die Ukrainerin Warwara Petrowna LJUBTSCHENKO-PANTSCHENKO, Schwester von Volkskommissar Ljubtschenko, saß in TUGATSCH ein und leitete dort während des Krieges das Ambulatorium und die Krankenstation (Krankenhaus). Ungefähr 1946 wurde sie entlassen und kehrte später in ihre Heimat zurück.

Die Ärztin Fanna Petrowna SCHACHTJOROWA arbeitete von 1939-1940 in der Lager-Außenstelle MAMSA. Ungefähr 1945 wurde sie freigelassen und arbeitete dann als freie Röntgenologin in TUGATSCH.

Die Ärztin Wera Isajewna SCHERGOWA (geb. um 1890) aus Moskau (die Schriftstellerin Schergowa war ihre Nichte) geriet ca. 1940 ins KRASLAG. Sie saß in verschiedenen Lager-Außenstellen ein und kam später nach TUGATSCH. Nach ihrer Freilassung blieb sie in TUGATSCH und starb Ende der 1940-er Jahre.

Enta Fajtelewna (im Alltagsgebrauch Jelena Pawlowna) BASOK (geb. etwa 1895) aus LENINGRAD saß wegen ihres Mannes in TUGATSCH. Sie war nach § 58 zu 8 Jahren verurteilt worden. Bevor sie nach TUGATSCH kam, saß sie in KANSK. Etwa 1945 wurde sie in die Freiheit entlassen und fuhr bald darauf nach Leningrad.

Maria Iwanowna TASCHUPRINA (geb. um 1890) aus Saratow saß wegen ihres Ehemannes; während des Krieges arbeitete sie in TUGATSCH als Buchhalterin.

Olga Petrowna KOSCHEWNIKOWA (geb. um 1900), ebenfalls aus SARATOW, war in TUGATSCH inhaftiert und arbeitete dort als Laborärztin.

Die Schauspielerin Marianna Pawlowna MEKKE (geb. ca. 1900) saß während des Krieges in TUGATSCH ein und arbeitete als Maschinistin.

Der Jude Robert Zodekowitsch BLUMENAU (geb. um 1915) geriet nach dem Krieg nach TUGATSCH und arbeitete als Laborarzt. Ca. 1950 wurde er freigelassen. Er beherrschte mehrere europäische Sprachen.

Der Professor der Universität CHARKOW und Chirurg Adam Adamowitsch BELZ (geb. um 1885), Deutscher, geriet während des Krieges nach KANSK. Er starb nach dem Krieg in KANSK.

Garmaniks Sohn GRIGORJEW (Garmanik war ein großer sowjetischer Heerführer, der 1937 repressiert wurde; Anm. d. Übers.) saß während des Krieges wegen § 58 in KANSK und war Fahrer des KRASLAG-Leiters FILIPPOW.

03.04.1991 Aufgezeichnet von W.S. Birger, Gesellschaft „Memorial“, Krasnojarsk

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