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Mitteilung von Andrej Gottliebowitsch Ibe

Der von mit befragte Andrej Gottliebowitsch Ibe wurde am 25. Mai 1962 geboren, und es ist deswegen klar, dass er kein Zeuge der Deportationen gewesen sein kann, aber er erinnert sich an die Erzählungen der Eltern und anderer Personen über jene Zeiten. Mutter – Lidia Alexandrowna Ibe (Mädchenname Maier), geboren 1936; Vater – Gottlieb Gottfriedowitsch Ibe, geboren 1931. Beide lernten sich kennen, als sie sich bereits in Sibirien befanden. Vor der Dportation besaßen beide Eltern große Hofwirtschaften mit Pferden und Kühen. Der Großvater väterlicherseits war sogar Besitzer eines Ladens.

Gottlieb Gottfriedowitsch hatte zwei Brüder und zwei Schwestern, Gottfried und Bida in der Mitte. Lilia Alexandrowna hatte zwei leibliche Brüder – Adolf und Alexander. Nach deutschem Brauch feierten sie Ostern, Weihnachten und Pfingsten. Alles wurde vor den Festteigen vorbereitet und hergerichtet, und es war der Familie an diesen Tagen nicht erlaubt zu arbeiten. Weihnachten stellten sie eine Tanne auf und gingen von Haus zu Haus, wobei sie in deutscher Sprache Gedichte vortrugen, wofür sie dann verschiedene Süßigkeiten erhielten. All diese Traditionen blieben auch nach der Deportation erhalten, genauso wie die deutsche Küche (A.G. Ibe bezeichnet das Gericht als „kucha“).

Andrej Gottliebowitsch erinnert sich, wie die Großmutter ihm davon erzählte, wie sie die Nachricht von ihrer Dprtation erhielten – als sie auf der Farm eintrafen, sagte man ihnen, dass es eine Versammlung oder etwas in der Art geben würde, auf der man ihnen dann die Deportation ankündigen wollte. Ausgerechnet in dem Jahr erwartete man eine besonders große Ernte, und es war für die Menschen ganz schrecklich, dass sie das alles zurücklassen sollten. Innerhalb der 24 Stunden, die man den Menschen zum Packen Zeit ließ, versuchten sie, alles, was sie nur mitnehmen konnten, einzupacken, aber trotzdem mussten sie viele Dinge zurücklassen (zum Beispiel das Vieh).

Nach Sibirien gelangten sie auf Viehwaggons, anschließend mit einem Lastkahn bis nach Galanino. Die Sterblichkeitsrate unterwegs war hoch, da alle schrecklichen Hunger litten. Bei der Verteilung kam Andrej Gottliebowitschs Vater in den Pirowkser Bezirk. Die Mutter verschlug is in denselben Bezirk, aber in ein anderes Dorf – nach Malotimskie (heute existiert es nicht mehr). Bei ihrer Ankunft fanden sie keine Wohnmöglichkeiten vor; sie lebten in Erdhöhlen, bis sie sich aus eigener Kraft ein Haus bauen konnten. Es herrschte furchtbarer Hunger, der Andrej Gottliebowitschs Familie lehrte, bis heute jedes noch so kleine Stückchen Brot zu ehren. Er erinnert sich, wie die Verwandten ihm erzählten, dass sie, als alles begann, dachten, es wäre nur für kurze Zeit, dass alles schon bald zu Ende sein würde und alle nach Hause zurückkehren könnten, doch im Laufe der Zeit begriffen sie, dass sie hier sehr lang, wenn nicht sogar für immer, bleiben sollten – und so begannen sie sich hier einen neuen Haushalt aufzubauen.

Gottlieb Gottfriedowitsch machte eine Ausbildung zum Traktorfahrer und arbeitete hauptsächlich in diesem Brief, allerdings musste er auch auf dem Bau arbeiten. Lidia Alexandrowna war in der Viehzucht tätig. Sie arbeiteten dort mit allen Rechten, die auch die Ortsansässigen besaßen. Der Onkel des von uns Befragten – Gottfried – war sogar Mechaniker. Es gab auch Belobigungen für gute Arbeit. Der Vater erhielt eine Vielzahl von Urkunden, einen Reisegutschein nach Jalta, verschiedene andere Gutscheine, mit denen er sogar irgendwie ein Motorrad der Marke „Ural“ erwerben konnte.

In der Arbeitsarmee waren von der Familie die Eltern und deren Eltern, und wenn Andrej Gottliebowitschs Großvater auch noch gelegentlich seine Erinnerungen mit anderen teilte (er erzählte, dass er als Koch arbeitete und dadurch viele Leben rettete), so mochten die Eltern das Thema nicht berühren. Aus der Trudarmee kehrten sie nach 5 Jahren zurück.

Zum System der Kommandantur kann der von mir Befragte nicht viel sagen. Er weiß noch, dass sie sich ein- oder zweimal im Monat bei der Kommandantur melden mussten. Die Kommandanten waren nicht so streng, mit Ausnahme Semjonows, der die Deutschen verspottete. Es war ihnen erlaubt Deutsch zu sprechen, und auch die Einhaltung deutscher Traditionen wurde gebilligt. Auf diese Weise lernte zum Beispiel die Großmutter auch kein Russisch. Auch Andrej Gottliebowitsch sprach bis zur Einschulung Deutsch. Später lernten sie auch Russisch, aber untereinander, in der Familie, verwendeten sie die deutsche Sprache. Zur Ortsbevölkerung hatten sie ein gutes Verhältnis, doch ungeachtet dieser Tatsache, prügelten sich die Kinder gelegentlich und die deutschen Kinder wurden als „Faschisten“ beschimpft. Auch Andrej Gottliebowitsch musste sich prügeln, um seine eigene Ehre zu verteidigen.

Während der Rehabilitation, im Jahre 1991, erhielt der Vater 8000 Rubel, die er zu je 1000 Rubel auf alle Kinder verteilte – damals waren es bereits acht. Auch er wollte an die Wolga zurückkehren, doch der Bruder redete ihm das Vorhaben aus.

Aus heutiger Sicht ist Andrej Gottliebowitsch, wie all seine Verwandten, der Meinung, dass die Umsiedlungen nicht der Opfer wert waren, die man dafür hergeben musste. Es hat sich nicht gelohnt, die Menschen umzusiedeln, wenngleich es, Jahre später, keine Kränkungen und Beleidigungen mehr gibt. Andrej Gottliebowitsch selbst würde es nicht schlecht finden, wenn man in Russland wieder eine deutsche Republik ins Leben rufen würde; dann würde möglicherweis auch er dorthin umziehen. Er selber hält sich für einen Sibirier, denn hier ist er geboren und aufgewachsen, aber er hat sich nie seiner Nationalität geschämt. Es hat ihn sogar sehr verletzt, dass man in seinem Ausweis die Spalte „Nationalität“ herausgenommen hat. Er als Deutscher trägt Merkmale wie Pünktlichkeit und Ordnungsliebe in sich.

Alle Brüder und auch die Eltern sind seinerzeit nach Deutschland ausgereist. Als erster ist mit seiner Familie der von uns Befragte 1998 abgefahren. Bei ihm war seine Frau Rosa, Sohn Andrej und Tochter Anna. Die Geschwister – Wladimir, Elsa, Gottlieb, Alexander und Pawel - machten sich später auch auf den Weg nach Deutschland. Aber das sind noch nicht alle. Schwester Olga (in Krasnojarsk) und Bruder Fjodor (in Karakus) zogen es vor zu bleiben. Andrej Gottliebowitsch selber wollte nicht dorthin, doch seine Frau überredete ihn, obgleich er wusste, dass er früher oder später wieder zurückkommen würde – und genau so geschah es auch. Von den Verwandten, die lieber in Deutschland bleiben wollten, wird als größte Schwierigkeit die deutsche Sprache genannt. Außerdem gibt es kleinere Unterschiede in der Mentalität.

(AB – Anmerkungen von Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft ) Neunte Expedition des Krasnjarsker "Memorial“ und des Pädagogischen College in Jenisseisk, Worokowka-Kasatschinskoje-Roschdestwenskoje 2014 .


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