Etwa am 05.09.41 wurde die deutsche Familie BAUER aus STRASBURG, im Kanton PALLASOWKA, Autonome Republik der Wolga-Deutschen, von den Kommunisten deportiert:
Zur gleichen Zeit wurden von den Sowjets auch der jüngere Bruder von David BAUER, Andrej BAUER, seine Ehefrau sowie die Kinder aus STRASBURG verschleppt.
Die Deportierten wurden an der Station PALLASOWKA in Waggons gejagt und waren dann etwa zwei Wochen lang unterwegs. In KRASNOJARSK wurden sie ausgeladen und weiter auf Lastkähnen den Jenissej abwärts gebracht, in die Ansiedlung ATAMANOWO, im Kreis SUCHOBUSIMSK.
David BAUER blieb mit seiner Familie in ATAMANOWO in der Verbannung, die Familie des jüngeren Bruders gelangte in das Dorf TOLSTOMYSOWO. Die Familie von Berta BAUER befand sich während der Verbannungszeit ebenfalls im Kreis SUCHOBUSIMSK.
In der Verbannung arbeitete D. BAUER entsprechend seiner beruflichen Qualifikation im Industrie-Kombinat. Im Januar 1942 wurden D. BAUER, R. BAUER und A. BAUER, ebenso wie andere Männer, in die "Trud-Armee" gehetzt. David BAUER kam in die Zweigstelle RESCHOTINSK des KRASLag (= Krasnojarsker Besserungsarbeitslager, Holzfäller-Lager), in die Holzfällerzone, verrichtete dort jedoch keine allgemeinen Kolonnenarbeiten, sondern erledigte Spezialaufgaben. 1946, als die "Trud-Armee"-Zone abgeschafft wurde, kehrte er zur Familie nach ATAMANOWO zurück.
R. BAUER und A. BAUER entgingen der "Trud-Armee" ebenfalls lebend.
Im Juni 1942 wurden auch Ella und Rosa BAUER in die "Trud-Armee" einberufen (wobei man ihnen erklärte: "Ihr werdet für drei Monate fortgebracht, warme Kleidung mitnehmen ist nicht notwendig"...) und brachten sie nach DUDINKA, und im August 1942 verfrachtete man sie auf das Motorschiff "Montcalm" (ein englischer Schiffsbau) und fuhr mit ihnen nach CHATANGA.
Einige hundert Mädchen waren dorthin geschickt worden, aber auf dem Dampfer gab es auch Familien mit Kindern. Sie waren alles in allem etwa einen halben Monat unterwegs, denn der Dampfer kehrte mehrmals um und fuhr wieder nach Dudinka zurück.
Es lag daran, daß in dieser Zeit das Schlachtschiff "Admiral Scheer" und einige U-Boote der Nazis nach Dickson kamen (eines davon sahen sie sogar vom Schiff aus). Zusammen mit dem Schiff fuhr auch der Eisbrecher "Revolutionär". Seine Hilfe wurde in der Laptew-See benötigt, als das Schiff sich mehrere Tage lang durch Eis kämpfen mußte.
Ganz unten, im Rumpf des Schiffes, befanden sich die Langzeit-Gefangenen aus dem NORILLag (= Norilsker Besserungsarbeitslager für Industriebau) unter der Aufsicht von Wachposten (es wurde gesagt, daß es sich um Leute handelte, die zu 25 Jahren verurteilt worden waren). Während der gesamten Fahrtdauer ließ man sie nicht ein einziges Mal aus diesem Gefängnis heraus.
Das Schiff fuhr bis TIKSI. Dort wurde ein Teil der Gefangenen ausgeladen. Anschließend fuhr es zurück, zur Halbinsel Tajmyr, legte in NORDWIK an, und dort mußten alle verbliebenen Häftlinge von Bord gehen. Schließlich fuhr es in die Meerenge von Chatanga.
Hier wurden die Verbannten auf Lastkähne umgeladen (denn der Tiefgang des Dampfers ließ ein Befahren des Flußes nicht zu) und nach CHATANGA befördert.
Ella BAUER und Rosa BAUER gelangten zum Fischfang in den Betrieb NOWAJA am Fluß CHETA, westlich von CHATANGA. Dorthin brachte man ungefähr 15 Mädchen. Im Herbst 1943 verlegte man sie von NOWAJA nach CHATANGA (nachdem man bereits ihre Familien dorthingebracht hatte).
Maria BAUER samt Sohn und Tochter sowie Berta BAUER mit ihren jüngeren Töchtern wurden im Herbst 1942 von ihrem Verbannungsort nach UST-PORT (am Jenissej, unterhalb von DUDINKA) geschickt. Dort hielt man sie etwa ein Jahr lang fest, und brachte sie dann im Herbst 1943 mit eben jener "Montcalm" nach CHATANGA.
Die Verbannten arbeiteten dort in CHATANGA beim Fischfang und in der Fischfabrik. Außer Deutschen gab es dort viele verbannte Finnen und Letten und auch jüdische Mädchen (vermutlich ebenfalls aus Lettland). Die Verbannten lebten in Baracken, die mit 2-Etagen-Pritschen ausgestattet waren. Sie erhielten Kleidung und Schuhwerk aus Rentier-Fell, wie die Einheimischen sie auch besaßen.
Dort wurde Maria BAUER schwerkrank. 1945 gestand die medizinische Kommission ein, daß sie einen Herzfehler hatte und gaben ihr eine Bescheinigung, daß sie in nördlichen Regionen nicht leben durfte. Die Kommandantur erlaubte ihr die Abreise, und im Herbst 1945 flog ihe Familie mit dem Flugzeug nach DUDINKA und kehrte von dort nach ATAMANOWO zurück. Im darauffolgenden Jahr kehrte auch D. BAUER dorthin zurück.
Berta BAUER blieb mit den Kindern bis zum Ende der Verbannung in CHATANGA und sogar nach der Freilassung lebten sie noch lange im Norden.
In ATAMANOWO heiratete Ella BAUER bald einen Einheimischen, einen Nachfahren polnischer Verbannter aus dem vorigen Jahrhundert, Mitglied der WKP/B (= Allrussische Kommunistische Partei der Bolschewiken), der von der Front zurückgekehrt war und in der Binnenschiffahrt arbeitete. 1954 ernannten sie ihn zum Leiter der Anlegestelle in Turuchansk. Ella BAUER war auch dort in der Kommandantur untergebracht. Sie wurde am 17.08.55 aus der Verbannung entlassen.
1950, als man mit dem Bau des Uran-Kombinates "Dewjatki" (eine umgangssprachliche Bezeichnung für die ehemals geschlossene Stadt Krasnojarsk-26, heute Schelesnogorsk) begann, befand sich ATAMANOWO in der "verbotenen Zone", und alle Verbannten wurden von dort in benachbarte Dörfer verlegt, in die 2. und 3. Abteilung der Sowchose "Taiga" (einer Hilfs-wirtschaft des NORILLag).
23.09.95, aufgezeichnet von W.S. Birger, Krasnojarsk, Gesellschaft "Memorial"