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Mitteilung von Viktor Rudolfowitsch Kreiber

Geboren 1954.

Die Eltern wurden aus dem Gebiet Saratow, Ortschaft Nain-Kolonie, ins Nowosibirsker Gebiet, Weselowsker (heute Krasnosersker) Bezirk deportiert. Mutter - Warwara (Barbara), Vater – Rudolf Iwanowitsch (beide 1929 geboren).

Der Großvater väterlicherseits, Iwan Kreiber, wurde 1937 in der ASSR der Wolgadeutschen verhaftet; Gerüchten zufolge verbüßte er seine Strafe im Norillag.

Der Großvater mütterlicherseits – Jossip Bartolomejwitsch Nomutrok (?) war Waldarbeiter. Er sollte ebenfalls verhaftet werden, aber irgendjemand warnte ihn vor. Die Großmutter war als Technikerin an der Schule tätig. Der Großvater versteckte sich mit einem Nachbarn im Keller der Schule; dort lebten die beiden drei Monate lang. Tag und Nacht wartete man auf sie, versuchte sie in einen Hinterhalt zu locken. Die Großmutter legte ein paar Lebensmittel in einen Eimer und deckte sie mit einem Wischlappen ab. In der Nacht kamen sie heraus, um zu rauchen.

Zum Packen gab man ihnen drei Stunden Zeit, die kaum ausreichte. An Sachgegenständen nahmen sie einen Fleischwolf mit. Anfangs begegnete man den Umsiedlern mit großer Argwohn – es ging das Gerücht, dass sie Hörner und Schwänze hätten, dass die Deutschen dort ganz schreckliche Menschen wären. Und später stellte sich dann heraus, dass es ebensolche Menschen waren – sie lebten und arbeiteten zusammen, heirateten untereinander. Aber sie mussten sich regelmäßig bei der Kommandantur melden. Abschnittsbevollmächtigte kamen und überprüften, ob alle noch am Ort waren. In Weselowka hoben sie für sich Erdhütten aus, in denen sie zwei Jahre hausten; danach bauten sie ein Haus.

Die Großmutter väterlicherseits wurde in die Trudarmee mobilisiert, die Kinder kamen bei Verwandten unter. In der Trudarmee wurde ihr ein Bein durch einen Baumstamm zerschmettert, so dass sie ein Bein oberhalb des Knies verlor.

Sie hegten den Wunsch in die Heimat zurückzukehren. Nach der Rehabilitierung reiste der Vater in die alte Heimat – in seinem Haus wohnten andere Leute; eine Rückkehr war verboten.
Nach Irba kam er wegen einer Wohnung – am Bergwerk gaben sie ihm eine.

Die Großeltern sprachen zuhause Deutsch, die Eltern aus irgendeinem Grunde nicht. Der Großvater sagt: „Ich gebe dir jetzt etwas zu essen, und dann bittest du mich auf Deutsch, dass du etwas essen möchtest“. Die Eltern wahrten die deutschen Bräuche: Ostern, Pfingsten. Sie kochten deutsche Gerichte - Galuschki (auf Deutsch – weiche Nudeln). Der Teig wird ausgewellt, zusammengerollt und gekocht. Dann schneiden sie ihn in Stücke und kochen ihn zusammen mit Kartoffeln; sie braten Zwiebeln an und geben diese dazu. Sie machten auch Rouladen. Man rollt Teig aus, kocht Kürbis, rollt ihn in den Teig ein und backt das Ganze im Backofen. Speck wurde ausgelassen und auf Brot gelegt – es wurde dadurch fettig, nicht trocken, sondern saftig – aber das muss man in einem russischen Ofen machen, nicht im Backofen.

Die Eltern waren getaufte Lutheraner. Sie wurden nach lutherischem Brauch beerdigt: bei den Deutschen steht das Kreuz - am Kopfende. Sie wahren alles auf ihre Weise, Muselmanen – ebenfalls auf ihre eigene Art, und die Altgläubigen haben ihren eigenen Friedhof und beerdigen ihre Toten so, wie sie es gewohnt sind – vor dem Mittagessen, am Morgen. Die Religionen wurden verfolgt – die Deutschen versammelten sich heimlich im Gebetshaus. Die Altgläubigen versammelten sich ebenfalls jeden Samstag.

Stadt-Siedlung Irba, Bezirk Kuragino – 15.07.2017
Das Interview wurde von Jelena Sberowskaja aufgezeichnet.

Expedition der Staatlichen Pädagogischen W.P. Astafjew-Universität, Krasnojarsk, zum Projekt „Volksgruppen in Sibirien: Bedingungen für den Erhalt der kulturellen Erinnerung“, 2017, Bezirke Karatus und Kuragino.


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