Minna Augustowna Kurpas (Schmidt) wurde am 03.04.1937 in der Siedlung Straub (Bezirk Kukkus, ASSR der Wolgadeutschen – Wolga-Rayon, Gebiet Saratow) geboren. Sie lebte mit der Mutter und einer der Tanten zusammen. Die Mutter hatte elf Geschwister, sie war die Älteste. Anja(lebte in Tomsk oder dem Tomsker Gebiet), Daniel, Wassilij, Kristina, Lisa, an die anderen kann sie sich nicht mehr erinnern. Der Vater lebte nicht mit ihnen zusammen.
Im Herbst 1941 wurde die Familie deportiert. Mama und die Tanten und Onkel verloren während der Aussiedung den Kontakt miteinander. Mit ihrer Mutter (Jelena Augustowna Schmidt, geb. 1906) wurde sie in die Region Krasnojarsk geschickt. Man gab ihnen keine Zeit zum Packen; in aller Eile mussten sie sich fertigmachen und wurden unter der Bewachung von Begleitsoldaten auf Waggons verfrachtet. Der Zug hielt in Krasnojarsk. Dort verlor Minna Augustowna ihre Mutter und lebte eine Zeit lang bei einer unbekannten Frau (ebenfalls deportiert). Später fanden Mutter und Tochter sich wieder. Ins gesamt blieben sie etwa drei Tage in Krasnojarsk.
Anschließend schickte man sie in das Dorf Jarzewo. Dort mussten sie sich mit eigenen Händen eine Erd-Hütte graben, um dann darin zu wohnen. In dieser Hütte wuschen sie sich auch. Minna Augustowna erinnert sich an einen Fall sehr schlechten Benehmens des örtlichen Kommandanten ihnen gegenüber: Während sie und die Mutter sich gerade wuschen, trat der Kommandant ein. Er gab irgendeinen Befehl. Die Mutter antwortete ihm auf sehr grobe russische Art und Weise, woraufhin sie einen Schlag mit der Peitsche versetzt bekam. Minna Augustowna, die noch ein kleines Mädchen war, begann zu weinen und drängte sich an die Mutter. Daraufhin erfolgte ein weiterer Schlag mit der Peitsche, der diesmal auch die Kleine traf. In diesem Dorf lebten Mutter und Tochter ungefähr ein Jahr. Die Mutter nähte eine Tasche aus verschiedenen Lumpen.
Der Muitter war bekannt, dass ihre Schwester Lisa in Turuchansk wohnte. Dorthin hatte man sie zum Fischfang geschickt. Sie schrieben einander Briefe, und Jelena Augustowna zog mit der Tochter zu ihr. Die Tante hatte keine eigene Familie. Aller Wahrscheinlichkeit nach zogen sie zusammen mit der Tante (Minna Augustowna, die Mutter und die Tante) nach Wereschtschagino. Dort ging das Mädchen zur Schule und beendete 8 Klassen. Die Schule war die eine Seite – das Mädchen lernte. Aber Minna Augustowna erinnert sich auch an die vielen Demütigungen, die ihr seitens ihrer Altersgenossinnen zu Teil wurden.
Nach dem Abschluss der 8. Klasse fuhr sie nach Krasnojarsk zum Krankenhaus. Dort verlief sie sich und fing an zu weinen. Eine Frau trat zu ihr heran: „Mädel, warum weinst du denn?“ Die Frau half ihr das Krankenhaus zu finden. Und nachdem Minna Augustowna die Operation überstanden hatte und sich auf dem Wege der Genesung befand, holte diese Frau sie zu sich nach Hause, nach Minussinsk. Wie sich herausstellte, hatte sie die Mutter und die Tanten in ihrer Mädchenzeit gekannt. Sie erzählte, wo Tante Kristina wohnte (in Sagaiskoje). In Minussinsk fing Minna Augustowna an, bei „Sagotserno“ (Getreide-Beschaffung; Anm. d. Übers.) zu arbeiten; sie blieb dort einen Monat und erhielt Lohn; davon kaufte sie eine Fahrkarte nach Wereschtschagino, wo die Mutter wohnte.
Nachdem der Kontakt mit der Tante Kristina Augustowna (Ehename Schwabenland) hergestellt war, schlug die Tante vor, zu ihr zu ziehen. Nachdem sie zusammen mit der Mutter nach Sagaiskoje umgezogen war, fand sie Arbeit bei „Sagotserno“ in Karatuskoje. Sie musste ein Jahr lang zu Fuß von der einen Siedlung in die andere gehen. Warum zu Fuß? So also ließ sich Minna Augustowna mit ihrer Mutter in Sagaiskoje nieder, wo sie als Melkerin tätig war; in diesem Beruf blieb sie 26 Jahre.
Später fand sich auch Mutters Bruder Wassilij Augustowitsch Schmidt wieder, der mit seiner Familie in Ujar wohnte. Dort lebte auch Minna Augustownas Vater (August Augustowitsch Till, der Bruder der Ehefrau des Onkels), aber es kam kein Kontakt mit ihm zustande.
Sie heiratete Petr Grigorewitsch Kurpas; Sohn Daniel wurde geboren.
Wie Minna Augustowna erzählte, lernte ihre Mutter kein Russisch, und sie bemühte sich auch nicht, sie sprach immer Deutsch. Aufgrund einer solchen Umgebung lernte die Tochter Deutsch, und heute kann Minna Augustowna sowohl Deutsch als auch Russisch. Die Mutter sang oft Lieder, was Minna Augustiowna auch gern tut. Von der Mutter existiert noch ein deutsches Gebetbuch, welches vorher deren Mutter gehörte. Minna Augustownas Mutter konnte nicht lesen, aber die Tochter half ihr dabei- sie las die Zeilen vor, und die Mutter behielt dann die Verse aus dem Gebetbuch oder Lieder im Kopf.
Das Interview wurde geführt von Darja Swirina.
Oberes Foto – Tante Lisa und Tante Kristina
Unten – Tante Kristina, Lisa, Anja, Mama (links, sitzend) sowie einer der Onkel
Mutter Jelena Augustowna, Sohn Daniel, Minna Augustowna
Minna Augustowna Kurpas (Schmidt)
Jelena Augustowna, Daniel, Minna Augustowna – Abschied in die Armee
Minna Augustowna mit Urenkel Kostja
Forschungsreise der Staatlichen Pädagogischen W.P. Astafjew-Universität Krasnojarsk und der Krasnojarsker „Memorial“-Organisation zum Projekt „Anthropologische Wende in den sozial-humanitären Wissenschaften: die Methodik der Feld-Forschung und Praxis der Verwirklichung narrativer Interviews“ (gefördert durch den Michail-Prochorow-Fond).