Taissijas Familie lebte in der Ortschaft SCHEJN-MAJDAN, ATJASCHEWSKER Kreis, MORDWINIEN. In den zwanziger Jahren war dies ein großes russisches Dorf, mit 5 Straßen und Ansiedlungen.
Im Frühjahr 1930 wurden aus dem Dorf drei Bauernfamilien deportiert. Zunächst wurden sie mit einem Leiterwagen zur Station ATJASCHEWO gebracht, wo sie unter Bewachung, zusammen mit Verschleppten aus anderen Dörfern, in einem Eier-Lager festgehalten und dann auf Güterwaggons verfrachtet wurden.
Es handelte sich um folgende Familien:
Die PAWLOWS hatten noch vier Kinder, aber sie wohnten mit ihren Familien getrennt von den Eltern und gerieten nicht unter die Deportation (später begaben sich jedoch einige von ihnen zu den in der Verbannung lebenden Eltern).
Den Verschleppten wurde es nicht gestattet, irgendwelche Sachen aus ihren Häusern mitzunehmen, und das ging soweit, daß sie Taissija Afanassijrwna, die damals 12 Jahre alt war, ihre Kinder-Filzstiefel wegnahmen.
An der Station ATJASCHEWO wurden ein ganzer Zug vollgeladen. 2-3 Wochen lang waren sie unterwegs. Als der Zug an menschenleeren Orten hielt, weit entfernt von irgendeiner Station, ließ man sie für kurze Zeit ins Freie, damit sie ihre Notdurft verrichten konnten.
Die Deportierten wurden an der Station SCHILKA (heute Gebiet TSCHITA) abgeladen und auf Lastkähnen nach UST-KARA, SRETENSKER Bezirk, gebracht; von dort verschleppte man 400-500 Menschen (die Hälfte von ihnen Kinder) noch mehrere Kilometer zufuß weiter, bis zur Goldmine TSELIK. Der Schnee war dort bereits geschmolzen. Früher hatten in der Mine chinesische Goldsucher gearbeitet, die zahlreiche Erdhütten zurückgelassen hatten. Ein Teil der Verschleppten wurde in zwei großen Baracken untergebracht, die übrigen in den chinesischen Erdhütten.
In diese Goldmine gerieten alle drei Familien, die aus SCHEJN-MAJDAN deportiert worden waren, sowie auch der Lehrer Sawwa SOBAKIN (geb. etwa 1875) mit seiner Familie, Iwan SEMSKICH (geb. etwa 1875) mit seiner Familie, darunter sein Sohn Iwan SEMSKICH (geb. etwa 1915), KASEJEW (geb. etwa 1875) mit seiner Familie, SCHITKOW (geb. etwa 1875) und KARMAJEW, ebenfalls mitsamt seiner Familie. Sie alle waren mit dem gleichen Gefangenentransport aus MORDWINIEN deportiert worden.
Sehr hilfreich für die Verbannten waren die hier im Überfluß wachsenden Pilze und Beeren, mit denen sie sich ernähren konnten. Alle Kinder sammelten sie. Eine Schule gab es dort nicht.
Nach einem halben Jahr, im Winter, Ende 1931 oder Anfang 1932, wurden alle Verschleppten aus TSELIKA zusammengezogen und nach UST-KARA gejagt, wo sie auf Lastwagen verfrachtet und über das Eis des Flusses Schilka nach SRETENSK gebracht wurden. Hier verlud man sie in Waggons und fuhr mit ihnen nach Krasnojarsk. Am rechten Flußufer wurden sie ausgeladen und in Baracken festgehalten. Bald darauf schickte man die arbeits-fähigen Männer in den Norden; ihre Familien sowie Kranke blieben bis zum Sommer in diesen Baracken. Hier starben im Frühjahr 1932 Pawel MAJOROW und seine Ehefrau an Hunger.
Im Sommer, als die Flußschiffahrt wieder begann, brachte man die Verschleppten mit Lastkähnen aus KRASNOJARSK nach JENISSEJSK, und von dort in den NORD-JENISSEJ-Kreis. Die PAWLOWS, SOBAKINS, KASEJEWS, SEMSKICHS und A.(P.) MAJOROW kamen ins Kreiszentrum – die Siedlung SOWRUDNIK (heute NORD-JENISSEJSK). Die SCHITKOWS gerieten in die Goldmine PROLETARKA.
Schon damals, im Jahre 1932, war in SOWRUDNIK ein Lager in Betrieb, und später tauchten auch Lager in TEJA, MICHAJLOWSKIJ und anderen Siedlungen des Kreises auf. In den vierziger Jahren gehörten diese Lager zum JENLAG (JENISSEJLAG).
In SOWRUDNIK arbeitete A. (I.) PAWLOW als Vorarbeiter bei der Beschaffung von Grubenholz in der „Bergfabrik“, d.h. in der Goldgrube. Sawwa SOBAKIN arbeitete in diesem Schacht. Iwan SEMSKICH arbeitete als Fahrer bei der „Lebensmittelversorgung“. KASEJEW arbeitete in einer Wurstfabrik.
Später, Mitte der dreißiger Jahre, wurden Deportierte aus dem KUBAN-Gebiet nach SOWRUDNIK gebracht. In der ersten Zeit hungerten sie und baten um Brot für ihre Kinder.
Unter den Verschlepptenin SOWRUDNIK gab es bereits damals ehemalige politische Häftlinge – zum Beispiel Klimentij (Sohn von Konstantin) BANDKOWSKIJ (geb. etwa 1885), der Chemie-Unterricht in der Zehn-Klassen-Schule erteilte, und PISANJUK (geb. um 1885), der an derselben Schule Mathematik unterrichtete. Physik lehrte der Verschleppte WOJZECHOWITSCH.
In diese Schule ging Taissija Afanassijewna gemeinsam mit vielen anderen Kindern. Darunter befanden sich die Tochter der finnischen Familie LANKINEN und die aus Trans- baikalien verbannte Katja MATAFONOWA.
In diesen Jahren zählte die Bevölkerung von SOWRUDNIK ungefähr 6000 Menschen. In der Mehrheit waren dies Vertriebene.
Massenverhaftungen rollten in SOWRUDNIK im Februar 1938 an. Man hielt die Verhafteten zunächst ungefähr zwei Wochen untertage fest, in irgendeinem Stollen, und verfrachtete sie dann auf drei Lastwagen und fuhr sie nach JENISSEJSK.. Damals wurden die Lehrer PISANJUK, K. (K.) BANDKOWSKIJ und ein Deutscher, der Deutschunterricht erteilte, verhaftet. Ebenfalls verhaftet wurde ein Nachbar der PAWLOWS, der Ukrainer Filipp (oder Filimon) SCHURAWEL (geb. um 1896), Buchhalter im Kontor für Holzbeschaffung. Damals verhafteten sie auch SOBAKIN, KASEJEW und SEMSKICH (den Vater).
In der Goldmine PROLETARKA wurde SCHITKOW verhaftet, in der TEJA-Grube WESELOW (geb. um 1880). In SOWRUDNIK verhaftete man den aus TRANSBAIKALIEN Verhafteten BASCHENOW.
A. (I.) PAWLOW holten sie am 12.02.1938. Er wurde am 07.05.1938 von einer Trojka ver-urteilt und am 25.05.1938 in JENISSEJSK erschossen. Er wurde am 22.09.1956 posthum vom Krasnojarsker Kreisgericht rehabilitiert.
Sawwa SOBAKIN wurde ebenfalls in JENISSEJSK erschossen.
Im Februar 1938 wurden auch A.(P.) MAJOROW, I. (I.) SSEMSKICH und noch ein junger Bursche verhaftet. Diese drei wurden im Frühjahr aus dem JENISSEJSKER Gefängnis entlassen, wo sie zusammen mit anderen Verhafteten gesessen hatten. Sie kehrten nach SOWRUDNIK zurück.
Vor dem Krieg, im Jahre 1940 oder 1941, kehrte SUSOROW aus der Haft zurück, der vermutlich noch 1937 verhaftet worden war. Möglicherweise wurde er aufgrund von Invalidität abgeschrieben. Nach seiner Rückkehr lebte er nur noch knapp einen Monat. Es gelang lediglich von ihm zu erfahren, daß er irgendwo in der Taiga gesessen hatte, irgendwo im Osten.
Die vierziger Jahre mußte Taissija in den Zonen von SOWRUDNIK und TEJA verbringen. Die Zone in SOWRUDNIK war eine gemischte Zone, dort gab es sowohl Männer als auch Frauen. Im Lager wurden Konzerte und Theateraufführungen von Laienspielgruppen veranstaltet. Den jungen Leuten in der Siedlung gelang es, das Wachpersonal dazu zu überreden, daß man sie zum Konzert oder zu den Aufführungen in die Zone hineinließ.
Nach dem Krieg tauchten in SOWRUDNIK neue Verbannte auf. Anfang der fünfziger Jahre arbeitete im Kreis-Krankenhaus ein Lette, der Chirurg Oskar Ottowitsch ALKS. Man sagt, daß er vor seiner Verbannung 12 Jahre inhaftiert war. Später, in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre, wurde er Leiter des Kreis-Krankenhauses. Ein anderer Arzt, Professor OKSJANZEW, befand sich ebenfalls in der Verbannung und arbeitete ab Ende der vierziger oder Anfang der fünfziger Jahre im Kreis-Krankenhaus.
06.01.1994, aufgezeichnet von W.S. Birger, Krasnojarsk, Gesellschaft „Memorial“
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