A.A. Ptjuschkin (geb. 1924), gebürtig aus dem Dorf Pronino, Lukownikowsker Kreis, Twersker Region, wurde im Dezember 1941 in die Armee einberufen und diente im 15. Schützenregiment der 29. Armee an der Kalininsker Front, nahe RSCHEW. Am 13. März 1942 rief man ihn zusammen mit zwei weiteren Soldaten auf, gab ihnen Reisegeld und eine Essensration mit und schickte sie zum Regimentsstab. Sie erreichten den Stab gegen Abend, machten von ihrer Ankunft Meldung. Der Kommandeur erteilte ihnen den Befehl, am nächsten Morgen um 10 Uhr zu erscheinen und der Kommandant verschaffte ihnen ein Nachtlager. Als Anatolij Andrejewitsch am folgenden Morgen beim Kommandeur erschien, schichte jener ihn ins Nachbarhaus. An der Tür dieses Hauses stand ein Wachposten, drinnen saß ein Hauptmann. Anatolij aaaandrejewitsch meldete ihms seine Ankunft. Als Antwort darauf verkündete der Hauptmann ihm, daß er verhaftet sei. Er rief den Wachmann, übetgab ihm ein Paket und befahl, das Paket sowie den Arrestanten, d.h. Anatolij Andrejewitsch beim Armeestab abzuliefern.
Im Armee-Stabsquartier kam Anatolij Andrejewitsch in die Untersuchungszelle, aus der er zehn Tage hintereinander alle zwei Stunden zum Verhör geschleppt wurde. Dort waren mehrere Untersuchungsrichter, die sich laufend abwechselten. Sie bemühten sich, eine Strafakte wegen Gruppenagitation zurechtzuzimmern, aber Anatolij Andrejewitsch beschloß sie zu fragen: mit wem soll ich denn gemeinsam agiert haben?
Eine solche Frage hatten die Ermittler nicht erwartet, und so hörten sie schließlich mit ihrer Beharrlichkeit auf, unbedingt einen Gruppenfall herbeiführen zu wollen. Zum Schluß legte man ihm Lobpreisung deutscher Technik zur Last : § 58-10. Jene beiden, die man zusammen mit Anatolij Andrejewitsch in den Regimentsstab bestellt hatte, waren sofort zur Stelle und bestätigten die Beschuldigung. Offenbar dienten sie nicht zum ersten Mal durch hinzugefügte falsche Äußerungen der SMERSch (Hauptverwaltung fürGegenspionage des Volkskommittees für Verteidigung der UdSSR; Anm.d. Übers.). Am 11. April 1942 setzte das Militärtribunal der 29. Armee den offiziellen Stempel unter das Urteil: 10 Jahre und 3 Jahre Entzug aller Rechte.
Nach dem Tribunal wurde der Wagenkasten eines Lastwagens mit den Verurteilten vollgeladen. Die Häftlinge sollten ins KALININSKER Gefängnis gebracht werden. In der Fahrerkabine des LKW saß ein Hauptfeldwebel in der Rolle eines Begleiters. Von Zeit zu Zeit blieb das Fahrzeug in dem frühlingsbedingten Schlamm stecken. Sie Gefangenen kletterten dann herunter und zogen den aster aus dem Dreck heraus, schoben ihn an und stiegen dann wieder hinauf.
Am Stadtrand von KALININ mußten alle aussteigen und wurden dann zufuß durch die Stadt bis ganz zum Gefängnis geführt.
Im Gefängnis stellte man einen Häftlingstransport zusammen, in den auch Anatolij Andrejewitsch hineingeriet. Man brachte die Gefangenen mit dem Zug ins UNSCHLAG und ließ sie an der Bahnstation UNSCHA, im MAKARJEWSKER Kreis, KOSTROMSKER Gebiet, aussteigen. Dort wurden sie etwa einen Monat im Durchgangslager festgehalten. Anschließend trieb man sie in den Laderaum eines Lastkahns und transportierte sie über die Flüsse Unscha, Wolga und Kama nach SOLIKAMSK. Ungefähr einen Monat waren sie auf dem Wasser unterwegs. In SOLIKAMSK trieb man die Häftlinge ins Durchgangsgefängnis und schickte sie bald auf einem Lastkahn weiter zur Lageraußenstelle NISCHNIJ BAJDATSCH, zur NYROWSKER Abteilung des USSOLLAG – zum Bäumefällen und Holzabflößen.
Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in diesem nebenlager waren schwer und führten zu einer hohen Sterblichkeitsrate unter den Gefangenen. Das ganze Jahr über liefen sie in Fußlappen herum, die in jeder Zone von speziellen Brigaden geflochten wurden. Sie schliefen in den Baracken auf nackten zweistöckigen Pritschen und in ihren feuchten Matrosenjacken – sie benutzten sie auch als Unterlage oder deckten sich damit zu.
Lebensmittel wurden in der Lageraußenstelle einmal pro Jahr angeliefert, auf dem Seeweg. Gemüse gab es nicht, die Verpflegung bestand hauptsächlich aus Mehlspeisen. Nicht einmal ausreichend Salz war vorhanden. Von der Menge her reichte das Essen im allgemeinen, aber es gab eben nur Wassersuppe und Brotlaibe. Anatolij Andrejewitsch fing an, von dieser Art der Verpflegung anzuschwellen, und man schickte ihn ins Isoliergefängnis. Dort wurden die Lagerinsassen geprügelt und zur Arbeit getrieben. Bei fielen in der Zone schwoll das Körpergewebe an und sie starben.
In den Nebenlagern WERCHNIJ und NISHNIJ BAJDATSCH sägten die Gefangenen Holz mit Bügelsägen. Sie zogen die gefällten Holzstämme mit Pferden. Eine Sonder-Brigade von Flechtschuh-Herstellern konnte die Zone kaum ausreichend mit Bastschuhwerk versorgen. Außerdem wurde in der Zone Kalk gebrannt.
Die Lagerzonen waren gemischt, Männer und Frauen wurden dort gemeinsam gehalten. Auch die Frauen wurden zum Bäumefällen getrieben und mußten dort mit denselben Bügelsägen arbeiten.
Der einzige freie Mitarbeiter in der Zone war der Leiter der Wachmannschaften. Die gesamte übrige Wachbelegschaft bestand aus Häftlingen – eine „Selbstschutztruppe“.
Anatolij Andrejewitsch saß etwa ein Jahr im USOLLAG. Im Sommer 1943 kam eine Kommission zum Nebenlager NISCHNIJ BAJDATSCH, um dort die Haftbedingungen zu prüfen. Die Kommission ordnete an, die Zone zu schließen. Die Gefangenen wurden in drei Etappen von dort fortgebracht.
Mit der letzten dieser Transportzüge kam Anatolij Andrejewitsch im August 1943 ins KRASLAG, zum 6. Lagerpunkt in BERJOSOWKA. Hier wurde der größte Teil der Häftlinge sofort in der Krankenstation untergebracht. Die Gefangenen bekamen eine wesentliche bessere Verpflegung als im USOLLAG. Man gab ihnen Gemüse, amerikanischen Speck und Eierpulver. Das stationäre Krankenhaus am 6. Lagerpunkt wurde von dem Cirurgen KOTSCHETKOW geleitet. So lange die Häftlinge nicht genesen waren, ließ er sie nicht wieder zur Arbeit gehen. Er selbst wurde von dort etwa 1946 entlassen.
Nach seiner Tätigkeit im Krankenhaus arbeitete er in einer Fabrik für Eisenbahnschwellen in BERJOSOWKA, anschließend in einer Außenlagerstelle, etwa 6 km vom Lagerpunkt entfernt, nahe dem Dörfchen SCHACHOWO. Dort steckten der Arbeitsanweiser SURMILENKO und der technische Leiter PRAWDIN, selber Häftlinge, die Gefangenen wegen der geringsten Lappalien in die Isolierzelle.
Danach geriet Anatolij Andrejewitsch nach PROCHLADNYJ (10 km von RESCHOTY entfernt), wo sich zu jener Zeit mehr als tausend Häftlinge befanden. Dort arbeitete der nach
§ 58 verurteilte Häftling KOBZAREW (Betonung auf der 1. Silbe) als Meister. Anatolij Andrejewitsch arbeitete bei ihm.
Im Jahre 1945 schickte man ihn zum Bäumefällen zum Km 34 von RESCHOTY, in die 3. Abteilung des KRASLAG. Genau in dieser Zeit trieben sie sogenannte „Armee“-Etappen dorthin –Soldaten und Offiziere, die auf polnischem Territorium nach § 193 verurteilt worden waren. Später lam er nach TABAGASCHET, in eine Lagerzone, die von deportierten deutschen „Arbeitsarmisten“ gebaut worden war, welche man ins Kraslag gejagt hatte. Dort zwang man die Gefangenen bei der Heumahd zu arbeiten. In der Brigade, in der Anatolij Andrejewitsch tätig war, geschah ein Fluchtversuch, und daraufhin wurde diese Brigade erneut zum Bäumefällen geschickt.
Dann kam Anatolij Andrejewitsch wieder in das Lager am Km 34, und von dort nach JUSCHNAJA TUNGUSKA, wo man zu jener Zeit gerade erst dabei war, ein Lager zu errichten. Zuerst mußte er dort Kartoffel ausgraben, dann half er beim Aufbau des Lagers mit.
Im Jahre 1946 schickte man Anatolij Andrejewitsch wieder nach PROCHLADNYJ, und dort blieb er dann bis zum Ende seiner Haftstrafe. 1948 wurde er von der ständigen Wachbegleitung entbunden. Er arbeitete als Spediteur in der TschIS (Intendantur; Anm. d. Übers.) und der ORS (Abteilung für die Versorgung der Arbeiter; Anm. d. Übers.), später als Lagerleiter bei der TschTS (technischen Versorgungsabteilung; Anm. d.Übers.). Oft fuhr er zur Basis nach SOSNOWKA. Er war ganz gut mit NIKOLAJEW und STREPKOW bekannt, die dort wegen des § 58 einsaßen.
Der Chirurg Iwan Petrowitsch PENNER, ein Deutscher, saß wegen § 58 zuerst in PROCHLADNYJ und dann in BELNJAKY. Er war dort als Arzt tätig. Nach seiner Freilassung lebte er noch eine Zeit lang in Reschoty, fuhr jedoch in den 1960er Jahren von dort fort. Ebenfalls in PROCHLADNYJ saß der § 58-er Wladimir Gottliebowitsch GROSS, Mitglied der Kommunistischen Internationale. Dort arbeitete als Hauptbuchhalter der Gefangene TIMOCHIN; seine Frau DWOROWAJA (Betonung auf der 3. Silbe) saß in BELNJAKY.
Anatolij Andrejewitsch wurde 1952 entlassen und blieb in Reschoty, mit Ausnahme von zwei Jahren, die er in Kasachstan verbrachte.
20. April 1989, aufgezeichnet von W.W. Starker „Memorial“-Gesellschaft Krasnojarsk