Geboren 1953 in der Ortschaft Worogowo, Turuchansker Bezirk, Region
Krasnojarsk.
Mutter – Maria Iwanowna Zohl (Kramm), geb. 1927,
Vater – Aleksander Emmanuilowitsch Kramm, geb. 1927.
Soe lebten im Gebiet Saratow, Bezirk Balzer, in der Siedlung Saratow. Nach der
Entkulakisierung durchlebten sie eine schreckliche Hungersnot. Nadeschda
Aleksandrownas Großmutter – Amalia Adamowna Brening – hatte 11 Kinder, von denen
nur vier am Leben blieben.
1941 wurden sie Opfer von Repressionsmaßnahmen. Zum Packen gab man ihnen 24 Stunden, das gesamte Vieh mußten sie im Dorf zurücklassen; sie nahmen nur Lebensmittel und ein paar persönliche Dinge mit (Bettwäsche, Nähmaschine).
Sie fuhren mit dem Zug. Unterwegs bekamen sie nichts zu essen. In der ersten Zeit hielten sie sich mit den Nahrungsmitteln über Wasser, die sie für sich selber eingepackt hatten; danach tauschten sie ihre Sachen gegen Eßbares (der Großmutter blieb schließlich nur noch die Nähmaschine; sie konnte hervorragend nähen). Zum Hunger und den erbärmlichen sanitären Verhältnissen gesellte sich eine Typhus-Epidemie. Viele Menschen starben während der Fahrt, vor allem Kinder. Die Leichen wurden in Bettlaken eingeschlagen und während der Fahrt aus dem Fenster geworfen (AB – nicht sehr glaubwürdig, daß man sie während der Fahrt hinauswarf, zumal die Fenster sehr klein und dazu noch vergittert waren; es war wohl doch eher so, daß man sie anläßlich der Zughalte bestattete).
Im Oktober 1941 kamen sie in Worogowo an. Anfangs lebten sie als eine Art Untermieter in einer Familie, später erhielten sie ein Häuschen. Der erste Winter war für sie sehr schwer zu ertragen; sie ernährten sich von gefrorenen Futterrüben.
Die Eltern waren äußerst fleißig: der Vater betrieb seit seinem 15. Lebensjahr das Schusterhandwerk; mitunter bezahlte man seine Arbeit in Lebensmitteln. Der Großvater, Emmanuel Georgiewitsch Kramm, baute einen Pferdestall an. Mama fand auf der Farm eine Arbeit als Melkerin. Nach und nach begannen sie Vieh zu züchten, beschäftigten sich mit Fischfang und bearbeiteten ihren Gemüsegarten. Papa war ein professioneller Schmied, und Mama konnte sehr gut malen und zeichnen, sie malte sogar Ikonen ab.
Die Ortsbewohner begegneten den Umsiedlern mit Güte und Wohlwollen. Außer Deutschen fanden sich unter den Umsiedlern auch Litauer. Es kam gelegentlich zu Mischehen.
Auf die Frage, was Nadeschda Alekandrowna über die Repressionen denkt, antwortete sie: „Es ist ein großes Unrecht. Großmutter wollte die ganze Zeit umkehren, zurück nach hause. Sie dachte an ihren Garten, in dem die Zuckermelonen wuchsen“.
Amalia Adamowna sprach mit ihren Verwandten stets Deutsch, und sie antworteten auf Russisch. Sie las sehr gern in derdeutschsprachigen Bibel.
Die Eltern starben in Worogowo: die Mutter 1980, der Vater 1999.
Die Befragung erfolgte durch Anna Tarchowa und Swetlana Alisejko.
(AB – Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“)
Fünfte Expedition für Geschichte und Menschenrechte, Nowokargino 2008