Jaroslaw Dmitrowitsch SKALISCH (geb. 1928) wurde in GORODYSLAWYTSCHI, BIBEREZKER (heute PUSTOMYTOWSKER) Kreis, Gebiet LWOW, geboren und lebte auch dort. Das Dorf war so gut wie rein ukrainisch (allerdings wohnten dort etwa 10 jüdische Familien, meist Bauern) und zählte vor dem Krieg ungefähr 500 Höfe. Ein Teil es Grund und Bodens gehörte einem polnischen Gutsbesitzer. Im Dorf gab es eine große, wunderschöne griechisch-katholische Kirche, die glücklicherweise bis heute erhalten geblieben ist. Eine polnische katholische Kirche gab es nicht.
Bereits im Herbst 1939 richteten die sowjetischen Behörden auf dem Gutshof eine Kolchose ein. Die Bauern traten ihr nur sehr zögerlich bei.
In den Jahren 1939-1941 gab es keine Deportationen aus dem Dorf, sie begannen erst nach dem Krieg. Aber bereits im ersten Winter der „Sowjetmacht“, Ende 1939 (vielleicht auch Anfang 1940), wurde das Dorf plötzlich von Truppen umstellt, NKWD-Mitarbeiter begannen in die Hütten zu stürmen und die ehrbarsten und geachtetsten Bauern des Dorfes wegzuholen. Sie verhafteten etwa 15 Männer, hauptsächlich mittleren Alters, aber es waren auch junge dabei. Unter den Verhafteten befanden sich Oleksa (Oleksandr) GERIK sowie die Brüder Semjon und Grinko (Grigor) PARANKA. Nach ihrer Verhaftung blieben sie verschollen. Später, als die Deutschen kamen und die Massenmorde in den Gefängnissen, darunter auch die in Biberka (Kreisstadt) bekannt wurden, kam man im Dorf zu dem Entschluß, daß auch sie auf diese Weise umgekommen sein mußten.
Im Sommer 1942 begannen die Nazis die jungen Leute nach Deutschland zu jagen. Auch in dem Dorf Gorodyslawytschi fanden solche Hetzjagden statt. Und in LWOW gerieten sie , ebenfalls in diese Razzien, als sie dort zum Markt fuhren. In dieser Zeit wurden auch die Truppen der ukrainischen Armee zusammengezogen. In den Jahren 1943 und 1944 kamen von Zeit zu Zeit Einheiten der UPA (Ukrainischen Aufständischen Armee) ins Dorf, manchmal übernachteten sie in den Hütten. Einmal machten Krieger der UPA im Dorf halt, und am Abend tauchten fünf Deutsche auf (vielleicht war es eine Patrouille). Die Partisanen vernichteten sie, bildeten einen Hinterhalt und warteten daauf, dass noch größere gegnerischer Streitkräfte die Gegend überfielen. Aber die deutsche Einheit marschierte im Nachbardorf ein, durchsuchte alles und machte sich aus dem Staub.
Im Juli 1944 kamen erneut sowjetische Truppen ins Dorf. Sofort begannen regelrechte Treibjagden – die Männer wurden zur Sowjet-Armee geholt. Die Bewohner versteckten sich in den Kellerräumen, sobald in der Nähe des Dorfes sowjetische Soldaten auftauchten. Dort schliefen sie auch.
So war es auch am 16.12.1944. An diesem Tag, als das Dorf von Truppen umstellt wurde, versteckte sich Jaroslaw Dmitrijewitsch in einem Kellerraum auf dem Nachbargrundstück. Mit ihm versteckten sich 5 weitere Personen: Timko (Timofej) BASA (geb. etwa 1905), Slawko (Jaroslaw) NAKONETSCHNYJ (geb. 1927), die Brüder Iwan GULWATYJ (geb. ca. 1905) und Petro GULWATYJ (geb. etwa 1926), sowie Iwan MANSJUK (geb. etwa 1922) aus dem Nachbardorf GAI.
Die Straforgane entdeckten sie durch ein aus dem Keller herausführendes Lüftungsrohr und töten Iwan MANSJUK mit einer Salve aus der Maschienpistole. Als die anderen aus dem Keller herauskamen, richtete einer der 8 Soldaten seine Maschinenpistole auf Timko BASA. Der begann zu schreien: „Bringt mich nicht um, ich habe zwei Kinder!“ Aber der Soldat erschoß ihn.
Den anderen wurden die Hände zusammengebunden. Man riß ihnen alle Knöpfe ab und führte sie zum „Stab“, der in einer der Hütten eingerichtet worden war. Dort fingen sie an zu prügeln (Jaroslaw Dmitijewitsch wurden mehrere Zähne ausgeschlagen), Iwan GULWATYJ stießen sie ein Bajonett in den Bauch. Anschließend sperrten sie sie in der Korndarre ein, und brachte alle Verhafteten (ungefähr 20 Personen, darunter auch 4 oder 5 Frauen) am Abend in die Kreisstadt, nach BIBERKA, wo sie sie ins Gefängnis steckten.
Unter den Verhafteten befanden sich an diesem Tag noch Grinko (Grigor) PROKOPIW (geb. um 1900) und seine Tochter Maria PROKOPIW (geb. etwa 1926). Sie saß später in LWOW, wurde dort aber entlassen. NAKONETSCHNYJ (er hatte sich selbst den Familiennamen Meleta gegeben) saß einen Monat in BIBERKA, dann wurde er entlassen. Er kehrte nach Hause zurück und begab sich kurz darauf zu den UPA-Einheiten. Wenig später wurde er von sowjetischen Vergeltungstruppen aufgegriffen und auf grausame Weise getötet.
1945 verhafteten sie zwei Freunde von Jaroslaw Dmitrijewitsch – seine Altersgenossen. Sie beide, Dmitro GERIK und Iwan ZHILA, kamen in Lagern ums Leben. Noch etwas später wurde sein Bruder festgenommen, Wolodimir Dmitrowitsch SKALISCH (geb. 1932). Er bekam 25 Jahre. Er saß in WORKUTA und wurde erst 1956 freigelassen. Später kehrte er in die Heimat zurück.
Das Gefängnis in BIBERKA war ein Steinbau mit einem Kellergeschoß. In der großen Männerzelle gab es ein Fensterchen; alle mußten auf dem Holzfußboden schlafen und sich auf die Sachen legen, die sie bei sich hatten. Jaroslaw Dmitrijewitsch saß dort einen Monat, bis zu seiner Verschickung nach LWOW. Im Gefängnis bekamen sie nichts zu essen; die Häftlinge lebten ausschließlich von Paketen, die sie von ihren Familien bekamen. Diese Sendungen wurden von „strybki“ („Vernichtern“; Ortsansäßige, die im „Vernichtungsbataillon“ dienten) in die Zelle gebracht. Eine Besuchserlaubnis bekamen die Häftlinge nicht.
Nacht für Nacht wurden Zelleninsassen zum Verhör gejagt, mit Wischstöcken verprügelt, sie sollten unbedingt auf die Frage „wo halten sich die Bandera-Anhänger versteckt? antworten. Der Ermittlungsrichter war immer ein und derselbe, dunkelhaarig, wie ein Aserbeidschaner.
Grinko PROKOPIW, Iwan und Petro GULBATYJ saßen zusammen mit Jaroslaw Dmitrijewitsch ein. Aber nachdem man ihn von BIBERKA nach LWOW geschickt hatte, sah er sie beide nicht wieder. Bekannt ist nur, daß Iwan GULBATYJ im Lager umkam und Petro lebend zurückkehrte.
Mitte Januar 1945 wurden unter der Begleitung von Wachmannschaften etwa 20 Gefangene von BIBERKA nach LWOW transportiert, mit insgesamt drei oder vier Fuhrwerken. Sie kamen nach SAMARSTYNIW (vorher war das ein Kloster gewesen), zunächst in die Quarantänezelle in der 1. Etage. In ihr befanden sich ungefähr 40 Gefangene. Alle schliefen auf dem Boden, dicht aneinander gedrängt, und umdrehen konnte man sich nur, wenn alle anderen sich auch mit auf die andere Seite rollten – auf Kommando. Einmal pro Woche wurden die Gefangenen zum Spaziergang hinausgeführt. In SAMARSTYNOW bekamen sie zu essen: Brot und Wassersuppe.
Nach 2-3 Wochen wurde Jaroslaw Dmitijewitsch aus der Quarantänezelle in den 2. Stock verlegt, in die Eckzelle Nr. 40. Dort herrschte eine schreckliche Enge, und auch hier schliefen beinahe alle auf dem Boden (in SAMARSTYNOW waren die Fußböden aus Holz). Auf einigen Pritschen waren Räuber untergebracht. Hier saß zusammen mit Jaroslaw Dmitrijewitsch einer, der aus demselben Dorf kam wie er – Iwan PARANKA (geb. etwa 1917). Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Er kehrte nicht zurück.
Direkt aus der Zelle führte eine Tür zu einer Toilette mit Wasserhahn. Daher mußte niemand in der Zelle Nr. 40 den Gestank des Latrineneimers einatmen.
Auch hier wurden die Insassen einmal pro Woche zum Spaziergang und alle 10 Tage ins Bad geführt. Neben Zelle 40 befand sich die Frauenzelle mit der Nr. 39. Sie war vom Korridor nur durch ein hölzernes Gitter abgegrenzt. In der Zelle standen 3-etagige Pritschen (ganz kahl, ohne Matratzen) und ein Latrinenkübel.
An der Wand zwischen diesen Zellen war ein Ofen aufgestellt (er wurde nicht beheizt). Durch den Ofen hindurch übermittelte man Notizen.
Wenn sie die Häftlinge aus Zelle 40 zum Spaziergang hinausführten, gingen sie immer an Zelle 39 vorbei. Dort sah Jaroslaw Dmitrijewitsch seine Nachbarin Hanna (Hanna) Alexandrowna GERIK (geb. etwa 1925) wieder (ihre Höfe hatten nebeneinander gelegen). Sie war die Tochter des im ersten „sowjetischen“ Winter verhafteten Oleksa Gerik. Sie selbst war bereits nach Jaroslaw Dmitrijewitsch festgenommen worden.
In der Folgezeit erfuhr Jaroslaw Dmitrijewitsch, daß sie wenig später wieder entlassen, jedoch bald danach, zusammen mit ihrer Mutter Maria GERIK, nach SAOSJORNYJ, RYBINSKER Kreis, KRASNOJARSKER Region, deportiert wurde – in eine Glimmerfabrik. Nach ihrer Freilassung aus der Verbannung kehrten beide in die Heimat zurück. Ganna (Hanna) Gerik und ihre Mutter leben in Gorodyslawytschi.
Aus Zelle 40 wurde Jaroslaw Dmitrijewitsch 2- oder 3-mal zu Verhören geschleppt (ebenfalls in der Nacht, aber hier wurde nicht geschlagen). Der Ermittlungsführer war hier ein anderer. Am 09.05.1945 hörten sie in der Zelle eine Artilleriesalve.
Irgendwie im Herbst 1945 kam der diensthabende Aufseher und verkündete Jaroslaw Dmitrijewitsch die Haftstrafe: 5 Jahre „wegen Bandenmitgliedschaft in der UAA“ (laut Beschluß eines Sonderkollegiums des NKWD der UdSSR“ vom 03.10.1945, § 54-1a, 11). Danach wurde Jaroslaw Dmitrijewitsch in die 1. Etage verlegt, in die „Arbeits-„kammer, und zum Arbeiten in die Nebenwirtschaft des Gefängnisses geschickt, wo es auf dem Viehhof 6 Pferde, Kühe und Ferkel gab. Die Nebenwirtschaft befand sich innerhalb der gleichen Umzäunung wie das Gefängnis.
Jaroslaw Dmitrijewitsch ging frei auf dem Gelände herum , viele Male blieb er zum Übernachten im Pferdestall. Mitunter fuhr er in die Stadt, um Futter für das Vieh zu holen (unter der Begleitung von Wachsoldaten). Er arbeitete den ganzen Winter hindurch auf dem Viehhof.
Im Frühjahr 1946 kam er auf eine Etappe. Zuerst bachte man sie ins Durchgangsgefängnis in der Poltewna-Straße. Dort standen innerhalb der Einzäunung mehrere Baracken, aber die meisten der Etappen-Häftlinge schliefen draußen unter freiem Himmel, weil der Platz in den Baracken nicht für alle ausreichte. Ungefähr nach einer Woche (möglicherweise war es der 06.05.1945) kam ein Güterzug direkt bis zum Durchgangsgefängnis gefahren (offenbar gab es dort ein Abzweigegleis), und verluden die Gefangenen auf die Waggons, in denen einstöckige Pritschen standen.
Die Fahrt dauerte etwa 3 Wochen. Unterwegs, in Omsk, führte man sie in ein Badehaus. Dreimal am Tag gab man ihnen zu essen – einen halben Liter Wassersuppe, 200 Gramm Brot.
Zweimal am Tag wurden sie durchgezählt: man hetzte sie ans eine Ende des Waggons, klopfte den Fußboden und die Wände ab, hetzte dann alle mit Hämmern wieder zum anderen Waggonende. In KRASNOJARSK wurde die Etappe an der Station JENISEJ ausgeladen und einige Tage in einem Transitlager festgehalten, an der Stelle der heutigen Lagerzone (UP-288).
Anschließend schiffte man die Etappe auf dem Dampfer „Maria Uljanowa“ ein, im Frachtraum, und brachte sie in den Norden. Zusammen mit den politischen Gefangenen wurden auch Japaner transportiert. Sie trugen halblange Pelzmäntel und irgendeine Uniform – offenbar Soldatenkleidung.
Aufgrund der Enge im Frachtraum schliefen viele Japaner im Sitzen. Sie lehnten den Rücken an die Pfosten und banden ihre Köpfe daran fest, damit sie im Schlaf nicht umfielen. Aber auch sie mußten nacheinander schlafen: nach einer gewissen Zeit weckte man sie, und den Platz am Pfosten nahm der nächste Schläfer ein.
In DUDINKA wurden die Gefangenen ausgeladen und nach ein paar Tagen in die Quarantänezone gebracht. Dort stürzten sich sogleich die Diebe auf die Japaner, als sie sahen, was für schöne, halblange Pelzmäntel sie trugen. Aber die Japaner traten den Dieben so freundlich gegenüber, daß jene auseinanderliefen und sich den Japanern nicht mehr näherten.. Unmittelbar nach der Quarantäne wurden all diese Japaner auf direktem Wege nach NORILSK geschickt.
Als die Häftlinge sich in Dudinka in Quarantäne befanden, machte Jaroslaw Dmitrijewitsch Landsleute ausfindig, die zusammen mit ihm ins NORILLAG geraten waren.
Es handelte sich um den Invaliden (er hatte ein durchschossenes Bein) Petro GOPKA (geb. ca. 1925) sowie die Brüder Petro SEMTSCHISCHIN (geb. um 1918) und Fedko (Fjodor) SEMTSCHISCHIN (geb. etwa 1920), aus dem großen Nachbardorf ROMANIW (5 km von Gorodyslawitschi entfernt), heute PEREMYSCHLJANSKER Kreis, Region LWOW. Gemeinsam mit ihnen kam er aus der Quarantänezone in die 4. Lagerabteilung, neben dem DUDINSKER Flußhafen und dem Wärmekraft- und Fernheizwerk. Dieses Lager „bediente“ den Flußhafen und befand sich mit ihm innerhalb ein und derselben Einzäunung. Die Gefangenen arbeiteten hauptsächlich beim Entladen der Lastkähne. Mitunter jagte man sie auch zur Meeresanlegestelle. Dorthin wurden sie durch die ganze Stadt unter Wachbegleitung geführt.
In der Zone standen ein- (jeweils in zwei Sektionen unterteilt) und zweigeschossige (mit vier Unterteilungen) hölzerne Wohnbaracken. Jede Sektion wurde gewöhnlich von einer Brigade eingenommen, die aus etwa 20 Mann bestand. Neben der Männerzone, hinter dem Zaun, befand sich das Frauenlager.
Die Häftlinge arbeiteten jeweils 12 Stunden lang. Bei Erfüllung des Plansolls bekamen sie eine neue „Ausstattung“ (Kleidung; Anm. d. Übers.). Die garantierte Essensration bestand aus 700 Gramm Brot. Bei Überfüllung der Norm bekamen sie bis zu 1 Kilogramm. Außer dieser Ration, erhielten sie morgens 200 Gramm Brei und zum Mittagessen einen halben Liter Wassersuppe. In dieser Periode zahlte man den Gefangenen einen Lohn – ungefähr 10 Rubel pro Monat. In der Zone gab es einen Lagerkiosk.
Einmal wurde Jaroslaw Dmitrijewitsch für einen Monat „zur Erholung“ in den Genesungspunkt geschickt. Dort gab man den Gefangenen etwas besseres Essen und jagte sie nicht zu irgendwelchen schweren Arbeiten. In der Genesungszone arbeitete der Chirurg SAGORUJKO (geb. etwa 1910), ein Ukrainer.
Jaroslaw Dmitrijewitsch arbeitete am 4. Lagerpunkt in einer Brigade von Schauerleuten. Anfangs war sein Brigadeführer der Jude SCHENDERMAN (geb. ca. 1920), später waren es SCHURAWLJOW (geb. um 1900), Pjotr CHALIMOW (geb. etwa 1924), und, schließlich, Grigorij BUSCHMAN (geb. um 1925). Sie alle waren nach § 58 verurteilt worden. Im Herbst 1947 erwischte ein Aufseher G. BUSCHMAN beim Stelldichein mit einer Frau aus der Nachbarzone, und „zur Strafe“ schickten sie die gesamte Brigade nach NORILSK, zum 6. Lagerpunkt. Dorthin geriet auch Jaroslaw Dmitrijewitsch.
GOPKA und die Brüder SEMTSCHISCHIN blieben in DUDINKA. Fjodor arbeitete als Schneider. Seine Brigade wurde zum Arbeiten in die Stadt gebracht, in die Näherei. Die beiden Brüder überlebten und kehrten nach ihrer Freilassung in die Heimat zurück. Petro GOPKAkam nicht wieder, er kam irgendwo im Lager ums Leben.
Vom 6. Lagerpunkt wurden die Häftlinge etwa 1-1,5 km weit zum Bau einer Kokerei getrieben. Jaroslaw Dmitrijewitsch arbeitete in einer Brigade, die Waggons mit Ziegelsteinen entladen mußte, und an der Baustelle schleppten sie dann die Steine auf Holzstegen in die oberen Stockwerke. Jeweils 30 Ziegel wurden auf einem Bock aufgestapelt und dann auf dem eigenen Buckel nach oben geschleppt. Die Brigade arbeitete stets in der Nachtschicht: sowohl das Abladen der Waggons, als auch das Hinüberschaffen der Ziegel geschah ausschließlich nachts. Ebenso wie in DUDINKA, dauerte eine Schicht auch hier 12 Stunden. Zur Arbeit und von der Arbeit zurück ins Lager gingen die Häftlinge brigadenweise, jedoch ohne Wachbegleitung.
In der Lagerzone gab es mehr als 30 Wohnbaracken. Jede Baracke war in 2 Sektionen unterteilt, in jeder waren 2 Brigaden untergebracht. Die Eingangstüren der Baracken waren aus gekreuzten Brettern mit Zwischenräumen gemacht, durch die von der Straße ungehindert die frostige Luft hineinströmte. Es war verboten, die Türen abzudecken oder mit irgendetwas zu verhängen. Deswegen herrschte in den Baracken ständige Kälte und nie reichte das Brennmaterial für den Ofen aus. Wenn die Gefangenen vonm Bauplatz in die Lagerzone zurückkamen, versuchten sie alle entweder ein Stück Kohle oder irgendwelche Holzklötzchen mitzunehmen. Beim Einmarsch in die Zone wurden häufig Durchsuchungen vorgenommen und die Häftlinge gezwungen, das gesammelte Brennmaterial bei der Wache liegenzulassen.
Am 6. Lagerpunkt hat Jaroslaw Dmitrijewitsch einen Pritschennachbarn namens Iwan TKATSCHENKO (geb. etwa 1928); er stammte aus BIJSK, ALTAI-Gebiet. Er war nach § 58-10 zu 5 Jahren verurteilt worden. Als man sämtliche § 58-er (außer § 58-10) ins GORLAG verlegte, blieb TKATSCHENKO am 6. Lagerpunkt, und Jaroslaw Dmitrijewitsch begegnete ihm nicht wieder. Im allgemeinen gab es in der Brigade Gefangene verschiedener Nationalitäten, hauptsächlich jedoch – Russen und Ukrainer.
Im Sommer 1948 fing man an, die §-58er ins GORLAG zu treiben. Jaroslaw Dmitrijewitsch geriet in den 9. Lagerpunkt – einem Ziegeleibetrieb nordöstlich von NORILSK, auf dem Weg nach Waljok (in NORILSK gab es noch eine Ziegelei: am 25. Lagerpunkt für Zwangsarbeiter). Sofort tauchten dort Häftlingsnummern auf: ein Buchstabe und drei Ziffern (an seine Nummer kann Jaroslaw Dmitrijewitsch sich nicht mehr erinnern). Diese Nummern wurden nicht aufgenäht, sondern einfach mit weißer Farbe aufgemalt: auf den Rücken und oberhalb der Knie. In der Wohnzone standen zweigeschossige hölzerne Baracken, jede in 8 Sektionen unterteilt, mit pritschenähnlichen Schlafkojen. Die Brigadeführer lebten mit den Arbeitern der Brigaden zusammen und schliefen ebenfalls auf Pritschen.
Außer den Nummern traten auch noch andere „Neuerungen“ in Erscheinung: sie fingen an, die Häftlinge unter Wachbegleitung zur Arbeit zu führen. Die Tagesschicht begann um 8 Uhr morgens, die Nachtschicht um 8 Uhr abends.
Als Jaroslaw Dmitrijewitsch gerade erst in die 9. Lagerabteilung gekommen war, erzählte ihm ein alter Lager-„Bewohner“, ein Kasache, daß hier im Jahre 1946 ein Begleitsoldat am Wacht-Häuschen das Feuer auf die Gefangenen eröffnet hatte, und daß dabei viele ims Leben gekommen waren.
Die Wohnzone grenzte ans Gelände der Ziegelei, und auf der anderen Seite der Ziegelfabrik schloß sich das Frauenlager der 9. Lagerabteilung an. Hier arbeitete Jaroslaw Dmitrijewitsch hauptsächlich in einer Erdarbeiter-Brigade beim Gorstroj, beim Bau von Wohnhäusern in der Sewastopolstraße. Die Erdarbeiter höhlten die Baugruben unter den Fundamenten der Häuser bis zu einer Tiefe von 18 Metern mit Abbau-Hämmern aus (und dann noch 1 Meter in den Felsen hinein). Die herausgeschlagenen Stücke von gefrorenem Erdreich und Gestein wurden mit einer handbetriebenen Winde aus den Gruben geholt.
Auch vom 9. Lagerpunkt wurde Jaroslaw Dmitrijewitsch einmal für einen Monat in die Genesungszone geschickt.
Anfang 1949 wurde er, weit in die Tundra hinein, zum 4. Lagerpunkt verlegt (4-5 km von der Stadt entfernt), von wo aus man die Häftlinge noch etwa 5 km weiter (ebenfalls unter Wachbegleitung) zum Bau eines Kupferschmelzwerks. Dort arbeitete Jaroslaw Dmitrijewitsch bereits in einer Maurerbrigade. Sie bestand aus etwa 20 Mann, fast nur Ukrainer, die meist eine Haftstrafe von 10 Jahren abzusitzen hatten. Einer von ihnen war Jaroslaw MOROS (geb. ungefähr 1926) aus dem Gebiet LWOW. Der Brigadeführer hiep REBRIKOW (geb. etwa 1905), Russe, ebenfalls zu 10 Jahren verurteilt.
Am 4. Lagerpunkt lebten die Häftlinge in zweistöckigen Ziegelstein-Baracken, die in jeweils 8 Sektionen unterteilt waren. In diesen Baracken existierte eine Dampfheizung. Vermutlich war sie für die Freien gebaut und später der Lagerzone zur Verfügung gestellt worden.
Auf dem Gebäude des Bauplatzes selbst gab es noch ein anderes Lager – ein Straflager. Die Strafgefangenen bauten einen der Gebäudeflügel, der von den anderen abgegrenzt wurde, und sie kamen dann auch mit niemandem mehr in Berührung.
Kurz vor der ersten Inbetriebnahme des ersten Bauabschnitts kam SWEREW, der damalige Leiter des NORILKOMBNATs, zur Kupferschmelze gefahren und rief öffentlich zur Stoßarbeit auf. In der letzten Woche vor der Inbetriebnahme wurde die Brigade überhaupt nicht mehr von der Baustelle weggeführt. Die Bauarbeiter schliefen, mit Unterbrechungen, im Sitzen. Nach der gemeinsam getanen Arbeit bekamen sie Erholungsurlaub: 3 Tage. Das war zu Beginn des Herbstes 1949.
Nach dem er seine Haftzeit voll abgesessen hatte, wurde Jaroslaw Dmitrijewitsch am 16.12.1949 „freigelassen“. Er erhielt eine Entlassungsbescheinigung (1954 wurde sie ihm wieder weggenommen, als er einen Paß bekam). Diese Bescheinigung hatte man ihm in der Kommandantur ausgehändigt, als er von der 4. Lagerabteilung in die Stadt kam. Dort fragten sie ihn, wohin er fahren wollte. Er antwortete: „Nach Dudinka“ – und erhielt eine Fahrkarte.
In Dudinka mußte er sich regelmäßig bei der Kommandantur melden und registrieren lassen. Alle Verbannten mußten dies jeden 1. und 15. des Monats tun. Ein Bekannter des Leiters der Bäckerei verschaffte ihm eine Arbeit im Baukontor, in der Anfangszeit als Zimmermanns-lehrling. Jaroslaw Dmitrijewitsch bekam eine Schlafstelle in einer Gemeinschaftswohnung des Kontors. Mit ihm lebten in dem Zimmer der deportierte Wolga-Deutsche Pjotr MILLER (geb. etwa 1927), zwei Brüder, Ukrainer aus Rumänien (möglicherweise aus der Bukowina), - Stepan GORENTSCHUK (geb. ca. 1928) und Mikola GORENTSCHUK (geb. um 1923), die erst kürzlich aus Lagern entlassen worden waren (offensichtlich hatte jeder von ihnen 5 Jahre abgesessen), und dann noch ein Ukrainer aus dem PEREMYSCHLJANSKER Kreis, Gebiet LWOW, namens Iwan SCHMYDKO (geb. etwa 1920), der eine 5-jährige Haftstrafe abgesessen hatte (er konnte schlecht laufen: seine Beine waren teilweise gelähmt). Ungefähr im Jahre 1954 wurde er verhaftet und eingesperrt, weil er Handel getrieben hatte.
Im Juli 1950 wurde Jaroslaw Dmitrijewitsch ins Kreis-Exekutivkomitee bestellt, wo man ihm verkündete: „ Begeben Sie sich an Ihren ständigen Wohnsitz“. Nach ein paar Tagen wurden mehr als 40 Verbannte mit dem Flugzeug von DUDINKA nach WOLOTSCHANKA gebracht (zu jener Zeit Kreisstadt des AWAMSKER Kreises, TAJMYR-Gebiet). Das flugzeug landete auf einer sandigen Landzunge, die als Start- und Landebahn diente. Bald darauf brachte man noch zwei Partien mit Verbannten dorthin. Jaroslaw Dmitrijewitsch kam mit seiner Frau aus DUDINKA geflogen ( sie war aufgrund einer Anwerbung aus Jarzewo gekommen).
Aus der Kreisstadt wurden Jaroslaw Dmitrijewitsch sowie weitere 11 Verbannte zum Bau einer Schule in die Faktorei (Handelsniederlassung; Anm. d. Übers.) KATYRYK (heute ist das eine Siedlung), etwa 350 km dem Chet flußabwärts folgend. Man zahlte ihnen die „Reisespesen“ und fing später an, ihnen alles wieder zu berechnen, und man teilte ihnen solche Boote zu, deren Reparatur bereits völlig zwecklos war, so dass sie bei den Ortsbewohnern neue kaufen mußten.
Mit den Booten fuhren die Verbannten den Chet hinab bis zur Faktorei. Außer Jaroslaw Dmitrijewitsch fuhren noch zwei zusammenmit ihren Ehefrauen.
Unter ihnen befanden sich die Ukrainer Petro GUMENJUK (geb. etwa 1912) aus der Region LWOW, Uljan Fjodorowitsch KURAN (geb. etwa 1927) aus WOLHYNIEN, Jegor WASYLTSCHUK (geb. ca. 1925), Adam KUNITSA (geb. ca. 1927) wie auch der Russe Nikolaj KATAJEW (geb. ca. 1928), der Armenier Aleksandr SARKISJAN (geb. etwa 1927) und der Tatare Sergej OGLY. Sie alle hatten eine Haftstrafe nach § 58 abgesessen. U.F. KURAN fuhr 1952 nach DUDINKA (siehe Foto).
In KATYRYK bauten die Verbannten eine Schule aus Holz, das zuvor auf dem Fluß Chet abgeflößt worden war. Sie zersägten das Holz zu Brettern. Jeden Monat kam der Kommandant nach KATYRYK und registrierte die Verbannten. 1952 schrieb Jaroslaw Dmitrijewitsch an die Kommandantur ein Gesuch über seine Verlegung nach Jarzewo (seine Frau stammte von dort). Anfang 1953 gaben sie ihm die Erlaubnis zu fahren, und im März 1953 flogen er und seine Frau nach Dudinka und gelangten im Sommer mit dem Dampfer nach JARZEWO (damals Kreisstadt des heutigen JENISEJSKER Kreises). Geld für die Fahrkarten hatten sie schon nicht mehr; sie mußten einen Teil ihrer Sachen verkaufen.
Auch in JARZEWO meldete sich Jaroslaw Dmitrijewitsch regelmäßig am 1. und 15. eines Monats in der Kommandantur. Er arbeitete auf Baustellen in der Kreis-Kommunal-Wirtschaft und beim Kreis-Verbrauchsgüterverband. In JARZEWO gab es ebenfalls eine Menge Verbannte, und Jaroslaw Dmitrijewitsch war mit vielen bekannt.
Im Kreis-Krankenhaus arbeitete ein ausgezeichneter Cirurg – Michail Wasiljewitsch RUMJANZEW (geb. ca. 1885). Nach seiner Freilassung aus der Verbannung fuhr er in die Ukraine.
Unter den deportierten Deutschen befand sich ein gewisser BERKLI (geb. ca. 1928), der von allen Bogdan (sein wirklicher Name war Gottfried) genannt wurde.
Am 07.07.1954 wurde Jaroslaw Dmitrijewitsch (als Häftling mit geringem Strafmaß im Rahmen der „Woroschilow“-Amnestie aus der Meldepflicht bei der Kommandantur entlassen und erhielt einen Paß. 1956 fuhr er nach Lwow und baute dort ein Haus, aber 1957 begann erneut die Hetzjagd auf die ehemaligen politischen Häftlinge. Er mußte das Haus verkaufen und nach Jarzewo zurückkehren, aber der Kreis war gerade abgeschafft worden, so daß er dort keine Arbeit fand. Da fuhr er nach Minusinsk, lebte dort 5 Jahre und zog 1963 nach Krasnojarsk um.
1993 bekam er (von der Gebietsstaatsanwaltschaft Lwow) seine Rehabilitation, aber ... auf einen falsch ausgestellten Nachnamen (Skolisch).
22.12.1993, aufgezeichnet von W.S. Birger, „Memorial“-Gesellschaft, Krasnojarsk
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