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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Irma Fedorowna Sokolowa

Geboren 1939.

Geboren im Gebiet Saratow, Krasnoarmejsker Bezirk. Lebten (in Sibirien; Anm. d. Übers.) anfangs in Worogowo, zogen später nach Strelka um. Erinnert sich leider nur sehr lückenhaft an ihre Kinderjahre. Die Familie war sehr groß – es waren allein sieben Kinder im Haushalt. I.F. hatte vier Schwestern und zwei Brüder. Beide Eltern waren Jahrgang 1900.

Der Vater war von Beruf Filzwalker, er walkte Filzstiefel, soweit I.F. sich erinnern kann. Die Mutter war eine gute Frau, sehr verträglich und fleißig,; sie konnte nähen, und mankann sagen, dass die Familie ausschließlich mit Näharbeiten auch ihren Unterhalt verdiente. Sie hatten aus der Heimat eine Singer-Nähmaschine und ein Waffeleisen mitgebracht. Das Waffeleisen ging bald darauf in Sotino verloren.

Schnell hatte man die Familie in Worogowo liebgewonnen. Das Haus war sehr groß und gediegen, und es gab einen wunderschönen Garten. Der Dachboden war mit Schuhleisten und Filzstiefeln vollgestopft – so viel arbeitete der Vater. Dort beendete I.F. insgesamt 7 Klassen an der 10-Klassen-Schule. Der Vater erlaubte ihr nicht weiterzulernen, da gerade zu der Zeit die Mutter gestorben war und es gab nicht genug Arbeitshände für Haus und Wirtschaft; das war im Jahre 1953.

Die Schule war für das Dorf ziemlich groß, hatte riesige Fenster und lange Korridore. Sie empfand keinerlei Geringschätzung von Seiten der anderen, aber es kam vor, dass man in der Schule Beschimpfungen wie „verfluchte Faschisten“ hörte. Die Lehrer setzten sich für sie ein. Die beiden liebsten Lehrerinnen waren Tatjana und Ljudmila. I.F. weiß leider nicht mehr, welche Unterrichtsfächer sie lehrten. Oft ging sie zu ihnen, brachte ihnen Milch und bekam dafür mit Wurst bewirtet.

In diesem Dorf befand sich eine Mühle, an der sich sehr häufig die Jugend traf.

Im März 1953 starb Stalin. In der Schule verkündeten sie, dass eine Trauerkundgebung stattfinden würde. Die Lehrer faßten sich an die Köpfe, es gab eine Panik, alle weinten.

I.F. erinnert sich, dass, als alle beim Essen am Tisch saßen, sich um Himmels willen bloß niemand falsch benehmen durfte; sofort fing der Vater anzu schimpfen; dann mußte man den Tisch verlassen und sich hinter den Ofen stellen – und zu essen gab es nichts. In der Familie wurde nie in der Muttersprache gesprochen.

ls I.F. 17 Jahre alt war, lief sie zusammen mit ihrer Schwester in das15 km weit von zuhause entfernte Sotino, „in Stiefeln aus grobem Schweineleder und mit einer Gitarre in der Hand“, und heiratete fast unmittelbar danach. Sie bekam zwei Kinder – Sergej und Tatjana.

Nach ihrer Hochzeit arbeitete sie zuerst in der Waldwirtschaft, dann in einem Lagerhaus, an einem Verkaufsstand und sogar in der Sperbank als Kassiererin, wo sie einige Finanzgeschäfte ausführte und Geld zählte. Später wurde sie wieder ins Lagerhaus versetzt.

Ihre gesamte Familie lebte in Worogowo. Unlängst starb ihr letzter Bruder, nun ist sie mit ihren Kindern und Enkeln ganz allein.

Die Befragung wurde von D.W. Krasnopejew und Maria Pitschujewa durchgeführt.

(AB – Anmerkungen von Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“)
Fünfte Expedition für Geschichte und Menschenrechte, Nowokargino 2008


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