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Verbannungs- / Lagerhaftbericht von Potap Michailowitsch Sywuk

P.M. SywukPotap Michailowitsch Sywuk (geb. 1919), Ukrainer, Bauer aus dem Dorf NOWOMALIN, heute Ostroschsker Kreis, Gebiet Rowno, Ukrainische SSR. Das Dorf war ukrainisch und zählte vor dem Krieg ungefähr 300 Höfe. Außerdem standen um das Dorf herum einige Einzelgehöfte – ukrainische und polnische, darunter auch Gehöfte von Legionären, die nach dem Krieg von 1920 Gemeindeland zur eigenen Nutzung erhalten hatten. In der Nähe des Dorfes befand sich ein gräfliches Vorwerk, in dem viele Ortsbewohner arbeiteten: dort bekamen sie gut bezahlt (aber dafür mußte man auch von morgens bis abends arbeiten).

Ende Januar oder im Februar 1940 setzten die Deportationen der Ortsbevölkerung ein, vor allem der Polen, die auf den Einzelgehöften wohnten. Im Frühjahr 1940 wurden aus dem Kreis 40 Familien deportiert. Als die Einberufungen in die sowjetische Armee begannen, wurde Potap Michailowitsch nicht eingezogen – aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes.

Sofort nach dem Rückzug der Hitler-Armee, im Frühjahr 1944, begann die allgemeine Mobilmachung. Viele, die aus dem gleichen Dorf stammten wie Potap Michailowitsch waren davon betroffen – auch er selbst (siehe weiter unten). Die Mobilisierten wurden in die Nähe von SCHEPETOWKA getrieben, wo immer noch gekämpft wurde – ohne jegliche Ausbildung und ohne Waffen: „Nehmt sie den Deutschen weg!“ Zum Glück ordnete die Moskauer Leitung, die sich zu dem Zeitpunkt in Schepetowka aufhielt, an, daß sich die Mobilisierten zur Formierung ins Hinterland begeben sollten, nach TATISCHSCHEWO bei SARATOW.

W.M. Sywuk Dort wurden sie in den Bestand des 356. Schützen-Reserveregiments sowie eines weiteren Schützenregiments eingegliedert., das ebenfalls in TATISCHSCHEWO stationiert war. Mitte April 1944 gingen im 356. Regiment die Verhaftungen los. Am 19. April 1944 wurde Potap Michailowitsch festgenommen. Ebenfalls verhaftet wurden (ebenfalls zu dieser Zeit) seine Dorfnachbarn, die gleichzeitig wie er mobilgemacht worden waren:

Kirill Nikolajewitsch MELNITSCHUK, geb. ca. 1924, Sachar MANKO, geb. ca. 1908, Andrej Danilowitsch SCHUK, geb. 1918, Konstantin SCHTUNDER (STUNDER), geb. ca. 1907, Wasilij Michailowitsch SYWUK (1925-1988) der leibliche Bruder von Potap Michailowitsch; sie waren alle ukrainische Bauern.

Im Mai 1944 wurde in demselben Regiment Potap Michailowitschs Vetter verhaftet – Feofan Andrejewitsch MARTYNOWSKIJ (siehe seinen Verbannungs-/Lagerhaftbericht) und ein Namensvetter von Sachar MANKO – Feofan MANKO, geb. 1915, beide ebenfalls Bauern aus NOWOMALIN.

Die Verhaftungen gingen ohne Aufsehen vor sich: in Erdlöchern, die als Kasernen dienten, oder auf dem Schießplatz wurden die Menschen mit ihren Familiennamen herausgerufen und unter der Aufsicht einer Begleitperson nach SARATOW gebracht. Auf Fragen bekamen sie die Antwort: „Sie fahren in den Osten“. Und in SARATOW kamen sie dann sofort ins Gefängnis. „Wohin werden wir gebracht?“ – „Wir bringen euch dahin, wo ihr hingehört!“

Das Gefängnis war eine politische Haftanstalt. Die Zellen waren klein und vollkommen leer, ohne Pritschen, ohne Schemel. Die Gefangenen schliefen auf dem Betonfußboden auf ihren Mänteln oder auf irgendetwas anderem, je nach dem was jeder bri sich hatte. Anfangs hatte Potap Michailowitsch nur einen Zellenkameraden, später kam noch einer hinzu, und danach waren sie wieder zu zweit. Einer der Zellengenossen war ein Pilot namens Wolodja.. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden bekamen die Häftlinge 400 Gramm vollkommen nassen „Brotes“. Man führte sie sogar zum Spaziergang, allerdings nicht jeden Tag. 1-2 mal im Monat durften sie inein sehr heißes Dampfbad. Die Verhöre setzten nach Mitternacht ein, so gegen 1 oder 2 Uhr. Der Ermittlungsrichter ließ einen sich an die Wand stellen, faßte einen bei der Kehle und schlug den Hinterkopf des Häftlings gegen die Wand. Er verlangte ein „Geständnis abzulegen“, daß er „Komsomolzen getötet hatte und ein „Vaterlandsverräter“ war.

Nach den Schlägen kam Potap Michailowitsch ins Gefängnis-Krankenhaus und mußte dort auch noch die Ruhr durchmachen. 29 Tage lag er im Krankenhaus, dann wurde er entlassen – und zurück ging es in die Zelle. Erneut brachte man ihn zum Verhör, aber der vorherige Ermittlungsführer war nicht mehr da. Der neue Untersuchungsrichter schob ihm ein Blatt Papier zu: „Unterschreiben sie den 206-er“ (gemeint ist, dass er seine Schuld nach § 206 anerkennen und das Geständnis unterschreiben sollte; Anm. d. Übers.). Potap Michailowitsch konnte sich das nicht durchlesen und fragte, was das denn sei. „Die Beendigung des Ermittlungsverfahrens. Sie werden nicht weiter verhört“. Potap Michailowitsch unterschrieb das Papier.

Im Gefängnis von Saratow saß er 5 Monate oder ein wenig mehr. Im Oktober 1944 wurde aus diesem Gefängnis eine Etappe ins UNSCHLAG verschickt. Die Häftlinge wurden zufuß zur Bahnstation getrieben. Vielen wurde auf der Straße von der frischen Luft schwindelig, die Beine sackten unter ihnen weg. Und die Vorübergehenden, als sie hörten, daß es sich um „Vaterlandsverräter“ handelte, bewarfen die Häftlinge mit Steinen, solange die Wachsoldaten dies nicht untersagten. 40 Gefangene waren zusammen mit Potap Michailowitsch zusammen in einem Waggon. An den Zughalten wurden sie von den Begleitwachen unter Zuhilfenahme eines Holzhammers, der einen Stiel von einem halben Meter Länge hatte, durchgezählt, und diehjenigen, die es wagten auszuweichen, wurden unter Hammerschlägen wieder zurückgejagt.

Von der Station SUCHOBESWODNAJA (etwa 100 km nördlich von GORKIJ) schickte man die Gefangenen zum 13. Lagerpunkt des UNSCHLAG, wo in einer großen Lagerzone Männer und Frauen zusammen gehalten wurden. Mit dieser oder einer anderen Etappe gerieten alle weiter oben genannten Dorfnachbarn von Potap Michailowitsch zum 13. Lagerpunkt, mit Ausnahme von A.D. SCHUK. Über ihn weiß man, daß er nicht im UnschLag einsaß (vielleicht war er in Kolyma), überlebte und nach seiner Freilassung wieder in die Heimat fuhr, nach Nowomalin.

Die Zone des 13. Lagerpunktes bestand aus dutzenden Holzbaracken, einer stationären Krankenbaracke, Wirtschafts- und Produktionsgebäuden. Jede Baracke war in vier „Zimmer“-Sektionen eingeteilt. In jeder Sektion schliefen 40-50 Gefangene. Mit der Zeit wurden Trockenräume für die Kleidung gebaut.

Der 13. Lagerpunkt war hauptsächlich ein Holzfällerlager, es gab aber auch Lastträger-Brigaden und Straßenbauarbeiter. In der Nebenproduktion wurden bachili (eine Art Stiefel; Anm. d. Übers.) für die Gefangenen genäht und Bastschuhe geflochten. Eine Spezial-Brigade zerriß im Wald Bastfäden für die Schuhe. Man zwang sie 12 Stunden am Tag zu arbeiten, 1-2 mal im Monat gewährte man ihnen einen freien Tag. Die Essensration bestand aus 600 Gramm, Nichtarbeitende bekamen 400 Gramm, aus „Fleischgerichten“ – bereits verdorbene, rostfarbene Sprotten. Erst nach dem Krieg verbesserte sich das Essen etwas, und man erlaubte ihnen Pakete von Zuhause zu erhalten.

Hier am 13. Lagerpunkt starben Anfang 1945 an völliger Erschöpfung Kirill MELNITSCHUK und Sachar MANKO. Nachdem sie beim Bäumefällen vor Schwäche umgefallen waren, gaben die Wachen ihnen den Rest. Als so auch einmal Bruder Wassilij so umfiel und nicht mehr allein aufstehen konnte, hob Potap Michailowitsch ihn auf seine Schultern und schleppte ihn in die Zine zurück.

In der Krankenstation arbeitete als Ärztin Nina Sergejewna, Oberst des medizinischen Dienstes. Sie saß dort nach § 58.

Ende 1944 oder Anfang 1945 verkündete man den Gefangenen endlich ihre Urteile. Zu diesem Zweck kamen irgendwelche Beamte aus Gorkij ins Lager. Einzeln wurden die Häftlinge herausgerufen; man verlas ihnen die Haftstrafe und war sehr erstaunt darüber, daß die langjährigen Freiheitsstrafen auf sie keinerlei Eindruck machten. Aber der Grund war ein ganz einfacher: diese Jahre hatte für die Gefangenen jegliche Bedeutung verloren. Sie hatten nur eine einzige Sorge – wie sie bis zur nächsten Ration überleben sollten. Die hohen Gäste brachten sogar einen gewissen, nicht geringen Nutzen mit sich: von Zeit zu Zeit kamen die Häftlinge so an weggeworfene Zigarettenstummel.

Damals wurde Potap Michailowitsch der Beschluß des Sonderkollegiums vom 16.12.1944 verkündet: 8 Jahre nach §§ 58-1a, 58-11. Sein Dorfnachbar bekam offensichtlich die gleiche Freiheitsstrafe.

Ende 1945 oder Anfang 1946 begann damit, einen Teil der Häftlinge zu anderen Lagerpunkten zu verlegen. Potap Michailowitsch schickten sie zur Lageraußenstelle BELYJ LUCH (linker Nebenfluß der UNSCHA, heute Makarewsker Kreis, Region Kostroma), etwa 10 km vom 13. Lagerpunkt entfernt. W.M. SYWUK, F. MANKO, K. STUNDER und F.A. MARTYNOWSKIJ blieben am 13. Lagerpunkt. Mit Ausnahme von Martynowskij begegnete Potap Michailowitsch später in den Lagern keinem von ihnen mehr. Wo Bruder Wassilij abblieb und was aus ihm geworden ist erfuhr er erst, als er ihn in Krasnojarsk, bereits in der Verbannung, traf. F. MANKO und K. STUNDER überlebten und kehrten in die Heimat zurück, nach Nowomalin. Beide sind bereits verstorben.

In BELIJ LUCH saß Potap Michailowitscheineinhalb oder zwei Jahre und wurde dann an den neuen 17. Lagerpunkt verlegt, ungefähr 10 km von BELIJ LUCH und etwa 20 km vom 13. Lagerpunkt entfernt. Dorthin geriet auch F.A. MARTYNOWSKIJ. Am 17. Lagerpunkt waren die Baracken in Sektionen unterteilt, die für jeweils 20 Häftlinge – eine Gruppe oder Abteilung, bestimmt waren.

Im Frühjahr 1950, ca. im April, wurden alle § 58-er vom 17. Lagerpunkt des UNSCHLAG nach KARAGANDA verlegt. Dort kamen Potap Michailowitsch und F.A. MARTYNOWSKIJ zum Männer-Lagerpunkt am ZENTRAL-KRANKENHAUS. Es war ein Regimelager. Um 8 Uhr abends wurden die Baracken abgeschlossen. Alle bekamen Häftlingsnummern aufgenäht. Die Essensration betrug 600 Gramm, „ als Ansporn eine Extra-Ration“ von 100 Gramm, das Brot an sich war schon merklich besser als im UNSCHLAG.

Die Lagerzone stand unter gemeinsamer Bewachung mit der Krankenzone. Beide grenzten zwar aneinander, waren jedoch voneinander getrennt. In der Zone standen 3 Wohnbaracken. Die Hauptarbeit bestand darin Wohnhäuser zu bauen.

Die Lagerhaft endete am 19.02.1952. Die „Freigelassenen“ wurden zunächst ins KARAGANDINSKER TRANSITLAGER gebracht, wo sich 9000 Menschen befanden, und von dort mit einer Häftlingsetappe in Stolypin-Waggons verfrachtet, bis diese restlos vollgestopft waren. Am 21.03.1952 erreichte der Transport Krasnojarsk. Hier ließ man alle aussteigen, aber sogleich rollten Lastwagen mit Wachmannschaften heran, und die „Freigelassenen“ kamen ins Krasnojarsker Gefängnis. Von dort entließen sie Potap Michailowitsch erst nach zwei Wochen, als sich ein „Käufer“ fand. Er blieb in Krasnojarsk: „der Käufer“ war ein Bau-Trust. Mit derselben Etappe kamen auch H.H. Wolf (siehe seinen Verbannungs-/Lagerhaftbericht) und M.A. Laba nach Krasnojarsk.

F.A. MARTYNOWSKIJ kamen in den SUCHOBUSIMSKER Kreis, Region Krasnojarsk, in die Verbannung. W.M. SYWUK geriet ebenfalls im Krasnojarsker Gebiet in die Verbannung.

Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er in Diwnogorsk.

In der Totmin-Straße 22, Wohnung Nr. 5, lebt Pawel Andrejewitsch OLEJNIK (OLJNIK, geb. 1911). Er stammte aus der Ortschaft LJUTSCHIN, heute OSTROSCHSKER Kreis, Gebiet ROWNO, und war ebenfalls ein ehemaliger Häftling. Auch er wurde nicht rehabilitiert (1960 schrieb ein entsprechendes Gesuch und bekam eine Absage).

Potap Michailowitsch starb im Mai 1991 an einem Herzinfarkt – er erlebte seine Rehabilitierung nicht mehr.

8. April 1990 Aufgezeichnet von W.S. Birger, „Memorial“-Gesellschaft, Krasnojarsk


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