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Bericht von Alexander Heinrichowitsch Werner und Viktor Alexandrowitsch Werner

Alexander Heinrichowitsch Werner wurde am 25. August 1929 im Gebiet Saratow, Ortschaft Alt-Warenburg, geboren.

Sein Vater Andrej Karlowitsch Werner (geb. 1905) und Stiefmutter Kristina Kondratjewna Werner (geb. 1906) wurden 1941 zusammen mit dem Sohn und den Großeltern aus dem Gebiet Saratow, Ortschaft Alt-Warenburg (Priwolnoje) verschleppt. Dort hatten sie ein großes Haus, unterhielten eine Hofwirtschaft, es gab Gärten. Mit einem Lastkahn brachte man sie bis zur Eisenbahnlinie und verfrachtete sie auf einen Zug. Sie hatten nicht viele Sachen mitgenommen, nur das, was sie in aller Eile hatten zusammenpacken können. In den „Kälberwaggons“, in denen es Pritschen gab, brachte man sie bis nach Abakan. Während der Fahrt lastete die Sorge um die Verpflegung auf den Schultern der Verbannten, es war jedenfalls offiziell keine Essensration vorgesehen. Wem es gelungen war, der hatte Proviant von zu Hause mitnehmen können. Andere kauften während der Zug-Halte Essen bei alten Frauen, die an den Bahnstationen Handel trieben.

Nach Abakan lieferte man sie in der Ortschaft Staromolino ab. Dort brachte man sie in einem Haus bei alten Ortsansässigen unter. Der Großvater war Schuster, daher gab es bei ihnen mit der Verpflegung keine besonderen Schwierigkeiten: es gab immer jemanden, der seine Schuhe geflickt haben wollte, und dann bezahlten sie in der Regel mit Lebensmitteln. Später gab man ihnen eine Kuh. Und einmal bekamen sie sogar eine ganze Matratze voll Weizen. Die Stiefmutter arbeitete nicht, aber der Vater war in der Kolchose tätig, hauptsächlich beförderte er Lasten mit Pferden. Ein Jahr später holten sie den Vater in die Arbeitsarmee, irgendwo im Ural, um Bäume zu fällen. Wie er dem Sohn erzählte, starben dort sehr viele Arbeiter; es kam vor, dass sie zwei-drei Leichen am Tag zu sehen bekamen. Ein Graben wurde ausgehoben, und dort legte man sie hinein. Die Essensration war spärlich, 200 Gramm Brot pro Tag. Zwei Jahre später kehrte er zurück.

Alexander Heinrichowitsch ging nicht zur Schule, im Gebiet Saratow hatte er lediglich die erste Klasse absolviert; im Alter von 12 Jahren fing er an zu arbeiten. Das erste Mal hütete er den ganzen Sommer lang Schafe. Im zweiten Jahr gab man ihm im Winter ein Pferd, mit dem er Brennholz transportieren sollte. Danach bekam er zwei Pferde und beförderte auf ihnen Heu.

Jeden Monat meldeten die Eltern sich einmal in der Kommandantur. Die Ortsansässigen benahmen sich ihnen gegenüber nicht besonders gut, beschimpften sie manchmal als „Faschisten“, und es kam vor, dass sie Streit anfingen und schimpften. „Wer etwas mehr Verstand besaß, der begriff, was wir für Faschisten waren: wir hatten doch unser Leben lang in der Sowjetunion gelebt“.

Alexander Heinrichowitschs Stiefmutter sprach praktisch kein Russisch. Der Vater hatte noch im Gebiet Saratow ein wenig mit den Ortsansässigen gesprochen. Ihr Sohn sprach kein Russisch, lernte es aber schnell.

Im Bezirk Karatus wurden den Eltern zwei weitere Söhne geboren: Nikolai und Viktor. Letzterer reiste nach Deutschland aus. Sie fielen nicht unter die Repressionsopfer, denn sie wurden nach 1960 geboren; an das genaue Datum kann Alexander Heinrichowitsch sich nicht erinnern.
In der Familie wurden die deutschen Traditionen aufrechterhalten; man feierte das katholische Weihnachtsfest und Ostern. Und zur selben Zeit begingen sie auch die russischen Festtage – zum Beispiel den 1. Mai. Die Küche bestand überwiegend aus deutschen Gerichten.

Sechs Jahre später lebte die Familie Werner nicht weit entfernt in einem anderen Dorf. Alexander Heinrichowitsch kann sich an den genauen Ortsnamen nicht erinnern; er sagt „sie lebten auf einer Farm“. Später heiratete er ein russisches Mädchen. Seine Eltern waren anfangs dagegen, aber dann freundeten sie sich mit der Schwiegertochter doch an. Die jungen Leute zogen nach Tschubtschikowo, dort wurde auch 1959 Sohn Viktor Alexandrowitsch Werner geboren. Die beiden hatten noch zwei weitere Söhne – Anatolij und Wladimir. Letzterer reiste vor über zwanzig Jahren nach Deutschland aus, wo er immer noch lebt. Seine Ehefrau lernte deutsche Gerichte zu kochen. Sie arbeitete als Melkerin, Alexander Heinrichowitsch war in der Kolchose tätig. Später begaben sie sich nach Alma-Ata und lebten dort drei Jahre. Aber es zog sie zurück auf heimatlichen Boden, und so kehrten sie ins Dorf Tscheremuschka zurück. Man gab ihnen eine Wohnung. Alexander Heinrichowitsch sagt, dass alle ihn dort kennen würden; er arbeitete gut. Bis zum Ende seiner Rente arbeitete er als Schlosser.

Der Sohn wollte ihn nach Deutschland holen, aber Alexander Heinrichowitsch weigerte sich. Er fuhr für einen Monat zu Besuch dorthin, aber es gefiel ihm nicht. „Ich kenne ihre Sprache nicht. Ich gehe in einen Laden, lausche, ob ich mich vielleicht an irgendetwas erinnern kann. Ein paar Worte habe ich wohl so ungefähr verstanden, aber selber sprechen – das ist ganz etwas anderes“. Er sagte dem Sohn, dass er noch ein wenig warten wolle, aber dann starb seine Frau und er beschloss in der Heimat zu bleiben. „Ich will hier zusammen mit meinem Frauchen begraben werden“.
Als er seine Rente einreichte erfuhr er, dass man ihn rehabilitiert hatte.

Alexander Heinrichowitschs Sohn, Viktor Alexandrowitsch Werner, empfand die Folgen der Repressionen nicht besonders stark. Es war wohl vorgekommen, dass sie in der Kindheit in der Schule beschimpft worden waren, aber sie hatten zurückgeschlagen. Sie hatten ein gutes Haus, unterhielten eine Hofwirtschaft. Die Traditionen hielten sie nicht sonderlich ein und gaben diese auch nicht weiter. Das ist praktisch alles, was Viktor Alexandrowitsch aus seiner Kindheit erinnert. Er selbst hält sich auch weder für einen Deutschen noch für einen Russen: „Ich bin Sibirier“. Nach Deutschland ausreisen wollte er nicht, man sagte ihm, es gäbe dort nichts zu tun. Er kann kein Deutsch. Als er die Rente beantragte, erfuhr er, dass er als Opfer der Repressionen galt.


Viktor Alexandrowitsch Werner

Das Interview wurde geführt von Tatjana Nasarez.

Forschungsreise der Staatlichen Pädagogischen W.P. Astafjew-Universität Krasnojarsk und der Krasnojarsker „Memorial“-Organisation zum Projekt „Anthropologische Wende in den sozial-humanitären Wissenschaften: die Methodik der Feld-Forschung und Praxis der Verwirklichung narrativer Interviews“ (gefördert durch den Michail-Prochorow-Fond).


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