Gebürtig aus Saratow (5 Klassen Schulbildung), geb. 1935. Mutter Sophia Andrejewna Wagner, geb. 1907; Vater Christian Wagner, geb. 1905.
Festtage wurden nicht gefeiert, Konfession: Lutheraner
Anfang der 1930er Jahre herrschte eine große Hungersnot (sie sammelten Gräser und Pflanzen in der Umgebung und aßen sie). Außer ihnen gerieten noch drei weitere Familen in das Dorf (zwei von ihnen trugen ebenfalls den Nachnamen Wagner).
Die Umsiedlung der Familie Wagner erfolgte in Güterwaggons (immer mehrere Familien in einem Waggon, meist so 4 – 5; es gab Pritschen). An den Bahnhöfen durften sie aussteigen, aber nur die erwachsene Männer verließen den Zug; ansonsten gab es Töpfe für die Notdurft.
Niemand war von der Ankündigung über die Umsiedlung erfreut, niemand wollte seinen heimischen Hof verlassen. Als die Menschen an ihrem neuen Wohnort ankamen, wurden sie bei dort bereits wohnenden Leuten untergebracht.
Die Häuser waren alle aus Holz und ohne Nägel zusammengebaut und mit Dachschindeln gedeckt. In der Mitte des Dorfes gab es einen Brunnen mit einem riesigen hölzernen Rad; daran war eine Kette mit großen Bolzen befestigt. Und unmittelbar beim Dorf gab es einen Fluß, der eher einem Sumpfgebiet glich. Aus Leinen und Hanf nähten sie sich ihre Kleidung und stellten auf selbstgefertigten Werkbänken, an denen die Frauen arbeiteten, alle möglichen anderen Vorrichtungen her.
Rehabilitiert wurden sie etwa 1955-1956. Zur Armee wurden sie in den Jahren 1953-1954 nicht einberufen, denn sie galten als Volksfeinde.
Er selbst fuhr nicht in die ursprüngliche Heimat zurück, aber seine Frau und seine Tochter (1985-1986; einfach so durfte man nicht dorthin fahren, nur auf „Abruf“.
Sie hielten Vieh – einen Eber, eine Kuh, Hühner, 3 Schafe. 1942 gab man ihnen ihr Vieh (eine Kuh) zurück, aber es gab keinen Platz, wo man sie hätte halten können; da gaben sie die Kuh gegen 70 kg (1,5 Sack) Mehl in der Kolchose ab; die Hühner aßen sie auf. Man arbeitete gegen Anrechnung von Tagesarbeitseinheiten – sie mahlten das Getreide selbst und erhielten auch ihren Lohn in Form von Getreide.
Die Kommandantur befand sich nicht in der Siedlung; einmal im Monat mußten sie sich dort melden und registrieren lassen. In einen anderen Bezirk zu fahren war verboten. Die Kommandantur belegte einen dafür mit einer Strafe; manchmal wurden sie für das Verlassen der unmittelbaren Umgebung mit einer Haftstrafe von 3-15 Tagen belegt.
Die umliegende Bevölkerung bestand aus – Tataren. Sie benahmen sich gegenüber der Familie unfreundlich und böse („wie bösartige Hunde“). Die Mutter ging zum Arbeiten nach Pirowskoje – zum Holzsägen. Dafür gab es 500 gr Brot. Sie ging sehr sparsam mit dem Brot um und brachte es für die Kinder zuhause mit.
Ab dem 12. Lebensjahr ging er zur Schule, konnte aber nicht einen einzigen Buchstaben auf Russisch (er konnte der Lehrerin nicht antworten, alles mußten die Mitschüler übersetzen); es gab keine Kleidung, die sie zur Schule tragen konnten, aber sie erhielten ein Paar Filzstiefel für zwei Kinder. Während der eine Bruder irgendwo hin geht, sitzt der andere zuhause.
Nach dem Abschluß der Schule ging er im Alter von 17 Jahren sofort arbeiten.
Für die Arbeit in der Schiffswerft erhielten sie wenig Geld – 1000 bis 1100 Rubel (AB: nach der alten Währung, d.h. 100 Rubel). Sie bekamen ihren Lohn ohne Verzögerung, aber die Arbeit war sehr schwer (sie bauten Lastkähne – 2,5 m hoch, 15 m breit und 80 m lang). Die Vorgesetzten verhielten sich gegenüber den Arbeitern gut. Gearbeitet wurde jeweils 8 Stunden. Die Arbeiter waren in einem Wohnheim untergebracht, das nicht so weit entfernt lag.
Ehefrau Werna Kirsch wurde in der Ukraine repressiert.
Die Befragung erfolgte durch Julia Kalentschuk und Darja Bondarenko.
(AB – Anmerkungen von Aleksej Babij, Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft)
Achte Expedition für geschichtliche Aufklärung und Menschenrechte, Jenisejsk,
Podtjosowo 2011