August Augustowitsch Winter wurde 1949 in der Stadt Solikamsk geboren, wo Mutter (Emilia Genrichowna – in Sibirien russifizierte man ihren Vatersnamen in Andrejewna) und Vater (August) sich in der Arbeitsarmee befanden. Vor dem Großen Vaterländischen Krieg lebte die Familie Winter in der Republik der Wolgadeutschen. Den Vater holten sie mit Beginn des Krieges an die Front, demobilisierten ihn jedoch schon bald und schickten ihn nach Solikamsk; nach den Erinnerungen von Sohn August arbeitete der Vater dort in Schachtanlagen. Ihre Kinder – die Schwestern Kristina und Irma sowie der älteste Bruder wurden zusammen mit der Großmutter (Mutter des Vaters) und der Tante (Schwester des Vaters) in den Bezirk Karatus, Ortschaft Sagaiskoje, geschickt. Die Verwandten väterlicherseits wurden nach Ujar verschleppt, die Angehörigen der Mutter – nach Alma-Ata. Nach dem Krieg gelang es alle ausfindig zu machen, mit Ausnahme einer der Schwestern der Mutter.
Bei der Ankunft in Sagaiskoje brachte man Großmutter, Tante und Kinder in einer kleinen Hütte im Dorf unter. Großmutter und Tante war es gelungen eine für jene Zeit wahre Rarität nach Sibirien mit zu bringen – einen Hand-Milchabscheider. Ihm ist es zu verdanken, dass die Familie sich in den ersten Jahren der Verbannung ein wenig verdienen konnte – die Dorfbewohner brachten ihnen Milch zur Weiterverarbeitung. August Augustowitsch weiß, dass es der Mutter bisweilen gelang, den Kindern in Sagaiskoje aus Solikamsk Pakete zu schicken; nach Erzählungen der Schwestern soll die Hälfte des Inhalts gefehlt haben, weil Ortsansässige sich vorher Sachen herausnahmen.
Vater und Mutter trafen mit dem einjährigen August 1950 bei der Familie in Sagaiskoje ein. Der Vater fand Arbeit als Traktorist, die Mutter, wie auch viele andere Landfrauen, fing an Tabak anzubauen. Der Vater erlebte sein 60. Lebensjahr nicht mehr, die Mutter wurde 84.
Die Kinder der Familie Winter schafften es die Schule zu besuchen. Nach der Schule fuhr August Augustowitsch zur Ausbildung nach Minussinsk, anschließend diente er in der Armee, später kehrte er nach Sagaisk zurück, wo er zunächst als Fahrer in der Kolchose und dann als Mechanisator tätig war.
August Augustowitschs Schwestern heirateten Wolgadeutsche, sie waren seit ihrer Kindheit miteinander befreundet gewesen, lebten in der Nachbarschaft. August selbst nahm sich eine russische Frau. Die Schwiegermutter brachte seiner Frau die Zubereitung deutscher Gerichte bei – Strudel, Krebli, Fruchtsuppe. Die religiösen Feiertage wurden in seiner Kindheit noch eingehalten, denn Mutter und Großmutter waren religiöse Menschen. Nach August Augustowitschs Erinnerungen sprachen die Schwestern schon keine Gebete mehr. Als viele Wolgadeutsche anfingen nach Deutschland auszureisen, weigerte sich die Familie Winter dies auch zu tun, denn sie waren der Ansicht, dass sie schon zu alt waren, um nocheinmal ein Leben ganz von vorn zu beginnen.
Das Interview wurde geführt von Marina Konstantinowa und Jelena Sberowskaja.
05.07.2016, Ortschaft Sagaiskoje
Forschungsreise der Staatlichen Pädagogischen W.P. Astafjew-Universität Krasnojarsk und der Krasnojarsker „Memorial“-Organisation zum Projekt „Anthropologische Wende in den sozial-humanitären Wissenschaften: die Methodik der Feld-Forschung und Praxis der Verwirklichung narrativer Interviews“ (gefördert durch den Michail-Prochorow-Fond).