Heinrich WOLF wurde 1920 in dem Dorf SWONARJOW KUT, im ASOWSCHEN (heute TAURISCHEN) Kreis, Gebiet OMSK, nicht weit von der Stadt Omsk, geboren. Es war ein rein deutsches Dorf (Umsiedler aus dem Wolgagebiet), durch das vier zwei Kilometer langen Straßen führten und das weniger als 300 Höfe zählte.
Im August oder September 1937 verhafteten die Kommunisten aus dem Dorf ungefähr 15 Leute, nicht mehr. Sie kamen mehrmals am Tage mit einer schwarzen "Emka" (Fahrzeug, das auch "Schwarzer Rabe" genannt wurde) angefahren und holten die Leute direkt von der Feldarbeit weg. Heinrich kann sich an keinen Familiennamen der Verhafteten erinnern, aber einen von ihnen traf er 1946 im KRASLag wieder - jener erkannte ihn, als er den Nachnamen WOLF hörte. Dieser Mann überlebte und kehrte nach der Lagerhaft in das Dorf zurück, als Einziger von allen.
Am 27.10.1940 wurde Heinrich in die Armee eingezogen. Er diente in der 1. Abtei-lung des Tarnungsbataillons in der Nähe von Moskau, an der Station NACHABINO. Zu Beginn des Krieges wurde das Bataillon nach Moskau verlegt und am Stadtrand stationiert, in dem Wäldchen nahe dem Moskau-Wolga-Kanal. Im Bataillon dienten 500 Männer, darunter noch vier Deutsche, alle aus jenem ASOWSCHEN Kreis, von denen zwei, nämlich BRAK und Hans KREIS, aus demselben Dorf kamen, und die anderen beiden, WEIS und KAPLANOW, aus anderen Dörfern. Sie alle sind in den Jahren 1920 oder 1921 geboren.
Das Bataillon führte die Tarnung vieler Objekte in Moskau und Umgebung durch (u.a. des Moskauer Kremls). Man geriet in einen Bombenangriff. Im September begab sich das Bataillon nach KUBINKA, um den Flugplatz zu tarnen, das bedeutete Arbeit für eine ganze Woche oder mehr. Der Flughafen wurde bombardiert. Nach einigen Tagen ließ der Kompanie-Feldwebel alle Deutschen zu sich kommen und fuhr sie nach Moskau, zum Standort des Truppenteils. Eine Woche verbrachten sie untätig in der Kaserne, dann rief der Kommandant sie zu sich und verkündete, daß sie zu einem anderen Truppenteil versetzt würden. Sie gaben ihre Waffen ab und erhielten neue Uniformen. Der Sammelpunkt war in der Moskauer Schule Nr. 90. Dort befanden sich unbewaffnete Soldaten, Offiziere und Generäle. Die Aufstellung dauerte noch zwei Wochen, und dann wurde die gesamte Einheit in der Nacht verladen und nach KASACHSTAN, in die Stadt DSCHAMBUL gebracht. Die
Generäle allerdings (es waren einige) fuhren, wie man hörte, für einige Tage bis zum gemeinsamen Abtransport in den Ural.
Die Abfahrt aus Moskau fand offenbar Anfang Oktober statt. Von den Bedingungen und der Verfahrensweise her handelte es sich um einen gewöhnlichen Truppentransport. An den Stationen konnten sie auf den Bahnsteig gehen und sich die Füße vertreten. Bei der Ankunft in DSCHAMBUL lud man zu diesem Truppenbestand sofort die örtlichen Mobilisierten dazu und kommandierte sie an die Front ab, aber die Deutschen brachte man in den Kasernen in DSCHAMBUL unter. Es stellte sich heraus, daß man sie zum Bau der Eisenbahnlinie geschickt hatte, die von DSCHAMBUL diesseits der Berge zu den Bergwerken führte. Die erste Station nach der Stadt war PILIKUL, genannt nach dem benachbarten See, und die nächste - SCHALAKTAU. Als der Baubetrieb aus der Stadt wegging, mußten sie die Kasernen verlassen, und sie kamen in Baracken und Zelten unter, die jeweils mit Fortschreiten des Baus von einem Ort zum nächsten verlegt wurden.
Im September 1942 wurde Heinrich in der Nacht geweckt, in einen Kleintransporter gestoßen und nach DSCHAMBUL gefahren. Dort sperrten sie ihn in die Untersuchungszelle am Bahnhof. Dort saß er eine Woche lang ein, danach brachte man ihn nach ALMA-ATA, ins innere Gefängnis des NKWD (= Volkskommissariat für Inneres). In der Zelle waren etwa 25 Häftlinge. Alle waren auf Pritschen unterge-bracht.
Die Verhöre fanden nachts statt, die Untersuchungsrichter wechselten sich häufig ab. Es entspricht der Wahrheit, daß tagsüber Schlafen nicht verboten war. Nach drei Monaten im inneren Gefängnis, Anfang Januar oder im Februar 1943, brachte man Heinrich in die wahre Hölle - ins TASCHKENTER Durchgangslager. Es bestand aus Baracken mit je 200-300 Häftlingen. Die oberen Pritschen in den Baracken waren aus Holz, durchgehend, die unteren - aus Erde. Tagsüber gab man ihnen eine Schüssel Suppe mit Mehlkluten und nur manchmal 300 gr Brot. Jeden Tag wurden aus der Baracke um die zehn Leichen herausgetragen. Über das Durchgangslager hatte man Quarantäne verhängt, und erst nach zwei Monaten wurden die Überlebenden ins AKTJUBLag gebracht, zum Bau eines Hüttenwerkes (möglicherweise des Kupfer-Nickel-Werkes). Als der Gefangenentransport ankam, war die Steppe noch kahl, ganz allmählich kam das Gras zum Vorschein. Mit diesem Gefangenentransport gerieten die Landsleute von Heinrich ins AKTJUBLag - KREIS, WEIS und BRAK. Es stellte sich heraus, daß auch sie verhaftet worden waren und im inneren Gefängnis von ALMA-ATA eingesessen hatten.
Die Zone (= Sicherheitszone) war umgeben von einem dreifachen Stacheldrahtzaun. Die Häftlinge aßen rotbraun verfärbte Heringe, von denen sie Durchfall bekamen. In der ersten Zeit gab der Brigadier für jeweils drei Leute zwei Rationen aus, solange die Häftlinge sich nicht empörten. Das Lager unterlag einer gewissen Anstalts-ordnung. Offensichtlich gab es hier nur §58-er, - Heinrich sah weder Diebe noch Bytowiki (kleine Alltagsgauner).
Dort waren viele Esten, Litauer, Letten, auch Deutsche. Die Gefangenen starben in Massen, vor allem Deutsche aus dem Kaukasus.
Heinrich arbeitete dort in der Instandsetzungsbrigade und hielt sich nicht außerhalb der Zonen auf. Dann riefen sie ihn eines Tages zu sich, damit er auf einem Fetzen Papier das Urteil "10 Jahre Kraslag" unterschrieb. Die gleiche Frist erhielt auch WEIS, aber KREIS und BRAK bekamen 8 Jahre. Im AKTJUBLag saßen sie etwa zwei Monate und gelangten dann alle zusammen mit dem Gefangenentransport ins KRASLag.
Der Gefangenentransport war lange unterwegs, ging über verschiedene Durch-gangslager, und erst im Oktober 1943 gelangten sie nach KANSK, im Gebiet KRASNOJARSK, direkt in die "Hauptstadt" des KRASLag (bis zum Jahr 1948).
Dort kamen Heinrich und seine Landsleute zunächst in die Zone in KANSK, wo die Häftlinge Flößholz aus dem Fluß Kan herausholten, sie zu Stapeln aufschichteten und dann in Waggons luden. Im November oder Dezember 1943 jagte ein Gefangenentransport aus 200-250 Häftlingen bei starkem Frost zufuß von KANSK über IRBEJ nach TUGATSCH im Kreis SAJAN. Dort befand sich eine Lagerabteilung des KRASLag mit einer Holzfäller-Kommandierung, verstreut in den Bergen zwischen dem KAN und seinem rechten Nebenfluß KUNGUS, sowie einer Dorfwirtschaftszone, und dazwischen die Sub-Lageraußenstelle für Frauen - SAMSONOWKA. Eine gesonderte Gruppe der Holzfäller-Außenstelle befand sich am Flüßchen SCHEDARBA, am linken Nebenfluß des KUNGUS, - die NEUE, ALTE, UNTERE und OBERE SCHEDARBA.
Heinrich geriet zunächst an die NEUE, danach an die OBERE SCHEDARBA. Mit ihm kam BRAK, der dort mit dem Traktor arbeitete, aber dann wurde er in eine andere Kommandierung versetzt; über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Heinrich war die erste Zeit bei den Holzfällern und hätte vermutlich nicht überlebt, wenn man ihn nicht in eine Fahrer-Brigade versetzt hätte - um Holz in die unteren Lager zu fahren. Die Zone bestand aus etwa 10 Baracken für die Häftlinge, in jeder von ihnen wohnte eine Brigade aus ca. 40 Leuten. Bei Erfüllung der Normen standen einem eine Ration von 600 gr zu, bei Nichterfüllung 400 gr, "Stoßarbeiter" erhielten bis zu 1200 gr. Außer dieser brachte man zu verschiedenen Zeiten gefrorenen Kohl, Futterrüben, manchmal Balanda - Wasser mit einer kleinen Handvoll Graupen am Boden der Schüssel.
Anfang 1944 wurde Heinrich krank, eine beginnende Nierenentzündung, und man brachte ihn auf dem Schlitten nach SAMSONOWKA (die Dorfwirtschafts-Lager-außenstelle der Frauen), wo es einen guten Chirurgen gab - ein Kasache (Urasbaew). Die Operation verlief erfolgreich, er begann zu genesen, aber sie entließen ihn vorzeitig und brachten ihn zurück an die OBERE SCHEDABRA. Es war Ende April oder Anfang Mai 1944, und die Flößersaison begann. Heinrich bat den Feldscher, ihn bis zur vollständigen Genesung zu einer leichteren Arbeit zu versetzen, aber stattdessen kam er zur Straf-Lageraußenstelle (Matwejew Kljutsch), unweit von TUGATSCH und blieb dort bis 1950.
Von der Außenstelle an der Schedarba unterschied sie sich durch die große Anzahl von Wachmännern, aber die Lebensweise war genauso. Die Baracken waren nachts nicht verschlossen. Hier arbeitete Heinrich in der Brigade von Wassilij Girin (Girin saß offenbar nicht wegen des §58), rodete Baumstümpfe für die Harzgewinnungs-fabrik.
Hier traf er einen Nachbarn aus dem gleichen Dorf, den man 1937 verhaftet hatte - innerhalb der (Sicherheits) Zone arbeitete er im Speisesaal. Er erzählte, daß es hier eine Zeit gegeben hätte, als die Häftlinge Pferde-Zaumzeug kochten und aßen - die Riemen vom Kummet.
Im Jahre 1950 begann man alle §58-er abzutransportieren, in der Zone blieben nichts als Bytowiki (kleine Alltagsgauner) und Diebe zurück. Wie sehr sich auch der Vorgesetzte anstrengte, gute Arbeiter zurückzubehalten, seien es auch §58-er, so schickte man dennoch im Herbst 1950 die Verbliebenen fort, unter ihnen auch Heinrich. Der Gefangenentransport ging in Richtung STEPLag, zum Bau des BALCHASCHSKER Kupfer-Schmelzofen-Kombinates. Das war ein Lager mit einem besonders strengen Regime, einer besonders strengen Anstaltsordnung. Die Baracken wurden in der Nacht abgeschlossen.
Am 26.05.52 wurde Heinrich mit einer Bescheinigung aus dem Lager entlassen und auf der Stelle mit einem Verbannten-Transport nach KRASNOJARSK geschickt, mit einer ein-wöchigen Unterbrechung im NOWOSIBIRSKER Durchgangslager.
In KRASNOJARSK wurden sie noch eine Woche im Gefängnis festgehalten und dann in die Sondersiedlung, unmittelbar in KRASNOJARSK, entlassen, - um im 72ten Bau-Trust zu arbeiten, der ausschließlich auf der Zwangsarbeit der Verbannten beruhte.
Am gleichen Tag wurde Maria Andrejewna Laba befreit, die dann Heinrich heiratete.
Die Kommandantur wurde 1956 aufgehoben. Heinrich wurde 1957 rehabilitiert, aber die Bescheinigung darüber erhielt er erst 1962, als er eine Anfrage einbrachte. Mitte der 50er Jahre fand ihn in Krasnojarsk I. G. KREIS, der aus der Verbannung entlassen worden war und nach Hause in das Gebiet Omsk fuhr. Er erzählte, daß er und BRAK an der UNTEREN SCHEDARBA inhaftiert gewesen und 1950 freigelassen worden wären, und man sie dann in den Kreis KASATSCHINSK in die Verbannung geschickt hätte, wo er in der Holzverarbeitung bzw. in der Eisen-bahnschwellen-Fabrik gearbeitet hatte. Kreis starb etwa 1985.
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