Die Massenverbannung der Bauern, diese "Bauernpest" ("Archipel GULAG", Teil 6, Kapitel 2), brach gleich zu Beginn des Jahres 1930 über unsere Region herein: sowohl in Form von Verbannungsströmen aus anderen Regionen, als auch in Form von Deportationen unterschiedlicher Größenordnung (sowohl mit Massencharakter, als auch vereinzelte) - innerhalb der Region, aber auch außerhalb, jenseits ihrer Grenzen.
Diese Verbannung trug in der UdSSR die offizielle Bezeichnung "die Kulakische", die Verbannten selbst wurden "Kulaken" genannt. Obwohl in Wirklichkeit bereits in den zwanziger Jahren keine Kulaken (ländliche Wucherer) mehr existierten. Aber die Kommunisten sprachen von "Kulaken" und brachten auf grausame Weise all jenen Bauern (übrigens nicht nur Bauern) ihren Haß entgegen, die in der Lage waren, sich und ihre Familie durch der eigenen Hände Arbeit zu ernähren, ohne "Hilfe" der staatlichen Mächte. Solche
Leute zählte die "Sowjetmacht" während ihrer insgesamt siebzig Jahre dauernden Existenz zu ihren schlimmsten Feinden.
"Als Rechtsgrundlage" für die Repressionen diente der Beschluß des Zentralen Exekutiv-Komitees und des Rates der Volkskommissare vom 01.02.30, obwohl Massen-Deportationen bereits ab 1929 einsetzten.
Die Richtungen der Verbannungsströme hingen mit der territorialen Aufteilung Sibiriens zusammen. Im Sommer 1930 dachten die Bolschewiken sich aus, das sibirische Territorium in einWestsibirisches, wie bisher mit dem Zentrum in Nowosibirsk (darin wurden das Chakassische Autonome Gebiet sowie die Bezirke Atschinsk und Minussinsk eingeschlossen), und ein Ostsibirisches Gebiet, mit Irkutsk als Zentrum (die Spuren dieser Aufteilung haben sich in unserer Region in den Postleitzahlen bewahrt: 662 - WSG, 663 - OSG), zu unterteilen.
Und seit dieser Zeit haben sich die Verbannungsströme aus West- und Ost-Sibirien fast nie gekreuzt. Die Deportationen gingen innerhalb der Grenzen dieser Gebiete vor sich (Aus-nahme - der Verbannungsstrom aus dem Altaj in die Siedlungen Muntul und Imba am Angara-Fluß im Jahre 1931 sowie die Verschleppung von Bauern aus dem Kansker Gebiet nach Narym im Jahre 1933). Jedoch trifft diese Aussage lediglich in bezug auf unsere Region zu: so wurden 1933 aus dem heutigen Gebiet Tschita (damals gehörte es zum OSG) Bauern und Kosaken in das Westsibirische Gebiet (nach Narym und Wassjugane) verschleppt, und sogar, in großer Anzahl, nach Kasachstan.
Die Bauern-Verbannung war unbefristet. Eine andere Sache ist die, daß ein gewisser Teil der Bauern in jener Periode auch in eine "befristete" Verbannung geriet, die für gewöhnlich durch Entscheidung der "Sonder-Trojkas" rechtskräftig wurde. So verbannte man nicht weniger als tausend Bauern mit Frist aus Westsibirien in das "Turuchansker Gebiet". Aber nach deren Verbüßung ließ man sie in der Regel nirgends frei hingehen, sondern behielt sie als "Kulaken-Arbeitsumsiedler" in der Verbannung.
Ganz am Ende der dreißiger Jahre (1939-1940) begann man damit, in Igarka, Jenissejsk und Maklakowo, in Kansk sowie Krasnojarsk jene Bauern freizulassen, die bereits als Minder-jährige in die Verbannung geraten waren (gemäß Verordnung des Obersten Sowjet-Präsidiums der UdSSR von 1938). Aber in den ländlichen Gebieten geschah dies nicht.
1942 wurden viele Verbannte (aber bei weitem nicht alle), die kriegstauglich waren, freigelassen und sogleich an die Front geschickt. An einigen Stellen wurden danach deren Familien aus der Verbannung entlassen, an anderen Orten nicht.
Die Freilassung von Bauern-Verbannten vollzog sich in unserer Region im Sommer-Herbst 1947. In einigen Verbannungsorten händigte man den freigelassenen Verbannten Beschei-nigungen über ihre Freilassung aus (so wurde es in allen Städten gehandhabt, aber auch z. B.in den an der Angara gelegenen Kreisen), in anderen (z.B. am Fluß Tschulym) nicht.
Für gewöhnlich gab man aufgrund dieser Bescheinigung sogleich Pässe aus, wobei den Freigelassenen dann sehr häufig (wenngleich auch nicht überall, es sind Ausnahmen bekannt) die Bescheinigung wieder abgenommen wurde.
Zuverlässige Angaben über eine spätere (nach 1947) Freilassung von verbannten Bauern liegen in bezug auf unsere Region nicht vor. Man muß berücksichtigen, daß an jenen Orten, wo niemand die Freilassungen offiziell bekannt gab und entsprechende Bescheinigungen nicht ausgegeben wurden, die Verbannten überhaupt nicht wissen konnten, daß sie freigelassen worden waren. So gab man den ehemaligen Verbannten in den am Tschulym gelegenen Siedlungen des Tjuchteter und Biriljusser Kreises im Jahre 1954 plötzlich, völlig überraschend, Pässe aus. Es erscheint vollkommen natürlich, daß sie gerade dieses Ereignis als Freilassung aus der Verbannung ansahen.
In vielen anderen Regionen ließ man die verbannten Bauern später frei als in unserem. Im Gebiet Tomsk wurde ein Teil von ihnen 1948 befreit, die übrigen erst im Jahre 1950. Ganz am Ende der vierziger Jahre wurden auch die verbannten Bauern im Gebiet Tjumen in die Freiheit entlassen. Im Gebiet Kemerowo, besonders im Kusbass-Becken, hielt man sie letztendlich bis einschließlich 1954 in der Verbannung fest!