Viele Mißverständnisse ruft die Zahl 60 Millionen hervor. Eine solche Zahl (und sogar 100 Millionen) nennen Demographen, die den Bevölkerungsrückgang in der UdSSR als Resultat des Massenterrors untersucht haben. Aber hierbei handelt es sich nicht um die Zahl der Umgekommenen, sondern eine errechnete Zahl, einschließlich ungeborener Kinder, das heißt Kinder, die geboren wären, wenn ihre potentiellen Eltern am Leben geblieben wären.
Andererseits wurden vom Sowjet-Terror nicht weniger Millionen ausländischer Bürger heimgesucht, vor allem jene, die unter sowjetische Okkupation gerieten (in Polen, Rumänien, den baltischen Ländern, China, Korea, Deutschland und anderen europäischen Staaten). Viele von ihnen wurden erschossen, viele kamen in der Verbannung oder in Lagern um.
Man muß auch berücksichtigen, daß die Zahl der Umgekommenen sogar noch größer sein könnte, als die der Repressionsopfer! Denn die Opfer des "Hungerterrors" in den Jahren 1932-1933 (in der Ukraine, im Kuban-Gebiet, in Kasachstan) wurden formell gar nicht unterdrückt: man verhaftete sie nicht und schickte sie auch nicht in die Verbannung, man nahm ihnen einfach nur die Lebensmittel weg. Ein typischer Fall von Mord "ohne Blutvergießen". Viele meinen, daß man hier auch die Leningrader Blockade hinzurechnen muß: jedoch ist nicht ganz deutlich, wer dort blockierte - die Wehrmacht oder das NKWD (Volkskommissariat für Inneres)?
Von daher ist es offensichtlich, daß man zwei Begriffe nicht miteinander verwechseln darf: "Repressionsopfer" und "Opfer des Regimes". Die zweitgenannten bilden eine breitere Zahl als die Ersten.
Gelegentlich hört man eine sehr dumme Frage: und weshalb gibt es in Kasachstan so wenige Kasachen, weniger als die Hälfte? Und im Norden und Osten überhaupt keine? Deswegen, weil im Jahre 1933 in Kasachstan nur ein Drittel aller Kasachen geblieben ist: ein Drittel kam vor Hunger um, als die Kommunisten ihnen, den Nomaden-Viehzüchtern, das gesamte Vieh ausrotteten, um sie zu einer "seßhaften Lebensweise zu führen" (wobei es schwierig ist, Nomaden unter Kontrolle zu halten), und ein weiteres Drittel flüchtete mit seinen Herden über die Grenze ins chinesische Sinchiang.
Man muß verstehen, daß im Prinzip keine genauen Zahlen über die Opfer des Regimes existieren, man kann allenfalls von Maßstäben reden. Wie, in welchem Verhältnis, soll man zum Beispiel 35 Millionen Staatsangehörige der UdSSR zwischen Stalin und Hitler aufteilen, die im Krieg umgekommen sind? Und auch diese Ziffer strahlt offenkundig keine Genauig-keit aus: erinnern wir uns, daß sie vor 10 Jahren 15 Millionen weniger betrug. Hatte doch Hitler ohne Hilfe der UdSSR (d. h. der AKP/B (Allunionskommunistischen Partei der Bolschewiken) und der Komintern) keine reale Chance für die Machtergreifung in Deutsch-land. Auf wessen Konto gehen also die Opfer des 2. Weltkrieges?