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Allrussische Protestaktion gegen den Gesetzesentwurf der Staatsduma über die Abschaffung von Vergünstigungen sowie Änderungen im Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation


Fotoreportage


Wer hätte es für möglich gehalten, daß „Memorial“ 
zusammen mit Kommunisten an ein- und demselben Streik teilnimmt?


Aber die derzeitigen Machthaber stehen allen bereits „bis hier“!


„Memorial“ ging in dieser Protestaktion gemeinsam 
mit der Krasnojarsker Vereinigung der Opfer politischer Repressionen auf die Straße


Natürlich standen wir nicht dort, wo sich die erregtesten Gemüter befanden ...


Aber was wir zu sagen hatten, haben wir gesagt!

Reaktionen auf das Gesetzesvorhaben der Regierung zu Änderungen im Gesetz über die Rehabilitation von Opfern politischer Repressionen

Alexej Babij („Memorial“ Krasnojarsk):

Der Staat des 20.Jahrhunderts hat ungeheure Verbrechen begangen. Millionen von Menschen, die an Massenhunger und hinter den Stacheldrahtzäunen der Lager umkamen, Millionen von Menschen, die von ihrem Land vertrieben wurden und schweren Schaden durch die alle Kräfte übersteigende Zwangsarbeit genommen haben. Die Regierung der Russischen Föderation ist nicht der Meinung, daß den Opfern der politischen Repressionen durch den Staat körperliche und seelische Leiden verursacht wurden. Um es ganz einfach zu sagen - ja, wir haben euch erschossen, in die Verbannung geschickt und in Lager gesteckt. Aber wir tragen dafür nicht die Verantwortung.

Es geht doch noch nicht einmal um die Vergünstigungen (obwohl der Staat auch in dieser Hinsicht den Menschen geradewegs ins Gesicht spuckt, ihnen, die irgendwann einmal schrecklich gekränkt und ausgeplündert wurden). Es geht vielmehr darum, daß sich der Staat, nachdem sich er sich für vergangene Unterdrückungsmaßnahmen der Verantwortung entledigt hat, wohl auf neue Repressionsmaßnahmen vorbereitet. Der Richtungspfeil einer solchen Entwicklung ist offensichtlich - es genügt schon, einige Tage lang die Programme von ein oder zwei Fernsehsendern anzusehen.

Wjatscheslaw Bitjutskij („Memorial“ Woronesch):

Im Text des gesamten Gesetzesentwurfes werden die Begriffe Vergünstigungen und Kompensationszahlungen durch den allgemeinen Ausdruck der „sozialen Unterstützung“ ersetzt. Die Folgen einer solchen „stilistischen Korrektur“ sind unschwer zu erkennen, denn über Formen und Umfang einer sozialen Unterstützung, ihre Gleichwertigkeit mit jenen Vergünstigungen und Kompensationen, wie diese Begriffe früher in dem einen oder anderen Gesetz verstanden wurden, wird kein Wort verloren. Die sogenannte „soziale Unterstützung“ von Rehabilitierten wird in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Subjekte (die einzelnen Republiken, autonomen Regionen, usw.; Anm. d. Übers.) der Russischen Föderation realisiert, d.h. mit den gar nicht existierenden Gesetzen der Subjekte der Russischen Föderation. Aber das Vorhaben zieht keinerlei Garantien für ihre vollständige Übereinstimmung mit dem geltenden Gesetz in puncto Art und Umfang von Vergünstigungen und Kompensationszahlungen in Betracht. Auf diese Weise verwandelt sich eine für den Staat in der heutigen Zeit angemessene Kompensation für erlittene materielle Verluste in eine Kompensation, wie sie für jedes Subjekt der Russischen Föderation angemessen und möglich wäre, und das bedeutet unter Umständen auch ganz einfach „gleich Null“.

Der Vorschlag, den Begriff des seelischen Schadens aus den Text-Präambeln zu streichen, kann ein Beweis dafür sein, daß die Regierung der Russischen Föderation nicht den Tatbestand anerkennt, daß Opfer politischer Repressionen aufgrund von ungesetzlichen Verfolgungsmaßnahmen physischen und seelischen Leiden ausgesetzt waren. Dieser Umstand kann von der Gesellschaft nur als Verachtung und Schmähung verstanden werden, der nicht nur auf die Opfer der Repressionen erniedrigend wirkt, sondern auch für all jene russischen Staatsbürger, welche die Erinnerung an die ungeheuerlichen Ungesetzlichkeiten des totalitären kommunistischen Regimes und seine Opfer bewahrt haben. Das vollständige Verschweigen der Schuldigen an den Verbrechen in dem neuen Textentwurf kann man als stillschweigenden Freispruch werten.

Leonid Trus („Memorial“ Nowosibirsk):

Es handelt sich hier nicht um das „Einbringen von Änderungen“, sondern vielmehr um eine Umwandlung ins genaue Gegenteil, nämlich ein Gesetz über die Wiederherstellung der Repressionen selbst - der vergangenen und folglich auch der zukünftigen. Bei all seinen Unzulänglichkeiten tritt das derzeit noch geltende Gesetz dennoch als ein Akt der Buße seitens des russischen Staates in Erscheinung, dafür, daß er die Gesetze und Rechtserlasse der Sowjets übernommen hat, und von diesem Standpunkt aus gesehen spielen die Worte der Präambeln über die Kompensation seelischen Schadens eine konzeptionelle Rolle, sie kennzeichnen nämlich, wohin sich dieses Gesetz in allernächsten Zeit entwickeln wird.

Die vorgeschlagenen Änderungsentwürfe stellen eine zynische Ablehnung der Reue dar, die Verweigerung der Verantwortung des Staates (als Übernehmer der Gesetze von den Sowjets) für seine Übeltaten und Verbrechen. Den „Subjekten der Russischen Föderation“ wird nicht nur die finanzielle Bürde der Gewährleistung von „Vergünstigungen“ auferlegt, auf ihrer „subjektiven“ Gesetzgebung (die es noch gar nicht gibt und von der auch nicht bekannt ist, welcher Art diese sein wird) lastet auch noch die Verantwortung an sich - für die Verbrechen des Sowjet-Regimes in ihrer Gesamtheit.

Wobei sich dies nicht nur auf das eigene Volk bezieht. Politischen Repressionen waren schließlich auch Bürger anderer Staaten ausgesetzt. Bei welchen „Subjekten der Föderation“ fordern sie denn nun Entschädigungen für den erlittenen Schaden? (Es wäre sehr interessant zu erfahren, ob in Deutschland die Verantwortung für die Verbrechen des Nazi-Regimes ebenfalls auf die regionalen Bundesländer abgewälzt wird?)

Igor Saschin („Memorial“ Syktyvkar):

Im Jahre 2004 verkünden Leute, die an der Macht stehen, daß Verbrecher die Ungesetzlichkeiten und Gewaltakte verübt haben, vollständig von ihrer Schuld freigesprochen werden. Die Ausübung von Gewalt über Millionen unschuldiger Mitbürger wird im Jahre 2004 als normales Geschehen anerkannt. Und das bedeutet, daß der Staat von der Idee überzeugt ist, daß die Macht im russischen Staat, falls unbedingt erforderlich, das Recht besitzt den Genozid durchzuführen und Millionen von Menschen ihrer Rechte auf Leben und Freiheit zu berauben. Außerdem hat der Staat verkündet, daß Millionen Opfer gewaltsamer Vertreibung, ungesetzlichen Freiheitsentzuges, Foltern und Tod, in seelisch-moralischer Hinsicht nicht gelitten haben.

Der Staat hat im Jahre 2004 weiterhin verkündet, daß er, indem er sich als Nachfolger des Sowjet-Regimes anerkennt, die Verantwortung vor der internationalen Gemeinschaft wahrt, jedoch die Pflichten und Schulden vor seinen eigenen Mitbürgern nicht eingesteht. Die Verantwortung für die hier vorliegenden Pflichten wurde vollständig auf die örtlichen Machtorgane abgewälzt, die nur als Nachfolger der lokalen Verbrecherorgane angesehen werden können, welche zwischen 1917 und 1991 an der Macht waren, und die nur teilweise die Verantwortlichkeit auf gleicher Linie mit den föderalen Mächten teilen können.

Wenn man die oben genannten Erklärungen begriffen hat, dann kann man sagen, daß die Regierung der Russischen Föderation, nachdem sie Anfang Juni den Gesetzesentwurf zur Korrektur des Gesetzes "Über die Rehabilitationen" in die Staatsduma der Russischen Föderaton eingebracht hat, alle verbrecherischen Aktivitäten gerechtfertigt und entschuldigt hat, welche die Machthaber in Rußland in den Jahren 1917 bis 1991 verübt haben. Und somit hat sie auch die Verantwortung für die Verbrechen des Sowjet-Regimes von den derzeitigen Machthabern Rußlands genommen, zu deren Erben und Nachfolgern sie sich selbst erklärt hat. 


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