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Brief an P.I. Pimaschkow vom 14.12.2004

Krasnojarsker Gesellschaft für Geschichtsaufklärung, Menschenrechte und wohltätige Zwecke „MEMORIAL“
660049, Krasnojarsk, Postfach 25491    Tel. 65-13-85    E-mail memorial@maxsoft.ru memorial.krsk.ru

Ausg. 175-04 vom 14.12.2004

Über die Errichtung eines Stalin-Denkmals in Krasnojarsk

An den Leiter der Krasnojarsker
Stadtverwaltung P.I. Pimaschkow

Sehr geehrter Petr Iwanowitsch!

Wir sehen uns gezwungen, auf die Initiative der Kommunisten zur Aufstellung eines Stalin-Denkmals zu regieren.

Wir wissen nicht, wodurch sie sich haben leiten lassen, als sie diese Idee vorschlugen: der Gedanke, in dieser Form auf sich aufmerksam zu machen, der Wunsch, eine Plattform für ihre Kundgebungen zu bekommen oder der heimliche Traum von einer Revanche oder der Rückkehr zur grausamen Diktatur. Vielleicht haben sie es aus dem einen oder anderen oder einem dritten Grund getan.

Wir können eine solch himmelschreiende Unüberlegtheit und Taktlosigkeit nicht zulassen.

Wir befassen uns mit der Wiederherstellung und Wahrung der Erinnerung an diejenigen, die unschuldig unter Stalin zu leiden hatten. In diesem Sinne erklären wir, dass die stalinistischen Verbrechen in der Region ganz erheblich sind. Nach Angaben der Kreisverwaltung des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) wurden in unserer Region allein in den Jahren 1937 und 1938 mehr als 12.000 Personen aufgrund der sogenannten „Höchstgrenze der 1. Kategorie“ erschossen. Diese Erschießungslimits zeichnen sich dadurch aus, dass sie von Stalin persönlich unterzeichnet wurden. Außerdem wurden gerade kürzlich die sogenannten „Erschießungslisten“ veröffentlicht, die ebenfalls seine eigene Unterschrift tragen. Viele von ihnen sind mit Krasnojarsk verknüpft. Und außer dieser „ersten“ gab es auch noch die Höchstgrenzen nach der „zweiten“ (der Häftlings-) Kategorie. Alles in allem wurden nach den Angaben der Regionsverwaltung des Föderalen Sicherheitsdienstes etwa 60.000 Menschen in der Region Krasnojarsk schuldig gesprochen, die jetzt inzwischen rehabilitiert sind. Nach den vorliegenden Daten des Archivs der Hauptverwaltung des Innern der Region Krasnojarsk wurden ferner weit über 200.000 Menschen hierher verschleppt, nicht eingerechnet diejenigen, die hierher gerieten, um eine Freiheitsstrafe in einer Haftanstalt zu verbüßen.

Die Archivakten des NorilLag sind vernichtet worden, aber im Archiv der Hauptverwaltung des Innern findet sich ein Teil der Lager-Kartei mit Angaben über 270.000 Personen. Und es gab ja noch das KrasLag, die Hauptverwaltung der Jenisej-Lager und eine Vielzahl anderer Lagereinrichtungen. Wieviele tausend Menschen beim Bau der „Todesstraße“ Salechard – Igarka ums Leben gekommen sind – das sagt uns heute niemand.

Am Leben sind noch die Kinder und Verwandten dieser unzähligen, unschuldigen Opfer. Muß man denn ihre bittere Erinnerung kränken, entweihen und zum Protest aufwiegeln? Braucht unsere Region einen solchen Ruf im Jubiläumsjahr?

Was den von den Initiatoren erwähnten Anlaß der 60-Jahrfeier des Großen Sieges betrifft, so verdient Stalin aufgrund der Kriegsresultate keine Verherrlichung, sondern vielmehr einen Richterspruch.

Zehn Jahre, sich im Blut badend, hat das Land sich auf den Krieg vorbereitet. Aber als der Krieg dann kam, zeigte es sich, dass wir ganz und gar nicht darauf vorbereitet waren. „Der Weise und Scharfsichtige“ hatte den Verrat seiner Kampfgefährten beim Ribbentrop-Molotow-Pakt (Nichtangriffspakt; Anm. d. Übers.) nicht vorhergesehen, besaß keinen Verteidigungsplan, hatte die militärischen Befestigungsanlagen abtragen und keine neuen errichten lassen. Die Schmach und die Niederlage in den ersten Kriegsmonaten und –jahren, als fast die gesamte Stamm-Armee umkam und der Feind bis nach Moskau und die Wolga vorstieß, die Millionen „Dampfkessel“ des Leidens und des Elends, die das Volk in den besetzten Gebieten durchmachen mußte – wer trägt dafür die Verantwortung? Etwa die Generäle, die Stalin haufenweise erschießen ließ? Oder die unglückseligen Spielzeugsoldaten, die Stalin in die Gefangenschaft schickte, sie zu Verrätern erklärte und nach dem Krieg aus den faschistischen Lagern in sowjetische verlegte?

Hat sie gut gekämpft, diese Armee, deren Verluste die des Gegners um das Fünffache übertrafen? Die Menschen seines Landes waren für Stalin ein Nichts, auch die Soldaten bedeuteten ihm nichts. Ein Beispiel: die Einnahme der Stadt Kiew am 7. November – auf Befehl Stalins, mit kolossalen, völlig unnötigen Verlusten, einfach nur so – aus Eigensinn. Ähnliche Beispiele könnte man endlos weiter aufzählen.

Aber ist es nicht an der Zeit, nach 60 Jahren endlich den Schuldigen zu benennen?

Es ist wohl nicht angemessen, alle „Taten“ Stalins in diesem Brief genau zu besehen, aber wir versichern Ihnen, dass die bittere Erinnerung an sie im Volk noch nicht erloschen ist.

Wir brauchen Denkmäler und Symbole, welche die Gesellschaft vereinen, aber nicht solche, die auf ihre Spaltung hinauslaufen. Die Errichtung eines Stalin-Denkmals gehört in die Kategorie jener Projekte, die auch den Körper Lenins aus dem Mausoleum entfernt und die Lenin-Denkmäler abgerissen haben. Mögen das unsere Enkel entscheiden.

Wir hoffen auf Ihre wohlabwägende und weise Entscheidung in dieser äußerst kritischen Frage.

Hochachtungsvoll
der Vorsitzende der krasnojarsker Geselslchaft für Geschichtsaufklärung,
Menschenrechte und wohltätige Zwecke „Memorial“,
der stellvertretende Vorsitzende der regionalen krasnojarsker Vereinigung
der Opfer politischer Repressionen                              A.A. Babij


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