Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

Bruchstücke der Erinnerung auf der Leinwand der Geschichte

Für die Einwohner von Igarka ist der Tag zum Gedenken an die Opfer politischer Repressionen keine einmalige Angelegenheit, an die man sich von Zeit zu Zeit einmal erinnern wird. Jeder Bewohner der Stadt Igarka versteht den Sinn der Worte „politisch verfolgt“: sofern Sie hier nicht selbst aus einer Familie politisch Verfolgter stammen, so leben Sie doch zumindest Tür an Tür mit ihnen, arbeiten mit ihnen zusammen oder sind irgendwann einmal gemeinsam mit ihnen zur Schule gegangen. Mit jedem Jahr entfernen sich die Ereignisse der 1930er bis 1950er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein Stückchen weiter von uns. Es kommen neue Generationen, die über die Ereignisse längst vergangener Zeiten immer weniger wissen. Was kann man tun, damit die Verbindung zwischen den Generationen nicht abreißt, damit sich die schreckliche Praxis der Staatsführung vergangener Jahre nicht wiederholt?

Am 30. Oktober 2004 wurde auf dem Territorium des Heimatkunde-Komplexes „Permafrost-Museum“ eine Zusammenkunft zum Gedenken an die Einwohner von Igarka abgehalten, die unter den Repressionen zu leiden hatten. Hier auf dem Museumsgelände, nicht weit von den Baracken der ehemaligen Sonderumsiedler entfernt, wurden Gedenktafeln errichtet: von Litauern, die niemals zum Sterben hierher verschleppt worden waren. Sie tragen die Aufschrift „Zum Gedenken an die Leiden der 1948 unschuldig nach Igarka Verschleppten 5560 litauischen Staatsbürger“. Eure Landsleute“. Und von den Bewohnern Igarkas die Aufschrift: „Zum Gedenken an jene, die in den Jahren der politischen Verfolgungen unschuldig gelitten haben“.

In diesem Jahr wurde vom „Permafrost-Museum“ ein Veranstaltungsprogramm vorgestellt, das dem Tag zum Gedenken an die Opfer politischer Repressionen gewidmet ist. Man schlug den Einwohnern von Igarka die Teilnahme an der Herstellung einer gesamtstädtischen Patchwork-Arbeit vor, einem sogenannten „Quilt“. Ein Quilt wird in Bruchstück-Technik hergestellt (er wird aus passenden Stoffstücken zusammengenäht, die zu einem bestimmten Bild oder Muster zusammengefügt werden). Zur Teilnahme am Wettbewerb wurden Minderjährige (Schüler der 7.-11. Klassen) eingeladen, aber auch Gruppen aus der Bevölkerung (Familien, Arbeits- sowie kulturell engagierte Kollektive, gesellschaftliche Organisationen, verschiedene Vereinigungen). Jede Teilnehmergruppe sollte nach ihren Vorstellungen eine Leinwand von 2 mal 2 m Größe vorbereiten, die anschließend mit den anderen Quilts zusammengefügt werden sollte.

Insgesamt 16 Gruppen befaßten sich mit der Kreation der symbolischen Muster: Kollektive aus den Bildungseinrichtungen (Kindergärten, Schulen, Zentrum für kulturelle Kinder-Aktivitäten, Kinder- und Jugend-Turnverein), kulturelle Einrichtungen (Permafrost-Museum, städtisches Haus der Kultur, Kunstschule für Kinder, Stadtbibliothek), soziale Einrichtungen (Zentrum für soziale Dienste für Bürger und Invaliden, Kinderheim „Sabota“) sowie der Rat der Veteranen und einzelne Bürger.

Mit den Teilnehmern der Aktion wurden verschiedene Themen, wie zum Beispiel Inhalte und Entwürfe, erörtert und eine Vielzahl von Besprechungen bezüglich der Herstellung der Quilts und der Geschichte politischer Repressionen in der Region Igarka in den 1930er bis 1950er Jahren abgehalten. Das Plan des „Bruchstückhafte“ beim fertigen Endprodukt wurde eingehalten, aber die Technik der einzelnen Quilts variierte in Abhängigkeit von den Möglichkeiten und Wünschen der Teilnehmer: Applikationen, Stoffbemalung, Art der Kollagen, u.a.

Am 28. Oktober wurde die vollständige Leinwand mit einer Größw von 8 mal 8 Metern an einem der Wohnhäuser im Zentrum der Stadt aufgehängt. Am folgenden Tag fand um 13 Uhr eine Zusammenkunft statt, die dem Gedenken an die Opfer politischer Repressionen gewidmet war und eine literarisch-musikalische Komposition, die Präsentation der Gedenk-Leinwand (des Quilts) und eine Schweigeminute beinhaltete.

Das Polarwetter „weinte“; seit dem Morgen des 28. Oktober war zur Verwunderung der Alteingesessenen und der Wetterbeobachter Regen gefallen, und dann, im Verlaufe weniger Stunden, gab es einen heftigen Temperatursturz, und die Vorübergehenden fühlten, wie sich unter ihren Füßen das Wasser und der Schneematsch in Eis verwandelten. Am 29. Oktober

kam ein starker Wind auf, und nicht nur einmal fielen heftige Schneeschauer, aber während der Zusammenkunft fand merkwürdigerweise, buchstäblich für eine Stunde, eine bemerkenswerte Wetterberuhigung statt. Offensichtlich war es der Natur auch nicht gleichgültig, derer zu gedenken, die unschuldig gelitten hatten ...

Die gemeinsame Gedenk-Leinwand können sich die Bürger noch einige Tage ansehen. Dann geht der Quilt zur Verwahrung in den Bestand des „Permafrost-Museums“ über.

Viktoria Alexandrowna Sergejewa, Haupt-Verwahrerin des Museums

Fotos: A. Bytschin, A. Toschtschew.

 


Bildvergrößerung: s. hier (400 K)

 


Zum Seitenanfang