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Tag der Erinnerung an die Opfer der politischen Repressionen. 27. Oktober 2016, Siedlung Tugatsch, Sajan-Bezirk

In Tugatsch gab es damals ein OLP (Lager-Außenstelle) des Kraslag (das Tschugatschinsker OLP), später wurde es dem Tugatschinsker Lager zugeordnet, allerdings nach einem Jahr geschlossen.
In der Umgebung des OLP entstand eine Siedlung für die Lager-Mitarbeiter; später, als die Lager geschlossen wurden, nannte man dies die Siedlung Tugatsch. Am Standort des ehemaligen Lagers wurde ein forstwirtschaftlicher Betrieb organisiert. Die einstigen Lagerwachen, die sich hier bereits mit Häusern und Gemüsegärten ausgestattet und eingelebt hatten, fanden in der Waldwirtschaft Arbeit. Viele ehemalige Häftlinge, die nirgends hinfahren konnten (unter ihnen Deutsche, die in der Arbeitsarmee gewesen waren), nahmen nun ebenfalls hier eine Arbeit auf. Anfangs wohnten sie in denselben Baracken wie zuvor, nur ohne Stacheldraht und Bewachung, später bauten sie sich nach und nach kleine Häuschen. Nach einer gewissen Zeit vermischten sie sich und heirateten untereinander .

 


Ludmila Konstantinowa Miller, Tochter des ehemaligen Leiters der BUR (Baracke mit verschärftem Haftregime, d.h. der Straf-Baracke), die den Sohn eines
deutschen Arbeitsarmisten heiratete und in unseren Jahren ein Denkmal zu Ehren der Opfer der politischen Repressionen
in Tugatsch aufstellte und zwei Bücher der Erinnerung über die im Sajan-Bezirk verfolgten Menschen herausbrachte
Tamara Nikolajewna Petrowa, Tochter eines ehemaligen Gefangenen des Tugatschinsker OLP und heute Vorstand der Tugatschinsker Verwaltung;
Emilia Andrejewna Gortschatowa, Tochter eines deutschen Arbeitsarmisten des Tugatschinsker OLP, die sich zum ersten Mal an dem Ort aufhielt, an dem ihr Vater „eingesessen“ hatte

Die Lage des Lager-Friedhofs im Tugatschinsker OLP entspricht nicht der Norm. Üblicherweise liegt er ein-zwei Kilometer vom Lager entfernt, aber hier sind es buchstäblich nur hundert Meter von der Wohnzone, gleich hinter dem Pferdehof.


Man erzählt, dass die Gefangenen zunächst in Särgen bestattet wurden. Später trug man die Toten nur noch im Sarg bis zum Friedhof, kippten
sie dort in die Grube und brachten den Sarg dann wieder zurück, um ihn bis zur vollständigen Amortisation weiter zu benutzen.
Noch später verzichtete man gänzlich auf den Sarg und brachte die Leichen, auf Leiterwagen gestapelt, zum Friedhof.


An manchen Tagen starben mehr Gefangene, an anderen weniger. Daher haben die Gruben unterschiedliche Größen- einige sind größer, andere kleiner.
Soviel Platz man brauchte, o viel Erdreich wurde auch ausgehoben. Aber die Massengräber liegen mehr oder weniger parallel zueinander.
Offenbar wurden sie so ausgehoben, dass man sich dabei nach und nach immer weiter vom Lager entfernte.


Auf diesem Friedhof gibt es weder Tafel, noch Namen. Die Menschen wurden schlicht und ergreifend wie Hunde verscharrt.
Zuerst waren über den Gräbern noch kleine Hügel sichtbar, später fiel die Erde in sich zusammen,
und die Knochen samt Schädel kamen an die Oberfläche. Man musste neue Erde aufschütten.
Die Knochen traten nicht mehr hervor, aber die Gruben blieben. Zudem wurde nach und nach alles mit jungem Wald überwachsen.


Irgendwann, vor langer Zeit, stellte jemand ein Kreuz auf dem Grab auf, doch es vermoderte ebenfalls.

Obwohl sich der Lager-Friedhof praktisch an der Grenze der Siedlung befand, wussten viele Einwohner nichts von seiner Existenz. In den sechziger Jahren kamen die Knochen schon nicht mehr an die Oberfläche. Die Tugatschinsker Waldwirtschaft erlebte einen Aufschwung, viele neue Leute kamen, und der Friedhof überwachs allmählich mit jungen Bäumen.

Die neue Leiterin der Tugatschinsker Administration, Tamara Nikolajewna Petrowa, wurde in Tugatsch geboren, als das Lager bereits nicht mehr existierte, doch seine Spuren waren überall sichtbar. Tamara Nikolajewna arbeitete in Sosnowoborsk, Beresowka, und beschloss, nun in die heimatliche Siedlung zurückzukehren, die keine besseren Zeiten erlebt.

Eine der wichtigsten Dinge, die sie in Angriff nahm war den Lager-Friedhof wieder in Erinnerung zu bringen. Am 27. Oktober wurde an der Grenze zwischen Siedlung und Friedhof ein Kreuz aufgestellt. Obwohl sich herausstellte, dass es nicht ganz die Grenze war – als man die Erde für das Kreuz aushob, stieß man auf Knochen, so dass man das Loch wieder zuschütten und ein neues graben musste. Zu der Zeit wurde es bereits dunkel, und das Kreuz wurde verkehrtherum aufgestellt. Im Frühjahr wird man es noch einmal so errichten, wie es sich gehört...

Ja, natürlich kann man sagen, dass bei weitem nicht alle, die dort begraben liegen, orthodoxen Glaubens waren. Es waren wohl eher Lutheraner, da die meisten von ihnen deutsche Arbeitsarmisten gewesen waren, doch es gab auch Atheisten und Katholiken. Aber das wichtigste ist, dass man einen Anfang gemacht hat – jetzt befindet sich hier nicht einfach ein Wäldchen mit merkwürdigen Gruben, in dem man sich wie in einem beliebigen Wald verhalten kann. Hier gibt es einen Friedhof. Und irgendwelche wirtschaftlichen Unternehmungen dürfen hier nicht durchgeführt werden. Einstweilen nicht im juristischen Sinne, sondern im menschlichen. Denn es kommt häufig vor, dass man eine Begräbnisstätte ganz zufällig entdeckt, wenn ein Graben ausgehoben wird. Und leider geschieht es nicht selten, dass die sterblichen Überreste dann mit dem Bagger zusammengeschaufelt, auf Kipper verladen und zur Deponie gebracht werden. In Tugatsch passiert so etwas nun nicht mehr.

Der Anfang ist gemacht. Die juristische Gültigkeit des Friedhofs wird bestimmt werden und seine Verschönerung folgen. Geld wird dafür kaum jemand geben, aber in der Siedlung gibt es tatkräftige Männer und eine Menge Schnittholz. Aber von größter Bedeutung ist der vorhandene Enthusiasmus bei der Administrationsleiterin. Übrigens, das Denkmal für die Opfer der politischen Repressionen in Tugatsch (ich schrieb bereits darüber) fertigte, man kann wohl sagen mit seinen eigenen Händen, der vorherige Verwaltungsvorsteher, Nikolaj Starikow, an.

Zur Einweihung des Gedenkkreiúzes und zur Versammlung an der Gedenkstätte kamen die Dorfratsvorsitzenden des Sajaner Bezirks, anwesend war auch der stellvertretende Leiter der Bezirksverwaltung sowie andere Beamte aus dem Bezirk. Das heißt, es war ein Ereignis, das nicht nur innerhalb der Siedlung Bedeutung hatte, sondern auf Bezirksebene. Die Vorsitzenden der Dorfräte beschlossen einmütig, den Tag des Gedenkens an die Opfer der politischen Repressionenяти jährlich in Tugatsch als Bezirksveranstaltung zu begehen.

 

Vom Friedhof begaben sich die Menschen unmittelbar zum Denkmal für die Opfer der politischen Repressionen. Trotz der Kälte waren viele Menschen zusammen gekommen. Und anschließend drängten alle in den Saal des Klubhauses (genauer gesagt – des ehemaligen Dorfrats (denn der Klub fiel vor einigen Jahren den Flammen zum Opfer). Mitarbeiter des Klubs hatten eine kleine Ausstellung vorbereitet und erzählten von einigen Gefangenen des Tugatschinsker Lagers.

 


Hier fing die Wohnzone an.


Die Wohnzone befand sich an einem Hang. Und hier standen auch die Baracken.


Hier befand sich die Arbeitszone (oder Betriebszone).


Diese Straße trennte die Wohn- von der Arbeitszone. Die Wohnzone ist dort – wo sich heute die Einfriedung befindet.
Die Tore öffneten sich, es entstand ein Korridor. Abends wiederholte sich das in umgekehrter Reihenfolge.


Schematische Darstellung des Tugatschinsker OLP. Links sieht man die Arbeitszone, in der Mitte unten – die Wohnzone.
Oben – die Häuser der Lager-Mitarbeiter, den Stab usw. Unten – der Stausee und das Wehr.


Den Plan des Standorts für die Erschließung der Waldressourcen des Tugatschinsker OLPs haben Mäuse ordentlich angeknabbert, aber die wichtigsten Lageraußenstellen sind zu erkennen.
Die Karte, wie auch die vorherige, wird von Tamara Nikolajewna Petrowa sorgsam aufbewahrt.


Überreste des Wehrs, das von Gefangenen errichtet wurde. Im Winter brachte man das Holz mit Pferden über die Winterstraßen und lagerte es am Ufer der Tugatschinka.
Im Frühjahr wurden die Schleusen geöffnet, die Baumstämme wurden abgewaschen und in den Fluss Kann geschwemmt.
In den sechziger Jahren brauchte man das Wehr nicht mehr – das Holz wurde mit Lastwagen direkt zum Kann gebracht.

Fotos: Aleksej Babij

 


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