Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

Die Lager der Krasnojarsker Region

Lektion. Autor – A. Babij (unter Verwendung von Materialien, die von W.S. Birger vorbereitet wurden)

Einführung.

Sagen Sie – wann traten eigentlich die Konzentrationslager in Erscheinung? Und in welchem Land? Das erste Wort, das wir mit dem Begriff „Konzentrationslager“ assoziieren, ist doch das Wort „faschistisch“. Und sogleich erinnern wir uns an SS-Leute, Schäferhunde ...

Tatsächlich waren die deutschen Faschisten besonders fleißige Schüler. Aber die Konzentrationslager wurden 1918 auf Befehl Dserschinskijs gegründet, und in ihnen saßen all jene, die gegen die Sowjetmacht waren (na ja, oder jedenfalls die, welche nach Meinung der Bolschewiken gegen die Sowjetmacht hätten gewesen sein können).

Wenn man das in der heutigen Sprache ausdrückt, dann waren die Bolschewiken „ohne Skrupel“ und „ohne jegliches Maß“, weshalb sie eigentlich auch siegten – Anfang des 20. Jahrhunderts waren sie an eine derartige Vorgehensweise noch nicht gewöhnt. Für sie existierten keinerlei Regeln. Und es gab nur ein einziges Instrument – die Gewalt. In gewisser Weise kann man sagen, daß die Gegner der Bolschewiken versuchten, mit ihnen Schach zu spielen, aber jene warfen die Figuren einfach vom Brett herunter.

Nachdem sie mittels Gewalt gesiegt hatten, konnten die Bolschewiken sich auch nur durch Gewalt an der Macht halten. Und deshalb wurde jeder, der für sie auch nur in irgendeiner Weise eine Gefahr darstellte – erschossen oder in ein Konzentrationslager gesperrt.

In der ersten Zeit übernahmen die Konzentrationslager lediglich die Rolle von Isoliergefängnissen. Man bediente sich zwar der Zwangsarbeit, aber nur in ziemlich begrenztem Umfang, und sie spielte auch keine entscheidende Rolle für die Wirtschaft des Landes. Jedoch schon bald fanden sich in der Regierungsetage des Landes „helle Köpfe“, die darüber nachdachten, wie man am besten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte – sowohl die „Volksfeinde“ isolieren, als auch praktisch unentgeltliche Arbeitskräfte erhalten, und zudem die übrigen, die in Freiheit geblieben waren, grundlegend in Angst und Schrecken zu versetzen. Das entsprechende Modell wurde am Weißmeerkanal erprobt. Es bewährte sich. Und wie Pilze begannen Lager an den Großbau-Projekten des Kommunismus aus dem Boden zu schießen. Die Idee war ganz einfach. Man fand zum Beispiel auf der Halbinsel Tajmyr Kupfer- und Nickelvorkommen. Die Bauarbeiter mit ihren Familien zum Polarkreis zu bringen, Infrastrukturen (Krankenhäuser, Schulen, Geschäfte) zu schaffen und ihnen den höheren „Polar-Lohn“ zu zahlen - das war teuer! Aber ein ganzes Norilsker Kombinat mit der Arbeitskraft von Lagerhäftlingen errichtet – billiger ging es nicht! Stellen Sie sich mal vor, hundert Gefangene gingn in eine Baracke hinein, und sie hatten dort jedlichen Komfort – zwei Meter Pritschen und Wassersuppe. Entlohnen brauchte man sie überhaupt nicht – und die Kosten entfielen nur auf den Stacheldraht und die Wachmannschaften.

In den dreißiger und vierziger Jahren, und auch später, konnten die Menschen es nicht fassen – „WESWEGEN werden sie verhaftet?“ Aber die Frage muß ganz anders gestellt werden: „WOFÜR?“ Dafür, daß man sich im eigenen Staat der Sklaverei zuwandte. Denn es ist ja nicht nur die Rede von „politischen“ Gefangenen, auch die Gesetzgebung für kriminelle Delikte war ungewöhnlich grausam. Was ist ein ein Erlaß vom „siebten-achten“ wert, d.h. vom 7. August 1932, als man einem Menschen für drei Ähren, welche er vom kolchos-eigenen Feld aufgesammelt hatte, eine volle Freiheitsstrafe aufbrummte. Iwan Iwanowitsch Jegorow, ehemaliger Polithäftling und später Mitglied der Gesellschaft „Memorial“, der leider schon verstorben ist, erzählte von einem Fall, der ihm lange im Gedächtnis haften blieb: ein Mädchen ging auf der Straße, hatte Durst und wollte trinken. Neben dem Hydranten gab es eine Kantine, das Mädchen ging hinein, nahm ein Glas vom Tisch, ging wieder hinaus zu dem Hydranten, trank und brachte das Glas wieder zurück. Aber sie wurde an Ort und Stelle verhaftet und erhielt zwei Jahre wegen des Diebstahls von Staats-eigentum. Es war ein sehr sympathisches Mädchen, und im Lager reichte man es bald „von Hand zu Hand“. Nach einigen Monaten konnte es dieses Leben nicht mehr ertragen und erhängte sich.

Niemand war dagegen gefeit – weder der letzte Penner, noch ein Mitglied des ZK.

Heute hast du noch im Kreml gespeist, aber morgen – haben sie dich bereits auf Häftlingsration gesetzt; heute unterschreibt einer Urteile, und morgen – haben sie auch dich selbst verurteilt. Niemals, in keinem Land der Welt, ist auf diese Weise eine solche Sklavenhalterordnung entstanden. Die Sklaven wurden immer aus den Kriegsgefangenen herausgesucht, aus den in den Kriegen Besiegten, und nur die Bolschewiken kamen auf den Gedanken, seine eigenen Mitbürger in die Sklaverei zu treiben. Auf dieser Grundlage wurde die gesamte Wirtschaft der UdSSR errichtet. Das NKWD war das größte Industrie-Ministerium – vergegenwärtigen Sie sich das einmal!

Das System war denkbar einfach, einfacher ging es nicht. Die Lager, die um die Bauplätze herum entstanden, machten die Erfahrung, daß es an Arbeitskräften mangelte. Die Arbeits-front war umfangreicher geworden, die Gefangenen dagegen starben an der ihre Kräfte übersteigenden Schwerstarbeit und an schlechter Ernährung. Die Lager stellten Bedarfs-meldungen für das kommende Jahr auf; diese Anfragen flossen in der Hauptstadt zusammen, und es wurde klar, daß man zur Erfüllung dieser Bedarfsanforderungen, nehmen wir mal an, fünftausend Menschen verhaften mußte. Diese Anzahl wurde auf Regionen, Verwaltungs-gebiete und Republiken, proportional zur Bevölkerungsstärke, verteilt, und dort hatte man bereits einen Plan an die Kreise und Bezirke „erlassen“. Bei Nichterfüllung des aufgestellten Plans konnte man die fehlenden Leute aus den Reihen der Häftlinge auffüllen, und bei Einhaltung des Plan winkte der Erwerb eines höheren Dienstgrades oder Titels sowie Prämien. Da gaben sich die Tschekisten denn auch alle Mühe und fegten alles sauber – ohne Ausnahme. A. I. Solschenitzyn erzählt die bemerkenswerte Geschichte eines Taubstunmmen, der wegen antisowjetischer Propaganda eingesperrt wurde: er hatte irgendwo in Gesellschaft Wodka getrunken und machte dann mit irgendwelchen Gesten deutlich: und zwischen die Zähne kriegt man hier nichts! Aha, damit wollte er also sagen, daß es im sowjetischen Rußland nichts zu essen gab?!!

Gewöhnlich wurden die Gefangenen für schwere und minderbewertete Arbeiten benutzt. Aber zu Beginn der 1940er Jahre traten die sogenannten „scharaschki“, das waren Spezial-Gefängnisse, in Erscheinung, in denen Gelehrte einsaßen, damit sie dort Waffen entwickelten, Fabriken projektierten und Technologien entwickelten. Speziell für diese „scharaschki“ machte man die erforderlichen Wissenschaftler ausfindig, „nähte“ ihnen eine entsprechende Strafakte zusammen und schickte sie dann an einen „gezielt ausgewählten Bestimmungsort“.

Zu Beginn der Lektion habe ich gesagt, daß die deutschen Faschisten gewissenhafte Schüler waren. Das ist keineswegs eine Metapher, sondern eine Tatsache: in den dreißiger Jahren kamen Vertreter der deutschen Straforgane zu Schulungszwecken in unser Land, absolvierten in den Lagern Praktika, lernten die verschiedenartigsten Methoden von Massen-Repressalien und, sagen wir es einmal so, ganze Ortschaften „mit der Wurzel auszurotten“ – das ist keine so leichte Aufgabe, da gibt es eine ganze Menge technologischer Besonderheiten, und auch das splitternackte Ausziehen der Opfer vor der Erschießung lernten die Deutschen bei den Unsrigen; und auch das Verbrennen friedlicher Bewohner in Speichern und Lagerräumen wurde noch während der Niederschlagung der Bauernaufstände in der UdSSR geübt. Wenn wir hier schon einmal beim Vergleich der Regime sind, ist es nicht verwunderlich, daß das deutsche sogar irgendwie weicher war, sofern man diesen Ausdruck überhaupt für eine menschenfressende Macht verwenden darf, welche die Ausrottung ganzer Völker praktizierte.

Aber wenn die Gestapo davon überzeugt war, daß jemand kein Gegner des Regimes war, dann wurde er auch wieder entlassen – aber in der UdSSR garantierte einem nicht einmal fanatischste Treue und Ergebenheit irgendeine Rettung. Zwangsarbeit war in den deutschen Lagern weniger verbreitet, das heißt die Lager dienten hauptsächlich Isolationszwecken.

Aber für uns wird es schon Zeit, von den deutschen Lagern und dem GULag im allgemeinen zu den Lagern der Krasnojarsker Region überzugehen.

Was zählt eigentlich zu den Krasnojarsker Lagern? Die Region Krasnojarsk entatand im Jahre 1934, aber Lager gab es auf diesem Territorium auch schon früher. Andererseits gehörte auch Chakassien lange Zeit zur Region Krasnojarsk, auf dessen Gebiet es nicht wenige Lager gab. Einigen wir uns so: wir werden über die Lager sprechen, die auf jenen Territorien existierten, welche von 1934 bis zum Ende der 1980er Jahre zur Region Krasnojarsk gehörten.

SIBULON

Da war zuerst das Lager SIBULON (Sibirische Verwaltung der Lager mit besonderer Bestimmung), danach das Siblag, später das Sibirische ITL (Besserungsarbeitslager; Anm .d. Übers.). Mit Veränderungen, Umbenennungen und Zersplitterungen existierte es vom Herbst 1929 bis zum Januar 1960. Man befaßte sich dort mit Feldwirtschaft, Tierzucht, Goldgewin-nung und Straßenbau. So wurde innerhalb der Krasnojarsker Region die Nifantewsker Chaussee im Kreis Turuchansk von Häftlingen dieses Lagers gebaut.

Außerdem befanden sich Sibulon-Zonen (Lagerpunkte) am linksseitigen Ufer des Jenissej, in der Umgebung der Ortschaften Jarzewo (Kriwljak, Fomka, ?), aber auch am linken Nebenfluß des Jenissej, dem Fluß Kas (Schertschanka). Möglicherweise war das eine Lager-Abteilung -oder sogar zwei. Dies Lager nannte man damals „Turuchansker Lager“, denn Jarzewo gehörte zum Kreis Turuchansk (heute Kreis Jenissejsk). Es ist richtiger, diese Lager „Jarzewsker Lager“ zu nennen.

Es waren Holzfäller-Zonen mit jeweils 500-1000 Häftlingen. Offenbar gab es von diesen Zonen nicht mehr als zehn. Laut Archivunterlagen wurde in diesen Teilen des SIBLON / Siblag ebenfalls Straßenbau betrieben.

In den Jarzewsker Lagern herrschten „patriarchalische“ Sitten. Die Gefangenen, die sich etwas hatten „zuschulden kommen lassen“, wurden im Sommer „zu den Mücken gestellt“, d.h. an einen Baum gebunden, wo sie dann so lange stehen mußten, bis Mücken und andere Stechinsekten ihnen das gesamte Blut herausgesogen hatten. So steht es auch in dem Lagerhaftbericht der Jekaterina Josifowna Alexandrowa geschrieben, daß „die Häftlinge im Sommer den Mücken ausgesetzt und im Winter, bei tiefstem Frost, mit Wasser übergossen wurden“. In diesem Lager wurde auch noch folgende Folter praktiziert: sie banden den Häftling auf einem langen Brett fest und ließen das Ende ins Wasser hinab. Nach einer gewissen Zeit zogen sie das Brett wieder hoch, ließen es aber sofort wieder herunter, ohne dem Gefangenen die Möglichkeit zu geben Luft zu schöpfen.

Diese Lager wurden etwa 1940 geschlossen. Die wenigen Überlebenden (ungefähr 200) wurden nach Jenissejsk gebracht.

Aber Mitte der 1940er Jahre tauchten an diesen Orten, und gerade am Fluß Kas, neue Holzfällerlager (Gorodok und andere) auf. Es liegen Kenntnisse darüber vor, daß in ihnen die alte sowjetische Sitte die Häftlinge „den Mücken auszusetzen“ wiedergeboren wurde. Wir wissen nicht, ob diese „zweite Generation Jarzewsker Lager“ zum Siblag gehörte oder möglicherweise zum Bauprojekt 503 (Jenissej-Eisenbahn-Lager) oder, ob es sich dabei um Zonen örtlicher (regionaler) Unterstellung handelte.

NorilLag

Gegründet am 25.06.1935, geschlossen am 22.08.1956. Das Lager wurde eingerichtet für den Aufbau und die Ausbeutung der Norilsker Kupfer- und Nickelfundstätten (sowie die Tajmyr-Birjulinsker Glimmer-Vorkommen). Geographisch gesehen umfaßte das NorilLag nicht nur Norilsk mit Dudinka und Kajerkan: es beinhaltete auch die Achte Lager-Abteilung in Krasnojarsk, das Lager in Podtjosowo sowie die Landwirtschaftslager (Nebenwirtschaften) in Kurejka, Atamanowo bei Krasnojarsk und weiter südlich bis nach Schuschenskoje. Es war nämlich so, daß das NorilLag, ebenso wie viele andere Lager, ein „Ding in sich“ war, d.h. es versorgte sich in erheblichem Maße selbst mit Lebensmitteln und anderen notwendigen Dingen.

Das NorilLag (Norilsker Besserungsarbeitslager) war ein Lager für den Aufbau von Industrie. Es entstand im Jahre 1935 für den Abbau von Buntmetallen, hauptsächlich Kupfer und Nickel. Durch die Zwangsarbeit der Häftlinge des NorilLag entstanden in der Tundra der Halbinsel Tajmyr, hinter dem Polarkreis, die Stadt Norilsk mit dem Bergbau- und Metallhütten-Kombinat, der Fluß- und Seehafen in Dudinka (am Unterlauf des Jenissej), die Eisenbahnlinie von Dudinka nach Norilsk, die Schachtanlagen von Kajerkan und vieles mehr.

Die erste kleine Etappe wurde im Sommer 1935 an die Stelle der heutigen Stadt getrieben. Sie kam aus Leningrad. Von Dudinka aus jagte man sie zufuß durch die versumpfte Tundra.

Beginnend mit dem Jahr 1936 kam ein Gefangenentransport nach dem anderen ins NorilLag, aus Gefängnissen und aus anderen Lagern, aus allen Ecken und Enden der UdSSR. Im September 1938 wurden Transporte mit vielen tausend Häftlingen aus den Krasnojarsker und Jenissejsker Gefängnissen dorthin geschickt. Sie fuhren meist mit der Eisenbahn bis Krasnojarsk und von dort weiter auf Lastkähnen, den Jenissej flußabwärts. Viele Gefangene kamen unterwegs ums Leben; sie wurden am Ufer begraben, wenn die Schiffe dort vorübergehend anlegten. Es kam vor, daß diese Karawanen Schiffbruch erlitten. W.P. Astafjew erzählte, wie 1939 in Igarka während eines Sturmes ein Schleppkahn mit Häftlingen zerschmettert wurde, die Menschen versuchten, sich ans Ufer zu retten, aber die Wachen der Erdölstation vom Ufer aus das Feuer auf sie eröffneten.

Uns sind auch Havarie-Fälle von Schleppkähnen bekannt, die sich in den Kasatschinsker Stromschnellen zugetragen haben, als die Menschen sich ebenfalls nicht retten konnten, weil die Schützeneinheiten ihnen keine Möglichkeit ließen, aus dem Wasser wieder herauszu-kommen.

Im Juli und August 1939 kam eine Etappe aus den sogenannten „befristeteten“ Gefängnissen: aus Orel, Elez, Kustanaj, von den Solowjetzkij-Inseln. Wobei der Solowjezker Gefangenen-transport vom Weißen Meer durch das Nördliche Eismeer gebracht wurde, durch Barents-See und Kara-See.

Im Herbst 1941 wurden aus dem JuchnovLag (heute Gebiet Kaluga) „internierte“ Offiziere der litauischen, lettischen und estischen Armeen ins NorilLag verschleppt. Sie alle saßen ohne Paragraphen, ohne Angabe der Haftdauer. Erst später, im NorilLag, wurden ihnen von einer Sonder-Beratung ihre „rechtskräftigen“ Haftzeiten von 5 bis zu 10 Jahren verkündet – und viele sogar wurden sogar erst nach ihrem Tode verurteilt. Ja, solche Regeln und Gesetzmäßigkeiten gab es in unserem Lande – erst einmal einsperren, und später wird sich dann schon ein Grund dafür finden lassen.

Immer neue Gefangenentransporte trafen bis 1953/1954 im NorilLag ein.

Zu Beginn der 1950er Jahre waren im NorilLag etwa 30 Lager-Abteilungen vorhanden. Der Lagerbetrieb wurde 1956 eingestellt, als die Mehrheit der Gefangenen in die Freiheit entlassen wurden.

Im allgemeinen Bewußtsein existiert eine übertrieben hohe Zahl: daß nämlich mehr als eine Million Häftlinge die Norilsker Lager durchlaufen haben. Aber das ist nicht der Fall: es waren nicht mehr als eine halbe Million, eher 400 Tausend. Dabei sind sowohl die gewöhnlichen Alltagsgauner (von denen sehr viele sich auch überhaupt nichts hatten zuschulden kommen lassen) als auch wirkliche Kriminelle berücksichtigt. Die Anzahl der politischen Gefangenen betrug wahrscheinlich nicht mehr als 300 Tausend (zusammen mit denen im GorLag Inhaftierten).

Es scheint uns so, als sei dies keine große Zahl. Aber stellen Sie sich einmal vor, wie es wäre, wenn alle diese 300000 Menschen auf einem Haufen zusammenstehen würden. Das entspricht einem Drittel der heutigen Bevölkerung von Krasnojarsk. Aber noch besser – stellen Sie sich nur einen von ihnen vor, und es wird Ihnen nicht weniger vorkommen. Oksana Melnik, die in Kolyma einsaß und vorher – im DubrovLag, hat beispielsweise erzählt, daß im Frauenlager täglich zwei Krüge mit Wasser ausgegeben wurden: und nun kannst du überlegen, ob du es trinken oder dich damit waschen willst. Nun, manchmal genügt ein einziges Beispiel dieser Art, um einen erschauern zu lassen, wenngleich es noch viel schrecklichere gibt.

GorLag

Das GorLag („Sonder-Kennzeichnung 2“, das heißt „Sonder-Lager Nr. 2“) wurde als separate Lager-Struktur 1948 aus dem NorilLag ausgegliedert, und zwar in Zusammenhang mit der Bildung eines ganz neuartigen Systems, den sogenannten „Sonder-Lagern“, die speziell für die Inhaftierung politischer Gefangener bestimmt waren. Um die Häftlinge der „Sonder-Lager“ voneinander zu unterscheiden, gab es eine Nummern-Kennzeichnung (im GorLag bestand es aus einem Buchstaben und drei Ziffern), die auf Oberbekleidung (im GorLag auf Brust, Rücken und Ärmel) und Mütze genäht wurde. Vor- und Familiennamen besaßen die Leute nicht. Nur eine Häftlingsnummer. Und das war äußerst kränkend. Eben jene Oksana Melnik, die bereits vorher erwähnt wurde, erzählte eine sehr symbolträchtige Geschichte: als die Erlaubnis erteilt wurde, die Nummern zu entfernen, wurden sie sogleich heruntergerissen. Aber darunter blieben schwarze Rechtecke auf den gesteppten Wattejacken zurück, weil der Stoff ausgeblichen war - nur nicht an den Stellen, auf die die Nummern genäht worden waren.

Ursprünglich bestand das GorLag aus sechs Lager-Abteilungen (darunter auch einer für Frauen). Sie befanden sich alle in Norilsk. Ein beträchtlicher Teil der Gefangenen aus dem NorilLag wurde dorthin überführt. Von diesem Augenblick an wurden sie im Bestand des GorLag geführt, aber aus dem Bestand des NorilLag wurden sie als verstorben ausgetragen.

Aber während all der Jahre, in der das GorLag existierte, blieben tausende von Polithäftlingen auch weiterhin in den Lager-Abteilungen des NorilLag. Mehr noch – Anfang der 1950er Jahre wurden viele Gefangene, vor allen Dingen Frauen, aus dem GorLag ins NorilLag überführt.

Außerdem befand sich offensichtlich ein ganz beträchtlicher Teil der politischen Häftlinge in den Zonen des NorilLag, wurden jedoch „zum Bestand“ des GorLag gerechnet.

Formell war das GorLag unmittelbar derm GULag (Hauptverwaltung der Lager - Anm. d. Übers.) unterstellt, aber sein Leiter war gleichzeitig auch der stellvertretende Leiter des NorilLag.

Eben in diesem GorLag fand im Sommer 1953 ein großer Lagerstreik statt, der sogernannte Norilsker Aufstand, als die Häftlinge das Territorium der Wohnzonen unter ihre Kontrolle brachten und nicht nur der Lagerleitung eine Reihe von Forderungen vorlegten, sondern auch dem obersten Gebieter der UdSSR. Trotz der nachfolgenden Niederschlagung des Aufstandes,

hatte er, zusammen mit dem gleichzeitig in Workuta stattfindenden Generalstreik, die Grundlagen des Lager-Systems heftig erschüttert. Nach dem Kengirsker Aufstand 1954 (im StepLag) führte dies zur vollständigen Abschaffung des Systems der „Sonder-Lager“.

1954 wurde das gesamte GorLag als separate Lagerstruktur (gemeinsam mit den verbliebenen Sonder-Lagern) aufgehoben und „floß wieder zurück“ ins NorilLag.

Kraslag

Das KrasLag (Krasnojarsker Besserungsarbeitslager, nicht zu verwechseln mit dem KrasLag des Jenissejstroj) war ein typisches Holzfäller-Lager, das Anfang 1938 eingerichtet wurde, also gleichzeitig mit analogen Lagern wie das UnschLag, WjatLag, UsolLag, SewuralLag.

Die Verwaltung des KrasLag befand sich in Kansk, aber im Jahre 1946 (tatsächlich 1948) wurde sie zur Station Reschoty (Siedlung Nischnjaja Pojma) verlegt, wo sich auch heute noch eine Verwaltung mit der Postfach-Anschrift Y-235 befindet.

Territorial gesehen lagen die Lagerpunkte des KrasLag über mehrere Kreise im südöstlichen Teil der Region Krasnojarsk verstreut.

Ebenso wie in allen Holzfäller-Lagern waren auch die Lagerpunkte des KrasLag nicht groß:

für 600-800, selten für mehr als 1000 Häftlinge. Und ebenso wie in allen Holzfäller-Lagern wurden die Gefangenen in den Jahren 1938-1939 und 1941-1945 von Hunger, Pellagra (Vitaminmangelerkrankung; Anm. d. Übers.) und Dysentherie (Ruhr; Anm. d. Übers.) dahingerafft. In diesen Perioden konnte eine durchschnittliche Sterblichkeitsrate von 7-8% erreichen.

Die ersten Gefangenentransporte kamen aus den Gefängnissen von Primorie, Chabarowsk, Tschita und der Ukraine (aus dem Donbas, aus Dnjepropetrowsk, Charkow, Kiew und wahrscheinlich auch von der Krim) ins KrasLag, anschließend dann aus den Gefängnissen Kasachstans (zum Teil aus Alma-Ata und Semipalatinsk). Später, 1939 und 1940, erreichten Etappen aus Leningrad und Mittel-Rußland das KrasLag. In all diesen Transporten herrschten die politischen Häftlinge vor.

Im Sommer 1941 wurde eine tausende von Gefangenen zählende Etappe litauischer Staatsbürger ins KrasLag verschleppt, hauptsächlich Menschen, die zwischen dem 13. und 19. Juni 1941 verhaftet worden waren. Viele von ihnen kamen in den Jahren 1941-1942 ums Leben. Erst Ende 1942, Anfang 1943, wurden ihre Haftstrafen von einer Sonder-Beratung „rechtskräftig gemacht“; so kam es auch, daß zahlreiche litauische Bürger erst nach ihrem Tode verurteilt wurden. Die meisten erhielten Haftstrafen von 5 bis 10 Jahren, aber manch einer wurde auch zur „Höchststrafe“ verurteilt und im Kansker Gefängnis erschossen.

Im Januar 1942 wurden einige tausend Wolgadeutsche ins KrasLag gejagt, aus den Reihen jener, die in die Region Krasnojarsk in die Verbannung geraten waren. Natürlich hatten sie weder einen Paragraphen noch eine Haftdauer. Das ganze nannte sich „Arbeitsarmee“. Die Deutschen wurden in eine gesonderte Zone gesteckt, die sogennanten „Einheiten“. Dort gab es denselben Stacheldraht, dieselben Wachtürme, dieselben Begleitwachen, Baracken, Essensraten und Normen – und auch dieselbe Pellagra und dieselbe Dystrophie. Aber dafür waren in diesen „Arbeitsarmee“-Zonen Partei- und Komsomolzen-Organisationen in Aktion, - allerdings ohne Aufnahme-Recht für neue Mitglieder. Die Deutschen wurden 1946 aus dem KrasLag antlassen, zurück in die Verbannung – versteht sich.

In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre kamen Gefangenentransporte aus Lwow und anderen Gefängnissen der West-Ukraine im KrasLag an, darunter auch umfangreiche Frauenetappen sowie Häftlingsschübe aus den Gefängnissen in Minsk und Orscha. Auch hier überwogen die politischen Häftlinge.

1949-1950 wurde ein wesentlicher Teil der Polithäftlinge aus dem KrasLag in „Sonder-Lager“ geschickt: ins schanLag und StepLag (in Kasachstan). Aber auch danach kamen immer noch neue politische Gefangene ins KrasLag. Sogar im Jahre 1956 blieben noch Polithäftlinge dort (aber wahrscheinlich waren es nur wenige). Zum Kahre 1950 hin hatten mehr als 100000 Gefangene das KrasLag durchlaufen. Offenbar waren nicht weniger als die Hälfte als Politische registriert.

Jenissejstroj

Das Jenissejstroj – das war kein Lager (Besserungsarbeitslager), sondern eine regelrechte "glawk" (Hauptverwaltung) des GULag, ähnlich dem Dalstroj.

Die Hauptverwaltung „Jenissejstroj“ existierte von 1949 bis 1953. Sie befand sich in Krasnojarsk. Ihr Leiter war General-Major Panjukow.

Formell gehörten zum Bestand der Hauptverwaltung 10 Lager (Besserungsarbeitslager). Allerdings entstanden sie zu verschiedenen Zeiten, aber faktisch waren nur wenige von ihnen in Betrieb: Lager Tajoschnij (im Kreis Kansk), Lager Tuimskij (in Chakassien) und das Krasnojarsker (auch bekannt als „KrasLag des Jenissejstroj“), die 1951 zum Lagerkomplex „DC“ zusammengefaßt wurden, und noch 2-3 kleinere.

Das TajoschLag und das TuimLag waren an Bergwerke angeschlossen. In Krasnojarsk errichteten die Häftlinge des Jenissejstroj die „Sibstal“- und offensichtlich auch eine Uran-Fabrik.

Zum Bestand des Jenissejstroj gehörte ebenfalls eine „scharaschka“ (Spezial-Gefängnis), das OTB-1, das sich in Krasnojarsk befand und Projektarbeiten für die geplanten Objekte des Jenissejstroj ausführte. Im OTB-1 saßen Geologen und Fachleute für Metallurgie. Unter ihnen gab es Akademiker und Doktoren der Wissenschaften. Die Stelle, an der die „scharaschka“ stand, ist euch gut bekannt. Dort befindet sich heute paradoxerweise die Juristische Fakultät der Staatlichen Krasnojarsker Universität – in der Majertschaka-Straße 6. Und das benachbarte wissenschaftliche Forschungsinstitut des „Sibirischen Buntmetall-Projektes“ ist auch eben aus dieser scharaschka entstanden.

Das JenissejLag

Das JenissejLag (abgekürzt auch EnLag) darf nicht verwechselt werden mit dem JonLag (oder IonLag, in der Region Murmansk) sowie dem Jenissej-ScheldorLag (dem Jenissej-Lager für den Bau von Eisenbahnlinien – Anm. d. Übers.), auch bekannt unter der Bezeichnung Bauprojekt 503, und dem Jenissejstroj.

Außerdem muß man auch alle drei JenissejLags voneinander unterscheiden.

Das „erste“ JenissejLag: In den 1930er Jahren bezeichnete der Name „JenissejLag“ das gesamte Lagersystem örtlicher Unterstellung (später, ab 1935, UITLK – Verwaltung der Besserungsarbeitslager und –kolonien der UNKWD).

Das „zweite“ JenissejLag: Im Jahre 1940 wurde das JenissejLag aus dem UITLK der UNKWD als selbständige Lagerstruktur mit zweifacher Unterstellung ausgegliedert, - lokal wie auch zentral (GULPS (Lagerhauptverwaltung für Industriebauwesen; Anm. d. Übers.)). Dieses JenissejLag baute Fabriken: eine Spiritus- und eine Zellulosefabrik in Krasnojarsk und Ust-Abakan (Chakassien), das Kansker Holzverarbeitungswerk, das 1941 aus dem KrasLag dorthin übergeben wurde, sowie die Krasnojarsker Affinerie (Fabrik Nr. 169).

Die Zahl der Gefangenen in diesem Lager erreichte die 12000, aber wahrscheinlich machten die Polithäftlinge unter ihnen nicht die Mehrheit aus.

1941 wurde das JenissejLag als selbständige Lagerstruktur aufgelöst, aber sein Name wurde offenbar, wie in den 1930er Jahren, erneut für die Bezeichnung des Lagersystems lokaler Unterstellung verwendet.

Das „dritte“ JenissejLag: Von 1947-1953 war das JenissejLag als Sonderhauptverwaltung für Buntmetallurgie in Betrieb. Seine Lagerverwaltung befand sich (wie auch im vorange-gangenen Fall) in Krasnojarsk, aber das eigentliche Lager, das heißt die Lagerzone, war im Grunde genommen ein Anhängsel des Trustes „Jenissejsoloto“ und erstreckte sich fast über den gesamten Nord-Jenissejsker Kreis, nordöstlich von Jenissejsk.

Die zentrale Lagerzone befand sich in der Siedlung Sowrudnik (Kreisstadt, heute Nord-Jenissejsk), in der Nähe eines Goldbergwerkes, die übrigen Zonen waren im ganzen Kreis verstreut und versorgten das Bergwerk mit Grubenholz. Der Lagerpunkt Teja diente als Umschlagplatz auf der Strecke Jenissejsk-Sowrudnik (über den zugefrorenen Fluß und auf festgetretenen Schneewegen).

In Krasnojarsk gab es offensichtlich, außer der Lagerzone der Ziegeleifabrik Nr. 4 (oberhalb der Basaicha-Mündung), keine weiteren Lagerpunkte des JenisejLag.

Durch dieses Lager liefen wahrscheinlich nicht mehr als 10000 Gefangene. Die Polithäftlinge machten unter ihnen vermutlich 10-20% aus.

Das Bauprojekt 503

Geschaffen 1949, geschlossen im Sommer 1952. Bauprojekt für den Bau der Eisenbahnlinie Salechard-Igarka. Die Verwaltung befand sich in der Siedlung Jermakowo.

Eines der stalinschen „Jahrhundert-Projekte“. Der verschrobene Einfall eine Eisenbahnlinie durch die Tundra zu verlegen, obwohl die Strecke im wahrsten Sinne des Wortes mit Leichen durchnäßt war – mit umgekommenen Häftlingen, welche die jegliche Kräfte übersteigende Schwerstarbeit nicht hatten aushalten können und nicht selten direkt am Bahndamm begraben worden waren. An dieser Strecke wurde folgendes Schema zum Arbeitsanreiz angewandt: an der Stelle, bis wohin bei Tagesende die geplante Strecke fertiggebaut sein soltle, wurde ein Tisch mit Essen aufgestellt. Wenn es den Gefangenen gelungen war, die Schienen „bis an den Tisch“ heran zu verlegen, dann durften sie essen. Falls nicht – gingen sie, bis zum nächsten Tag hungernd, in ihre Baracken zurück. Konstantion Chodsewitsch berichtet, daß sie einmal im Herbst keine Lebensmittel ins Lager schaffen konnten (das ging nur während der Zeit, in der die Flüsse befahrbar waren), so daß die Gefangenen den ganzen Winter über auf Ration gesetzt wurden, die im Vergleich mit der Leningrader Tagesration wie ein Festessen erschien. Das Ergebnis davon war, daß nur vereinzelte am Leben blieben, aber mit Beginn des nächsten Schiffsverkehrs wurde bereits eine neue Etappe gebracht, und das Bauprojekt ging weiter.

Schlußfolgerungen.

 Das System der Zwangsarbeit fand auch mit dem Tode Stalins noch nicht sein Ende. Bis zu ihren allerletzten Tagen wurde die Wirtschaft der UdSSR in erheblichem Maße auf der Arbeit von Gefangenen errichtet. Man nahm einfach anstelle von „Politischen“ gewöhnliche „Alltagsverbrecher“. Für ein Verbrechen, für das man in anderen Ländern lediglich ein Bußgeld verhängt, wurde bei uns zu mehreren Jahren Lagerhaft verurteilt. Und das System reproduzierte sich, weil das Lager für den Gefangenen wie Lehrjahre sind. Er kann sich in Freiheit nicht anpassen, gerät zum zweiten, zum dritten ... Mal ins Lager. Zur Zeit entsteht ein Markt, die Produktionsverhältnisse ändern sich, und die Kolonien stöhnen schon nicht mehr über Arbeitskräftemangel, sondern vielmehr über Arbeitskräfteüberschuß. Und die Häftlinge, die früher der Regierung einen Extraprofit gebracht hatten, werden jetzt selber zu einem Kostenfaktor. Irgendwie ist auch das Strafgesetz milder geworden – wahrscheinlich wegen der wirtschaftlichen Unzweckmäßigkeit.

Noch eine Form der Zwangsarbeit – die Armee. Wir haben uns einmal mit einer Expeditionsgruppe hinter den Polarkreis aufgemacht, durch die Tundra. Und plötzlich stießen wir auf einen Militär-Stützpunkt – eine Einheit Soldaten, ein paar Offiziere, Radaranlagen, Antennen ... Die Offiziere empfingen uns freundlich und führten uns sogar durch ihr Objekt. Wir fragten: hier ist doch höchstwahrscheinlich alles streng geheim – oder? Was soll denn hier geheim sein, lachten die Offiziere, das ist doch eine ganz gewöhnliche Transformatoren-Station. Aber was machen Sie denn in Gottes Namen hier, fragten wir weiter. Na, das ist alles ganz einfach, erklärten die Offiziere. Die Soldaten verdienen 7 Rubel im Monat (das war 1990), aber setzt du auf diesen Platz einen vom Polarkreis – mußt du ihm viele hundert Rubel bezahlen und außerdem noch eine Infrastruktur schaffen. Und so gibt es hier Baracken, Extra-hütten für die Offiziere, ein Badehaus – und schon ist die ganze Infrastruktur fertig. So ist das eben. Das ist genau wie dieses GULag, nur in einer anderen Form.

Wann wird es keinen GULag mehr geben – weder in der damaligen noch in der heutigen Art? Wenn es keinen Totalitarismus gibt und die Menschen nicht wegen ihrer Überzeugung eingesperrt, sondern nur für reale Verbrechen bestraft werden. Wenn die Wirtschaft des Landes endlich aufhört von der Sklavenarbeit der Häftlinge anzuhängen. Ob das einmal so sein wird – das hängt von Ihnen ab.


Zum Seitenanfang