









1990-081
Guten Tag, verehrte Genossen!
Ich las in der Zeitung, dass man eine Liste der Repressierten schicken kann, und so habe ich beschlossen, Ihnen zu schreiben, obwohl ich das nicht gut kann: 1 Klasse Russisch und 3 Deutsch; na ja, ich schreibe trotzdem. Was für ein Grauen mussten wir durchmachen. Ich, Eva Filippowna Kaiser, wurde 1930 an der Wolga, in der Nähe von Saratow, geboren, und meine Kindheit endete, wie bei vielen anderen, als der Krieg ausbrach. Der Krieg verschont niemanden, das ist verständlich, aber wenn man uns nicht aus unseren Wohnorten verschleppt hätte, wäre es trotzdem leichter gewesen mit all unseren Gemüsegärten, dem Vieh, und die Männer hätten sie in die Armee eingezogen. Die Frauen und Kinder hätten das schon durchgestanden. Aber nein! Alle holten sie weg, und das Vieh jagten sie auf einen Haufen und das verbliebene Getreide war noch auf den Feldern (und ich weiß, dass mein Vater an der Waage arbeitete). Es schmerzte ihn sehr, das zu sehen, und dann haben sie uns im September 41 alle fortgebracht – ein Krieg ohne Krieg – nach Sibirien in die Region Krasnojarsk.
Meine Bitte ist, dass sie dies in der Zeitung drucken, damit alle wissen, was Stalin getan hat.
Menschen gaben uns in ihren Wohnung Obdach. Danke. 2 Monate vergingen, dann holten sie die Männer im Januar 1942 in die Armee. Aber nicht in den Krieg, sondern in die Arbeitsarmee, wo die Mehrheit auch blieb. Sie wurden nicht erschossen, aber sie litten furchtbaren Hunger. Aber das war noch nicht alles. Im Herbst 42 holten sie auch die Frauen, unter ihnen meine Mama Jekaterina J. Legler. Auch in die Arbeitsarmee, in die Baschkirische SSR und Papa nach Reschoty, Region Krasnojarsk. Ich (12 Jahre ale) und mein Bruder (7) in den Bogradsker Bezirk, Mama in die Baschkirische SSR. Nach 2 Jahren und 3 Monaten kam Mama zurück. Das NKWD betsellt sie ein: wo sind Ihre Dokumente? Und sie kam in Untersuchungshaft, das ging bis vors Kriegsgericht. Und sie bekam Dokumente, dass sie kein Recht gehabt haben, sie in die Arbeitsarmee zu holen, weil die Kinder noch nicht volljährig gewesen waren. Das war doch ein und dieselbe Region Krasnojarsk, dann sollten auch die Gesetze dieselben sein. Mama konnte ein bisschen Russisch verstehen, und als sie in die Trudarmee mobilisiert wurden, sagte einer vom NKWD, ach, man sollte sie alle erschießen. Aber die Deutschen sind ein fleißiges Volk, und wenn irgendein Verräter darunter ist, dann findet dieser sich auch in jedem anderen Volk. Überall gibt es schlechte Menschen, man darf doch nicht alle verdächtigen. Und bis heute hören wir, dass man sich uns gegenüber abfällig äußert. Zum Beispiel beschimpfen sich zwei Frauen, die eine Russin, die andere Deutsche, und die Russin meinte: bedanken Sie sich, dass Sie auf unserem Boden gehen. Und dann das mit der Erhaltung der Sprache. Ich werde nie vergessen, wie mein Sohn die 1. Klasse besuchte, nach Hause kam und meinte: Mama kann man noch einmal geboren werden? Und ich frage: wozu denn das? Und er antwortet: damit ich Russe bin, nicht Deutscher, damit die Jungs mich nicht als Fritz beschimpfen, und das war’s! Mein Sohn spricht bis heute kein Deutsch, und die Kommandantur hat uns auch noch erniedrigt. Ich arbeitete 40 km entfernt im Wald, beim Holzeinschlag, und musste zu Fuß zur Kommandantur, um mich zu melden. Einmal mussten wir der Reihe nach ins Kabinett eintreten, und da wurde aufgeschrieben, welche Haarfarbe, wie die Augen aussahen usw. Ich war damals 19 Jahre alt, ich habe nie etwas schamhaftes getan, nie gestohlen, dass sie mich wie eine Verbrecherin beschrieben. Und so lebten wir bis 1950, sogar 1952, und da verfügte die Kommandantur auch immer noch über uns. Zum Beispiel kam ein Ingenieur, der eine Wohnung benötigte, und er verliebte sich in unsere Wohnung und bat uns, sie zu verlassen, d.h. in eine Baracke umzuziehen, aber Mama und ich arbeiteten. Das war in Chakassien, und da wurde ich zur Invaliden 1. Grades. Jetzt danke ich unserem Staat. Jetzt bekomme ich wenigstens 85 Rubel Rente. Auch wenn wir jetzt nicht gekränkt sind. Und das ist die Liste meiner Verwandten.
Vater Filipp Andrejewitsch Legler
verschleppt aus der ASSR der Wolgadeutschen nach Sibirien im Jahr 1941
mobilisiert in die Arbeitsarmee 1942 nach Reschoty, Region Krasnojarsk
1945 verlegt nach Leningrad, wo er 1947 starb.
Mutter Jekaterina Jakowlewna Legler, ebenfalls verschleppt 1941
Arbeitsarmee von 1942-1944
lebt in der Region Krasnojarsk
Bruder Aleksandr Filippowitsch Legler
ebenfalls verschleppt ----
starb in der Region Krasnojarsk
Eva Filippowna Kaiser
ebenfalls ------
Onkel Jakow Andrejewitsch Legler
auch verschleppt
starb in der Arbeitsarmee in Reschoty
Onkel Wassilij Jakowlewitsch Legler
auch verschleppt -----
war in der Arbeitsarmee, starb in der Region Krasnojarsk
Onkel Andrej Jakowlewitsch Legler
ebenfalls verschleppt ----
mobilisiert in die Arbeitsarmee
starb in der Region Krasnojarsk
Iwan Michailowitsch Legler
auch nach Sibirien verschleppt
dann Igarka, danach die erlogene Anzeige, dass er angeblich die Bibel liest, 7
Jahre gesessen, starb in der Region Krasnojarsk
Jekaterina Jakowlewna Jakobi
Ebenfalls verschleppt -------
Adam Andrejewitsch Ditz
verschleppt ----
Mobilisiert in die Trudarmee in die Stadt Krasnoturansk,
lebt im Balachtinsker Bezirk
Amalia Jakowlewna Ditz
Verschleppt --------
Lebt im Balachtinsker Bezirk
Maria-Jekaterina Gergert
1937 von der Wolga nach Kasachstan verschleppt, wo sie starb.
Andrej Gergert, auch 1937 nach Kasachstan verschleppt, wo er starb