









1990-391
Lieber, sehr geehrter Herr W.S. Birger
Wir sind David Kondratowitsch Prinz und Maria Karlowna Prinz. Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie auf unseren Brief geantwortet haben. Sie schreiben, dass wir weder von einem Gericht noch von einem anderen Organ verurteilt wurden. Aber warum haben diese Jungen Männer uns so streng behandelt. Jeden Monat haben sie uns ins Büro bestellt und uns gezwungen zu unterschreiben. Diesen Männern wurde Geld bezahlt, sie fragten den Kolchos-Vorsitzenden, wie wir arbeiten. Man hat uns nicht einmal gefragt, welche Arbeit wir machen wollen, sondern schickte uns dorthin, wo es am schwersten war und wo keiner von den Russen hinwollte. Ich habe meine Zeit hinter mir. Ich bin fast blind und krank, aber ich bin sehr verärgert, dass mir jetzt niemand eine Bescheinigung schicken kann. Ich schreibe Ihnen offen und ehrlich, weshalb ich diese Bescheinigung benötige. Vielleicht werden dort meine Leiden berücksichtigt, und anerkannt, welche Schwierigkeiten ich durchgemacht habe. Ich werde mit meinem jüngsten Sohn Otto Davidowitsch Prinz in die BRD fahren, nur damit ich meinen Enkeln die Muttersprache beibringen kann. Maria und ich haben 9 Enkel und 4 Enkelinnen. Ich denke manchmal, ob es nicht doch egal ist, wo man stirbt. Dann denke ich wieder, dass meine Enkel früher oder später fragen werden, warum ihre Vorfahren es zugelassen haben, dass sie die Muttersprache nicht kennen.
Lieber Genosse Birger, es fällt mir sehr schwer Atbassar zu verlassen, weil ich mit einem Sohn, der Schwiegertochter und 2 Enkeln lebe. Und dann sind da noch 5, noch 3 Söhne und 2 Töchter. Ich verließ den Ilansker Bezirk, Dalajsker Dorfrat, Dorf Tschernigowka, Region Krasnojarsk, im Jahr 1956. Wir hatten 4 Kinder in Kasachstan. Ich, David Kondratowitsch Prinz, geb. am 19. Dezember 1923, wurde aus dem Gebiet Saratow, Bezirk Engels, Kanton Kukkus, Ortschaft Jablonowka, verschleppt. Maria Karlowna Prinz, geb. am 28. August 1928, wurde aus dem Gebiet Saratow, Bezirk Marxstadt, Ortschaft Podlesnoje, Kanton Unterwalden, RSFSR, deportiert. Ihr Mädchenname lautet Maria Karlowna Mut. Sie, Genosse Birger, haben gefragt, wer und welche Nationen noch im Ilansker Bezirk lebten. Viele aus dem Gebiet Saratow lebten dort. Aber man erlaubte uns nicht einmal, ins Nachbardorf zu gehen. Man kann diese Menschen nicht alle zählen. Allein im Ilansker Bezirk kann ´n ich folgende Dörfer nennen: Dorf Tschernigowka, Krasnij Chleborob, Dorf Gremutschaja Pad, Dorf Sokolowka, Dorf Koslowka, Dorf Bajewo, Dorf Dolaj, Dorf Medwjesche, Dorf Karapsel, Lowat, Anschewka, Milechino, Bogdanowka, Salesje, Pjetschkino. Und noch zahlreiche andere Dörfer, und in allen lebten Deutsche von der Wolga. Unschuldig hatte man sie verschleppt, sehr geehrter Genosse W.S. Birger. Nun habe ich mit offenem Herzen geschrieben, warum ich diese Bescheinigung brauche, und dass ich von 1942 bis 1954 unter Kommandantur-Aufsicht stand. Wenn Sie mir bezüglich meiner Bitte behilflich sein können, dann helfen Sie bitte. Und wenn es nicht möglich ist, dann kann man nichts machen. Entschuldigen Sie, lieber Genosse – ich bin ein ungebildeter Mensch und mache viele Schreibfehler. So war damals die Zeit, dass man ungebildet war, und dazu jetzt noch fast blind.
Deportiert wurden wir im August 1941, alle – ohne Ausnahme. Ich bitte Sie,
Genosse Birger, antworten Sie auf meinen Brief, ob Sie mir helfen können oder
nicht. Wenn Sie noch mehr wissen möchten, fragen Sie.
Hochachtungsvoll, Prinz.
12.01.1990
Und den Anhang habe ich an die Adresse geschickt, die Sie mir genannt haben.