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Fragment einer Erzählung aus dem Buch "Baikit – reiche Erde"

<...> Manchmal schafften sie es im Sommer nicht rechtzeitig, die Fracht mit Ilim-Booten bis nach Baikit zu liefern. Aus diesem Grund reichten die Lebensmittel-Vorräte für den Winter nicht. Sie schlugen sich durch so gut es ging. Ein Kriegsjahr war besonders schwierig. Es ging so weit, dass sie jedem Erwachsenen pro Tag ein Kilogramm Hafer herausgaben, aber für die Kinder — nur ein kleines Päckchen (50 Gramm) Gebäck, das sich "Fallschirmspringer" nannte. Andere Nahrungsmittel gab es nicht.

In Baikit befanden sich verschleppte Finnen. Sie verfuhren folgendermaßen (und brachten es auch den anderen bei). Sie feuchteten den Hafer an, weichten ihn auf, legten ihn in eine Pfanne und stellten diese auf den Ofen. Der Hafer quoll auf, die Flocken fingen an sich zu wölben. Danach drehten sie die Masse durch den Fleischwolf, bis Mehl herauskam und auf der anderen Seite flogen die Flocken heraus. Aus dem Mehl buken sie Fladen. Und aus den Spelzen (in ihnen war auch noch etwas Essbares geblieben) kochten sie Kleie-Brei. Alles wurde verwendet.

Aus großer Melde bereiteten sie Brei zu. Aus Sauerampfer kochten sie, nachdem sie ihn überbrüht hatten, eine Suppe. Sie gaben eine Handvoll Kleie oder Mehl hinzu und schafften es, daraus Schnitzel zu braten. Die Kinder halfen mitunter und fingen Fische. Ja, eine schwere Zeit war das. Doch die Menschen waren darüber nicht erbittert, sondern gutmütig und teilnahmsvoll gegenüber den anderen. Wenn einem etwas fehlte, teilten die anderen mit ihm das, was sie hatten.

Der Unterricht fand in zwei Schichten statt. In der einen Klasse — zwei Kerosinlampen. Außer Ziegelöfen standen in jeder Klasse noch zwei Eisenöfchen. Später wurden sogar Kamine eingebaut. Die Öfen zeigten zur Wand. So gab es Nischen, in denen klein gehacktes Brennholz, Anmachholz, gelagert wurde. Sie zündeten es an, wärmten sich am Kamin, und etwas mehr Licht bekamen sie auch.

Sie lernten nach Lehrbüchern aus der Vorkriegszeit, in denen die chronischen Abläufe fehlten. Sie schrieben Arbeiten auf alten Vordrucken, und somit — gab es trotz allem eine Art Schreibhefte. Die nicht auslaufenden Tintenfässer waren aus Glas, Porzellan. Als das Tintenpulver verbraucht war, kamen chemiehaltige Bleistifte auf. Aus denen wurde dann Tinte gemacht.

Unter den Lehrkräften waren auch verbannte Deutsche aus dem Wolgagebiet — der Mathematiker Alexander (der Vatersname ist in Vergessenheit geraten) Bauer, die Botanik-Lehrerin Emma Iwanowna (hier kann er sich an den Nachnamen nicht mehr erinnern), die Deutschlehrerin Olga Andrejewna Ridder. Sie waren bemüht, ihren Schülern gute Kenntnisse zu vermitteln. Sie hatten kein leichtes Leben. Alle möglichen schmutzigen Streiche spielten man ihnen, obwohl sie sich keinerlei Vergehen schuldig gemacht hatten. Man verschloss bei ihnen die Ofenrohre (Galina war selbst an einem derartigen Überfall beteiligt), man gab ihnen unschöne Spitznamen, schrieb ihnen freche Zettelchen. Kurz gesagt, man zeigte ihnen gegenüber Abneigung. Bauer war sehr nervös, er sprach mit deutlichem Akzent. Die Schüler versuchten, die Aussprache der Worte auf die gleiche Weise zu verzerren, womit sie den Lehrer zur Weißglut brachten.

In jedem Haus gab es schwarze kegelförmige „Tontauben“ (Radio). Der Besitz von Rundfunkempfängern war verboten. Dafür wurde man streng bestraft. Wer trotzdem einen besaß, musste ihn bei den Behörden abgeben. Deswegen litt zur damaligen Zeit die Familie Gussew sehr darunter, und nicht nur sie. Das Familienoberhaupt arbeitete als Agronom (er züchtete in Gewächshäusern Tomaten, Gurken, Kräuter, Radieschen und Blumen), seine Ehefrau war Lehrerin. Nachdem die Behörden bei ihnen einen Rundfunkempfänger konfisziert hatten, beschuldigte man sie wegen Abhörens verbotener Radiosendungen. Und die Familie war groß – fünf Kinder. Die Mutter wurde irgendwohin fortgebracht, der Vater blieb mit den Kindern allein zurück…

Der örtliche Rundfunk war zu bestimmten Stunden in Betrieb. Da gab es zum Beispiel die Übertragung – «Feuer auf den Feind!», in der Armee-Lieder und Unsinn von der Front gesendet wurden. Aber die Menschen hörten sich eher die neuesten Nachrichten an. Aus den dreieckigen Briefen erfuhren sie, was an der Front vor sich ging <...>

BAIKIT — REICHE ERDE, Krasnojarsk, 1997, aus "Gornitsa"


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