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Nina Dsjubenko: „Tschachwadse nennt, auf die Worte der Wachsoldaten verweisend, eine Zahl von 3800 Mann, die von Solowki nach Norilsk transportiert wurden“

Solowki – die Alma Mater des GULAG

Die meisten Lieder über Lager aus der Zeit des frühen Sozialismus verfasste das Volk über die Solowki-Inseln und Magadan. Es handelte sich um die Lager, die aufgrund ihrer begangenen Gräueltaten, die der neue Aufbau dem Volk brachte, das nun von Eigentum, den elementarsten Bedingungen für eine einigermaßen erträgliche Existenz, von Moral, Religion usw. befreit war, den größten Bekanntheitsgrad erlangten. Und zwischen dem westlichen STON (dem Solowjezker Gefängnis besonderer Bestimmung) und dem östlichen DAL-Lag – liegt unser weites Heimatland, umschlungen von den Schrecken des staatlichen Banditismus und eingezäunt von „Stacheldraht“ …. Solowki – das Erstlingswerk des vaterländischen Konzentrationssystems.. Es war auf einer Gruppe von Inseln im Weißen Meer gelegen, dort, wo der Onega-Meerbusen hineinfließt: Solowjezkij, Anserskij, Groß- und Klein-Muksalma, Groß- und Klein-Sajazkie. Zum Solowjezker Lager gehörte auch die Insel Popow. Seit dem 15. Jahrhundert existierte hier ein Kloster der Rechtgläubigen, das 1918 geschlossen wurde.

Im Jahre 1923 zählte man im Lande für das siegreiche Proletariat und die ihnen angeschlossene Bauernschaft, und nicht nur für sie, bereits siebenhundert Besserungsanstalten: Besserungshäuser, Gefängnisse, landwirtschaftliche Siedlungen und Konzentrationslager. In ihnen wurden zehntausende Menschen festgehalten – offenkundige und potentielle Feinde der Arbeiter- und Bauernmacht.

In demselben Jahr kam es zu einer weiteren Verschärfung der Repressionen. Neue Orte für die Gefangenhaltung von Häftlingen wurden benötigt, denn aus den bereits vorhandenen ereigneten sich massenweise Fluchtversuche – das System befand sich im Stadium des Werdens. Diese qualitativ neue Formierung war das Solowjezker Lager mit besonderer Bestimmung – das sogenannte SLON (ist auch das russische Wort für „Elefant“; Anm. d. Übers.). So trug auch eines der Bücher von J.A. Brodskij über die Solowkis den Titel: „Der rote SLON am Weißen Meer“. 1922 wurde die Insel mitsamt dem Kloster an die GPU übergeben, um dort Häftlinge aus den „Ur-Konzentrationslagern“ in Cholmogory und Pertominsk unterzubringen.

Während seines Bestehens erlebte das Solowezker Lager mehrere Reorganisierungen, wobei jede nur noch eine weitere Verschärfung des Regimes mit sich brachte: das Rückgrat des GULAG erstarrte erst mit der Zeit. Anfangs handelte es sich um eine politische Isolier-Haftanstalt für Mitglieder oppositioneller Parteien, danach ein Konzentrationslager für Verbrecher (ihr zahlenmäßiger Anteil schwankte um die 20%) und politische Gefangene und schließlich – ein Gefängnis mit besonderer Bestimmung. Und wenn die Gefangenhaltung von Parteileuten präventiven Charakter besaß, so fand sich im Konzentrationslager die Idee von der Zwangsarbeit bestätigt. Das Gefängnis war dann schon auf die Vernichtung der Menschen ausgerichtet.

Die Anordnung des Rates der Volkskommissare der UdSSR über das Organisieren des Solowezker Zwangsarbeiterlagers wurde am 13. Oktober 1923 verabschiedet und vom stellvertretenden Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare unterzeichnet (Geschichte des stalinistischen GULAG, Moskau, 2004, Bd. 2, S. 581). Wie bekannt, wird Rykow einige Jahre später Opfer der Repressionen, die er selber sanktioniert hatte.

Unterscheidungsmerkmale des SLON waren die völlige Isolierung von der freilebenden Bevölkerung, was sich auf Inseln, die in einem zugefrorenen Meer liegen, leicht erreichen lässt, die Schwierigkeit von Fluchtversuchen – keine einzige verlief jemals erfolgreich, jeden Tag die zwölfstündige Zwangsarbeit, die genormte Essensration und eine Organisationsform wie in der Armee.

Seit den Zeiten der leninschen Resolution „Über die Einheit der Partei“ (1921) ist bekannt, dass das Ein-Parteien-System im Lande sich „historisch“ herausbildete. Damals folge wegen Fraktionsbildung innerhalb der Partei der bedingungslose und unverzügliche Ausschluss aus ihren monolithischen Reihen. Später auch aus dem Leben. Wie Bucharin einmal sagte, herrscht bei uns tatsächlich ein Ein-Parteien-System: die eine Partei liegt bei der Staatsmacht, die andere befindet sich – im Gefängnis. Zwei Jahre später, im Jahre 1923, wurden Vertreter aller vorrevolutionären politischen Parteien nach Solowki gebracht: im politischen Meinungsstreit begann, nach der Definition des Schriftstellers und langjährigen Häftlings Jurij Dombrowskij, das geografische Argument Anwendung zu finden.

Und wenn über den Toren von Buchenwald die Aufschrift stand: „ Jedem das Seine“, so stand an den Toren des SLON geschrieben: „Mit eiserner Hand treiben wir die Menschheit zum Glück“. Es ist offensichtlich, dass der Zynismus und die offene Blasphemie über das Grundrecht des Menschen auf Freiheit in unserer Losung viel größer sind.


Lager-Gitter vor den Fenstern der Troizker Einsiedelei

Die Felssteingebäude des Klosters auf der Insel sind ziemlich gut erhalten geblieben, - man sieht, dass die Mönche sie nicht am Ende des Quartals „an die Empfangskommission abgaben“. Im Reich der Ruhe und Stille erinnert nichts an die Zeiten der solowezker Macht. Wie Augenzeugen berichten, nahm in jenen Jahren auf der Hauptkuppel der Festung ein eiserner fünfzackiger Stern den Platz des Kreuzes ein – als Symbol der Unfreiheit. Heute kann man ihn im Museum sehen, dessen Ausstellungsstücke zeigen, dass das sowjetische Repressionssystem bereits lange vor Stalin entstand. Unter ihm erreichte es allerdings seine klassische Vollendung, mehr nicht. Aber der Allgemeinplatz in der zeitgenössischen Publizistik lautet bis zum heutigen Tage „Stalinsche Repressionen“. Es ist erforderlich, diesen Terminus in „sowjetische Repressionen“ umzuändern.

Das Lager änderte seine Bezeichnung, seine Zugehörigkeit, seine Verwaltung, aber schon bald darauf gingen an den Haftverbüßungsorten Gerüchte um, dass diese Einrichtung über die das grausamste Haftordnung verfügte.

Folgendes schreibt Jacques Rossi, der Autor des „GULAG-Handbuchs“:“Zu den ganz normalen Erscheinungen gehörten:

a) Prügel, mitunter mit Todesfolge, häufig ohne Anlass;
b) Quälerei durch Hunger und Kälte, mitunter mit Todesfolge;
c) Einzel- oder Gruppen-Vergewaltigung von inhaftierten Frauen;
d) im Sommer Aufstellen von Gefangen in Mückenschwärmen , im Winter Übergießen der
Häftlinge mit Wasser unter freiem Himmel;
e) Abschlachten von wieder aufgegriffenen Entflohenen; dabei wurde der entstellte,
verstümmelte Körper für mehrere Tage vor das Lager-Tor geworfen (dies wurde zur allgemeinen Praxis der Sowjets“) – „Handbuch ….“, S. 370).

Außerdem wurden die Inhaftierten gezwungen, Wasser von einem herausgehackten Eisloch zum anderen zu tragen, Schnee von einer Stelle an eine andere zu schieben, was bedeutete, dass sowohl die Arbeit, als auch das Leben selbst, jeglichen Sinn verloren hatten.

Die unaufhaltsame Willkür der Solewezker Lagerleiter wurde durch periodisch durchgeführte Erschießungen (sogenannte Entlastungen) von Gefangenen gemäß Auftrag aus Moskau begünstigt. In den Jahren 1937 und 1938 geschah dasselbe in Norilsk. Der zentrale Strafisolator von Solowki war die Sekirka oder der Sekir-Berg. Er war 85 Meter hoch. Über 300 Stufen konnte man hinauf gelangen. Eine der spezifischen Solowezker Spezialitäten war, dass man die in einem Sack verschnürten Gefangenen die Treppe hinabwarf. Jacques Rossi schrieb: „In den 1950er Jahren gelang es dem Autor, in Ost-Sibirien ein Lied darüber zu hören, dass „acht Werst vom Sekir-Berg entfernt, aber auch an seinem Fuße, tote Körper liegen. Nur der Wind allein geht dort spazieren. Die liebe Mutter wird nie erfahren, wo ihr Söhnchen begraben liegt“ („Handbuch …“, S. 353).

Hier ein Zitat aus einem Dokument, das im vierten Band des Buches „Die Geschichte von Stalins GULAG“ auf S. 43 zu sehen ist: „Durch ganz besonders bestialische Handlungsweisen hob sich auf der Insel der Revolution der Kommandeur der 5. Quarantäne-Kompanie, der Häftling Kurilko, hervor, dessen traurige Berühmtheit sogar bis zu den ukrainischen Zwangsarbeitshäusern vordrang; seine am meisten verfeinerten Kunstfertigkeiten waren, dass er die Gefangenen zwang, ihren Kot gegenseitig in den Mund des anderen zu entleeren, dass er ein spezielles „Kabinchen“ zum Durchprügeln schuf, die Menschen nackt dem eisigen Schnee aussetzten („Stojka“), sie zwang, im Winter in die Bucht zu springen und andere. Lediglich in einer etwas leichteren Formen zeigten sich andere Administratoren“.

Unter derartigen Bedingungen schien das Leben ein überflüssiger Luxus zu sein. Kurilkos Verbrechen wurden auf seinen Befehl begangen. Er war Mitarbeiter der GPU in Orenburg, verurteilt zu 5 Jahren und man hatte ihn auf die Solowki-Inseln geschickt. Im Lager war er Angehöriger der Selbstschutzwache. Im Sommer 1930 wurden 12 Verurteilte aus den Reihen des Lagerpersonals, unter ihnen auch Kurilko, auf Beschluss einer OGPU-Sonderkommission erschossen. Aus Liedern kann man Worte nicht herausstreichen. Eben diesem Kurilko ist der Satz zuzuordnen: „Hier habt ihr nicht die Sowjet-, sondern die Solowki-Macht“.

Auch wenn dies alles nicht auf Weisung der OGPU geschah, so diente es doch zumindest ihren beabsichtigten Zielen: die Häftlinge psychisch zu zerbrechen, damit sie sich in eine willenlose, ergebene Masse von „Menschenmaterial“ verwandelten.

Solowki – das ist ein Meilenstein auf dem zur Schaffung einer authentisch-sowjetischen Methode des Aufbaus einer leuchtenden Zukunft mittels Zwangsarbeit. 15 Jahre Solowki-Erfahrungen mit hunderttausenden Gefangenen überzeugten schließlich die leninsche Leitung, dass unter den spezifischen sowjetischen Verhältnissen nichtfreiwillige Arbeit zweckdienlich ist. Dass man erstaunlich viel mit winzigen Zugaben zur Hungerration (Erfindung von N. Frenkel) erreichen kann. Die Solowezker Erfahrungen haben gezeigt, dass Denunzieren – das zuverlässigste und störungsfreiste Mittel ist, die eigene Verteidigung der Unterdrückten und Ausgebeuteten zu zerstören, dass man ihre Hilflosigkeit noch erfolgreich durch systematisches Ignorieren ihrer Beschwerden verstärken kann.

Die Erfahrung, die sich die OGPU auf den Solowkis erwarb, wurde nicht nur beim nachfolgenden Lager-Bau genutzt, sondern auch mit Erfolg bei der Hauptmasse der sowjetischen Staatsbürger angewendet. Zu jener Zeit fanden einige Methoden des Selbstschutzes der solowezker Gefangenen unumstößlich auch im sowjetischen Alltag ihre Bestätigung – beispielsweise die sogenannte „Tufta“ (Fälschung von Zahlen und Statistiken, um das Plansoll zu erreichen; Normbetrug; Anm. d. Übers.).


Arbeiten in der Baugrube der Schleuse N° 11

Im Jahre 1930 wurde das Solowezker Lager zur 11. Abteilung des Ostsee-Weißmeer-Kanals der OGPU umorganisiert. Man begann den Kanal auszuheben. Das war noch eine weitere unmenschliche Blasphemie gegenüber den Menschen und einem gesunden Menschenverstand: denn gebaut wurde er in stalinistischem Tempo, ohne Zement und Metall, ohne jegliche Technik – innerhalb von 20 Monaten und 10 Tagen. Von diesem Experiment ist ein unaufhaltsamer Enthusiasmus übriggeblieben und das Sprichwort „Ohne Tufta und Ammonal hätten wir diesen Kanal nie erbaut“ (selbst der Führer knurrte, als er das neue Bauwerk, welches seinen Namen trug, betrachtete: „Klein und unansehnlich!“). Pogodins Theaterstück „Aristokraten“, in dem es um die Umschmiedung von Kriminellen in selbstlose Kämpfer für eine gerechte Sache geht, wurde über viele Jahre in den Theatern des Landes gespielt. Sogar ich hatte in jungen Jahren die Ehre dieses Schauspiel über die betrügerischen Verwandlungskünstler zu sehen. Und auch der Begriff „Se Ka“ (Abkürzung für das Wort „saklutschonny“ = Häftling; Anm. d. Übersetzerin) wurde anfangs als „saklutschonnye kanaloarmeitsy“ („inhaftierte Kanalarmisten“; Anm. d. Übers.) ausgelegt. Das Volk wird an diesen Bau bis Ende des 20. Jahrhunderts durch Papirossi der Marke „Belomor“ („Weißmeer(kanal)“; Anm. d. Übers.) erinnert.


Kinderarbeit am Kanal (N° 182. 1933)

Als der Kanal in Betrieb genommen wurde, schuf man im November 1933 auf der Basis des Solowezker Lagers die 8. Solowezker Sonder- (Straf-) Abteilung des Ostsee-Weißmeer-Kombinats (BBK) unter der Zuständigkeit von OGPU-NKWD.

Auf Befehl des NKWD vom 28. November 1936 wurde die 8. Solowezker Sonder-Abteilung des BBK an die 10. Abteilung der GUGB (Hauptverwaltung für Staatssicherheit) beim NKWD übergeben und in das Solowezker Gefängnis mit besonderer Bestimmung (STON) unter GUGB-Unterstellung umorganisiert.

In diesem Gefängnis wurden sozial gefährliche Verbrecher, aber auch Verurteilte, welche das geltende Regime, die Arbeitsdisziplin verletzt oder Fluchtversuch begangen hatten, gehalten. Im Wesentlichen waren das diejenigen, die, wie es in dem bekannten Lied vom Genossen Stalin besungen wird „überhaupt nichts dafür konnten“.

Für sie wurden ganz besonders strenge Haftbedingungen aufgestellt:

• die Zellen wurden abgeschlossen und bewacht;
• jedes Verlassen der Zelle durch die Verurteilten geschah ausschließlich unter
Wachbegleitung;
• die Verurteilten wurden nicht zu Außenarbeiten gebracht;
• Besuche und Pakete waren einmal im Monat erlaubt, Briefwechsel – zweimal im
Monat;
• Spaziergänge erfolgten täglich für höchstens eine Stunde.

Am 1. März 1939 waren im STON 1688 Personen inhaftiert, am 1. August desselben Jahres – 2512.

Währen der Existenz des Solowezker Gefängnisses wurden dort mehrfach Erschießungen großer Häftlingspartien durchgeführt. In den Jahren 1937 und 1938 wurden 1818 Gefangene erschossen.

Auf Befehl des NKWD der UdSSR vom 2. Februar 1939 und auf Anordnung des Rates der Volkskommissare der UdSSR vom 1. Dezember 1939 wurde das STON geschlossen.

Auf Ersuchen des Volkskommissariats der Seekriegsflotte der Solowezker Inseln wurden das Bauwerk sowie die angeschlossene Hilfswirtschaft der Nordmeerflotte übergeben. Genau dort befand sich während des Großen Vaterländischen Krieges die Jungmatrosenschule der Seekriegsflotte. Der sehr bekannte Schriftsteller W.S. Pikul war Schüler eben dieser Schule. In seinem autobiographischen Roman „Die Jungchen mit den Schleifchen“ erzählt er vom Leben der Bewohner der Solowezker Inseln an den Wänden der Jungmatrosen-Schule. Hier ein Zitat aus seinem Werk:

„ – Sagen Sie, was bedeutet diese Überschrift: „S.L.O.N.“?

Schtschedrowskij wandte sich zur Fassade des düsteren Gebäudes um.

- Ach das, - meinte er auflachend. – Das lässt sich sehr einfach dechiffrieren: „Solowezker Lager mit besonderer Bestimmung“. Hier, Genosse, befand sich zu einer Zeit, als Sie noch nicht auf der Welt waren, ein bedeutendes Gefängnis. Darin waren Banditen und Mörder, Einbrecher und Wiederholungstäter sowie die Meister von Bankrauben inhaftiert. Heute gibt es sie schon längst nicht mehr, das Gefängnis in Sawwatewa wurde bereits 1928 liquidiert …“.

Vielleicht wäre es wertlos gewesen, Worte einer Person aus diesem Buch anzuführen, wenn sie nicht zufällig mit der Meinung der Mehrheit unserer Zeitgenossen zusammenpassen würden, die unbelastet sind von der Kenntnis der wahren Geschichte unseres freien Vaterlandes.

STON

Das Thema der Solowkis ist unermesslich. Diese Erzählung wird nur die Gefängnis-Periode anschneiden, die zwei Jahre währte. Im Sommer 1937 wurden die solowezker Häftlinge aus den Baracken getrieben, und zwei eingetroffene Militärangehörige verlasen Verfügungen über die Verschärfung des Haftregimes. Briefwechsel wurde bis auf weiteres eingestellt (bis dahin war es erlaubt, einen Brief im Monat zu erhalten).

Das Lager ging zur Gefängnis-Haftordnung über. Die Häftlinge bekamen besondere solowezker Uniformen. An den Barackenfenstern, und sogar an denen der Sanitätsstation, wurden Sichtblenden angebracht. In der Festung wurden hohe Zäune mit mehreren Reihen Stacheldraht gezogen.


Der Bau der Solowezker Eisenbahnlinie, 1928

Frischen Nachschub an Solowezkern und zukünftigen Norilskern – M.R. Rubeko, A.P. Babuschkin, A. Gerzulin, die vom Gefängnisaufenthalt und den Häftlingsetappen geschwächt waren, nahm eine Wachmannschaft aus vier Mann an der Station Kem in Empfang. Einer der Wachsoldaten ging mit einem Revolver bewaffnet voraus, die anderen mit gezogenen Säbeln. In dieser malerischen Besetzung marschierten sie vom Bahnhof bis zur Anlegestelle, stießen die Gefangenen dort auf Lastkähne, wo es warm und trocken war, transportierten sie nach Solowki und verteilten sie dort auf verschiedene Zellen.


Solowki. Kem. Von hier aus brachten sie die Häftlinge zu den Solowezker Inseln.

Aus den Erinnerungen von A. Bajew, veröffentlicht von J. Brodskij:

„Das Gefängnis stellte eine neue Etappe in der ganzen Repressionspolitik dar. Das Lager war ein vergleichsweise liberaler Ort, das Gefängnis jedoch bedeutete eine erhebliche Verschlimmerung.

In den 13 Jahren meiner Inhaftierung waren die Jahre im Solowezker Gefängnis die allerschlimmsten.

Den größten Teil meiner solowezker Haftzeit verbüßte ich in einem der Zellentrakte neben der Verklärungskathedrale, in der Zelle N° 79.

Einer von vielen Zellengenossen war ein junger Mann aus dem Stalingrader Traktorenwerk. Seinen Nachnamen weiß ich nicht mehr. Sie hatten ihn, zusammen mit anderen Arbeitern der Fabrik, beschuldigt, an einer faschistischen Organisation beteiligt gewesen zu sein. Es ging darum, dass in der Stalingrader Fabrik irgendwann einmal Deutsche gearbeitet hatten, und die OGPU war der Meinung, dass in ihrem Umfeld faschistische Organisationen gegründet wurden. Unser Zellenkamerad wollte kein Faschist sein und protestierte. Aber er protestierte, so kann man es wohl ausdrücken, auf eine primitive Art und Weise. Beispiel: jemand von der Administration kommt herein – alle sollen aufstehen, aber er bleibt liegen. Oder: er macht eine der Lüftungsklappen auf, welche die Häftlinge niemals selber öffnen dürfen.

Anfangs wurde er in demselben Gefängnis mehrmals in den Karzer gesperrt, wobei sich die Haftdauer zunehmend verlängerte. Aber später brachten sie ihn in den Turmkarzer in der Festung. Nach zwei Wochen schleiften sie ihn, unter den Armen gestützt, herbei: sein ganzer Körper war angeschwollen, er selber völlig kraftlos. Seine Haare waren fast vollständig ausgefallen …“

Über fälschliche Erschießungen, über den Kampf um Sauberkeit in den Zellen in Form von Misshandlungen der Wachen gegenüber den Häftlingen für jeden kleinen Fleck auf dem Fußboden, über Aufschriften aus Blut von abgehackten Fingern – über all das berichtete er seinem Sohn Josef Michailowitsch Machnowezkij (von G.I. Kasabowa bereits in der dritten Ausgabe des Buches „Über die Zeit, über Norilsk, über sich selbst… „ veröffentlicht)- Somit ist also das Sujet des Films von T. Abuladse „Reue“ keine erfundene Metapher.

Dies berichtete ein anderer Inhaftierter – B. Oliker (Publikation von J. Brodskij):

„Der Diensthabende entfernte sich nicht vom „Guckloch“ der Zelle, denn er sollte ständig Acht haben, was in der Zelle vor sich ging, und vor allem sollte er ein Auge auf die Gesichter der Häftlinge werfen. In den Gefängnisregeln steht geschrieben: „ …lautes Reden verboten“. Aber auch leises Sprechen, selbst Flüstern, wird geahndet. Zur Vermeidung einer Strafe schwiegen die Menschen monatelang. In der Zelle, einem ehemaligen Kerker, standen sechs Schlafstellen. Zwischen ihnen gab es einen Durchgang von 25-30 cm Breite. Das war der „Platz zum Spazierengehen“, den man wie folgt begehen konnte: zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück.

Rauchen war erlaubt, allerdings waren die Häftlinge verpflichtet, die abgezählten Mundstücke der Papirossis alle wieder zurückzugeben. Über jeden wurde ein separates Konto geführt: wie viele Papirossis er erhalten, wie viele Mundstücke er zurückgegeben hatte; dabei mussten letztere ganz und unversehrt sein, nicht angebissen und mit einer dünnen Papirossihülle versehen. Von Zeit zu Zeit gab es eine Inventur: es wurde der Nachweis darüber verlangt, wie viele nicht zurückgegebene Mundstücke von aufgerauchten Papirossi noch vorhanden waren. Unter diese Kontrolle gerieten auch Streichholzschachteln und Schachteln mit Zahnpulver. Das war eine komplizierte buchhalterische Angelegenheit. Wie viele Menschen wohl bei der Registrierung der Mundstücke, Papirossi und Schächtelchen beschäftigt waren! Und wie viele Häftlinge wurden bestraft, weil sie scheinbar nicht genügend Kippen zurückgegeben hatten!

Selbst der Ausmarsch der Gefangenen zum Abtransport war von außergewöhnlicher Strenge begleitet. Auch da hieß es: Hände auf den Rücken, einen Meter Abstand, dieselbe Wachbegleitung: einer – vorneweg, der andere – hintenan. Beim Gang zur Toilette bekam jeder einen Fetzen Papier von der Größe einer Streichholzschachtel. Innen postierte sich unnachgiebig einer der Wachmänner und wandte kein Auge von den Gefangenen. Wehe dem, der nicht das Papier benutzte und es dann beim Verlassen wieder zurückgab!

Medizinische Hilfe gewährte ein einfacher Schütze, der Pulver verteilte. Derjenige, der dieses Pulver bekommen sollte, stellte sich mit geöffnetem Mund vor die in der Zellentür geöffnete Essensklappe, und der „Arzt“ schüttete es ihm selber hinein, ohne ihm das Tütchen selber in die Hand gegeben zu haben.

Punkt 6 Uhr morgens begann die in die Wand eingelassene Glühbirne zu flackern. 2-3 Minuten später musste der Häftlinge fertig angezogen auf seiner Schlafstelle sitzen.

Es war verboten sich in der Zeit ab dem Weckruf bis zum abendlichen Zapfenstreich hinzulegen. Die ganzen 16 Stunden lang mussten sie dort sitzen, ohne sich auch nur einmal niederzulegen oder gar nach vorne zu beugen. Der Körper sollte in streng aufrechter Position verharren. Nach 1-2 Monaten begannen bei allen die Beine anzuschwellen“.

B. Oliker berichtete, dass er das einmal vergaß; er neigte sich nach vorn und schlug ein Bein über das andere. Sogleich wurde darüber ein Protokoll geschrieben, und man entzog ihm für 6 Monate die Erlaubnis Briefwechsel zu haben. Aufgrund der bleiernen Müdigkeit und des ununterbrochenen Sitzens wurden die Gefangenen nach 5, 6 Uhr abends vom Schlaf übermannt. Es war mühsam die Augenlider noch offen zu halten, damit sie nur nicht zufielen – die Augen mussten doch immer offen bleiben, sonst drohte – Bestrafung …

Aber auch die wahre Nacht brachte dem Häftling nicht viel Freude. Häufig wurde der Schlag gestört. Der Diensthabende sollte immer das Gesicht des Schlafenden im Auge haben. Wenn einer seine Decke bis über die Schultern hoch zog, dann ließ man gleich alle Gefangenen Aufstellung nehmen; sie wurden angeschrien und beschimpft. Das Ganze endete dann mit der Bestrafung einer Person – irgendeiner! Um nicht zu den Schuldigen zu gehören, deckten sich die Gefangenen, trotz der niedrigen Temperaturen, nur bis zur Gürtellinie zu, konnten dann jedoch vor lauter Kälte keinen Schlaf finden.

Im Sommer, bei großer Hitze, verstärkten sich die Qualen noch. Ein Moskauer Student wurde zu 5 Tagen Karzer bestraft. Es war nämlich so, dass es trotz der Hitze verboten war, das Hemd auszuziehen, es aus der Hose zu ziehen oder die Ärmel hochzukrempeln. Und ihm war nun sofort Unterwäsche aus Flanell zugefallen. Erlag auf dem Bett und ging das Risiko ein – vor lauter Hitze zu ersticken. Da zog er unter der Decke die dicken Flanell-Unterhosen aus. Als er erwachte, schaute das nackte Knie unter der Bettdecke hervor … Alle Zellengenossen wurden geweckt und mussten sich hinstellen.

Simon Erastowitsch Tschachwadse (ein Landsmann von Ordschonikidse) berichtete, dass man sie gelegentlich zum Spaziergang ausführte. „Dort, - erinnert er sich, - gab es einen kleinen Hof von etwa 5-6 Metern Durchmesser. Es war erlaubt dort 5 Runden zu gehen – und das war alles. Der Zeitplan für den Hofgang war so aufgestellt, dass man nie denjenigen begegnete, die in der Nachbarzelle einsaßen. Deswegen wusste ich nicht, dass neben meiner Zelle (ich saß in der N° 88) mein Bruder Georgij eingesperrt war. Er konnte das Ganze nicht ertragen und starb auf den Solowkis“.

Nur während dieser Spaziergänge erfuhren die Gefangenen über Ereignisse, die sich in der Freiheit zutrugen, wobei sie an den Gefängnisgebäuden das turnusmäßige Auswechseln der Führerportraits sahen.

In den Zellen und Verliesen besaßen die Insassen nicht das Recht ans Fenster heranzutreten (Zellengenosse M.P. Rubeko kam dafür in den Karzer), auch durfte man sich nicht mit dem Rücken zur Wand stellen – sonst bekam man sofort drei Tage und Nächte Karzer aufgebrummt – wegen „Klopfenzeichengebens“, aber dafür durfte man ohne Ende immer wieder die Klassiker des Marxismus-Leninismus durchlesen und darin als „ewig lebendiges“ Erbe Antworten auf hoch aktuelle Fragen zu suchen, die das Leben ihnen stellte (aus den Erinnerungen von Großvater Wetroduj – M.G. Potapow).

In der Kultur- und Erziehungsstelle des 9. Lagerpunktes

„Alle rissen sich darum den Fußboden wischen zu dürfen, denn das war körperliche Betätigung, und die braucht jeder. Nachdem ich mit dem Fußboden fertig war, klopfte ich an die Tür, um meinen Holzeimer und den Wischlappen wieder abzugeben. Aber Klopfen war nicht erlaubt, und so diente mein Verhalten zum Anlass, mich mit Karzer zu bestrafen.

An den Tagen, an denen es gestattet war, Briefe und Gesuche zu schreiben, bekamen diejenigen, die Geld angespart hatten, Papier und einen Briefumschlag. Den Umschlag zuzukleben war verboten, die Adresse für die Rückantwort lautete nicht Solowki, sondern Bahnstation Kem. Erst 1955 erfuhr meine Frau, dass ich viele Jahre im Solowezker Gefängnis verbracht hatte, und sie war die ganze Zeit überzeugt gewesen, dass ich mich in Kem aufhielte. Für das Verfassen von Briefen oder Gesuchen gab man uns genau eine halbe Stunde Zeit. Wenn man nicht rechtzeitig fertig wurde, musste man den Brief unvollendet abgeben. Personen, die keine Ersparnisse besaßen, verloren automatisch die Möglichkeit Briefe zu schreiben.

Es gab Fälle, in denen man uns einzeln in die Kanzlei des Oberaufsehers oder diensthabenden Aufsehers rief. Sie ließen uns auf einem Hocker inmitten des Zimmers Platz nehmen und reichten uns einen bereits aufgerissen Brief zum Durchlesen. Aber häufiger war es so, dass der Aufseher den Brief selber vorlas.

Zweimal wurde der Zelle die Möglichkeit des Spazierengehens entzogen, weil die Häftlinge Unmutsbekundungen wegen großer Mengen Sand im Brot geäußert hatten; außerdem hatten sie die dünne Brühe verweigert, in der etliche weiße Maden schwammen. Die Maden wurden herausgesammelt, in eine Streichholzschachtel gelegt und dem Aufseher ausgehändigt. Der Gefängnisleiter erschien in Begleitung eines Arztes. Der Arzt verkündete, dass die Maden absolut unschädlich für den Menschen wären und unsere Einwände Wut gegen die Solowezker Behörden ausgelöst hätten.

- Bedankt euch dafür, dass ihr zu essen bekommt!“ – fügte der Gefängnisleiter noch selber hinzu“, - erinnerte sich D. Sagajdak.

In keinem einzigen Archivdokument begegnet man einer Auflistung der Arbeiten, welche die Solowezker Häftlinge leisten mussten. Um es ganz genau zu sagen – in fast keinem. Folgende einzigartige Bescheinigung wurde in der Personenakte von I.G. Malyschkin verwahrt. Der Leiter des Archivs bei der Behörde für innere Angelegenheiten der Region Krasnojarsk – Klopow – teilte dazu mit: „ …vom 15. Juni 1935 bis August 1939 arbeitete er in der Jodherstellung beim Solowezker Gefängnis innerhalb des Betriebs und bediente Geräte“. Das bedeutet: Iwan Grigorewitsch hatte großes Glück – er entging der geheimen Inhaftierung.

Wie Wasilij Wasiljewitsch Baranow berichtete, „waren wir alle Gefängnisinsassen“, das heißt sie saßen im Gefängnis ein. Aber im Juni eben dieses Jahres 1939 „verwandelte sich das Gefängnis für alle in ein Lager – Arbeiten bis zum Umfallen, und die Essensration war die gleiche wie im Gefängnis“.

A.A. Babajew, W.N. Koljada, I.M. Machnowezkij, M.P. Rubeko, S.I. Stein (Snegow) „wurde mitgeteilt, für welche Arbeiten die Sowjetmacht sie „umschmieden“ wollte. „Wir schafften es, den Klosterfriedhof zugrunde zu richten (buchstäblich auf Knochen errichteten wir dort ein Hospital), bauten ein Gefängnis bis unters Dach und errichteten auf der Landzunge der Insel einen Militärflugplatz“, - erinnert sich A.A. Bajew.


Schubkarrenfahrer

Mit dem ihm anhaftenden Lager-Humor ergänzte Snegow Bajews Erzählung: „Wir haben mit Ungeduld und voller Hoffnung darauf gewartet, dass die Etappe zusammengestellt wurde. Zwei Monate Erdarbeiten am Weißen Meer haben auch die Standhaftesten zugrunde gerichtet. Viele waren noch bis zum Platz des zukünftigen Flugplatzes gekrochen und dann im Sand zusammengebrochen, und selbst Major Wladimirows lautes Fluchen und seine Drohungen konnten sie nicht wieder auf die Beine bringen. Die Gefängnisärzte, welche sogar die Sterbenden noch als Simulanten bezeichneten, ließen die Häftlinge nun massenweise hinter den Gefängnisgittern. Die Solowezker Leitung hatte begriffen, dass der wirtschaftliche Nutzen sich aus uns nicht herauspressen ließ, und deswegen gewährten sie hunderten Geschwächten und völlig Erschöpften – unter ihnen auch ich – eine zweiwöchige Erholungszeit, bevor es wieder auf Etappe ging.

Es näherte sich ein wenig bekannt gewordener Krieg – der sowjetisch-finnische.

Häftlingstransport Solowki – Norilsk

Der ursprüngliche Plan für die Errichtung des Norilsker Kombinats sah seine Inbetriebnahme im Jahre 1938 vor. Dies war jedoch nicht der Fall, was den ersten Leiter des Norilsker Bauprojekts W.S. Matwejew, die Freiheit kostete.

Im folgenden Jahr sollten Tempo und Maßstab des Bauvorhabens um ein Vielfaches steigen. Somit stieg auch der Bedarf an Arbeitskräften. Die Anforderungen an das GULAG auf ein Sonderkontingent stellte der Leiter des Norilsker Kombinats A.P. Sawenjagin, dessen Namen das Kombinat heute noch trägt.

Der GULAG half dem Kombinat das Problem mit den Arbeitskräften zu lösen.. Im Jahre 1939 trafen in Norilsk, Gerüchten zufolge, etwa 10.000 Gefangene mit fünf Häftlingsetappen ein: am 13.06., 19.07., 17.08., 17.09. und 09.10. Der Solowezker Häftlingstransport war der zahlenmäßig größte von allen, aber die Ankömmlinge waren am wenigsten arbeitsfähig. Da gibt es ein gewisses Geheimnis. Auf Befehl des Volkskommissars Berija sollten die Solowezker Gefangenen in die Gefängnisse von Orlowka und Wladimir verlegt werden. In den heute veröffentlichten (mir zugänglichen) Materialien wird Norilsk an keiner Stelle genannt. Warum nicht?

Bei der heutigen Situation ist es bei der Arbeit im Archiv nicht möglich festzustellen, ob es zwischen dem STON und dem NorilLag vor 1939 Verbindungen gab, wie viele Etappen es in den Hafen von Dudinka gab, wie hoch die Zahl der transportierten Häftlinge war. Auf all diese Fragen und noch viele andere hat man bis heute keine Antworten gefunden.

Als Quellen für die vorliegende Publikation dienen Erinnerungen ehemaliger Gefangener, literarische Materialien sowie Dokumente – Personenakten aus der Vereinten Archivbehörde des Norilsker Kombinats (OBA). In diesem Archiv ist ein Teil der Akten aufbewahrt, die seinerzeit über bereits aus dem Arbeits- und Besserungslager freigelassene Personen angelegt wurden, welche aus dem Kombinat kamen und Verträge über ein freies oder unfreies Arbeitsverhältnis abschlossen.

Wie die Analyse der OBA-Dokumente bezeugt, können wir in der Regel nur die Akten der Spezialisten studieren, die durch irgendeinen Chef rechtzeitig von den unter Wachaufsicht stehenden Arbeiten abgezogen wurde, bevor sie zu einer „Etappe“ ins Jenseits zusammengestellt waren.

In einigen Personenakten werden die Solowkis als Haftverbüßungsort ohne Hinweis auf Verbrechen erwähnt. In anderen Fällen war das bekannte Datum der Ankunft der Solowezker Häftlingsetappe in Norilsk (17. August 1939) dabei behilflich, den Tatbestand des Aufenthalts auf den Solowki-Inseln festzustellen, aber auch die Erinnerungen von Zellengenossen, Leuten, die zusammen mit anderen in ein und demselben Fall verurteilt worden waren usw.

Die Mehrheit dieser Dokumente tauchte Jahre nach der Schließung der Solowkis als Haftverbüßungsort auf.

Bevor wir von der Etappe des 17. August 1939 erzählen, möchte ich, dass unfreie Bewohner der Solwki-Inseln selber berichten, was das für ein Gefängnis war. Warum gab es im gesamten Russland Gerüchte darüber? Der Geschichtsforscher der Solowkis, J. Brodskij, führt die Worte des Häftlings Michail Nikonow über die Solowki-Inseln an: HÖLLENSYSTEM.

Das wahrscheinlichste Datum für die Abfahrt der Etappe von den Solowkis ist der 5. August 1939. Snegow nennt es. An dem Tag hatte er Geburtstag.

Der Holzfrachter oder das Trockenlastschiff „Semjon Budjonny“ traf im Solowezker Archipel ein und war beladen mit vierhundert Kriminellen aus Archangelsk, die sich am Heck des Schiffes befanden.

Debola Alkazew erinnert sich: „Die Solowezker Häftlinge wurden eines Nachts im August zu ungewöhnlicher Zeit geweckt. Man befahl ihnen, ihre Gefängniskleidung abzulegen und ihre
Eigene anzuziehen“.

Neben dem Badehaus an der Solowezker Anlegestelle wurden die Menschen auf Lastkähne geladen, später wurden sie auf den Trockenlastfrachter umgeladen, der aus diesem Anlass mit GULAG-Möbeln ausgestattet worden war – Pritschen. Es wurden unterschiedliche Angaben über die Anzahl der Schlafstellen-Etagen gemacht – zwischen 2 und 7.

Das Fassungsvermögen eines Holzfrachters konnte ganz fantastische Ausmaße annehmen, wenn man sich an die tschekistischen Verlademethoden erinnert.

Auf die Worte des Begleitsoldaten Bezug nehmend, nennt Tschachwadse eine Zahl von 3800 Häftlingen, die per Etappe von Solowki nach Norilsk gebracht wurden. Laut Zeugenaussage von M.P. Rubeko befand sich auf diesem Trockengut-Frachter auch Nikolaj Wasiljewitsch Wolochow, der Leiter des Solowezker Gefängnisses. Gemäß Angaben der OBA befand sich N.W. Wolchow von Oktober 1938 bis Juni 1939 im Reserveeinsatz der Personalabteilung des NKWD der UdSSR. Er war er es auch, der die neuen Norilsker herbrachte.

Am 17. August 1939 unterzeichnete der Leiter des Norilsker Kombinats, A.P. Sawenjagin, den Befehl N° 386: „Auf Grundlage der Anweisung N° 1820 des GULAG beim NKWD vom 20. Juli 1939 wird der Hauptmann der Staatssicherheit, Genosse N.W. Wolchow, zum stellvertretenden Leiter des Norilsker Kombinats in Lagerangelegenheiten ernennt.

Das von Sawenjagin genannte Datum, der 17. August, unterstreicht die bereits aus anderen Quellen bekannte Ankunft der Solowezker Etappe in Norilsk.

Die Fahrt des Holzfrachters durch das Weiße Meer, die Barents- und Kara-See, den Fluss Jenisej verlief in Begleitung eines Eisbrechers, der zudem auch noch das Geleit der Schiffskarawanen der Kara-See-Expeditionen bildete. Es war ein zähes Durchkommen. Auf dem Meer herrschte hoher Wellengang, deswegen lag die „Frachtraum-Ladung“, wie Snegow sie nannte, nebeneinander auf dem Boden; niemand erhob sich. Und diejenigen, die nach oben gegangen waren, sahen den tiefhängenden Himmel und die Eisschollen, die an den Schiffsrumpf stießen.

Neben der Seekrankheit war die Ungewissheit die schlimmste Pein, denn niemand kannte den Zweck und das Endziel der Reise.

Wasilij Feoktistowitsch Romaschkin nannte den Nachnamen eines Journalisten aus Leningrad – A.J. Starowojtow, der nicht an der Seekrankheit litt und der einzige war, der unterwegs den Menschen half, indem er ihnen Essen und Wasser verabreichte … Und sie haben dir so spärlich zu essen gegeben, dass du weder in der Lage gewesen wärst über das Weiße, noch über irgendein anderes Meer zu fliehen, witzelte Rubeko.

Am 15. August näherte sich der Trockengut-Frachter „Semjon Budjonny“ Dudinka. In der Nacht lagen sie auf Reede. Eine Anlegestelle gab es nicht, daher wurden die Menschen mitten auf dem Jenisej auf einen Lastkahn umgeladen, der sie dann zum Ufer brachte.

Nach Tschachwadses Worten blieben 800 Menschen in Dudinka.

Eine Gruppe Gefangener fuhr mit der Schmalspurbahn bis nach Norilsk. Als die Kolonne sich dem Bahnhof näherte, merkte man, dass sie zehnmal länger war als der Bahnsteig. Die Häftlinge wurden übereinander „aufgefädelt“: sie mussten sich auf die Knie, Schultern und sogar Köpfe anderer setzen. Auf diese Weise fuhren sie in Begleitung von Wachen und schwerem Maschinengewehrgeschütz an den Endbestimmungsort, der für viele auch tatsächlich der letzte sein sollte.

Eine andere Gruppe ging, laut Zeugenberichten von D.K. Alkazew und I.M. Aleksejenko zu Fuß nach Norilsk.

Danach wurden alle lange sortiert – denn es gab sehr viele, die unter Konvoi-Bewachung standen. M.P. Rubeko bestätigt, dass seine persönliche Nummer auf der Norilsker Registrierkarte mit der Zahl 38000 gekennzeichnet war.

Von Solowki gelangten nach Norilsk (wie inzwischen bekannt ist) auch fünf Ärzte: A.A. Bajew, P.J. Nikischin, M.A. Raiwitscher, S.I. Rosenblum und D. Sagajdak. Nach der Etappe entschieden sie im Lager über die Arbeitseignung der Häftlinge: „wer arbeitsfähig, wer bereits dem Untergang geweiht war“.

Im Herbst brach im Norilsker Arbeits- und Besserungslager eine Ruhrepidemie aus. „In jenen Oktobertagen, - erinnert sich Snegow, - starben täglich Menschen aus unserem Gefangenentransport. Die Solowkis hatten ein äußerst geschwächtes Menschenkontingent nach Norilsk geliefert – so formulierte es die Lager-Medizin“.

Im Sommer und Herbst 1939 trafen in Norilsk zahlreiche Ingenieure ein. Ihr Zustrom war dermaßen groß, dass die Abteilung für die Registrierung und Verteilung der Häftlinge „Ingenieur-Landarbeiter“-Brigaden zusammenstellte. Für die schwere körperliche Arbeit reichten bei vielen die Kräfte nicht. Infolgedessen „waren zum Zeitpunkt meiner Entlassung im Jahre 1947 von der ganzen Etappe nur noch so viele Menschen am Leben, wie man sie mit den Fingern abzählen konnte (aus den Erinnerungen von Natroschwili).

Wer gehörte nun zu den Solowki-Norilskern? Derzeit beläuft sich die genaue Zahl der gefundenen Personen auf 131. Die überwiegende Mehrheit – mehr als 100 Leute – sind Menschen mit höherer oder nicht angeschlossener höherer Bildung: sowohl Techniker als auch Geisteswissenschaftler. In Freiheit wurden sie von der Sowjetmacht nicht benötigt.

Viele Male musste man hören, dass das Lager in Norilsk dank A.P. Sawenjagin ein gutes war. Aber wir erinnern uns nicht immer daran, dass dies UNSCHULDIGE Menschen waren! Weiter oben habe ich geschrieben, dass die gesamte Liste der Solowki-Etappe lediglich die enthält, die überlebt haben. Aber bei „Memorial“ in Petersburg geriet mir vor zwei Jahren eine Information über A.W. Kusmin in die Hände, der bis zu seiner Verhaftung politischer Redakteur der „Leningrader Prawda“ war. Im NorilLag arbeitete er auf dem Bau (er war kein Spezialist, daher konnte ihn niemand retten), erkrankte an Skorbut, offener Tuberkulose und Pellagra. Anfang Januar 1940 starb er. Der Standpunkt der Lagerleiter: wer nicht arbeitet, braucht auch nicht essen.

Dieses Motto wurde auf den Solowkis geboren und lebte bis zum Moralkodex der Erbauer des Kommunismus weiter.

Und noch etwas: es gab da noch zwei wichtige Gestalten – N. Frenkel und A. Nogtew.

Frenkel war Erfinder des Systems der differenzierten Lebensmittel-Norm in Abhängigkeit von der geleisteten Arbeit und dem Gesundheitszustand. In der Folgezeit wurde er General des MWD und starb als angesehener Mann in seinem eigenen Bett. Nogtew war Leiter des SLON (Solowezker Lager mit besonderer Bestimmung; Anm. d. Übers.); man hatte ihn bestraft (aber keinesfalls wegen der Solowkis) und er war ins NorilLag geraten. Im Siegesjahr ließ man ihn frei, und gleich danach verlieren sich seine Spuren. Der Philosoph Hegel prägte zu seiner Zeit die Formulierung: Verbrechen und Strafe stehen in keinem kausalen Zusammenhang.


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