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Menschen und Schicksale. Den Opfern der politischen Repressionen des Krasnoturansker Bezirks gewidmet...

Valentina Karlowna Buckert

Wir vergessen nicht und erzählen den Kindern
von den politischen Repressionen und Gewaltakten,
damit sie ihrer Vorfahren gedenken und um jene trauern,
die sich für uns gequält haben.


Die Familie Arngold (Arnhold)

Ich bin Valentina Karlowna, mein Mädchennamen lautete Arnhold. 1974 heiratete ich und heiße seitdem Buckert. Ich wurde am 26.09. 1955 auf der Farm Maiskoje geboren, Region Krasnojarsk, Idrinsker Bezirk, geboren. Nach meiner Geburt zählte man mich zu den Kindern von Volksfeinden. Ich lebe in der Ortschaft Krasnoturansk, Region Krasnojarsk. Ich absolvierte das Atschinsker Technikum für Landwirtschaft auf dem Spezialgebiet Buchhaltung in landwirtschaftlichen Unternehmen. Meine Tätigkeit begann ich im Idrinsker Bezirk, Ortschaft Romanowka, als Buchhalterin. Ich habe zwei Kinder: Sohn Wjatscheslaw und Tochter Irina. Ich habe ein bisschen über mich aufgeschrieben. Aber erzählen möchte ich mehr von meinen Vorfahren und natürlich von meinen Eltern, die, wie es scheint, eine ganze Reihe von unmenschlichen Lebensbedingungen durchgemacht und erlebt haben. Ich beginne damit, dass sie 1941 aus nationalen Motiven, auf Grundlage eines stufenweisen Bescheids, auf dem alle sechs Familienmitglieder eingetragen waren, auf Güterwaggons verladen und aus dem Gebiet Saratow in s Ungewisse abtransportiert wurden – weswegen istvöllig unverständlich. Schon damals stellte sich heraus, dass alle Wolgadeutschen aus ihren angestammten Wohnorten vertrieben wurden.


Daniel Andrejewitsch und Alwina Davidowna Arnhold

Daniel Andrejewitsch Arnhold (mein Großvater, geb. am 14.01.1894, verstorben am 28.12.197 im Idrinsker Bezirk) und Alwina (Alwine) Davidowna Arnhold (geb. 189, meine Großmutter, gerieten mit ihren sechs Kindern nach Sibirien.

Jewdokia Danilowna Arnhold – geb. am 03.09.1924
Karl Danilowitsch Arnhold – geb. am 18.03.1927 (mein Vater)
Lydia Danilowna Arnhold – geb. am 23.07.1928
Maria Danilowna Arnhold – geb. 1935
Philipp Iwanowitsch Friserger – geb. 1928
Iwan Iwanowitsch Friserger – geb. 1930
Maria Iwanowna Friserger – geb. 1935
Theresia Genrichowna Arnhold – geb. 1885 – Schwester des Großvaters

Was das alles bedeutete und wie wir in diesen Gegenden lebten – das erfuhr ich erst später, als ich erwachsen wurde. Mein Vater – Karl Danilowitsch Arnhold (geb. 18.03.1927, Geburtsort: Gebiet Saratow, Markowsker Bezirk, Ortschaft Bettinger, Kanton Unterwalden), konnte uns nicht ohne Tränen von seinem Leben berichten. Schon im Alter von sechs Jahren, daran konnte er sich ganz bewusst erinnern, rettete er sich vor dem sicheren Hungertod, indem er Ziesel-Mäuse fing und von dem spärlichen, ertraglosen Saratowsker Boden Ähren aufsammelte. Die Familie war groß. 1937 wurde es leichter, sie hatten eine gute Ernte.

Ach, was sich in seiner Kinderseele abspielte – kein Buch würde ausreichen, um das alles zu beschreiben. Mit 16 Jahren holten sie ihn in ein Baubataillon nach Nischnij Tagil. Die Deutschen standen unter staatlicher Sonderkontrolle, und so verbrachte er beinahe 15 Jahre hinter Stacheldraht. Er arbeitete wie ein Zwangsarbeiter. Innerhalb einer Schicht musste er mit einem Vorschlaghammer Gestein zerschlagen und anschließend einen Steinhaufen von drei Kubikmeter verladen. Schaffst du’s nicht – dann entziehen sie dir deine Essensration, aber sie konnten dich auch für ein halbes Jahr unter Arrest stellen. Die Verpflegung bestand aus – einem Fisch-Sud mit Würmern, er konnte sich nicht dazu zwingen, das hinunterzuschlucken. Er nahm schrecklich an Gewicht ab, aber es gab ja noch die Knochen, beliebte der Vater zu scherzen, während er das erzählte. Mit 21 Jahren begegnete er Mascha – das ist meine Mama Maria Jegorowna Schreider (Schröder), geb. am 18.03.1930 im Gebiet Saratow, Bezirk Kamenka).


Margarita Iwanowna Schreider (Schröder)


Jegor Schreider (Schröder)

Ihre Eltern wurden ebenfalls Repressionen ausgesetzt und unter Zwang aus den erwähnten Orten ausgesiedelt: Mutters Vater (mein Großvater) Jegor Schreider (Schröder), geb. 1907 und Mamas Mutter (meine Großmutter) Margarita Iwanowna Schreider (Schröder), geb. 1908. Sie ist noch keine achtzig Jahre alt. Die beiden heirateten nach einem Monat, blieben aber jeder auf seinem Gelände wohnen: er im Wohnheim, sie bei den Eltern. Woher sie Trauzeugen für die Eheschließungen nehmen sollten, wussten sie nicht. Von der Straße holten sie einen Jungen Burschen und ein Mädchen herbei, um die Unterschriften zu bestätigen – und das war’s. 60 Jahre leben Vater und Mutter inzwischen miteinander. Als die Eltern von der Eheschließung mit Mascha erfuhren, gab es ein mächtiges Trara. Als sie beschlossen, in den Idrinsker Bezirk zu den Eltern zurückzukehren, mussten sie an Kossygin einen Brief schreiben, um die Erlaubnis zu erhalten, Nischnij Tagil zu verlassen. Es ging gut aus. Bei der Ankunft ließen wir uns in Kortus nieder. Und so blieben wir hier und bekamen noch weitere Kinder: hier erblickten noch drei das Licht der Welt. Ins gesamt hatten die Eltern fünf: Maria Karlowna Arnhold – geb. am 13.06.1950, die älteste Tochter; Sohn Alexander Karlowitsch Arnhold – geb. am 01.07.1952; Valentina Karlowna Arnhold – geb. am 26.09.1955, die mittlere Tochter; Sohn Iwan Karlowitsch Arnhold – geb. am 01.05.1957, und die letzte Tochter Nina Karlowna Arnhold geb. am 11.11.1958. Der Vater arbeitete 20 Jahre als Fahrer bei der Dorf-Konsumgenossenschaft, danach bis ins hohe Alter als Batterie-Betreiber in einer Auto-Werkstatt. Mama erzählte, dass sie in der Sowchose beim Tabakanbau tätig war, in der Bäckerei Brot gebacken, als Köchin in der Kantine gearbeitet hätte; irgendwie hatte sie ja ihre fünf Kinder durchbringen müssen. Die Eltern verlangten dem Leben nichts ab, sie wärmten lediglich den heimischen Herd mit ihrer Hände Arbeit, gegenseitigem Verständnis und Achtung. Wie weit wir auch entfernt sein mögen - Kinder, Enkel und Urenkelkinder kommen immer wieder gern ins warme Elternhaus.


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