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Menschen und Schicksale. Den Opfern der politischen Repressionen des Krasnoturansker Bezirks gewidmet...

Karl Karlowitsch Paweltschik

Autor: Dmitrij Chomenko, Kortus

Ich werde nur von einem Zwei meines Familien-Stammbaums erzählen – der Familie meiner Großmutter mütterlicherseits.

Noch zu Lebzeiten meiner Großmutter, Olga Karlowna Paweltschik, gelang es mir, sie über das Leben während des Krieges zu befragen; dabei berichtete sie auch von ihren Eltern, Brüdern und Schwestern.

Karl Karlowitsch Paweltschik, geboren 1898 im Gebiet Wolhynsk, in der Stadt Schitomir.
Seit alters her in diese Gegend strömten

Russen, Deutsche, Polen, Juden.
Altes und Neues Testament und Tora –
Alles ist gemischt. Das ist Zhitomir!
(Wladimir Beloserskij)

Familienlegenden beschreiben, dass ein Vorfahre mit Nachnamen Paweltschik aus Polen kam (genauer gesagt: er "kam" nicht, sondern wurde vielmehr an den Rand (die Grenze) Polens umgesiedelt). Auf dem Foto – mein Urgroßvater mit Frau und Kindern

Die Polen tauchten im XIV Jahrhundert, nach der Eingliederung Galiziens ins polnische Territorium, auf dem Gebiet der heutigen Ukraine auf. Zu Massenumsiedlungen kam es im XV²²-XV²²² Jahrhundert; sie waren bedingt durch die Niederlage Polens im Krieg gegen die Türkei und einer verstärkten Vertreibung der polnischen Bauern, die auf der Suche nach einem besseren Schicksal waren. Im Rahmen der „Einwurzelungs“-Politik in den Jahren 1926—1935 existierte der Marxlewsker Polnische National-Bezirk in der Nähe von Schitomir.

In den 1930er und 1940er Jahren sank die Zahl der Polen merklich aufgrund der Deportationen von Polen in die östlichen Bezirke der UdSSR, ethnischer Säuberungen, die von ukrainischen Nationalisten durchgeführt worden, sowie der Repatriierung der meisten galizischen und wolhynischen Polen nach dem Ende der Anbindung der westukrainischen Landesteile an die Ukrainische SSR.

Lange vor dem Krieg zog die Familie des Urgroßvaters an ihren ständigen Wohnort im Krasnoturansker Bezirk, das Dorf Aleksandrowka. Dort verliefen seine Kindheit und Jugendjahre. Hier begegnete er dem Mädchen Ottilie (Natalia - russ.) Kersch, welches seine Ehefrau wurde. Sie bekamen fünf Kinder. Das älteste war Alexander (1920), das zweite Tochter Vera (1923), es folgten Sohn Augustâ (1927), meine Großmutter Olga (1925) und Jewgenij (1929). Sie mussten viel arbeiten, um die große Familie durchzubringen. Mein Großvater erhielt für gute Arbeit einen Kolchos-Akkordarbeiter-Ausweis. In der Zeitung «Ilitschs Banner» steht am 18. Juni 1934 geschrieben, dass Kolchosbauern wegen der Arbeitserfolge Prämien erhalten hätten, u.a. auch Ê.Ê. Paweltschik. Karl Karlowitsch war lange Zeit Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Kolchose; aufgrund seiner gewissenhaften Arbeit und den hohen Wirtschaftserträgen schickte man ihn 1940 nach Moskau zur Allrussischen Landwirtschaftsausstellung, was durch eine noch erhaltene Bescheinigung bestätigt wird (s. Anhang). Das Leben war in Ordnung, die Kinder wuchsen heran, doch unerwartete kam das Unheil ins Haus. Wegen der schweren Arbeit verstarb unerwartet und viel zu früh die Mutter – Ottilie Eduardowna (im Jahre 1934; s. Anhang). Die Jahre gingen dahin, und Karl Karlowitsch heiratete erneut; zwei Söhne wurden geboren: Pawel (1937) und Fjodor (1939). In jenen fernen Jahren bestand Frauenarbeit vor allem aus schweren Tätigkeiten, die mit der Hand ausgeführt wurden. Auch die zweite Ehefrau stirbt, und wieder sind die Kinder ohne Mutter. 1941 bricht der Krieg aus, der älteste Sohn Alexander muss an die Front, Tochter Vera und Sohn August werden in die Arbeitsarmee mobilisiert. Obwohl die kleinen Kinder ohne Eltern zurückbleiben, holt man den Vater 1942 in die Arbeitsarmee. Diejenigen, die am Leben blieben und von dort zurückkehrten, berichteten, dass Karl Karlowitsch sich nicht bedauerte, alle mit seiner Arbeit anspornte, denn zu Hause warteten seine Kinder auf ihn. Es musste viel gearbeitet werden, die Menschen hatten nicht genug zu essen, bis zur Taille standen sie im Wasser, erkrankten schwer. Und wie es jetzt scheint, kümmerte sich niemand um sie. In der Todesmeldung steht die Diagnose - verstorben an Podagra am 01.06.43. (Podagra ist eine verbreitete Art von Arthritis, einer Entzündung der Gelenke, die häufiger bei Männern, vorzugsweise mittleren Alters, in Erscheinung tritt).
Zu der Zeit war Karl Karlowitsch gerade 45 Jahre alt. Die Kinder nahmen sich den Tod des Vaters sehr schwer zu Herzen, denn nun waren sie ganz allein. Meine Großmutter nahm als ältestes der im Haus zurückbleibenden Kinder die ganze Fürsorge für die kleineren Brüder auf ihre zerbrechlichen Mädchenschultern. Sie arbeitete mit den anderen zusammen in der Kolchose und zog die Kinder allein groß. Sie führte die häusliche Wirtschaft und gab einen großen Teil der Lebensmittel für die Front ab. Nachts musste sie Kleidung für die Kinder stricken und nähen. Es war ein schweres Leben, aber gemeinsam standen sie die schlimme Zeit durch. Der Krieg ging zu Ende, der älteste Sohn Alexander kam wieder nach Hause, aus der Arbeitsarmee kehrten Vera und August heim. Eine Zeit lang lebten sie alle miteinander und arbeiteten in der heimatlichen Kolchose. Später warf sie das Leben in verschiedene Eckend er damaligen UdSSR auseinander. Alexander Karlowitsch und seine Frau lebten lange Zeit in Kasachstan, er starb 1981. Vera Karlowna heiratete, nachdem ihr erster Mannes an der Front gefallen war, erneut und verbrachte den Großteil ihres Lebens in der Ortschaft Kortus; sie starb 2004. August Karlowitsch lebte im Altai-Gebiet, in der Stadt Bijsk, er starb 1983. Olga Karlowna lebte die meiste Zeit ihres Lebens in Kortus, sie starb 2010. Jewgenij Karlowitsch lebt mit seiner Familie in Krasnoturansk; Pawel Karlowitsch ist verstorben, Fjodor Karlowitsch lebt heute in Deutschland. Alle Kinder haben ein würdiges Leben geführt, ihre Kinder großgezogen und eine leuchtende Erinnerung an sich hinterlassen.

Erst viele Jahre später, 2002, erhielt meine Großmutter eine Bescheinigung «Über die Rehabilitation der Opfer der politischen Repressionenèè» und 2003 die Urkunde «Veteranin des Großen Vaterländischen Krieges».

Geschichte verzeiht nicht, wenn man sie vergisst, aber noch schlimemr ist es sie zu verraten.

Sie sollen nur nicht glauben,
Die Toten hörten nichts,
Wenn die Nachfahren von ihnen reden…
(N. Majorow)


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