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Der Fall Peluzo

„… In einem Ukrainischen Büro … begann ein gewisser Italiener namens Edmont Peluzo zu arbeiten. Er kann kein einziges Wort Russisch. Früher war er in seiner Eigenschaft als Journalist in Bulgarien und Ungarn tätig… Nach den Worten eines Melders bot Peluzo den Italienern während des Krieges an, die Aufgabe zu übernehmen, sich nach Österreich zu begeben, um dort Brücken zu sprengen. Er erhielt dafür 20.000 Franken, fuhr jedoch nicht selber dort hin, sondern blieb in der Schweiz…“

Dieses fingierte „Chiffre-Telegramm“, das am 15. um 06:17, angeblich von einem Militär-Attaché in der Schweiz, aufgegeben worden war, gestattete es im Ermittlungsverfahren unter der Leitung von Frinowskij im Jahre 1938 den Doppelagenten zu „entlarven“, der, nach der Version der Ermittler seit 1915 für die englische und ab 1916 für die italienische Aufklärung hatte. Die Rolle des Doppelagenten fiel Edmondo Petrowitsch Peluzo zu. Diese Variante des Untersuchungsverfahrens „bestätigte“ ganz wunderbar seine Vergangenheit.

„ … Peluzo Edmondo, geb. 1882, gebürtig in Neapel, Italiener, politischer Emigrant…, arbeitete als Buchdrucker und Schriftsetzer, Schiffsheizer, Stenograph, Bankangestellter, Journalist. Er konnte Italienisch, Französisch, Spanisch, Englisch, Deutsch und Russisch. Mitglied der sozialdemokratischen Partei in Frankreich, Spanien, Portugal, Österreich, die Schweiz, ab 1919 Mitglied der Kommunistischen Partei in Bayern und Italien; trat 1927 der Allrussischen Ko0mmunistischen Partei (Bolschewiken) bei. Delegierter auf dem IV. und V. Kongress der Komintern… Er war in zahlreichen Ländern als Korrespondent tätig… Verhaftet in Österreich, der Schweiz, zweimal in Italien.

… In der UdSSR traf er 1927 ein, vor seiner Verhaftung unterrichtete er Geschichte an einer spanischen Schule…“

Am 26. April wurde er auf dem Höhepunkt des Kampfes gegen die „Nationalen“ verhaftet und der Spionage angeklagt. Das erste Dokumente, das ihm im Ermittlungsverfahren vorgelegt wurde, war das oben erwähnte Chiffre-Telegramm, wobei sich im Verlauf der Verhöre die Summe änderte, die er angeblich für die Erfüllung seines Auftrags erhalten hatte.
Nach Peluzos Worten:

„… Von 200.000 Franken zu Beginn sank sie schließlich auf 20,000…“

Es fällt schwer zu glauben, dass ein russischer Militär-Attaché ein derartiges Chiffre-Telegramm hatte senden können; außerdem hätte Peluzo nach eigenen Angaben weder geographisch, noch materiell Brücken in Österreich sprengen können, denn

„… Ab Herbst 1915 lebte ich in der Französischen Schweiz, in Genf und Lausanne, und befand mich als Deserteur unter der Aufsicht der Polizei…“.

Vier Monate lang bestritt er sämtliche Anschuldigungen, trotz der unmenschlichen Foltermethoden. Später beschreibt er in seiner Beschwerde an den Staatsanwalt, was während des Untersuchungsverfahrens mit ihm gemacht wurde:

„… Um vier Uhr morgens begannen vier mit unterschiedlichen Instrumenten bewaffnete Männer damit, etwa 40 Minuten lang auf mich einzuprügeln, nachdem sie mich zuvor mit dem Kopf nach unten und den Beinen nach oben aufgehängt hatten. Das Ergebnis dieser Aktion war, wie ein Arzt in Lefortowo später feststellte, eine Verstopfung der Venen, eine ernst zu nehmende Prellung der Wirbelsäule und Blutspucken…“

Wie Peluzo aufzeigte, schrie der Untersuchungsrichter Arsenjew ihn während dieser Verhöre an:

„Wir wollen Sie nicht töten, aber wir werden Sie zwingen die Aussage zu unterschreiben, die wir haben wollen…“

Am 23. August hielt Peluzo es nicht länger aus und gab sein Einverständnis unter die in Gang gebrachte Aussage. Er bekannte sich darin zu allen möglichen Verbrechen, aber durch die Angabe von Begegnungen, Fristen, Ländern sowie eine Reihe von Personen gab er extra und ganz wohl bedacht Aussagen hervor, damit jeder beliebige, halbwegs Sachkundige sogleich begreifen konnte, dass die Akte gefälscht war. Zum Beispiel:

„… Ich fügte in meiner Zeugenaussage den Namen Sefton-Delmer, der letztendlich als englischer Spion galt, deswegen hinzu, um die Methoden und Mittel des Ermittlungsverfahrens zu enthüllen…, denn ich hatte ihn in Genf zwei Wochen lang vertreten, indem ich jeden Abend an die Zeitung …. Telegramme schickte und mit ihm überhaupt nicht auf dem Schiff hatte verfahren können, wie es in den Zeugenaussagen hieß… 1918 hielt Sefton-Delmer sich schon nicht mehr in der Schweiz auf, und selbst wenn es so gewesen wäre – zu der Zeit befand ich mich bereits in den Fängen der Polizei….

… Ich hatte nie ein italienischer Spion sein können, denn bis zu meinem 40. Lebensjahr verbrachte ich mein Leben im Ausland, war als Kommunist ein politisch Verurteilter und als Deserteur politisch verfolgt… Italien habe ich nichts weiter als Ketten, Gefängnis und Leid zu verdanken….

… Ich fügte in meine Aussagen extra mit ein, dass ich die beiden italienischen Kommunisten Grisco und Genari denunziert hätte, die NIEMALS verhaftet wurden…“

An dem Tag, an dem ihm die Anklageschrift vorgelegt wurde, widerrief Peluzo all seine Aussagen. Die Beweisaufnahme beschloss, ihn in den Gemeinschaftsfall bereits zuvor verhafteter Deutscher mit hineinzunehmen. Außerdem wurde er beschuldigt, mit zu dieser Zeit in Haft genommenen Volksfeinden in Verbindung gestanden zu haben: Sinowjew, Bucharin, Radek, Sten und anderen. Darauf antwortete Peluzo ganz ruhig, dass man ihn dann auch genauso gut wegen seiner Kontakte zu Lenin, R. Luxemburg, Dimitrow und anderen zur Anklage bringen könnte.

Die erste Gerichtsverhandlung in Sachen Peluzo fand am 16.11.1939 statt. Peluzo verlangte, dass man seiner Akte die Dokumente beifügte, die ihn rehabilitieren konnten; er forderte ferner, dass man Zeugen berief und berichtete über die Anwendung physischer Gewalt während des Untersuchungsverfahrens. Das Gericht entschied:

„… Der Fall Peluzo ist zur Nachuntersuchung an die Ober-Militär-Staatsanwaltschaft weiterzuleiten...“

Aber auch nach der zweiten Gerichtssitzung wurde die Akte noch einmal zur Überprüfung weitergeleitet. Damals wurde sie an ein Sonder-Kollegium geschickt und Peluzo in Abwesenheit zu fünf Jahren Verbannung (14.05.1940) verurteilt; 1942 wurde er wegen der Mitgliedschaft in einer „konterrevolutionären aufständischen Organisation“ angeklagt und erschossen.

„Widerstand im GULAG“. Erinnerungen. Briefe. Dokumente.
Moskau. Wiederkehr, Mai 1992


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