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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Flucht der Familie aus Baratajewka.

Unser Haus in der zweiten Etage an der Wolga, das Papa zusammen mit Onkel Kolja gebaut hatte, erregte bei den Behördenvertretern der damaligen Zeit (Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre) ständige Aufmerksamkeit: immer wieder stellte der Eine oder Andere die Frage: wem gehört dieses Haus? Und da, um der Entkulakisierung zu entgehen (wir besaßen ein Pferd und eine Kuh), ließen wir eines nachts - heimlich, still und leise - unser gesamtes Eigentum zurück und fuhren zu zweit nach Saratow und anschließend nach Moskau zu Papas Bruder – Onkel Kolja.

In der Erinnerung geblieben ist der 31. Januar 1932, der Tag, an dem meine geliebte Tante Maljuscha ihren Geburtstag feierte (Onkel Koljas Ehefrau). Gemeint ist die Tante, die mich zu Beginn des Krieges in einer Menschenmenge am Kasaner Bahnhof in Moskau an einem Kiosk fand und mich am 10. Juli 1941 über die Evakuierungsstelle zu meiner Mama nach Engels schickte. Diesen Geburtstag im Jahre 1932, in der Wohnung in dem Haus in der Worowskij-Straße 13 (heute Powarskaja-Straße), als ich gerade einmal 6 Jahre alt war, werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Alle Verwandten waren damals dort, und auch meine Eltern – Papa Otto Iwanowitsch und Mama Olga Alexandrowna, als sich Onkel Kolja auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten mit den Worten an mich wandte: „Na, Ljowuschka, was für ein Geschenk hast du Tante Maljuscha denn mitgebracht?“ Diese Frage kam für mich so unerwartet, daß ich anfing zu zittern. Ich höre, wie Papa mir von hinten zuflüstert: „Sag ein Gedicht von Puschkin auf“. Und ich gab Onkel Kolja zur Antwort: „Ja, ich habe für die liebe Tante Maljuscha ein Geschenk, aber ich werde es ihr erst zeigen, wenn du, Onkel Kolja, den Stuhl auf den Tisch gestellt hast; da werde ich mich dann draufstellen“. Alle Gäste raunten: „Na, da hat der Leo sich ja wieder was ausgedacht!“ Ich kletterte also auf den Tisch und dann auf den Stuhl und befand mich somit unmittelbar unter der Zimmerdecke. Dann meinte ich: „Jetzt könnt ihr mich alle sehen und hören. Mein Geschenk für Tante Maljuscha ist Puschkins Gedicht „Der Ertrunkene“, das ich nun aufsagen will“ (hier in gekürzter Fassung) – und alle Gäste unterstützten mich mit stürmischem Beifall.

„Die Kinder kamen zum Häuschen gerannt,
Eilig rufen sie den Vater: Papa, Papa,
in unseren Netzen hat sich ein Toter verfangen.
Schrecklich die entstellte Leiche,
Blau verfärbt und aufgeschwemmt.
Ob den Unglücklichen wohl die Sünde quälte,
Dass er so zu Tode kam?
Oder ein Fischer – von den Wellen fortgespült?
Einer, der vom Trunk umnebelt?
Ein reicher Kaufmann – ausgeraubt?
Mit Schaufel und Ruder stöß der Mann
Den sündigen Leichnam in die Fluten zurück.
Noch ohne Grab und Kreuz
Beginnt der rastlose Tote erneut zu schwimmen.“

Onkel Kolja und Tante Maljuscha hoben mich, mit der Tränen er Freude in den Augen, von meinem Thron und küßten mich herzlich, aus Dankbarkeit für das lange, schöne Gedicht. An diese Episode mußte Tante Maljuscha später auf der Datscha in „Lugowaja“ noch häufiger denken, vor allem an den „Stuhl auf dem Tisch“, den sie ihr Leben lang nicht wieder vergaß.

Das Haus N° 13 in der „Worowskaja“-Straße (heute „Powarskaja“) auf dem Moskauer Arbat, in dem in er ersten Etage Onkel Kolja und Tante Maria mit ihrer Tochter und Sohn Viktor wohnten, ist für uns der dritte HEILIGE Ort. Onkel Kolja war der Bruder, der meinem Vater am nächsten stand und ich liebte ihn ebenfalls sehr.

Was den Wohnraum und den Arbeitsplatz betraf, so kamen wir in der Schweinezucht-Sowchose „Budjonowez“, im Dmitrowsker Bezirk bei Moskau, unter. Tutychin, der Direktor der Sowchose war Held des Bürgerkrieges, aber aufgrund einer erlogenen Denunzierung im Jahre 1934 verhaftet und als „Volksfeind“ erschossen worden. Allem Anschein nach entsprach er dem, was Ten Siao Ping einmal gesagt hat: „Zuerst bin ich Chinese und danach Kommunist“.


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