Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Student am Institut, meine Eheschließung mit Witja, Witjuschkas Geburt

Nachdem ich meine bescheidenen Habseligkeiten zusammengepackt hatte, zog ich am 31. August 1948 in die Lenin-Straße 9, ins Institutswohnheim (Gebäudekomplex 1, Zimmer 1) um, das sich in einem zweistöckigen Block befand – mit Küchen in der ersten Etage und Toiletten in jedem Stockwerk. Unser Zimmer war für vier Personen gedacht: Jura Jankowitsch, Wasja Dubjaga. Viktor Pretzer und ich – alle aus Dudinka. In der zweiten Etage unseres Blocks wohnten Erika Riedel, Ella Brass und Margarita Kublinsch, die bereits zwei Kurse weiter waren als wir. Jura Jankowitsch wurde auf einer allgemeinen Versammlung der Heimbewohner zum Vorsitzenden des dortigen Studentenrats gewählt. Für unsere Verpflegung sorgten Jura und ich gemeinsam, wir kochten Suppen und brieten Kartoffeln. Samstags, nach dem Unterricht (um 15 Uhr), fuhr ich mit dem Zug ans rechte Ufer und dann weiter mit dem „Matanja“ vom 2. Streckenabschnitt (Slobino) bis zum Wärme- und Fernheizwerk des Bezirks, wo die Walters und Mama wohnten. Witja und ich gingen ganz sicher in den Klub des Bumstroj (staatlicher Papierkonzern; Anm. d. Übers.) oder in den 7. Bezirk zum Tanzen und ins Kino. Am 1. September 1948 fand die erste Vorlesung, soweit ich mich erinnern kann, im Auditorium A-401, im Fach Marxismus-Leninismus, statt,und der Lektor verkündete, dass Schdanow gestorben sei. Nach drei Unterrichtseinheiten (15 Stunden) versammelte unser Dekan Rodionow (er ist der Leiter des Lehrstuhls für „Wassertransportwesen“) die gesamte Gruppe des ersten Studienjahrgangs und teilte mit, dass es nun drei Gruppen (A, B und C) geben werde, so dass von den insgesamt 75 Studenten jeweils 25 in eine Gruppe eingeordnet würden. Jura und ich kamen in die Gruppe A, in der mich der Dekan zum Ältesten ernannte (einen Grund, warum er ausgerechnet mich dazu wählte, gab er nicht an; er bestimmte es einfach so – und fertig; und mit den anderen beiden Gruppen verfuhr er genauso). Zum Abschluß unserer ersten gemeinsamen Zusammenkunft händigte der Dekan an jeden von uns einen Studentenausweis aus; ich habe meinen bis zum heutigen Tage aufbewahrt. Jura und ich versäumten keine einzige Unterrichtsstunde; wir waren froh, dass wir an einer Hochschule studieren konnten. In der Bibliothek gab es nur eine wenige Lehrbücher, denn ein Jahr zuvor hatte im Institut ein großes Feuer gewütet, und das linksgelegene Lehrgebäude war mitsamt der Bibliothek schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. Daher war ich bemüht, von allen Fächern sehr detaillierte und akkurate Aufzeichnungen und Zusammenfassungen zu erstellen. Am Institut versetzte mich alles ziemlich in Erstaunen, besonders der große Festsaal, in dem geladene Sänger und Schauspieler aus der Hauptstadt auftraten. Mit diesen Dingen befaßte sich die öffentliche „Universität der Kulturen“ mit ihrem Rektor, dem Leiter des Lehrstuhls für „Materialwiderstand“ und Dozenten Manasewitsch. Später war Materialwiderstand eines meiner Lieblingsfächer und er mein bester Lehrmeister. Wir erfuhren, dass er 10 Jahre abgesessen hatte, er war Teilnehmer an dem Projekt „Rätepalast“ in Moskau gewesen.

Am 12. Juni 1949 fand unser Physik-Examen statt, aber ich war nicht vorbereitet, denn für diesen Tag hatte das Standesamt des Leninsker Bezirks in Krasnojarsk die Registrierung meiner Ehe mit Witja anberaumt. Wenige Tage zuvor waren Witja und ich an die auf dem Bett sitzenden Eltern herangetreten, und ich hatte bei ihnen um die Hand ihrer Tochter angehalten. Wir bekamen ihren Segen und begaben uns glücklich zu einem Spaziergang in den Park. Als ich spät abends nach Hause zurückkehrte, sah ich, dass meine Mama schon schlief, ohne etwas von unserer bevorstehenden Hochzeit zu ahnen, denn sie hatten wir noch gar nicht gefragt. Bis heute lastet diese Sünde schwer auf meinem Gewissen – ich bat Mama auch am nächsten Tag nicht um ihren Segen für die Gründung einer neuen Familie. Der 12. Juni 1949 ist auch deshalb tief in meiner Geschichte verwurzelt, weil ich an diesem Tag in meiner Physikprüfung eine Zwei (entspricht nach dem deutschen Zensurensystem einer Fünf; Anm. d. Übers.) bekam, genauer gesagt, ich fiel durch. Diese Zwei war die einzige, die ich während meiner gesamten Zeit am Institut je bekam – meine Gedanken waren an diesem Tag ausschließlich bei Witja. Eine Hochzeit wie die unsere gab es bei uns normalerweise nicht – die ganze Familie traf einfach am Abend bei uns zusammen: Papa (Theodor Iwanowitsch), unsere Mütter (Minna Aleksandrowna und Olga Aleksandrowna) und Garik. Sie beglückwünschten uns, sprachen einen Toast und tranken Tee. Aufgrund unserer schlechten materiellen Möglichkeiten konnten wir uns eine großartige Feier nicht erlauben. Und wie das Leben zeigte, liegt darin auch nicht das menschliche Glück - das Glück lag vielmehr in der ewigen Liebe, die wir zueinander empfanden.

Als die Studenten den ersten Studiengang beendeten, hatten sich die Studenten nach einem kompletten Kursus in Geodäsie am gleichnamigen Lehrstuhl in diesem Fach eine gutes fachliches Wissen erworben. Dozentin Kulikowa hatte alle Bereiche gut und leicht verständlich vermittelt: Nivellierung, Positionierung der Vermessungsstangen, Kartographie, die Arbeitmit dem Theodoliten (Gerät zur Horizontal- und Höhenwinkelmesung; Anm. d. Übers.) usw. Ein hervorragendes Praktikum durchliefen wir unter ihrer Leitung auf der Datscha in Karaul und am Ufer des Jenisej, etwas weiter flußaufwärts von Krasnojarsk, in dem Dorf Owsjanka, wo wir die Gegend vermaßen und die Ergebnisse auf dickem Zeichenpapier festhielten. Unsere aus 5 Mann bestehende Brigade kam mit der zweiwöchigen Aufgabenstellung gut zurecht. Um uns die erworbenen Erkenntnisse in Geodäsie zunutze zu machen, beschlossen wir drei, Albert Bai, Jura Jankowitsch und ich, uns in den Sommerferien eine Arbeit zu suchen. Ihre Gefälligkeit in dieser Sache erwies uns eine Vorstadt-Sowchose in der Ortschaft Jemeljanowo, indem sie uns anbot, zur Vorlage bei der staatlichen Zuchtverbesserungsbehörde und zum späteren Aufbau eines Sowchosen-Verbesserungssystems, eine geodätische Dokumentation ihrer Felder und Gemüsegärten anzufertigen. Es war eine verantwortungsvolle Arbeit, an die wir uns da heranmachten. Als Unterkunft stellte man uns für die beginnenende Schulferienzeit eine leere Klasse in der Dorfschule zur Verfügung. Die Gemüsegärten des Staatsgutes, mit ihren heranreifenden Erdbeeren, die man nicht abpflücken durfte, zogen uns in ihren Bann; aber wir griffen zu einer List, indem wir dort ganz „legale“ Vermessungen mit unsere Meßlatte durchführten. Wir aßen uns mit diesen leckeren Beeren voll. Die Arbeit verlief gut, allerdings mußten wir ab und an einen Blick in unsere Aufzeichnungen werfen, aber da kam ein anderes Unheil – mein Magen erkrankte, und zwar so schwer, dass ich nach Hause, nach Krasnojarsk, zurückkehren mußte. Ich verschwand den gesamten August von der Bildfläche und war zu Beginn des zweiten Studienganges kaum in der Lage auf meinen Beinen zu stehen. Albert und Jura kamen mit den Vermessungsarbeiten auch ohne mich gut zurecht und lieferten ihrer Auftragsgeberin zum Schluß eine umfangreiche Dokumentation ab. Während unserer Studienzeit erledigten wir für diese Sowchose auch noch andere, kleinere Büro- und Laborarbeiten und nahmen schließlich, mit beidseitiger Zufriedenheit, Abschied von den Aufzuchtverbesserern. Später waren uns die zusätzlich gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen sehr von Nutzen, als wir nämlich bei der Sajaner Expedition des Forschungsinstituts für die Projektierung von Transportwegen für die Holzindustrie tätig waren. Jetzt, im zweiten Studiengang, erhielten wir im Wohnheim in demselben Block ein Zimmer im zweiten Stock, und zwar in einer neuen Zusammensetzung der Bewohner: Albert Bai, Jura Jankowitsch, Jan Broks und ich. Man kann sagen, daß es sich hier um eine seriöse Gesellschaft handelte – im Gegensatz zu der im vergangenen Jahr in der ersten Etage. Das neue Studienjahr brachte neue Unterrichtsfächer: Wärmetechnik bei Professor Lewin, Materialwiderstandslehre beim Dozenten Manasewitsch, Physik beim Dozenten Sarapkin, der sich als toller Bursche herausstellte, weil er am Lehrstuhl einen Kursus für Funker organisierte. Dafür schrieb ich mich zusammen mit Viktor Kondratew ein, mit dem ich mich angefreundet hatte und nun im Kursus zusammenarbeite. Insgesamt nahmen 10 Mann an dieser Lehrveranstaltung teil, die nach dem Unterricht in einem uns zur Verfügung gestellten Raum, gemeinsam einen Verstärker für einen Plattenspieler konstruierten. Zum Feiertag am 7. November 1950 hatten Viktor und ich den mächtigen Verstärker für die unter unserer Patenschaft stehende Mittelschule fertig zusammengebaut. Und da spielte plötzlich am Festabend zur Freude der Lehrkräfte und Schüler plötzlich Musik. Der Schuldirektor sprach uns sowie dem Lehrstuhl für Physik seinen Dank aus – denn schließlich war das in jenen Jahren eine große Neuheit.

All unsere Sondersiedler-Studenten waren ab dem Moment der Aufnahme am Institut verpflichtet, sich einmal pro Monat in der Sonderkommandantur unter der Adresse Marx-Straße 127 zu melden, und auch ich begab mich regelmäßig dorthin. Witja, die am rechten Ufer wohnte und arbeitete, kam ihrer Meldepflicht beim Kommandanten am Zellulosewerk nach und besaß nicht das Recht, sich in irgendeinem Stadtzentrum am linken Flußufer aufzuhalten. Einmal stieß sie während einer Flußüberfahrt plötzlich auf den Kommandanten, und das Herz rutschte ihr in die Hose – sie hatte Angst, daß er sie nun verhaften würde. Aber die Angelegenheit erledigte sich – er wandte sich einfach ab, als ob er sie überhaupt nicht gesehen hätte. Für die Institutspraktika (unter anderem auch in Jemeljanowo) mußte man sich, da sie außerhalb der Stadt stattfanden, vom Kommandanten die Genehmigung zur Abfahrt holen und sich bei Ankunft vorort auch beim dortigen Kommandanten melden und registrieren lassen. Man kann sich wirklich nur wundern, was für ein riesiges Aufgebot an Kommandanten in jenen Jahren im Lande geschaffen werden mußte, wenn es sie in jedem bewohnten Ort gab. Natürlich wußten die Kommandanturen, daß Leute aus dienstlichen oder persönlichen Gründen in die Stadt und auch wieder zurück fuhren, aber formell wurde dadurch das Aufenthaltsrecht verletzt. Es kam der März des Jahres 1950. Witja und ich erwarteten die baldige Geburt unseres Kindes. Falls es ein Junge war, welchen Namen sollten wir ihm dann geben? Ich schlug sofort den Namen „Viktor“ vor – zu Ehren von Mama, die mit Vornamen Viktoria hieß. Witja hatte keine Einwände. Und so wurde am 20. März 1950 unser Sohn Viktor im Bezirk der Staatlichen Papierkonzerns Bumstroj in Krasnojarsk geboren, als wir in der Siedlung Postojannij, Haus Nr. 91, Wohnung Nr. 4, wohnten. Nach den Frühlingsexamina des zweiten Studiengangs suchten Viktor Kondratew und ich uns für die Sommersaison einen Job im städtischen Getreidespeicher, wo wir ein elektronisches Schaltsystem zur Feuchtigkeitsmessung installierten (Jura Jankowitsch fuhr in diesem Sommer nach Norilsk zu seiner Mutter Natalia Viktorowna und seiner Schwester Ruta). Die Arbeit der Geräte und Apparaturen basierte auf der Messung des Gleichstroms vom elektrischen Widerstand des Getreides, der von seinem Feuchtigkeitsgehalt abhängt. Je feuchter das Getreide, um so mehr vermindert sich der elektrische Widerstand des Dreschflegels. Die Skala des Geräts gab die Gradeinteilung der Feuchtigkeit in Prozent an. Der elektronische Feuchtigkeitsmesser war dazu geeignet, dass die Sammel- und Annahmestelle den Feuchtigkeitsgrad des Getreides jetzt direkt im Wagenkasten des Fahrzeugs bestimmen konnte, so wie man das früher im Laboratorium durch die Methode der Getreideverdampfung bewerkstelligt hatte; das erforderte eine Menge Zeit, und außerdem bildete sich am Getreidesilo eine lange Schlange von Fahrzeugen. Nun gab es diese Warteschlangen nicht mehr. Viktors und meine Aufgabe bestand in der Kontrolle des Geräts, seiner korrekten Einstellung und, sofern erforderlich, der Änderung einzelner Parameter. Zu uns brachte man Feuchtigkeitsmesser aus der gesamten Krasnojarsker Region mit der Anforderung, diese bis zum Beginn der Erntearbeiten auf den Feldern (am 15. August) zurückzugeben. Ich gelangte mit dem Fahrrad (15 km) schnell vom Bumstroj-Distrikt bis zur Eisenbahnstation und zur Arbeit. Wir waren mit der Arbeit zufrieden, verdienten gut, denn man zahlte uns einen Akkordlohn, und wir bemühten uns, die vorgebene Frist nicht zu sabotieren. Wir waren sogar noch früher fertig, indem wir die Arbeit bis zu meinem Geburtstag, also bis zum 10. August 1950, beendeten. Mit dem Auftraggeber, der regionalen Landwirtschaftsbehörde, vereinbarten wir, dass wir auch im folgenden Jahr wieder an der Aufgabe mit den Feuchtigkeitsmessern arbeiten würden. Am Ende der Sommerferien kündigte das Institut unseren Platz im Wohnheim und schlug vor, dass wir uns mit Bokschanin, dem Besitzer des Hauses in der Straße der Pariser Kommune N° 16 in Verbindung setzen sollten, der ein Zimmer für vier Studenten frei hatte. Nun gesellte sich anstelle von Jan Broks Wolodja Rib zu uns. Wir stellten vier Institutsbetten aus Metall auf, in der Mitte des Raumes einen großen Tisch und an der Zimmertür ein Küchentischchen mit einer elektrischen Kochplatte. Um die Beheizung des Ofens mit Kohle kümmerte sich der Hauswirt jeden Tag selber. Natürlich hatten wir einen Teil unseres vorherigen Wohnraums verloren, denn dieses Zimemr war kleiner als das, was wir im Wohnheim zur Verfügung gehabt hatten, und eine Zentralheizung besaßen wir nun auch nicht mehr. Zwei Fenster zeigten zur Straße, durch die wir mitunter ins Freie kletterten. Eine weitere Unbequemlichkeit bestand auch darin, dass man beim Verlassen des Hauses immer durch die Küche des Hauswirts gehen mußte, in der sich häufig Leute befanden. Das Haus bestand aus nur einem Stockwerk, besaß ein Metalldach, ein Tor, eine Gartenpforte und einen kleinen Hof. Der Hausherr war ein betagter, gebildeteter, aber ziemlich griesgrämiger Rentner, und wir waren stets bemüht, ihm nicht unter die Augen zu kommen. Einmal brachte man uns mit Witjas Unterstützung einen Wagen mit Steinkohle, die wir zu viert mit Eimern in den Schuppen schleppten. Dafür war er uns sehr dankbar.

Der dritte Studiengang am Institut wandte mir irgendwie den Rücken zu; man war mißtrauisch, weil ich ohne ersichtlichen Grund von den Pflichten eines Ältesten und vom Militärdienst befreit worden war. 1951 kam irgendein Druck auf die Sondersiedler ins Rollen:Viktor Pretzer und Nikolaj Schljapin wurden aus dem Institut ausgeschlossen.

Institutsdirektor Popow rettete uns dennoch auf irgendeine Art und Weise, aber mit allen konnte er das nicht machen. Damals kam auch der Ukas über Bestrafung bei „Fluchtversuch“ zu 20 Jahren Zwangsarbeit und 5 Jahren für das Versteckthalten eines „Entflohenen“ heraus. Jenes bestialische Gesetz berührte am Rande auch unsere Studenten-Bruderschaft. Und in zweierlei Hinsicht betraf es auch mich: ich wurde meines Amtes als Ältester enthoben; stattdessen ernannte man Jakowlew. Außerdem war ich vom Wehrdienst und der Teilnahme am Sommerlager freigestellt, während Jura Jankowitsch weiter seinen „Wehrdienst“ ableistete, obwohl er aus den Reihen der verbannten Letten stammte. Möglicherweise rettete mich auch der Umstand, dass ich einer der besten Studenten war, und Popow suchte gar nicht erst nach Gründen für meinen Ausschluß. Seine gesamte Freizeit verbrachte Jura Jankowitsch mit der Organisation und Leitung des vierstimmigen Institutschors. Als Pianistin unterstützte ihn eine Studentin unseres 3. Studiengangs namens Margarita Kublinsch. Den Chor stellte Jura aus ungefähr 100 Studenten zusammen, und seine musikalische Tätigkeit kam in Gang, denn er war mit ganzer Seele und mit seinem qualifizierten musikalischen Wissen während der Proben und Auftritte in unserer Aula bei der Sache. Jura erhielt die letzten musikalischen Aufzeichnungen aus unserer Institutsradiozentrale, die ebenfalls von einem Studenten geleitet wurde.

Irgendwie schaute einmal der Bajanspieler Sascha Wagner in unserer Wohnung in der Straße der Pariser Kommune vorbei, derselbe, der in den 1940er Jahren im Hafenklub von Dudinka in virtuoser und talentierter Weise jeden Samstag und Sonntag bei allen Tanzveranstaltungen für uns auf dem Bajan gespielt hatte. Hier spielte er uns nun ebenfalls darauf vor, und später, nachdem er erfahren hatte, dass hinter der Wand des Hauswirts ein Klavier stand, schlug er vor, darauf mit dem Standard eines Jazzorchesters zu spielen. Wir gingen ins Nebenzimmer, und Margarita (die Frau des Sohnes unseres Wirts) erlaubte uns auf dem Klavier „herumzuklimpern“. Sascha nahm eine Zeitung und schob sie zwischen Hämmerchen und Saiten. Der Effekt war spektakulär – es ergab sich ein prächtiges Jazzorchester. Natürlich war er ein virtuoser Musiker; es ist ein einzigartiges Vergnügen, mit einem derart talentierten Menschen zu tun zu haben und mit ihm bekannt zu sein. Übrigens war Sascha in derselben Ortschaft an der Wolga geboren und aufgewachsen wie ich – in Bettinger, und gelernt hatte er an der Musikschule in Marxstadt. Ich besitze noch Fotografien von unseren damaligen Begegnungen. Es ist furchtbar schade, dass er bereits verstorben ist; er liegt in Krasnojarsk begraben.

Während der Frühlingsexamina im 3. Studiengang nahmen Viktor Kondratew und ich unsere Verbindung mit dem Getreidesilo im Hinblick auf die Installation von Feuchtigkeitsmessern wieder auf. Nachdem wir bereits ein Jahr Erfahrung gesammelt hatten, legten wir uns erneut mächtig ins Zeug, damit die ganze Arbeit bis zum 15. August 1951 erledigt war. Aber es kam anders. Wir wurden gut mit Ersatzteilelementen versorgt, und wir schlossen praktisch den gesamten Arbeitsumfang in puncto Feuchtigkeitsmesser zum 1. August ab. Nachdem wir unsere Enlohnung in bar erhalten hatten, fuhr ich zur Datscha des Trusts N° 47 in der Ortschaft Beresowka, wo sich Witja, Mama und die Familie Walter am Ufer des Jenisej von der Sonne braunbrennen ließen. Es war eine sehr schöne Zeit, wenn gleich wir in nur bescheidenem Wohlstand lebten.

Den vierten Studiengang hindurch wohnten wir mit den gleichen Leuten bei den Bokschanins. Über Margarita lernte Jura Maschenka kennen, sein Wunsch ging in Erfüllung – sie war Medizinerin, ein gebildeter Mensch, er wurde angenommen. Jura verzeichnete mit seinem Chor einen Riesenerfolg bei der Olympiade der Amateure aller städtischen Universitäten, als unser Chor den ersten Platz einnahm. Die Olympiade fand im Klubhaus der Eisenbahner statt. Die Krönungsnummer von Juras Chor war die „Kantate über Stalin“, die in großer Besetzung, vierstimmig, vorgetragen wurde; der Saal dröhnte von all den Stimmen, die Jura „aufgestellt“ hatte. Es gab einen donnernden Applaus, unter dem das Regionskomitee der Allrussischen Leninistisch-Kommunistischen Jugendorganisation Jura direkt auf der Bühne mit einem ganzen Stapel schöngeistiger Literatur auszeichnete. Das war ein Sieg für die Sondersiedler. Außerdem war Jura deswegen vom Erfolg begleitet, weil die Kantate über Stalin zuvor noch von niemandem aufgeführt worden war; Jura hatte sie in der Radiozentrale des Instituts aufgegriffenen, wo der Leiter sie zufällig in einer Sendung gehört und sofort Musik und Wortlaut auf einem Tonband aufgezeichnet hatte; Jura hatte sie sehr hoch bewertet und sie mit dem Chor einstudiert. Wir alle freuten uns über Juras Erfolg. Auf diesem Konzert waren Witja, Maschenka, Margarita und ich. Juras Verdienste wurden auch im Jubiläumssammelband des Instituts gewürdigt, der dem 50. Jahrestag des Bestehens des Sibirischen Instituts für Forsttechnologie gewidmet war.

Nach den Frühjahrsexamina wurde ich für das erste Betriebspraktikum in die „Sowjetsker Waldwirtschaft“ entsandt, die im Sajan-Gebirge liegt. Eine Stunde lang fuhr ich mit der Eisenbahn gen Osten, und anschließend, nachdem ich mich im Betriebskontor gemeldet hatte und ein Gefährt gefunden war, welches zufällig in dieselbe Richtung fuhr, begab ich mich auf einem Schlitten, 20 km weit durch die Taiga, in die am Ufer des Flusses Mana gelegene Siedlung. Meine Abfahrt aus Krasnojarsk sowie die Ankunft in der Waldwirtschaft meldete ich jedesmal den zuständigen Kommandanten. Im Forstbetrieb machte ich in einem Raum mit sechs Schlafstellen für Durchreisende halt, in dem ständig ein beheizter Ofen mit einem Teekessel stand. Das Betriebspraktikum bestand darin, dass ich Daten über die bei der Holzbeschaffung verwendeten Ausrüstungsgegenstände sammeln sollte – elektrische Sägen, mobile Kraftwerke, Traktoren zum Wegziehen von Baumstämmen und Fahrzeugtransporte zur Abfuhr des Holzes zum weiter flußabwärts gelegenen Holzspeicher. Die Treibflößerei, bei der die Baumstämme nicht miteinander verbunden sind, brachte natürlich zahlreiche Verluste durch untergegangene Holzteile mit sich, aber auch deswegen, weil der obere Teil von Nadelbäumen nicht nutzbar war. Die Siedlung wurde mittels einer mobilen Elektrostation, der MES-60, bis 11 Uhr abends mit Strom versorgt. Am frühen Morgen begab ich mich mit dem Auto zu den Holzfällern am oberhalb gelegenen Holzlager, und von dort weiter zufuß bis zum Holzschlag, an der sich die MES befand, welche die Elektrosäge K-5 mit einer erhöhten Stromfrequenz (200 Hz) speiste. Ich sah zu, wie man einen Baum fällt, wie der Stamm mit einem Traktor fortgezogen wird, wie man Äste und kleine Zweige mit einem elektrischen Entaster vom Stamm entfernt, die Stämme auf eine einheitliche Länge von 6,5 m zersägt und wie man schließlich die Stämme durch Hochrollen auf gasbetriebene Fahrzeuge verlädt. An der MES war ich den ganzen Tag beschäftigt, denn gemäß Aufgabenstellung mußte ich alle 15 Minuten den aktuellen Stand von Ampère- und Voltmeter ablesen, um danach die Beladung in Kilowatt im vorgesehenen Augenblick festzulegen. Am Abend fuhr ich mit dem allerletzen Fahrzeug an den Mana-Fluß zum unteren Holzlager. Dort wurde das ganze Holz in hohen Stapeln gelagert, in der Absicht, die Stämme beim nächsten Frühjahrshochwasser mit Hilfe von Traktoren ins Wasser zu stoßen und dieses Holz in loser Anordnung bis zur Sortierstelle am Jenisej schwimmen zu lassen. Am Arbeitsplatz befand sich noch ein weiteres wichtiges Objekt – eine Eisenbahnschwellen-Schneidemaschine mit einer Leistung von 30 KW, mit der man aus speziell ausgewählten Baumstämmen für die normale (russische) Schienenspurbreite von 1524 mm Eisenbahnschwellen heraussägte. Bei allen Tätigkeiten innerhalb des Holzbeschaffungsprozesses arbeitete das sogenannte Sonderkontingent: Deutsche von der Wolga und aus Leningrad, Russen (ehemalige „Kulaken“), viele Litauer, Kalmücken und teilweise auch Letten. Dieses ganze vielschichtige Publikum gab sich an den Abenden im Klub, beim Tanz und im Kino sehr freundschaftlich. Ich habe niemals von irgendwelchen Verletzungen oder Mißachtungen der Disziplin gehört. Der Arbeitslohn war hoch genug, um keine Unzufriedenheit aufkommen zu lassen, denn es gab keinerlei Diskriminierung. Auch von „Fluchtversuchen“ hörte man nichts, denn die Menschen lebten hier den Bedingungen des Holzverarbeitungsbetriebs, wo das ganze Leben nur einen vorübergehenden Charakter hat, und damit mußte man sich eben abfinden. Natürlich waren nicht alle damit einverstanden, sich der Kommandanten-Aufsicht durch das NKWD unterzuordnen, denn die Menschen waren schließlich als Repressierte hierher geraten. Wie überall mußte man sich auch hier regelmäßig einmal im Monat beim Kommandanten melden und registrieren lassen. Innerhalb von zwei Wochen erstellte ich eine technologische Karte und Tabellen der erhaltenen Meßwerte mit einem detaillierten, erläuternden Bericht. Am Lehrstuhl für „Mechansierung der Holzverarbeitung“ bekam ich für dieses Praktikum eine hervorragende Note.

Am Lehrstuhl für „Landtransportwesen“ wurde im Sommer 1952 beim „Staatsbetrieb für Wasserbau und Binnenschifffahrt“ unter der Leitung von Robert Wasiljewitsch Ganisch eine Expedition im freien Geände durchgeführt. Ausführende Teilnehmer waren: Jurij Jankowitsch, Wolodja Rib, Albert Bai und ich; wir sollten in den Sajaner Bergen, entlang des Flüßchens Uldat, die neue Uldatsker Holztransport-Autostraße mit einer Länge von 15 km erschließen. Diese Expedition ist mir als eine der leuchtendsten im Gedächtnis geblieben, auch weil ich in der Zeit mit der wilden Natur des Sajan besonders enge Bekanntschaft schloß; sie hat viele interessante Erinnerungen hinterlassen. Im Büro für „Wasserbau und Binnenschifffahrt“ richteten wir für uns zur Mitnahme einen Theodolit, ein Nivelliergerät, Nivellierlatten, die Ausrüstung zum Pflocken der Markierungsstäbe, Zelte, Schlafsäcke, Säge, Axt und Kochgeschirr her. Und dann, am 20. Juni. machten wir uns von der Bahnstation in Krasnojarsk per Zug auf den Weg – bis zum Bahnhof Kamartschaga, wo bereits ein Lastwagen auf uns wartete, und dann weiter, 60 km durch die Taiga, über einen Fahrweg aus Bretterschwellen. Man kann einem Menschen nichts Schlimmeres wünschen, als über einen solchen Holzweg zu fahren, der aus einer dichten Anordnung von quer zur Fahrtrichtung liegenden Baumstämmen besteht, die beim Überfahren ein furchtbares Rütteln und Schaukeln des Fahrzeugs verursachen, obwohl es über nur zur Hälfte mit Luft gefüllte Reifen verfügt; und die Geschwindigkeit ist nur wenig schneller als die eines Fußgängers. Aber einen anderen Ausweg gibt es nicht – der Untergrund in der Taiga ist äußerst weich und feucht und deswegen für Fahrzeuge nicht zugänglich. Allerdings bestehen die Holzwege an einigen Orten auch aus Brettern, und diese Strecken kann man dann befahren ohne durchgeschüttelt zu werden. Gegen Abend erreichten wir den Fluß Mana an seinem Oberlauf. Die Holzfäller richteten für uns ein Floß aus zwei Lagen Holz sowie Rudern am Bug und am Heck her. Ein Lotse sollte unser Floß bis nach Uldat lenken. Am nächsten Morgen setzten wir uns in Bewegung, nachdem wir unser gesamtes Gepäck sowie Lebensmittel auf dem Floß verstaut hatten. Das Floß war trocken, hoch und verfügte über je zwei Ruder, denn die schnelle Strömung des Flusses zwischen Felsen und seichten Uferstellen erforderte eine hohe Manövrierfähigkeit. Wir genossen die wunderschöne Natur, die abschüssigen Uferfelsen aus schwarzem Basalt oder weißem Kalkstein. Wir übernachteten auf dem Floß, das wir mit trockenem Gras und Blättern ausgelegt hatten. Um die Mittagszeit des folgenden Tages näherten wir uns Uldat, nachdem wir unterwegs noch vier litauische Arbeiter mitgenommen hatten. Robert Wasiljewitsch (geb. 1920) erzählte uns, dass er der Sohn eines tschechischen Offiziers war, welcher am Aufstand des tschechischen Korps in den Jahren des Bürgerkrieges teilgenommen hatte. Später starb der Vater, während er in Sibirien blieb und irgendwann unser Institut beendete. Ganisch war ein lang aufgeschossener Mann und bekam dafür von uns den Spitznamen „Paganel“, denn wenn er auf einem Pferd saß, reichte er mit den Füßen bis auf den Boden. Einen Mängel hatte er – er betrank sich gern. In Uldat nahmen wir den Teil der Baracke ein, der zur Winterszeit vollständig mit mobilisierten Kolchosangehörigen und freien Mitarbeitern aus der sogenannten „organisierten Anwerbung“ bevölkert war. Jurij und ich hatten jeweils eine Pritsche am Fenster, in der Ecke des Raumes. Durch den Tagesablauf ermüdet schliefen wir, nachdem die Lampen gelöscht waren, schnell ein. Mitten in der Nacht wachten wir jedoch davon auf, dass der ganze Körper von einer Unzahl Wanzenbisse nur so brannte. Eine derartige Invasion hatte ich noch nie gesehen – das ganze Bettzeug war mit roten, sich bewegenden Punkten nur so gesprenkelt. Niemand sprach davon, dass wir sie bekämpfen müßten – es gab nur eins – fluchtartig die Baracke verlassen. Es stellte sich heraus, dass vor der Ankunft der Saisonarbeiter in der Baracke alle Ritzen verklebt worden waren; anschließend hatte man in einer Bratpfanne Schwefel erhitzt und die Wanzen mit dem Gas vernichtet; aber wie man nun sah, war dies nicht vollständig gelungen. Jurij und ich nahmen uns ein Zwei-Mann-Zelt und bauten es im Hof auf, obwohl es dort eine neue Plage gab – Mücken, aber mit denen wurden wir ziemlich schnell fertig, indem wir sie alle der Reihe nach im Zelt erschlugen und dann an der frischen Luft endlich einen schönen Ort zum Schlafen fanden. Die Küche führte bei uns ein von Ganisch herangezogenes Mädchen namens Sina, die im Flößkontor zu den Diensthabenden bei der Flußüberfahrt gehörte. Nun zählte sie auch bei uns zu den Mitarbeitern der Expedition und war mit ihrem zusätzlichen Lohn sehr zufrieden. Ganisch verteilte unsere ganze anfallende Arbeit im Hinblick auf die Erschließung eines Holztransportweges folgendermaßen: er ritt auf einem Pferd vorneweg, wobei er die besten Varianten für gerade Linien und Winkel auswählte, indem er sie gleich mit Vermessungsstäben kennzeichnete; hinter ihm gingen, mit Sägen und Äxten bewaffnet, drei Arbeiter, die entlang der Axiallinie eine ein Meter breite Schneise durch die Taiga schlugen und diese bis auf den Boden säuberten. Die Arbeitsbedingungen waren nicht gerade leicht , denn in der Taiga wird es tagsüber sehr heiß, es herrscht eine hohe Luftfeuchtigkeit und es gibt eine Menge Bremsen, Mücken, Hummeln und Schnaken. Ausziehen darf man sich aufgrund der Hitze nicht, denn die Blutsauger stechen sogar durchs Hemd; man kann sich nur dadurch vor ihnen retten, dass man seine Jacke anbehält und ein Tüllnetz um den Kopf trägt. Abends entkleideten wir uns im Zelt aber auf jeden Fall, um uns die Enzephalitis übertragenden Zecken, die sich in unserer Haut festgebissen hatten, herauszudrehen. Zum Glück hatte man uns im Institut dreimal eine Impfung gegen diese schreckliche Krankheit verabreicht. Ohne diese Spritze gegen Enzephalitis wäre es sträflicher Leichtsinn, sich in die Taiga zu begeben.

Unsere Arbeit ging gut voran, um so mehr, als Ganisch sich im wahrsten Sinne des Wortes als großer Kenner der Geodäsie erwies. Auf der Pritsche liegend beantwortete er alle uns zum Thema geologische Büro- und Laborarbeiten interessierenden Fragen, und machte dabei keinerlei Anstalten aufzustehen. Abends brachte er uns immer mit einer goßen Anzahl Witze zum Lachen; und für den nächsten Abend nahm er schon unsere Wünsche zu verschiedenen Themen entgegen und fragte, ob wir dann jüdische, Kinder-, Frauen-, Kolchos-, Partei-, Theater-, Häftlings- oder Studentenwitze hören wollten, oder vielleicht welche, die noch aus der Zeit der Neuen Ökonomischen Politik stammten. Ein derart ungeheure Menge Witze beherrschte keiner von uns, und es gab keine Gelegenheit für Langeweile. Da Ganisch über ein hervorragendes Gedächtnis verfügte, verwunderte er uns auch mit interessanten Berichten über seine Vergangenheit. Mitunter versorgte ich unsere Küche mit Wild und angeschossenen
Tannenhähern. Die Flinte hatte mir in Krasnojarsk, in der Siedlng Postojannij, mein Wohnungsnachbar Pjotr gegeben, der als Fotokorrespondent bei der Zeitung „Krasnojarsker Arbeiter“ tätig war. SeinGroßvater war nach dem ersten imperialistischen Krieg von der österreichischen Front zurückgekehrt und hatte ein Gewehr mitgebracht, das man eigentlich nicht besitzen durfte, denn es handelte sich um eine militärische Zugwaffe. Er hatte das Rohr ausgebohrt, glattgeschliffen und zu einem 32-Kaliber-Gewehr mit Schloß umgearbeitet; allerdings fehlte das Magazin für Patronen. Ich verwendete die Flinte zum Jagen, kaufte jedoch auch einige Sprengpatronen, für den Fall, dass man sich vor einem größeren Tier schützen mußte. Einmal pro Woche bestellte Ganisch für die ortsansässigen Waldarbeiter Fleisch – Wildziegen, die hier auf den Bergkuppen weideten. Deswegen war unser Tisch nicht ärmlich gedeckt, es gab genügend Vogel- und Ziegenfleisch. Es näherte sich der 10.08., mein Geburtstag. Das erfuhr Ganisch, der sogleich zwei Arbeiter ausschickte, um in einer nahegelegenen (20 km) Siedlung gute Lebensmittel zu besorgen. Wolodja Rib und mir fiel die Aufgabe zu, in der Mana einen Eimer Gründlinge zu fangen. Jura und zwei weiteren Arbeitern wurde die Ehre zuteil, aus der Umgebung unserer Baracke eine riesige Menge Trockenholz (so hoch wie unsere Baracke) zusammenzusuchen, damit wir ein feierliches Lagerfeuer veranstalten konnten. Die Gründlinge waren schnell gefischt, denn wir hatten Glück mit dem Wetter – es waren schöne warme, sonnige Tage, als die Gründlinge sich in großen Schwärmen auf den sonnenbeschienen Sandbänken wärmten. Ein Gründling ist so dumm, dass er die Gefahr nicht erkennt, und somit läßt er sich leicht fangen: du führst einfach ganz vorsichtig an die in der Sonne liegenden Gründlinge - von unten, entgegen der Strömung – einen Angelhaken mit Wurm heran; der Fisch sieht das, beißt an, und mit einem kräftigen Ruck der Rute ist er auch schon gefangen. Während ich den Fisch vom Haken nehme, setzen die anderen Fische ihr Sonnenbad fort. Vorsichitg nähere ich den Angelhaken dem zweiten Gründling, fange ihn,und so geht es weiter, bis der gesamte Schwarm gefangen ist, denn keiner von ihnen schwimmt fort. Sie bleiben alle an ihrem Platz. Deswegen hatten wir unsere Aufgabe gegen Abend auch hinreichend erfüllt, aber sie erwies sich als umsonst, denn es gab keinen Ort, an dem man den Fisch aufbewahren konnte, und so mußten wir unseren Plan, den Fisch durch Einsalzen haltbar zu machen, überdenken. Schließlich wurde er zu einer zweimaligen Fischsuppe verarbeitet, denn wir hatten soviel gefangenen, dass wir später noch ein zweites Mal Fisch in die Suppe geben konnten. Vor dem 10. August stieß Ganisch, um vorwegzugreifen, auf eine Holzhütte ehemaliger Goldsucher, die das Flußbett des Flüßchens Uldat verlegt und dann darin Gold gewaschen hatten. Unsere Axiallinie verlief genau durch eine Ecke dieser Holzkate, und es tat uns leid, sie abreißen zu müssen; schließlich hatte der letzte Mensch 1925 in ihr gewohnt, so war es mit Kohle innen an der Wand vermerkt; in der Hütte fanden wir auch noch eine Schachtel Streichhölzer, Salz, einen eisernen Ofen, ein Tischchen und eine Pritsche vor. Brennholz war nicht vorhanden. Um die mit dem Nivelliergerät anvisierte Linie weiter zu ziehen, mußten wir eine Stirnecke des Holzhauses absägen. Natürlich würden sie beim Bau des Fahrweges die ganze Hütte abreißen, aber wir wollten nicht, dass unsere Hände dies taten; das sei nicht unsere Sache, erklärte Ganisch uns. Und damit hatte er recht.

Dann kam der 10. August. Ganisch war voller Fürsorge – er hatte entschieden, dass es als Hauptgericht Gulasch mit Reis geben sollte. Der Waldarbeiter brachte am Morgen frisches Fleisch. Wolodja und ich holten den Eimer mit den Gründlings-Faulpelzen, die wir amTag zuvor gefangen hatten, obwohl das Wetter sie nicht mit Sonnenschin verwöhnt hatte. Von einem Teil der Fische sollte eine Suppe gekocht, der andere gebraten werden. Als Geschenk brachte uns der Forstarbeiter leckeren Brotkwas mit, den der Kostkenner Ganisch mit etwas Wodka aufzubessern versuchte. Das ergab ein ganzes Faß eines anheiternden, schmackhaften Getränks. Das Fest begann bei Sonnenuntergang, als der Effekt des Feuerscheins maximal war. Unsere gesamte Expedition versammelte sich in der Baracke an dem großen Tisch, und Robert Wasiljewitsch begann eine Rede zu halten. Schade nur, dass es keine Möglichkeit gab, diese Rede aufzuzeichnen, seinen einzigartigen Humor, sein Lachen, vermischt mit der Geschichte der Erschließung des Sajan-Gebirges in den letzten Jahren. Er wußte nur zu gut, welches Programm einen hier in der Zukunft erwarten würde, von denen eines das Heben versunkener Baumstämme und Holzteile sowie das Reinigen des Grundes des Mana-Flusses war. Nachdem er seine herzlichen Glückwünsche an meine Adresse gerichtet hatte, leerte Ganisch ein halbes Glas Wodka. Als die hungrigen Jungs sich sattgegessen und gut getrunken hatten, verkündete Ganisch, dass ich als Geburtstagskind nun das Lagerfeuer entfachen sollte. Das Feuer loderte so prächtig, dass die ganze Gegend erleuchtet war, und wir nahmen uns wie die Wilden bei der Hand und fingen an, um die Feuerstelle herumzutanzen, wobei wir Gefangenenlieder, Lieder der Verbannten und Lieder vom Baikal sangen. Jura war unser Anführer in Sachen Chorgesang. Insgesamt waren wir zwölf Leute. Ich kann mich noch gut daran erinnern, was ich damals, an jenem zehnten August 1952, dachte. Einen derart pompösen Tag wird es anläßlich meines Geburtstags nie wieder geben, weil es keinen Menschen mehr geben wird, der ihn so unvergeßlich macht, der ihn mit solcher Herzlichkeit ausfüllt und, was die Hauptsache ist, der ihn so großartig ausrichtet; es wird Ganisch nicht mehr geben, aber die Erinnerung an ihn wird ewig bleiben. In den nachfolgenden Tagen trieben wir unsere Arbeit voran. Am Ende unserer Trasse wählte Ganisch eine Lärche aus, die abgesägt wurde; aber man ließ einen zwei Meter hohen Stumpf stehen, der auf der einen Seite so behauen wurde, bis er ganz glatt war; anschließend wurden mit einem Stechbeitel die Namen aller Expeditionsteilnehmer eingeritzt. So wurde unserer zweimonatigen Arbeit ein lebendes Denkmal gesetzt. Unsere Tätigkeit dort ging bereits dem Ende zu, als plötzlich in der Taiga durch Blitzschlag ein Feuer ausbrach. Der ganze Wald war voller Rauch, obwohl die Flammen nicht bis zu den Baumkronen hinaufschlugen. Ich ging über unsere enge Schneise, welche die wilden Tiere ebenfalls benutzten. Mir kamen Hasen und Füchse entgegengelaufen, die, als sie mich sahen, sogleich ihre Richtung änderten und zum Fluß liefen. Das Feuer am Waldboden war irgendwo auf der Bergkuppe ausgebrochen, deswegen kamen mir die Tiere entgegen gelaufen. Und da tauchte plötzlich vor mir eine Bärin mit zwei Jungen auf. Ich war schon stehengeblieben, als ich sie brüllen hörte, aber noch gar nicht sehen konnte; sie stand auf ihren Hinterbeinen und hatte ihre beiden Kleinen zwischen die Vordertatzen genommen. Einen Augenblick lang standen wir einander in nicht mehr als 5 m Entfernung gegenüber. Da die Schneise so schmal war, hatte die Bärin mich aufgrund des Qualms erst wahrgenommen, als wir fast miteinander zusammenstießen. Außerdem wehte der Rauch, wie ich mich jetzt erinnere, in meine Richtung, so dass sie mich nicht wittern konnte. Ich blieb weiter stehen, obwohl ich mein Gewehr über der Schulter hängen hatte, aber die Bärin zeigte keinerlei aggressives Verhalten. Urplötzlich setzte sie ihre Vorderbeine wieder auf den Boden, versetzte jedem der Jungtiere inen leichten Schlag aufs Hinterteil, und dann lief die ganze Familie in Richtung Fluß. So begegnete ich einmal im Leben der Herrin der Taiga – einer Bärin. Mit Hilfe von Ästen halfen wir den Forstarbeitern das Feuer auszuschlagen und den Brand zum Stillstand zu bringen. Wir waren Zeugen geworden, wie die Waldbewohner auf Rauch reagieren und sich rechtzeitig vor dem Feuer retten. Unsere Schneise war zu einer lebhaften Waldstraße von 15 km Länge geworden. Die Arbeit unserer Expedition ging ihrem Ende zu. Wir hatten die Trasse für den Fahrzeugtransport gebaut und geodätische Vermessungen der Umgebung vorgenommen. Nun mußten wir nur noch mit dem Floß über die Mana zum Jenisej zurückschwimmen. Dafür waren wir alle einen ganzen Tag lag mit dem Bau des Floßes mit zwei Rudern beschäftigt. Wir vereinfachten die Konstruktion ein wenig, in dem wir es nur aus einer Schicht Holz zusammensetzten, dafür aber die einzelnen Stämme zuverlässig miteinander verbanden. Nachdem wir uns von unserer Köchin Sina und den vier litauischen Arbeitern verabschiedet hatten, setzten wir uns auf dem „Mütterchen Mana“ mit einer Geschwindigkeit von 5-6 km pro Stunde in Bewegung. Wie schon zuvor, genossen wir während der Fahrt wieder den herrlichen Anblick der wunderschönen Ufer und kamen sogar an einem Felsen aus reinem Asbest vorbei. An einer Stelle macht die Mana eine scharfe, 12 km lange Biegung, und Ganisch, der die Örtlichkeiten kannte, stieg ans Ufer hinauf und ging auf der anderen Seite wieder zum Wasser hinunter, wobei er eine Strecke von nicht mehr als 100 m gehen mußte, während wir mit dem Floß die Flußschleife entlangfuhren und dafür ganze zwei Stunden benötigten. Unterwegs übernachteten wir zweimal, unter anderem einmal in einem Schober mit frisch getrocknetem Heu. Man muß dazusagen, dass es in der Mana häufig sehr flache, seichte Stellen gibt, so dass es bei der Treibflößerei zu Staus kommt. Wegen der Sandbänke ist es äußerst riskant, den Fluß hier mit Booten mit Außenbordmotor zu befahren. Bis zum Jenisej kamen wir mit dem Floß nicht, denn in der Mündung hatte sich zu der Zeit, als die Holzflößarbeiten eingestellt wurden, ein 4 km langer Stau aus abgeflößten Baumstämmen gebildet. Wir mußten ihn zufuß umgehen, mit unserem gesamten Gepäck auf dem Rücken. An der Anlegestelle bestiegen wir eine reguläre Fähre zur krasnojarkser Eisenbahnbrücke, wo an den Sonntagen ein Basar abgehalten wurde. Neben mir, am Heck des Kutters, saß einer der ortsansässigen Männer, der unterwegs war, um zwei Ferkel zu verkaufen, die zu seinen Füßen in einem Sack grunzten. Aber auf halbem Wege fiel uns auf, dass die Ferkelchen plötzlich ganz still geworden waren. Es stellte sich heraus, dass durch den Holzboden Wasser gesickert war; es hatte die Säcke durchtränkt und die armen Schweinchen waren in dem dadurch luftundurchlässig gewordenen Sack erstickt. Ihre Rüsselchen waren schon ganz weiß. Bekümmert ließ mein Nachbar den Sack mit den Ferkelkadavern in aller Heimlichkeit über Bord gehen, wobei er auf diese Weise die Sorge einer Bestattung los war, aber dafür hatte er einen Verlust erlitten.

Am Institut für Wasserbau und Holztransport wurde unsere Expeditionsarbeit hoch eingeschätzt, und wir erhielten neben unserem Lohn auch eine Prämie. Außerdem überließ man uns als Sonderkleidung jeweils ein paar Stiefel aus grobem Schweinsleder.

Den 5. Studiengang begannen Jura Jankowitsch, Wolodja Rib und ich mit einer neuen Unterkunft in der Schulgasse, in der Nähe des Bahnhofs. Unser Hauswirt war Inkassobeauftragter von Beruf, der dem Krasnojarsker Metallhüttenwerk mit Flugzeugen aus Norilsk wertvolle Metalle geliefert hatte, und seine Ehefrau Polina arbeitete in der Mähdrescherfabrik. Von allen Behausungen, die wir vorher innegehabt hatten war diese die angenehmste zum Lernen, denn in einem der Zimmer wohnten Jurij und ich, in dem anderen Wolodja mit seiner Frau Ira. Die Wirtsleute bewohnten das dritte Zimmer, die Küche war zur gemeinschaftlichen Nutzung vorgesehen. Das zehnte Semester verlief mit dem üblichen, diesem Kurs entsprechenden Lehrprogramm. Jura setzte seine Treffen mit Mascha fort, während ich mir im Radiokursus einen Verstärker baute, aber mit einer Steckdosenleitung, mit der man zuhause, am rechten Flußufer, ein Bügeleisen oder eine Kochplatte in Benutzung nehmen konnte. Eine unselige Zeit brach für Mama und Witja herein, als eines Tages Lusja Karpowa mit ihrem achtjährigen Sohn Tolja für ein ganzes Jahr „zu Besuch“ kam. Das war für sie in jeder Hinsicht eine schwierige Situation, aber Lusja begriff das offensichtlich nicht. Tante Erna, die Oma und Sascha Karpow (Lusjas Mann) wohnten in Prediwnij. Witja war gezwungen Überstunden zu leisten, um irgendwie die Löcher im Familienbudget zu stopfen. Ich bekam als einer der besten Studenten das höchstmögliche Stipendium. Jeden Samstag fuhr ich nach Hause, mitunter hielt sich auch Witja, mit Übernachtung, bei mir auf, und an dem Abend ging wir dann zu mir ins Institut zum Konzert oder ins Kino.

Im zehnten, dem Abschluß-Semester belegte ich einen Kurs zum Studium der Elektrotechnik und begann am gleichnamigen Lehrstuhl zu arbeiten, wodurch ich mich mit dem Thema Elektrotechnik auf meine Diplom-Projektarbeit vorbereitete. Leiter war der Inhaber des Lehrstuhls für Elektrotechnik - Dozent Anatolij Nikolajewitsch Schilin. Den Radiokurs besuchte ich auch weiterhin, denn Viktor Kondratjew und ich mußten die allgemeine Laborarbeit für den Lehrstuhl der Physik noch beenden. Am 5. März 1953 starb Stalin. Am Institut fand in der Aula eine kurze Trauerversammlung statt, auf der Bühne stand sein Portät, vorn ein Tisch, auf den man Blumen niederlegen konnte, und alle Anwesenden gingen während der Veranstaltung auf der Bühne an seinem Bild vorüber. Im Großen und Ganzen machte den Menschen sein Ableben zu schaffen, sie trauerten; das konnte man an den Gesichtern der Menschen im Saal und denen der Passanten auf der Straße ablesen. Das kann nur derjenige verstehen, der von seinen „genialen Ideen“ gestreift worden war. 12 Personen väterlicherseits (Papa, Onkel Kolja, Schura, Elsa, Tante Maljuscha, ihr Sohn Viktor und ich) und mütterlicherseits (Mama, Tante Emma, Onkel Arthur, Minotschka, Tante Erna, Großmama) hatte man unschuldig verhaftet sowie teilweise auch erschossen, und sie waren aus Gründen ihrer nationalen Zugehörigkeit politischen Repressionen ausgesetzt gewesen; nur ein einziger, Schura Petri, ging wieder hinaus in die Freiheit, nachdem er 16 Jahre abgesessen hatte. Dieser Mann hat für unsere Familie eine große Bedeutung.

Im Studienprogramm für die Diplom-Projektierung standen 90 Tage zur Verfügung, d.h. der halbe Juni, die Monate Mai und April und die Hälfte vom Monat März. Das Thema für dieses Projekt hatte ich selber gewählt, natürlich, nachdem ich dies mit A.N. Schilin abgesprochen hatte. Das Thema lautete: „Die elektrifizierte Schmalspurbahn“. Das Hauptelement, das bei diesem Projekt berücksichtigt wurde, war die Elektroantriebskraft der Installation. Die Arbeit erwies sich als sehr interessant, denn ich mußte in den Bibliotheken eine Menge Literatur über Elektroantrieb verschlingen. Für die Diplomanwärter stand in der 2. Etage des Lehrstuhls für „Land- und Wassertransportwesen“ ein Raum mit je einem Tisch pro Student zur Verfügung.
Es war sehr angenehm dort zu arbeiten, weil sämtliches Nachschlagematerial sich ganz in der Nähe befand – man konnte sowohl den Leiter des Projekts als auch die Institutsbibliothek schnell aufsuchen. Das gesamte Diplomprojekt bestand aus erläuternden Aufzeichnungen und Kommentaren auf 70 Seiten sowie 7 Blättern mit auf dickem Zeichenpapier vorgenommenen Zeichnungen. Jura und ich vereinbarten, dass wir unsere Dissertation an ein- und demselben Tag verteidigen wollten, dem 17. Juni 1953. Der Vorsitzende der Staatlichen Prüfungskommission war der Direktor des Staatlichen Instituts für die Projektierung von Transportwegen für die Forstindustrie, der uns noch von der Expedition ins Sajan-Gebirge her kannte; außerdem anwesend waren der stellvertretende Direktor des Instituts für wissenschaftliche Arbeit, A.I. Larionow, und andere. Zur Verteidigung der Dissertation kamen auch Witja und der dreijährige Viktor, der mit einem Matrosenanzug bekleidet war und äußerst attraktiv und anmutig aussah, wodurch er die Aufmerksamkeit des aus Moskau eingetroffenen Dozenten Dmitrijewski auf sich zog, der sogleich anfing, mit ihm auf dem Korridor und im Diplomraum umherzulaufen. Jura und ich verteidigten unsere Dissertation mit Erfolg und erhielten die Note „ausgezeichnet“. Traditionsgemäß feierten die Diplomanden anschließend ihren Institutsabschluß im Restaurant „Jenisej“, das sich an der Ecke gegenüber dem Institut befand. Das Treffen der sieben Doktorenanwärter in diesem Lokal, die heute ihre Prüfung abgelegt hatten, dauerte nicht lange, denn auf mich warteten bereits Witja und Witjuschka, auf Jura – Mascha, und die anderen mußten wieder zurück in die Vorstadt. Nach dem Restaurantbesuch fuhren wir zu dritt froh und glücklich an unser rechtes Flußufer, in den Bezirk Bumstroj, zurück. Später fand in der Aula anläßlich unseres Universitätsabschlusses das übliche Essen mit Verleihung der Diplome statt, die uns von Popow, dem Direktor des Instituts, ausgehändigt wurden. Bei der Verteilung auf unsere zukünftigen Arbeitsplätze lehnte ich den mir von der Kommission vorgeschlagenen Platz vorübergehend ab. Denn als die Kommission mich als einen der Besten aufgerufen hatte, der zudem auch noch einen Passierschein für Krasnojarsk besaß, war mir auch ein angesehener Arbeitsplatz am Staatlichen Institut für die Projektierung von Transportwegen für die Forstwirtschaft angeboten worden, und deswegen lehnte ich einstweilen jede andere Stelle ab, bis die Gesundheitsfrage um meinen Sohn geklärt war. Jura bekam eine Stelle in Krasnojarsk, worüber wir uns sehr freuten. Mehr als eine Woche verging, und in der ursprünglichen Liste von 73 unserer Universitätsabsolventen war nur noch ein Arbeitsplatz übriggeblieben – in der Michailowsker Forstwirtschaft des Nowosibirsker Holzkonzerns, mit einem Gehalt von 800 Rubel. Der Arzt hatte uns aufgrund von Witjas gesundheitlicher Verfassung geraten vorzugsweise in eine ländliche Gegend zu ziehen, und so erklärte ich mich mit diesem Stellenangebot einverstanden. Jura blieb weiterhin in der Schulgasse wohnen, nun allerdings allein, ohne mich, und teilte uns bald darauf mit, dass er und Mascha heiraten wollten. Die Hochzeit würde bei Jurij zuhause stattfinden. Witja und ich beschlossen, Jurij bei der Organisation der Hochzeitsfeier behilflich zu sein. Witja kaufte auf dem Markt Fleisch und andere Lebensmittel und bereitete ein Essen vor. Unter den Gästen befanden sich unsere Universitätsabsolventen sowie Maschas Freundeskreis, darunter auch Margarita Bokschanin. Draußen wurde gesungen und getanzt. Alles verlief gut, und die jungen Leute waren mit ihrer bescheidenen Studentenhochzeit zufrieden. Alle wünschten ihnen viel Glück und eine reiche Kinderschar.

 


Inhaltsverzeichnis

Zum Seitenanfang