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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

75 Jahre Moskauer Institut für Energetik. 60 Jahre Lehrstuhl

2005 wurde unser heimatlich-vertrautes Moskauer Institut für Energetik 75 Jahre alt. Man machte sich die Gelegenheit zunutze, mich als „Veteran“ (so „nannten“ mich die Kollegen) zu bitten, für meine 32-jährige Tätigkeit dort, wenn auch nur kurz, die Erinnerung an die Leitung unseres Lehrstuhls noch einmal wachzurufen. Das waren meine Jahre der aktiven Vorlesungen mit Studenten und der wissenschaftlichen Forschungsarbeit mit den Aspiranten als stellvertretender Leiter des Lehrstuhls und der Öffentlichkeitsarbeit and der Fakultät für Elektromontagen (EMF). Zur Teilnahme an den Jubiläumsfeierlichkeiten erhielt ich vom Rektor des Moskauer Instituts für Energetik, dem Professor und Korrespondenzmitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften – Jewgenij Viktorowitsch Ametistow – eine Einladung, zum 30. Mai 2005 von Hamburg nach Moskau zu kommen. Wie immer bei solchen Gelegenheiten flog ich zusammen mit meiner Frau Witja dorthin. Beim Besuch des vertrauten Lehrstuhls baten mich der Leiter, Professor Viktor Tichonowitsch Medwedjew, und sein Stellvertreter, der Dozent Aleksander Viktorowitsch Karaljunez, als Veteran des Lehrstuhls zum 60. Jubiläum des Lehrstuhls (1946-2006) meine Erinnerungen über seine ehemaligen Leiter aufzuschreiben – die Professoren A.A. Truchanow, B.A. Knjasewskij und P.A. Dolin. Da ich gegenüber den genannten Lehrstuhlleitern stets höchste Achtung empfunden hatte, machte ich mich also mit Vergnügen daran, die an mich herangetragene Bitte in Angriff zu nehmen und zu erfüllen.

ERINNERUNGEN
des Lehrstuhl für „Ingenieurtechnische Ökologie und Arbeitsschutz“ am Moskauer Institut für Energetik an den ersten Leiter des Lehrstuhls für „Sicherheitstechnik“, den Doktor der technischen Wissenschaften und Professor Aleksander Ananjewitsch, an den zweiten Leiter des Lehrstuhls für „Arbeitsschutz“, den Doktor der technischen Wissenschaften und Professor Boris Aleksandrowitsch Knjasewskij und an den dritten Leiter des Lehrstuhls für „Arbeitsschutz“, den Doktor der technischen Wissenschaften und Professor Petr Aleksejewitsch Dolin.

Der erste Leiter des Lehrstuhls für „Technische Sicherheit“ und sein Gründer, der Doktor der technischen Wissenschaften und Professor Aleksandr Ananjewitsch Truchanow, gehörte zu den Leuten, von denen die anderen sagten: dieser Mann hat „blaues Blut“, und damit meinten sie seine hohen Wertvorstellungen von Kultur, Sitte und Moral. Er gehörte zu der Generation, die noch all das Alte und Geheiligte wahrte, das ihn von der heutigen Generation unterschied. Ihm war ein interessantes Schicksal beschert. Da er ursprünglich aus dem Wolgagebiet stammte, fand er mein besonderes Interesse, denn während der Aspirantenjahre (1960er Jahre) erzählte er eine Menge über die Geschichte zur Zeit des Bürgerkrieges und des Hungers an der Wolga. Weiter oben habe ich nicht nur zufällig geschrieben, dass A.A. Truchanow zur einem höchst moralischen Menschenschlag gehörte. Denn die Geschichte seiner Dienstlaufbahn besitzt einen ungewöhnlichen Zusammenhang mit einem tragischen Ereignis, dessen Zeuge ich ganz zufällig wurde. Aus beruflicher Notwendigkeit besuchte er in Leningrad als Fachmann für Beleuchtungstechnik eine Schuhfabrik, in der zu jener Zeit gerade Reparaturarbeiten am innerbetrieblichen Fließband durchgeführt wurden. Das Fließband war unter dem Fußboden der Werkshalle installiert und von oben mit dünnen Stahlplatten abgedeckt. Während Aleksander Ananjewitsch durch die Halle schritt, sah er, dass einige Stahlplatten vom Boden entfernt worden waren, so dass das Förderband, an dem sich metallische Haken zum Weitertransport der Fabrikerzeugnisse befanden, an dieser Stelle freigelegt war, ohne dass sich an der Bodenöffnung entsprechende Schutzvorrichtungen befunden hätten. Und plötzlich ertönt ein herzzerreißender Hilferuf. Aleksander Ananjewitsch wendet sich um und sieht, wie vor seinen Augen ein junger Werksarbeiter von den Haken des Förderbandes unter den Metallboden gezogen wird, die den Betroffenen gräßlich zurichten. Das Fließband wurde angehalten, aber es war bereits zu spät, der Arbeiter war tot. Es stellte sich heraus, dass der junge Arbeiter, als er an dem offenliegenden Boden vorüberging, plötzlich stolperte und dann direkt auf das Band stürzte, das die Reparaturbrigade genau in dem Moment zu Testzwecken wieder eingeschaltet hatte; die Haken hatten die Kleidung des Mannes erfaßt und ihn unter den Metallboden gezogen. Nachdem Aleksander Anajewitsch diesen tragischen Vorfall mit eigenen Augen miterlebt hatte, schwor er sich hoch und heilig, seine zukünftige Laufbahn ausschließlich dem Arbeitsschutz zu widmen. Und das tat er auch, indem er als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der leningrader Abteilung des „Allunionsinstituts für die wissenschaftliche Erforschung des Arbeitsschutzes des Zentralrats der Berufsvereinigungen“ zu arbeiten begann und später, 1946, am Moskauer Institut für Energetik den Lehrstuhl für „Technische Sicherheit“ organisierte, aus dem in den 1970er Jahren der Lehrstuhl für „Arbeitsschutz“ wurde. Während seiner leitenden Tätigkeit am Lehrstuhl entstand unter Mitwirkung der Experten für Elektrosicherheit, dem Doktoranwärter und Dozenten Arsenij Iwanowitsch Kusnezow, sowie dem Doktoranwärter und Dozenten Petr Aleksejewitsch Dolin, eine wissenschaftliche Schule für Beleuchtungstechnik und Elektrosicherheit, die von den Aspiranten Zapenko, Marusow, Schipunow, Petri, Pawlow, Rewjakin, Schtscherbin, Parachin u.a. absolviert wurde und die dort auch als Aspiranten ihre Doktorarbeit verteidigten. Der Lehrstuhl wurde zum führenden wissenschaftlichen Zentrum des Landes auf dem Gebiet der Elektrosicherheit, er wurde fester Bestandteil aller wissenschaftlichen Konferenzen mit diesem Thema, ihre Mitarbeier waren in verschiedenen methodischen und wissenschaftlichen Räten des Allunionsinstituts für die wissenschaftliche Erforschung des Arbeitsschutzes des Zentralrats der Berufsvereinigungen und der Moskauer Universitäten vertreten; ebenso zählte der Lehrstuhl zu den führenden Experten beim Allrussischen wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Patentgutachten sowie der Moskauer Staatsanwaltschaft. Aleksander Ananjewitsch war persönlich mit dem Minister für höhere Bildung der UdSSR, Jeljutin, bekannt und hatte stets freien Zutritt zu dessen Arbeitszimmer.

Unser „Dreigespann“ (T.P. Marusowa, N.W. Schipunow und L.O. Petri) kam jedes Tag am ersten Samstag nach Beginn des Studienjahres im September in Aleksander Ananjewitschs Wohnung im Studentenstädtchen des Moskauer Instituts für Energetik zusammen, um dort gemeinsam „Tee“ zu trinken. An diesen Teetrinkveranstaltungen nahm auch sein Sohn, Kirill Aleksandrowitsch, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Physik der Akademie der Wissenschaften der UdSSR regen Anteil. Den ganzen Abend über „roch es hier selbstverständlich nicht nach Tee“ – es handelte sich vielmehr um das wahrhaftigste häuslich- familiäre, wissenschaftliche Seminar , das man sich denken konnte, denn hier waren immer die neusten Neuigkeiten aus Wissenschaft, Literatur und Kunst sowie Kunstausstellungen u.ä. im Gespräch. Aleksander Ananjewitsch besaß die erstaunliche Fähigkeit, seine Gesprächspartner mitzureißen und für jedes interessante Thema zu begeistern. Nicht umsonst versammelte sich um ihn auch nach seinen Vorlesungen für gewöhnlich eine große Menge Studenten. Nach einem solchen „häuslichen Seminar“ gingen wir, angefüllt mit wissenschaftlichen Novitäten und aufrichtiger Dankbarkeit für die Begegnung mit der Familie dieses verdienten Gelehrten auseinander.

N.W. Schipunow und ich hatten großes Glück und waren unheimlich froh, als Aleksander Ananjewitsch sich einverstanden erklärte, mit uns zusammen auf Dienstreise in den Süden der Ukraine, in die Stadt Soligorsk, zu den Salzbergwerken zu fahren. Wenn er das Hotel oder Kontor betrat, dann stellte Aleksander Ananjewitsch sich selber vor: „Professor Truchanow“. Diese beiden magischen Wörter schufen eine sachliche Atmosphäre zu unserem Nutzen. Ich erinnere mich an eine Episode, die sich unten im Schacht ereignete. Die Mittagspause war zuende, und Nikolaj Wjatscheslawowitsch und ich befaßten uns an der unterirdischen (180 m) Elektronebenstation mit der Fortführung unserer elektrischen Messungen aller Parameter für die Kraft- und Beleuchtungsnetze. Während wir mit unseren diveresen Geräten beschäftigt waren bemerkten wir nicht, dass Aleksander Ananjewitsch irgendwohin verschwunden war. Erst der Revierleiter teilte uns dies mit einem Lächeln mit: „Euer Professor hat die ganzen Schachtarbeiter um sich versammelt und unterhält sich mit ihnen. Seit dem Mittagessen ist schon eine ganze Viertelstunde vergangen, und niemand ist an seinem Arbeitsplatz“. Mit schnellen Schritten begab ich mich an die Stelle, die mir der Revierleiter genannt hatte und ... tatsächlich, da stand unser Professor inmitten eines Menschenauflaufs. Ich zeige auf meine Armbanduhr und bedeute ihm damit, dass er das Gespräch beenden soll, und er lächelt und ruft: „Na los, an die Arbeit!“ In den Gesichtern seiner dankbaren Zuhörer sah ich eine große Zufriedenheit wegen dieser ganz zufälligen Begegnung mit einem klugen Mann. Fünf Minuten später arbeitete das ganze Revier mit beschleunigtem Tempo, um die verlorene Zeit wieder aufzuholen. Und wir drei erhielten an diesem Kraftwerk dank dessen Angaben über die maximale Auslastung der elektrisch betriebenenen Apparate und Geräte.

So einer also war unser zutiefst verehrter Professor Aleksander Ananjewitsch Truchanow. In meiner Erinnerung war Aleksander Ananjewitsch ein Mann mit hervorragendem Charakter, einem hohen Bildungsniveau, einem äußerst kultivierten Verhalten und hohen Moralvorstellungen. Auf Dienstebene kreuzten sich unsere Wege lediglich bei der wissenschaftlich-methodischen Arbeit. Die rein wissenschaftliche Seite lag bei Aleksander Ananjewitsch hauptsächlich auf anderen Gebieten: er war im Bereich der Beleuchtungstechnik tätig, während ich mich auf elektrische Sicherheit spezialisiert hatte. Daher sind meine Erinnerungen von eher engem und einseitigem Charakter und beziehen sich lediglich auf Aleksander Ananjewitschs rein menschlichen Eigenschaften.

Über den zweiten Leiter des Lehrstuhls für „Arbeitsschutz“, den Doktor der technischen Wissenschaften, Professor Boris Aleksandrowitsch Kijasewskij, kann man nur mit erhabenem Tonfall reden und nicht anders; alle Mitarbeiter des Moskauer Instituts für Energetik, die ihn kannten, interessierten sich bei der Begegnung mit mir für ihn und äußerten stets ihre abschließende Meinung mit den bekannten Worten: „Ja, Boris Aleksandrowitsch gehörte zu der Kategorie Menschen, denen blaues Blut in den Adern fließt“. Damit ist alles gesagt: er ist hochgebildet, kultiviert, kennt die Manieren und Umgangsformen in der Gesellschaft; er war der französischen Sprache mächtig, konnte hervorragend reden und war ein äußerst wohlwollender Mensch. Und natürlich stach eine solche Person vor dem Hintergrund unserer Umgebung in allen Bereichen menschlicher Wertschätzung hervor. Zum ersten Mal begegnete ich ihm bei ihm zuhause im Ismailowsker Park; das war im Herbst 1968. Er lebte dort damals in einem zweistöckigen Haus des Ost-Elektro-Netzwerks des Moskauer Energiebetreibers, dessen Direktor er war. Das war sozusagen meine „Brautschau“, bevor ich mich damit einverstanden erklärte, dass er mich zu sich an den Lehrstuhl holte. Damals arbeitete er noch im Moskauer Institut für Energetik in Teilzeit. Ich erinnere mich an das Zimmer mit den dunkelblauen Tapeten und wertvollen Bildern an den Wänden. Unser Gespräch verlief bei einem Täßchen Kaffee, und beide Seiten waren mit der Begegnung sehr zufrieden. Später, als Boris Alkesandrowitschs Familie in ein Haus auf dem Lenin-Prospekt umzog, besuchte ich ihn dort noch viele Male und sah die riesige Menge Bücher in der Wohnung: die Wände im Arbeitszimmers und in der große Diele waren vom Fußboden bis zur Decke mit Büchern vollgestellt, im Saal, in einer Vitrine, befanden sich äußerst schöne und wertvolle Schmuckstücke und Souvenirs – Geschenke, die man der Familie im Laufe vieler Jahre mitgebracht hatte. Man kann wohl sagen, dass es sich dabei um eine Art kleines Familienmuseum handelte, aber alles zeugte von guten Geschmack und großen Kenntnissen. In diesem Saal empfing Boris Aleksandrowitsch im Jahre 1973 den Leiter des Lehrstuhls für „Arbeitsschutz“ an der Universität Dresden, Professor Wolowtschik, und mir fiel bei diesem Treffen die Rolle des Begleiters und Dolmetschers zu. Boris Alekandrowitsch war notgedrungen in diese Wohnung geraten. Es war nämlich so gewesen, dass sich das Haus im Ismailowsker Park ziemlich weit von der nächsten Straßenbahn-Haltestelle entfernt befand – man mußte etwa einen halben Kilometer durch den Wald laufen. Und einmal, als sich seine Tochter Tatjana in der dunklen Jahreszeit auf dem Heimweg befand, war sie von einer Gruppe Rowdies überfallen worden. Laut schreiend gelang es ihr davonzulaufen, aber als sie zuhause angekommen war, verlangte sie kategorisch, dass ihre Eltern die Wohnung wechseln sollten und dass sie mit Waldwegen nichts mehr im Sinn hatte. Der Wohnungswechsel ging ziemlich schnell vonstatten, allerdings gab es einen natürlichen Minuspunkt: nun fehlte ihnen die frühere Stille des Waldes; stattdessen Straßenlärm unter den Fenstern am Lenin-Prospekt. Boris Aleksandrowitschs Kultiviertheit äußerte sich sogar in kleinen Dingen. Ich erinnere mich, dass ich mich einmal am Lehrstuhl in seinem Arbeitszimmer aufhielt, während Diplomanwärter gerade bei ihm wissenschaftliche Ratschläge einholten. Eine soeben eingetretene Studentin bat er Platz zu nehmen. Sie antwortete:“ Vielen Dank, Boris Aleksandrowitsch, aber ich habe nur eine kleine Frage – es lohnt sich nicht sich hinzusetzen“. Aber trotzdem wiederholte er: „Bitte setzen Sie sich“, und wies erneut auf den Stuhl. „Andernfalls sehe ich mich gezwungen aufzustehen, denn ein sitzender Mann unterhält sich nicht mit einer stehenden Frau, das gehört sich nicht, bitte setzen Sie sich!“ Dankbar nahm die Studentin Platz. Diese „Kultur-Lektion“ gefiel mir sehr gut, und ich habe sie nie vergessen. Ich bin überzeugt, dass diese Begegnung auch der Studentin in der Erinnerung geblieben ist. Boris Aleksandrowitsch führte die Sitzungen am Lehrstuhl stets schnell und in äußerst operativer Weise durch; man merkte seine große Produktionserfahrung, die er im eigenen Land und im Ausland gewonnen hatte. Denn er hatte sich eine Zeit lang für diplomatische Tätigkeiten in den USA aufgehalten und anschließend 8 Jahre lang der wissenschaftlichen Abteilung der Botschaft der UdSSR in Frankreich (in Paris) vorangestanden; er hatte die Sowjetunion im Kongo vertreten und 1969 die Weltausstellung in Japan besucht. Als ehemaliger aktiver Mann hatte Boris Aleksandrowitsch in den 1930er Jahren am internationalen Autorennen auf der Strecke Moskau – Skandinavien- Dänemark – Frankreich – Deutschland – Polen – Moskau teilgenommen. Dank dieser Autorallye hatte er die Gelegenheit, die Bekanntschaft mit Ilf und Petrow zu machen und ihr Buch „Das einstöckige Amerika“ geschenkt zu bekommen, in das sie zuvor noch eine Widmung hineinschrieben. Allerdings war das Buch vom Pech verfolgt. Einmal kam ein guter Freund zu Boris Aleksandrowitsch „zum Tee“ zu Besuch, dem er das Buch der beiden berühmten Autoren mitsamt ihrer Widmung zeigte. Als der Freund das Buch sah, bat er seinen Besitzer um die Erlaubnis es lesen zu dürfen. Boris Aleksandrowitsch war einverstanden und lieh ihm das Buch auf Zeit. Aber alle Rückgabefristen verstrichen, und der Freund dachte gar nicht daran es zurückzugeben. Jahre vergingen, die beiden „Freunde“ verloren vollständig den Kontakt miteinander, und damit war Boris Aleksandrowitschs wertvolles Geschenk für immer verloren.

Vor seinem Wechsel ans Moskauer Institut für Energetik stand Boris Aleksandrowitsch als Direktor des Ost-Elektro-Netzwerks in geschäftlichen Beziehungen zum ersten Sekretär des Moskauer Komitees der Kommunistischen Partei der UdSSR Grischin, besonders bei Pannensituationen innerhalb des Stromnetzes. Es gab einen Fall, als durch die Schuld der Bauarbeiter eine Hochspannungsleitung schwer beschädigt wurde, so dass es im gesamten Moskauer Wohngebiet zu einem Stromausfall kam. Boris Aleksandrowitsch, der über eine Notfallbrigade mit Elektrikern verfügte, organisierte sogleich die notwendigen Reparaturarbeiten, um die Stromversorgung im Wohnbezirk wiederherzustellen, und bei Einbruch der Nacht war die nötige Spannung wieder vorhanden. Grischin hatte sich während des gesamten Stromausfalls am Ort der Reparaturarbeiten an den Kabeln aufgehalten und in wenig literarischer, unflätiger Weise Forderungen an Boris Aleksandrowitsch gestellt und seine Empörung über das Geschehene geäußert, obwohl dessen Stromleitungen an der Havarie keineswegs schuld waren. Nachdem die Stromversorgung wieder gesichert war, gratulierte Grischin Boris Aleksandrowitsch für die erfolgreiche Beendigung seiner Arbeit. Aber diesem reichte nun die nervenaufreibende Tätigkeit auf dem Direktorenposten. Nach seinem Eintreffen als zweiter (nach A.A. Truchanow) Leiter vor dem Kollektiv ergab sich beim Doktor der Wissenschaften, Professor B.A. Knjasewskij, die Frage, ob er ein Lehrbuch über Arbeitsschutz im Bereich von Elektroinstallationen schreiben sollte, welche den gegenwärtigen Anforderungen dieses Semesters entsprachen. Er zeigte große Initiative und Schaffenskraft, indem er ein Autorenkollektiv ins Leben rief, das innerhalb eines Jahres mit B.A. Knjasewskij, T.P. Marusowa, N.A. Tschekalin und N.W. Schipunow und unter der Redaktion von B.A. Knjasewskij ein Lehrbuch mit dem Titel „Arbeitsschutz im Bereich von Elektroinstallationen“ für Studenten der Energie- und Elektrotechnik herausbrachte und dem im Jahre 1977, von denselben Autoren, eine zweite, ergänzte und überarbeitete Auflage folgte. Nun erhielten der Lehrstuhl für „Arbeitsschutz“ am Moskauer Institut für Energiewissenschaften und die entsprechenden Lehrstühle an den anderen Universitäten des Landes ein sehr dringend benötigtes und begehrtes Lehrbuch, für das Boris Aleksandrowitsch das Hauptverdienst zukommt. Boris Aleksandrowitsch ist am Lehrstuhl allen in warmer und guter Erinnerung geblieben. Auf einer der letzten Sitzungen des Lehrstuhls teilte er mit dem ganzen Kollektiv seine geheimen Gedankengänge darüber, wie ihm im Alter von 83 schweren Herzens bewußt geworden war, dass um ihn herum ein Vakuum enstanden war – alle Freunde und Verwandte waren bereits verstorben, das Telefon schweigt – niemand ruft ihn mehr an, und auch er hat niemanden mehr, den er anrufen kann. Selbst sein bester Freund, der Direktor der Eremitage, der Akademiker Piotrowskij, ist ebenfalls schon in die andere Welt hinübergegangen. In einem solchen Fall können nur Kinder und Enkelkinder einem aus der Not helfen. Das hatte er deswegen gesagt, damit die jungen Leute sich nur rechtzeitig eine Familie zulegten.

Den dritten Leiter des Lehrstuhls für „Arbeitsschutz“ muß man ganz besonders erwähnen, und zwar in dem Sinne, dass sein Lehr- und Lektorenpersonal viel Glück hatte, weil es unter ihnen so einen „schreibenden“ Gelehrten und Spezialisten auf dem Gebiet der Elektrosicherheit wie den Doktor der technischen Wissenschaften, Professor Petr Aleksejewitsch Dolin, gab, der den Buchmarkt des Landes innerhalb von 40 Jahren mit Büchern dermaßen „überschwemmte“, dass seine Nachschlagewerke und Lehrmittel für die Universitäten aufgrund der allgemeinen Anerkennung seitens der Energiewissenschaftler und Elektroexperten des Landes zu ständig benutzten Handbüchern wurden. Petr Aleksejewitsch stellte im Jahre 1968 buchstäblich das ganze Leben meiner Familie auf den Kopf. Noch während meiner Aspirantur in den 1960er Jahren, aber auch später, entstanden zwischen ihm und uns freundschaftliche Beziehungen; er erwies meiner Familie einen unermeßlichen Dienst, indem er mich in Nowosibirsk darüber in Kenntnis setzte, dass es eine Möglichkleit gäbe, nach der eine Person, die vor dem Krieg in Moskau und Leningrad gelebt hätte, nunmehr das Recht hätte, erneut eine polizeiliche Aufenthaltsgenehmigung für diese Städte zu erhalten, allerdings ohne Wohnrecht. Er wußte, dass ich am 10. Juli 1941 aus Moskau evakuiert worden war und dass ich die entsprechende Bescheinigung noch besaß. Kaum hatte ich beim Moskauer Stadtrat die Dokumente vorgelegt, da erhielt ich auch schon, einen Monat später, einen positiven Bescheid. Auf diese Weise konnte ich, dank Petr Aleksejewitsch Dolin, wieder nach Moskau zurückkehren und am Lehrstuhl des Moskauer Instituts für Energetik arbeiten. Für diese Aufmerksamkeit mir gegenüber werde ich ihm ein Leben lang dankbar sein. Seine letzte Arbeit „Grundlagen der Sicherheitstechnik bei Elektroinstallationen“, Lehrbuch für Hochschulen, Moskau, „Snak“-Verlag, 2000 sowie die Redaktierung der Lehrstuhl-Arbeit „Sammlung von Aufgabenstellungen in der Elektrosicherheitstechnik“ für Hochschul-Studenten sind, und das kann man ohne jegliche Überteibung sagen, dieBilanzder Erinnerung an seine wissenschaftlichen, fachlichen und literarischen Fähigkeiten.

Wenn man über die Tätigkeiten des vierten, derzeit noch lebenden Leiters des Lehrstuhls für „Ingenieursökologie und Arbeitsschutz“, den Professor und Doktor der technischen Wissenschaften Viktor Tichonowitsch Medwedjew berichten will, dann muß man mit seinen Errungenschaften beginnen. Nachdem er 1993 die Leitung des Lehrstuhls übernommen hatte, machte sich Viktor Tichonowitsch unverzüglich an die Ausweitung der Lehrräume innerhalb des Lehrstuhls, wodurch er den Grundstein für künftige Perspektiven in der Entwicklung des Lehrstuhls legte. Parallel dazu wurden Arbeitslehrprogramme für die Absolventen des Lehrstuhls vorbereitet. Das ist ein großer Verdienst Viktor Tichonowitschs, der bei der aktiven Unterstützung des Rektorats, in Person des Rektors JewgenijViktorowitsch Ametistow, sowie der großartigen schöpferischen Arbeit seiner Stellvertreter und Assistenten, Sergej Georgiewitsch Nowikow und Aleksandr Viktorowitsch Karaljunez, den Lehrstuhl buchstäblich total veränderte, und zwar sowohl in Bezug auf den gesamten Lehrprozeß und den Laborbereich, als auch in wissenschaftlicher Hinsicht, indem er die wissenschaftlichen Tätigkeiten des Lehrstuhl-Kollektivs merklich vorantrieb. Man kann getrost bestätigen, dass Viktor Tichonowitsch sich durch seine Aktivitäten bei der Umorganisierung des Lehrstuhls aus einem allgemein-technischen Bereich ein Denkmal geschaffen hat, welches den Höhepunkt seiner Laufbahn widerspiegelt.

Wenn wir die Aktivitäten der vier Leiter des Lehrstuhls verallgemeinern, der insgesamt drei verschiedene Bezeichnungen – „Sicherheitstechnik“, „Arbeitsschutz“ und „Ingenieursökologie und Arbeitsschutz“ – trug, dann müssen wir ihnen mit großer Genugtuung und Dankbarkeit ihre hervorragenden Verdienste dafür anrechnen, dass es während ihres Daseins, unter ihrer Leitung, im Verlaufe von 60 Jahren, in denen Dutzende von Studenten den Lehrstuhls durchliefen, niemals zu irgendwelchen Unstimmigkeiten kam oder dass irgendwelche „persönlichen Akten“ innerhalb des Kollektivs angelegt worden wären. Stets herrschten Güte und gegenseitiges Verständnis. Diese Tradition muß man sich auch für die zukünftigen Kollektive wünschen, zusammen mit Erfolg für den Lehrprozeß und die wissenschaftliche Forschungsarbeit.

Lieber Viktor Tichonowitsch und Aleksander Viktorowitsch, Ihre Idee von der faktischen Schaffung einer „Datenbase“ über den Lehrstuhl halte ich für äußerst lobenswert und vor allem auch für notwendig; andernfalls könnte sich der Lehrstuhl als „Iwan ohne Vorfahren“ erweisen. d.h. als Lehrstuhl ohne Wurzeln und Geschichte. Denn das Leben geht, in der Tat, weiter, und die erste Generation der Lehramtsinhaber am Lehrstuhl geht von uns. Da das Leben des Lehrstuhls das Leben seines unterrichtenden und lehrenden Personalbestandes ist, so sind auch das uns umgebende und begleitende Leben und alle Ereignisse untrennbar mit dem verbunden, was wir in unseren Erinnerungen wiederspiegeln. Diese Seite haben Sie bereits in gerechter Weise gewürdigt. Die besten Wünsche Ihnen und dem gesamten Lehrstuhl – Ihr Kandidat der technischen Wissenschaften und Dozent L.O. Petri.


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