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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Schlußbemerkung

In dem Buch sind wahrheitsgetreue Erinnerungen noch bei guter Gesundheit befindlicher Zeugen der tajmyrer Ereignisse miteinander vereint. Diese Erinnerungen stellen einen erheblichen Ergänzungswert zu all dem Material dar, das bereits zu einem früheren Zeitpunkt in den Masseninformationsmitteln veröffentlicht wurde. Nun ist die Zeit gekommen darüber zu sprechen. Die Tajmyrer haben mehr als ein halbes Jahrhundert geschwiegen. Jetzt, an der Bruchstelle der Generationen, ist der kritische Augenblick gekommen, in dem man das „Leben“ der tajmyrer Sondersiedler einer Bewertung von zwei Seiten unterziehen muß:der politischen und der sozialen. Eine Analyse der gesetzgebenden Dokumente der Kriegszeit und späterer Perioden zeigt, dass bei der schlechten Anti-Umsiedler-Haltung, welche der Staat, die Partei und besonders auch die örtlichen Behörden den Sondersiedlern gegenüber entgegenbrachten, für das Leben im Tajmyr-Gebiet in den Jahren 1942-1944 bei einer niedrigen Wertschätzung des menschlichen Lebens, der Selbstherrschaft der Binnenschiffer (denken wir an Agapitowo, der Insel nahe Ust-Port u.a.) tödliche Wohn- und Lebensbedingungen entstanden. Es wäre jedoch falsch, diese Geschehnisse als Genozid zu bezeichnen, denn in den Archivdokumenten gibt es keinerlei Hinweis darauf, dass die Behörden zur Vernichtung der Tajmyrer aufgerufen hätten. Und dennoch handelte es sich nicht um den Zeitraum des roten Terrors in den Jahren 1937-1938, als der Terminus „Volksfeind“ aufkam und unschuldige Menschen einfach offiziell erschossen wurden, einschließlich zahlreicher Verwandten der Autoren dieses Buches. Die Behörden haben die Sowjetdeutschen nicht rehabilitiert, obwohl sie die an ihnen vorgenommen Repressionen als unverdient anerkannt haben; aber die Autonomie haben sie ihnen verweigert. Das ist die politische Seite. Nach Zeugenaussagen gerieten jene Menschen in tödliche Lebensbedingungen, die sich als „überflüssig“ heraussstellten, d.h. im wesentlichen keine Fischer waren. Im Großen und Ganzen waren Fischer nur gelegentlich vom Hunger betroffen, denn sie fanden die Möglichkeit sich von Fisch zu ernähren, wenngleich dies auch nicht immer und überall der Fall war. Man muß also anmerken, dass die Fischer der Kolchosen, die durch Gutscheinrollen für Lebensmittel und Geld, das sie für den an der Fischannahmestelle abgelieferten Fisch bekamen, planmäßig versorgt waren, die Möglichkeit besaßen, die komplette Auswahl an Lebensmitteln zu erwerben. Den Fischern des staatlichen Fischfangunternehmens war dies versagt, die faktisch als Lohnarbeiter der Fischfabriken in Erscheinung traten und nur mittels ganz gewöhnlicher Lebensmittelkarten und Lohnzahlung bis zu einem Wert der ihnen zustehenden monatlichen Bezugsmarken Lebensmittel beziehen konnten. Diese Fischer des staatlichen Fischereibetriebs befanden sich in wesentlich schlechteren Bedingungen als die Kolchosfischer und litten häufig Hunger. Auf diese Weise lassen sich die Menschen entsprechend ihrer Versorgung mit Lebensmitteln in folgende Kategorien einteilen: 1. Kolchosfischer: zufriedenstellende Versorgung; beim staatlichen Fischfang-Unternehmen beschäftigte Fischer, Arbeiter, Bauarbeiter: unzureichende Lebensmittelversorgung; 3. nichtverdienende Familienmitglieder (Kinder, alte Menschen): zum Hungerdasein verurteilt; 4. „Überflüssige“ (Arbeitslose): überhaupt keine Versorgung mit Lebensmitteln.

Wir wir sehen, brachte die 3.und 4. Kategorie der Lebensmittelversorgung die Menschen auf das Niveau eines Genozids und führte zudem auch noch zu Skorbut, einer Erkrankung, vor der niemand sicher war; sogar ich erkrankte daran, obwohl ich Fischer war, allerdings nahm die Krankheit einen leichten Verlauf. Was das Wohnen und die Kleidung betrifft, so stellten diese alltäglichen Attribute alle Menschen vor die gleiche Situation: sofern Wohnraum und Kleidung vorhanden sind, kannst du überleben; wenn du keine passende Unterkunft und Kleidung zur Verfügung hast, dann stirb. So lautete die rauhe Wahrheit im Alltagsleben des Hohen Nordens. Und das ist die zweite Seite – die soziale. In diesem Punkt hat der Staat die repressierten Menschen betrogen und ein Verbrechen an ihnen begangen, indem man ihnen nämlich vor ihrer Abfahrt in den Norden nicht erlaubte, warme Kleidung mitzunehmen, sondern ihnen stattdessen erklärte: „Bis zum Winter seid ihr wieder zurück!“ – Dieser bestialische Pukt berührte vor allem Menschen aus dem Baltikum, die buchstäblich in Sommerkleidung im Norden eintrafen. Wenn man das Gesagte noch einmal zusammenfaßt, dann läßt sich die tajmyrer Tragödie vom sozialen Standpunkt her als Ergebnis des verbrecherischen Handelns der Urheber der Aussiedlungsidee von Menschen in den Norden bewerten, wo sie dann dem Tode ausgesetzt waren. Nur 30% von ihnen blieben am Leben. Meiner Ansicht nach wäre es nach Ablauf von nunmehr 70 Jahren und am Vorabend des 65. Jahrestages des Sieges (09.05.2010) nicht richtig, den Kriegsausgang als Verdienst Stalins anzuerkennen – nicht er hat gesiegt, sondern das Volk! Zu seinen Verdiensten kann man höchstens den Verrat mit Beginn des Krieges und die dreimal so hohen Verluste unserer Armee gegenüber der des Gegners zählen. Und die unheilvolle Politik der Formierung von Sondersiedler-Kontingenten gelangte bis hinauf in die Tajmyr-Region. Der tiefe Schmerz, der sich in Jahrzehnten in den Herzen der fortgegangenen Generation um die vielen tausend unschuldig Umgekommenen angesammelt hat, spiegelt sich nun in den Zeugenaussagen der nicht länger schweigenden Tajmyrer wider. Wie wir festgestellt haben, war der Hauptgrund für das Massensterben die Aussetzung „überflüssiger“ Menschen (dreimal mehr als nötig) im Hohen Norden, für die es keinen Arbeitsplatz gab. Das Buch stellt eine Kollektivarbeit ehemaliger Sondersiedler dar. Es behandelt auch den gesamten Lebensweg der Familie Petri und stellt ein typisches Beispiel für das Durchlaufen aller sowjetischen „Universitäten“ des Lebens, der Hölle und des „Paradieses“ dar. Während ich an der zweiten Ausgabe des Buches arbeitete, hielt ich es für meine Pflicht, dem Leser zu erklären, weshalb die tajmyrer Tragödie von mir in der ersten Ausgabe als tödliches Verhängnis eingestuft wurde. Einige Leser können es nicht verstehen: welcher Art waren denn diese verhängnisvollen Lebensbedingungen, wenn doch der Autor und andere Tajmyrer eine Ausbildung erhalten hatten, sogar an einer Hochschule, und einige von ihnen sogar Wissenschaftler und Gelehrte wurden? Hier handelt es sich nicht um einen Irrtum. In der Tat sind mir im Tajmyrgebiet lediglich drei aus den Reihen der Sondersiedler bekannt, die Wissenschaftler wurden, und hier sind ihre Namen: der Doktor der Medizin, R. Albrecht, Arzt am städtischen Krankenhaus Krasnojarsk – Dudinka; der Doktor der technischen Wissenschaften, W. Gosmann, Techniker der Expedition für Wasserbau- und Binnenschifffahrt, Dudinka – Nowosibirsk; und ich, der Doktor der technischen Wissenchaften und Dozent am Moskauer Institut für Energetik. Leo Petri, Leiter der Fischfang-Brigade, Ust-Chantajka, Moskau. Die tödlichen Existenzbedingungen, deren Merkmale hier allesamt beschrieben sind, haben die Behörden unter dem Vorwand der sogenannten „Erschließung“ des Hohen Nordens durch Frauen, Halbwüchsige, Kinder und Alte einfach zugelassen, und so kam es buchstäblich zu einem Massensterben. In den Jahren 1942-1944 hatte diese Welle ihren höchsten Stand, als nämlich die örtlichen Behörden (wie man in den Archiven lesen kann) im Tajmyr-Gebiet - durch weit verstreute Ansiedlung eines Teils der Sondersiedler in öde, unbewohnte Gegenden entlang des Jenisejs und mit Hilfe der Natur – „überflüssig“ gewordene Menschen „verlor“. In den Folgejahren war die tajmyrer Volkswirtschaft vor allem dank der zahlenmäßigen Abnahme der Bevölkerung bereits in einem gewissen Maße in der Lage, den Menschen einen Arbeitsplatz zu garantieren, das Leben in den kleinen Siedlungen begann sich zu stabilisieren, nachdem man zuvor etwa 70% der im Norden abgelieferten Sondersiedler verloren hatte, d.h. 6400 Leben. Um der Gerechtigkeit willen muß hier angemerkt werden, dass die Haltung gegenüber den Sondersiedlern in jenen Jahren in vielen Dingen von der örtlichen Verwaltung der Kolchosen, Fischfabriken, Kommandanten der NKWD-Sonderkommandanturen u.a. abhängig war, deren Leiter auf ganz unterschiedlichen Bildungsniveaus standen, über unterschiedliche Qualifikationen und Führungsfähigkeiten verfügten und auf ihren Posten teils von vorhandenem, teils von fehlendem Karrieredrang getrieben wurden. In den im Buch angeführten Zeugenberichten sind viele Amtspersonen genannt, die unterschiedlichen Charakteren entsprechen; so berichtet beispielsweise Heinrich Fink über die vollkommen stümperhafte, untalentierte und unqualifizierte Kolchosvorsitzende Demidowa in Oschmarino, deren Hauptanliegen es war Fischer aufzugreifen, die Fisch mit nach Hause genommen hatten, und sie dem Gericht zu übergeben; Lewin Loch berichtet von Verrat gegenüber den Sondersiedlern durch die NKWD-Mitarbeiter Anosow, Karmanow und Nellin, die in der Region Ust-Port von den Menschen den Verzicht auf ihre Rückkehr an die Wolga verlangten und ihnen alle Beweisdokumente über den in der ASSR der Wolgadeutschen zurückgelassenen Besitz und das Vieh wegnahmen; Irma Scherer erzählt vom schlechten, unnormalen menschlichen Verhalten gegenüber den Fischern und Kindern in Nikolskoje seitens des Bevollmächtigten des Dudinsker Bezirkskomitees der KPdSU Engelson sowie des Vorsitzenden des Bezirksexekutiv-Komitees Mikow. Über den Akteur Mikow habe auch ich angemerkt, dass er uns beim Abladen der Mehlsäcke vom Schubkahn in Ust-Chantajka mit den Worten belohnte: „Bewegt euch, Faschisten!“ – Aber sogleich läßt Irma Schwerer auch nicht ihren guten Brigadeleiter Aleksej Wereschtschagin unerwähnt, der die Fischer stets vor übermäßiger, vergeblicher und gefährlicher Arbeit bei Sturm in Schutz genommen hat; er verhielt sich den anderen gegenüber immer wie ein Mensch. Irma Ljubimowa (Grosch) erwähnt mit Bitterkeit, dass der Kommandant der Sonderkommandantur in Potapowo, Losew, ohne jegliche Grundlage das Sichentfernen aus Ust-Chantajka zum Lernen an der Abendschule in Dudinka untersagte. Und Brigitta Wakker (Hinz) teilt mit, der Kommandant sich überhaupt immer gehen ließ und über die Stränge schlug; anläßlich der monatlichen Meldepflicht in Ust-Chantyjka sprach er ständig die Drohung aus: „Ihr seid hier für immer ... Wenn ihr versucht zu fliehen, werdet ihr erschossen“. So sah in jenen Jahren die Realität aus, von der die Sondersiedler umgeben waren. Aber ich wiederhole noch einmal: nicht alle sahen in uns „feindlich Gesinnte“. Ich kann zum Beispiel diese Menschen nie vergessen: nicht den guten Instruktor der Fischfabrik in Dudinka - Bolin, den stellvertretenden Direktor der motorisierten Fischfang-Station in Potapowo – Migrunow, den Vorsitzenden der Potapowsker Fischerei-Kooperative – den gebildeten Bader, die Sekretärin des Parteibüros der Woronzowsker Fischerei-Genossenschaft – Nekrasowa, die mehrere Dutzend Menschen in Orlowka vor dem Hungertod bewahrte, den Vorsitzenden des Ust-Jenisejsker Bezirksexekutiv-Komitees – Kobsew, der den Befehl erteilte, den Menschen in Orlowka einen Lebensmittelvorschuß zu geben, und den Leiter des staatlichen tajmyrer Fischfang-Konzerns – Jerschow, der in Ust-Chantajka die Ausgabe von Fisch auf Marken an die Hungernden anordnete, und zwar aus den Fischbeständen, welche die Fischer an der Fischannahmestelle abgeliefert hatten. Und es gab uns gegenüber viele solcher positiven Gesten seitens der örtlichen Mitarbeiter, mehr als negative, die uns hauptsächlich von weit entfernt sitzenden Leuten entgegengebracht wurden, die bloß „ganz zufällig an die Macht gekommen“ waren.

Das vorliegende Buch gestattet es bis zu einem gewissen Grade, die „weißen Flecken“ der geschilderten Ereignisse zu enthüllen. Es wurde auf Grundlage von Zeugenberichten und Archivmaterialien geschrieben, dank derer es gelungen ist, eine „Formel“ für die Gründe der Tajmyrer Tragödie – „die überflüssigen Menschen“ – aufzustellen. Wen trifft die Schuld, dass im Tajmyr-Gebiet überflüssige Sklavenarbeiter zusammengezogen wurden, die ausschließlich aus Frauen, Halbwüchsigen, Kindern und Alten bestanden? An dieser Tragödie sind jene Akteure von Partei und Regierung schuld, welche die Erlasse des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, die Anordnungen des Staatlichen Verteidigungskomitees und des Rates der Volkskommissare der UdSSR, die Befehle des NKWD der UdSSR, die Anordnungen des Volkskommissariats der UdSSR, die sich auf die Tajmyr-Bewohner bezogen, unterzeichnet haben, aber auch die örtlichen Behörden in Sibirien (Kriegskommissariate, NKWD-Sonderkommandanturen unter der allgemeinen Ägide des Regionskomitees, der Gebiets- und örtlichen Bezirkskomitees der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) sowie Bezirksexekutiv-Komitees). Die Liste dieser Dokumente der Regierungsorgane sind weiter oben als Beispiele aufgeführt.

Wie fügte sich nun das Schicksal der Menschen, mit denen wir im Juni 1942 am Ufer in Ust-Chantajka an Land gingen? Es waren insgesamt 105 Personen. Die ältere Generation, d.h. die Eltern jener Jugend, ist noch im Tajmyr-Gebiet oder später in Mittelasien und in Rußland verstorben. Die zweite Generation, zu der auch wir gehören, ist teilweise noch am Leben; sie ist entweder im Tajmyr-Gebiet geblieben oder nach Deutschland ausgereist. Uns ist bekannt, dass inzwischen die Fischer Torwald Hinz und seine Schwester Brigitta Wakker (Hinz), sowie ihr Mann Alexander Wakker mit Tochter Elsa Stumpf (Wakker), in Dudinka wohnen, ihre andere Tochter, Lilija Koch (Wakker), deren Ehemann Wladimir Koch und die Söhne Konstantin und Nikolaj, beide Farmer, führen in Potapowo unter den Bedingungen des Hohen Nordens einen großen landwirtschaftlichen Betrieb und besitzen zwei Kühe, eine Färse, einen Bulle, zwei Schweine, hundert Hühner, ein Schneemobil der Marke „Buran“, Motorboote, eine Heumähmaschine und die Lizenz auf ein Stück Land am Ufer des Jenisej für den Fischfang. Ebenfalls in Dudinka wohnen: die Vorsitzende der regionalen deutschen Gesellschaft „Wiedergeburt“ – Valentina Belmann, die Aktivistin dieser Gesellschaft und Organisatorin des regionalen deutschen Chors – Irma Scherer, die 1942 in der Siedlung Sitkowo eintraf; die Fischfang-Brigadierin Anna Groo ist inzwischen verstorben, ihre Schwester lebt in Deutschland; verstorben sind auch die Vorsitzende der Kolchose „Nordweg“ – Emilie Erdmann und ihre Schwester Maria (2006). Die Fischfang-Brigadierin Eleonora Jorg begab sich über den Nordmeer-Seeweg nach Fernost, Alexander Maurer, Viktoria Roppeldt und Ella Schott (Gaun) reisten nach Deutschland aus, Jurij Jankowitsch nach Lettland – seine Schwester Ruta ist bereits verstorben (2006, Riga), ebenso ihre Mutter und unsere Ärztin Natalia Viktorowna Jankowitsch, die in Riga begraben liegt.

Wir, Alexander Wakker, Leo und Viktoria Petri, haben uns als ehemalige repressierte Einwohner der Siedlung Ust-Chantajka entschlossen, ein Metallkreuz mit folgender Aufschrift aufzustellen:

„Hier in Ust-Chantajka liegen 270 Deutsche aus dem Wolgagebiet und aus Leningrad, Letten, Esten und Finnen, die in den Jahren 1942-1944 aufgrund von unmenschlicher, kräftezehrender Arbeit, Kälte, Hunger und Skorbut ihr Leben ließen.
IHNEN SEI EWIGES GEDENKEN.
Wakker, Petri, 2005“

Die Firma Kramer & Schuster in Hamburg, die diese Aufschrift in eine Platte aus rostfreiem Stahl eingravierte, übernahm 33% der Kosten für diesen Auftrag. Ein herzliches Dankeschön der deutschen Firma für ihre gegenüber den Deutschen aus Rußland gezeigte Solidarität.

In Ust-Chantajka erfüllte sich der langersehnte Wunsch seiner Bewohner aus der „Lieferung“ des Jahres 1942 von der Errichtung eines Zeichens der Erinnerung an die unschuldigen Opfer des stalinistischen Regimes. Das Kreuz ist 10 m hoch, daran ist eine Platte aus rostfreiem Stahl mit dem bereits o.g. Text angeschweißt. Die rote Farbe des Kreuzes am hochgelegenen, abschüssigen Ufer des Jenisej ist symbolisch gemeint; es gibt auch noch ein anderes rotes,
12 m hohes, Gedenkkreuz mit am Ufer ausgelegten weißen Steinen, die den Schriftzug „1932-1937“ tragen: es wurde am Kilometer 1 des 128 km langen Moskau-Wolga-Kanals aufgestellt, und zwar Anfang dieses Jahrhunderts, zum Gedenken an die vielen zehntausend Menschen, repressierte Bauarbeiter, unter ihnen auch Deutsche, die während seines Baus ihr Leben ließen. Beide Kreuze sind als Symbole und Zeichen der Erinnerung zu verstehen, denn sie stehen nicht auf den Gräbern der Verstorbenen, sondern an sichtbaren Stellen. Das Kreuz in Ust-Chantajka wurde im Juni 2006 in einer Entfernung von 70 m von einem Massengrab errichtet, das ebenfalls zur Gedenkstelle wurde. Die Aufstellung des Kreuzes auf dem Massengrab selbst war unserer Ansicht nach unangebracht, denn bei den Erdarbeiten wäre die Totenruhe gestört worden, und das Kreuz zudem von der Flußseite, von den vorbeifahrenden Schiffen aus, überhaupt nicht zu sehen gewesen. Jetzt hebt es sich vor dem Hintergrund des blauen Himmels deutlich hervor, denn es steht am Jenisej, ebenso wie das andere an der Wolga, ganz oben auf dem weithin sichtbaren, nicht von Gestrüpp zugewachsenen Ufer. Das Kreuz wurde in Potapowo montiert und mit zwei Booten nach Ust-Chantajka gebracht (70 km); die Aufstellung und Befestigung der Metallkonstruktion des Kreuzes mit der Textplatte erfolgte durch den ehemaligen Fischer der „Petri-Brigade“ Alexander Jegorowitsch Wakker und dreier weiterer Gehilfen: seinem Schwiegersohn Wladimir Arthurowitsch Koch und den Enkeln Nikolaj und Konstantin Koch. Das Erinnerungsmahl am Massengrab mit einer gehörigen Menge Fischsuppe wurde von Natascha Koch (Konstantins Ehefrau) vorbereitet, die zusammenmit ihrem Mann auf dem Festland, am Ufer und vom Fluß aus auch sehr gelungene Fotos von der Errichtung des Kreuzes und der Anbringung der Metallplatte machte. Die Auftragsarbeiten für die Bearbeitung des Fotomaterials im Labor, insgesamt 30 Aufnahmen in jeweils drei Exemplaren in Matt- und Hochglanz-Ausführung wurden von Elsa Stumpf (der Tochter von A. Wakker) erledigt. Auf diese Weise haben allein die Angehörigen der drei Familien Wakker, Koch und Stumpf diese gesamte schwere und große Arbeit geleistet. Die Verwaltung in Dudinka verweigerte mir die zur Teilnahme an der Aufstellung des Kreuzes im Jahre 2006 notwendige Einreise - aus Altersgründen. Es war sehr verletzend, sehr kränkend, dass ich nicht zum allerletzen Mal an den Ort kommen konnte, an dem am 17. Dezember 1943 meine und Witjenkas Liebe begann, dass ich zur Erinnerung keine Handvoll Erde vom Tajmyr mitnehmen und meinen Freunden bei der Errichtung und Montage des Kreuzes behilflich sein konnte. Aber ich habe es als sehr schön empfunden, dass das Kreuz von ehemaligen Mitgliedern meiner (der „Petrischen“) Fischfangbrigade aus zwei Generationen hergerichtet wurde. Im Namen aller Leser des hier vorliegenden Buches möchten wir den genannten Patrioten des Tajmyr unsere große Anerkennung und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, dafür, dass sie mit diesem KREUZ an der Stelle, an der man ins Tajmyr-Gebiet einreist (denn Ust-Chantajka befindet sich auf seinem 1. Kilometer) ein „Denkmal“ am Jenisej zu Ehren der auf dieser Halbinsel zwischen 1942 und 1948 Umgekommenen (6400 Menschen) errichtet haben – ein Kreuz analog dem KREUZ, das ebenso als „Denkmal“ am Kilometer 1 des „Moskau-Wolga“-Kanals steht, nur dass es sich an einem anderen mächtigen Fluß, der Wolga, befindet, wo zwischen 1932 und 1937 etwa 75000 Menschen ums Leben kamen. Deswegen halten wir, die Tajmyrer, das jenisejsker Kreuz für ein allgemeines Denkmal, genau wie das an der Wolga; es bezieht sich nicht nur auf die in Ust-Chantajka verstorbenen (270) Menschen, sondern ist auch als ZEICHEN des Gedenkens an die Gesamtheit der am Jenisej-Tajmyr- Ufer Umgekommenen (6400) zu verstehen.

Beide Kreuze symbolisieren zu verschiedenen Zeiten ein und dasselbe Ereignis im Lande – die grenzenlose stalinistische Willkür. Die ehemalige Siedlung Ust-Chantajka mit seinen zahlreichen von Sondersiedlern errichteten Gebäuden und Häusern existiert heute schon nicht mehr, das gesamte Territorium ist wie leergefegt und im Laufe eines halben Jahrhunderts mit dichtem Gestrüpp und Bäumen zugewuchert; geblieben ist der Name der Ortschaft nur in der Erinnerung der Menschen und auf geographischen Karten.

Nun, da das Gedenkkreuz errichtet wurde, ist es nur noch notwendig, den Namen der schon nicht mehr existierenden kleinen Siedlung zu erhalten.

Aber kehren wir an die heimatliche Wolga zurück. Welche Punkte waren im Leben der Wolgadeutschen während der Zeit der Sowjetmacht typisch? Benennen wir sie einmal auf den ersten näheren Blick: Armeedienst (bis 1941), Hunger, Cholera, Neue Ökonomische Politik, Entkulakisierung, Verbannung, Verhaftungen, Erschießungen, Rehabilitationen, Umsiedlung, Sonderkommandantur, Arbeitskolonnen des NKWD, Trennung der Familien, angeborene Angst, im Lande weit verbreitete Schulbildung, sowie mittlere und höhere Ausbildungswege, Arbeit entsprechend des beruflichen Fachgebiets auch in der Landwirtschaft, ungerechtes Verhalten gegenüber den Rußland-Deutschen, Verlust der Autonomie, eine Nation ohne Perspektiven. Alle genannten Punkte hat auch unsere Familie durchgemacht, beginnend mit dem Umsturz im Jahre 1917 bis hin zum Jahre 1994.

Die Familie ist die allererste kleine Zelle des Staates, anhand der von ihr miterlebten Parameter läßt sich die Politik bewerten, die von der Staatsmacht gegenüber ihren Untertanen verfolgt wurde. Im vorliegenden Fall kann unsere Familie Petri als Beispiel dienen. Im Buch werden die genannten Punkte bis in kleinste Kleinigkeiten beschrieben, beispielsweise Mamas und meine durch Verleumdung entstandene Verhaftung 1944 in Ust-Chantajka, obwohl wir völlig unschuldig waren, Papas Erschießung in Astrachan und die Onkel Koljas in Moskau 1938 sowie Onkel Karls in Moskau 1941, I, Tschaschkos Verbrechen 1942 in Stalingrad, die „Theorie“ vom Bau der Datscha und des Baderaums u.a. Insgesamt gesehen hat uns die Staatsmacht bis hin zur Selbstverachtung, zum Groll gegen den Staat und schließlich zur Ausreise nach Deutschland erzogen. Aber die Ausreise bedeutet nicht den vollständigen Abbruch der Verbindungen mit den heimatlichen Orten und den dort zurückgeblieben Menschen. Unsere aussterbende Generation hat lediglich der nachfolgenden den Weg in den Westen freigemacht, wobei sie der Meinung war, dass es in Rußland, wie die Geschichte gezeigt hat, für Deutsche keine Perspektiven gibt. In der „Moskauer deutschen Zeitung“ hat Lilja Fischer sehr treffend und richtig die Gedanken der Deutschen aus Rußland mit den Worten Ch. Franks, einst Zwangsarbeiter in Stalins Lagern, gebürtig aus der Ortschaft Balzer an der Wolga, ausgedrückt, wie man es besser nichtsagen kann: „Ich wende mich an die Familien der Rußland-Deutschen: sammelt eure Geschichte, schreibt die Berichte der Alten auf, bewahrt Fotografien auf. Früher oder später werden ernstmeinende Historiker, Literaten, Kinematographen auftauchen, die unsere Geschichte rekonstruieren wollen“. Das sind doch rechtgesprochene Worte! Das vorliegende Buch stellt in gewisser Weise ein Beispiel für eine Antwort auf diesen Aufruf dar, in dem es einen „weißen Fleck“ im Schicksal der Völker zahlreicher Nationalitäten in den 1940er Jahren auf dem Tajmyr enthüllt.

Die beste Möglichkeit für die Vollendung der Schlußbemerkungen zu diesem Buch ist wohl die Verallgemeinerung des Geschriebenen – also die Verwendung einer schematischen Darstellung der einzelnen Textpunkte. Daher kann man die ganze Tragik des Tajmyr, die ja das Hauptthema dieses Buches verkörpert, in seiner Gesamtheit am besten und leichtesten mit Hilfe eines allgemeinen Schemas verdeutlichen, das den dortige Aufenthalt der Sondersiedler von 1942 bis in die Gegenwart aufzeigt, so dass sich der Leser den ganzen „technologischen“ Prozeß des von der Staatsmacht verursachten Untergangs der Menschen im Hohen Norden viel anschaulicher vorstellen kann. Das Schema setzt sich aus folgenden Punkten zusammen:

1. Voraussetzungen für die tödlichen Bedingungen in den Jahren 1941-1942
1-1. Erste Deportation aus Europa nach Sibirien – September 1941
1-2. Sibirien verbannt die Sowjet-Deutschen – September 1941 bis August 1942
1-3. Zweite Deportation der Sowjet-Deutschen aus Sibirien ins Tajmyr-Gebiet – Mai bis September 1942
2. Die unheilvollen Lebenbedingungen in den Jahren 1942-1944
3. Abreise aus dem Tajmyr-Gebiet – Juli 1948 bis 1956
3-1. Per Anwerbung auf die Insel Sachalin – Juli bis September 1948
3-2. Aufgrund einer individuellen Anforderung einzelner Personen – 1950 bis 1956
4. Überlebende und im Tajmyr-Gebiet für immer Zurückgebliebene – 1942 bis in die Gegenwart

1-1. Es ist ganz offensichtlich, dass für die Enstehung todbringender Bedingungen im Vorfeld entsprechende Voraussetzungen geschaffen mußten, d.h. es mußten die nötigen Gegebenheiten und Vorbedingungen vorliegen. In diesem Fall waren es folgende: als erste Repressivmaßnahme der Staatsmacht galt die Deportation der gesamten deutschen Bevölkerung aus den europäischen Teilen des Landes nach Sibirien, und zwar auf Grundlage des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941. Dokumente dazu s. im „Einleitungs“-Text des Buches.

1-2. Mit der Ankunft in den mit viel zu wenig Unterkünften versehenen, armen sibirischen Dörfern und den schlecht funktionierenden Kolchosen lösten die vielen hundertausend Menschen bei der ortsansässigen Bevölkerung keine große Begeisterung aus, sondern es kam vielmehr eine Massen-Unzufriedenheit auf, denn sogleich bei der Ankunft der Neuankömmlinge, noch im Herbst 1941, entstanden vorort erhebliche Schwierigkeiten mit deren Unterbringung an einem Arbeitsplatz und ihrer Versorgung mit Lebensmitteln. Denn die Ortsbewohner lebten vorwiegend von ihren Gemüsegärten, welche die Sowjet-Deutschen nicht besaßen. Die vorort befindlichen Partei- und Wirtschaftsorgane schufen mit konstanter Beharrlichkeit eine allgemeine Meinung über die überflüssig eingetroffenen Menschen, bei denen es sich zudem auch noch um Deutsche handelte – Angehörige einer feindlichen Nationalität, von denen man sich hier in den hiesigen Ortschaften, Dörfern und Siedlungen befreien, die man loswerden mußte; und dies war die zweite Voraussetzung für die tödlich endenden Bedingungen. Hierüber berichtet J. Jankowitsch in der Zeugenaussage 32 in allen Einzelheiten. Grundlage: Beschluß der örtlichen Partei-, Wirtschafts- und Militärorgane über die Einberufung eines Teils der Umgesiedelten in den Hohen Norden.

1-3. Die zweite Deportation im Verlauf eines einzigen Jahres von Juni bis September 1942 von Sowjet-Deutschen aus Sibirien ins Tajmyr-Gebiet, stellt die dritte Voraussetzung für die verhängnisvollen Bedingungen dar; sie ist im Buchtext genauer beschrieben. Grundlage: Verfügung des Rates der Volkskommissare der UdSSR vom 6. Januar 1942. Hier liegt die Vermutung nahe, dass diese Verfügung das Ergebnis von sibirischen Partei-Akteuren ist, welche das Zentrum „überhaupt erst auf den Gedanken dazu gebracht haben“.

2. Die unheilvollen Lebenbedingungen in den Jahren 1942-1944 sind im Buchtext beschrieben.

3. Verlassen des Tajmyr-Gebiets in den Jahren 1948-1956

3-1. Das Verlassen aufgrund einer „Anwerbung“, die von den NKWD-Sonderkommandanturen unter den Sowjet-Deutschen im Jahre 1948 durchgeführt wurde. Es wurden nicht alle Interessenten „angeworben“, sondern nur „die besten Fischer“. Damals wurden etwa 250 Personen gezwungen, das Tajmyr-Gebiet zu verlassen.

3-2. In den 1950er Jahren begann die individielle Ausreise von Familien, die den Aufrufen ihrer Angehörigen folgten, und sich in den Süden der Region Krasnojarsk, nach Mittelasien und West-Sibirien begaben Eine Rückkehr an die Wolga war komplett verboten. Im Zusammenhang mit der Massenabreise der Menschen verödeten die kleinen Stationen und Siedlungen am Ufer des Jenisej immer mehr, so dass Anfang der 1960er Jahre einige von ihnen bereits menschenleer waren. So wurden beispielsweise die Gebäude in Ust-Chantajka demontiert und den Jenisej flußabwärts, bis zur Siedlung Potapowo, abgeflößt. Heute ist Ust-Chantajka vollständig mit Wald und Strauchwerk überwuchert; lediglich das Massengrab, in dem 270 (70% der Ankömmlinge) Deutsche von der Wolga und aus Leningrad, Letten, Esten und Finnen ruhen,existiert noch – sie alle starben aufgrund der unmenschlich harten Arbeit, an Hunger, Kälte oder Skorbut. Einzig und allein das Kreuz am Ufer von Ust-Chantajka zeugt von den tödlichen Bedingungen, die sich hier zugetragen haben.

4. Heute gibt es noch 70 überlebende Rußland-Deutsche im Tajmyr-Gebiet, die ihren ständigen Wohnsitz hier behielten, 54 davon leben in Dudinka.

In Kurzform, dargestellt in einer Graphik, sieht die Ankunft / der Verbleib der Sondersiedler im Tajmyr-Gebiet in den Jahren 1942-1944-1956 .... 2006 wie folgt aus:

ÜBERSICHT DES VERBLEIBS
der Sondersiedler im Tajmyr-Gebiet in den Jahren 1942-1944-1956-bis heute

Vorbereitende Maßnahmen in den Jahren 1941-1942 für die Schaffung der tödlichen Bedingungen
   
Erste Deportation aus Europa nach Sibirien im September 1941  Sibirien lehnt die  Sowjet-Deutschen ab Sept. 1941- Aug. 1942  Zweite Deportation aus Sibirien ins Tajmyr-Gebiet  
Juni – Sept. 1942   
11000 Pers.
       










September 1942 – 1944, Schätzungen zufolge kommen 6400 Pers. ums Leben
         
    Abreise aus dem Tajmyr-Gebiet 1948 – 1956, 4500 Pers.

 

     
Durch „Anwerbung“ auf die Insel Sachalin, 250 Pers   Infolge einzelner Abberufungen, annähernd 4250 Pers.      
           
Überlebende und später für immer im Tajymr-Gebiet geblieben, 1942-2006, 70 Pers.

 

Als Resultat aller Deportationen, tödlichen Lebensbedingungen, der „Anwerbung und Abfahrt ins Tajmyr-Gebiet wurde berechnet, dass 6400 Menschen in der Erde des Tajmyr begraben liegen. Das ist der Preis für die Verfügung des Rates der Volkskommissare der UdSSR N° 197 vom 6. Januar 1942 „Über die Entwicklung der Fischfang-Industrie in den Flußbecken Sibiriens und des Fernen Ostens“.

Gebe Gott, dass in Rußland irgendwann die Zeit kommt, in der der Rote Platz in Moskau von bolschewistischen Überresten gesäubert wird.

Mich unter den ständigen starken Eindrücken jenes Schmerzes befindend, den Viktorias Tod in mir hervorrief, muß ich den weiter oben angeführten Satz „über die erste Zelle des Staates“ im Hinblick auf unsere entfernten Vorfahren in etwas anderen Worten wiedergeben: „Die Familie ist die allererste Zelle des Staates; sie soll glücklich sein, denn dann werdet ihr euch durch den Staat auch nicht gekränkt fühlen (mit Fortsetzung von Olga Martens), - hütet eure Lieben“.

ES WAREN EINMAL ZWEI LÄNDER

„Die Zeit der Erinnerung ist gekommen,
Wie es mir heute scheint,
Dass wir einst
Zwei Länder
In einem hatten.
Das erste Land hat sich
Vor der ganzen Welt präsentiert,

Mit Freuden von sich Reden gemacht!
Das zweite haben sie weit weg gebracht
Und in einem einzigen Moment alle Wurzeln herausgerissen.
Der Zug ist durch die Felder gerollt,
Und alle, die im Waggon saßen,
hatten die „116 geteilt durch 2“...“

(116 geteilt durch 2 = 58; gemeint ist der politische § 58 des Strafgesetzes; Anm. d. Übers.)

Mit diesen ansprechenden Worten des Poeten R. Roschdestwenskij spiegelt sich jener unendliche Zeitraum der Existenz der Menschen im GULAG-Land wider, wo die „Sklaven“ mit jenem § 58 im Überfluß bedacht wurden. (Aus dem Buch „Kerze der Erinnerung“ von O.P. Kornejewa und N.A. Predtetschenskaja, 2006). Ein Echo auf das Buch „Die Deutschen des Tajmyr“, Moskau, 2006, von L.O. Petri und V.T. Petri gab es in der Zeitung „Tajmyr“ des Tajmyrer Dolganen- und Nenzen-Gemeindebezirks vom 27. Juli 2006, N° 84 (13254) in einem Artikel der Leiterin der Abteilung für Geschichte des Tajmyrer Heimatkunde-Museums, N.A. Predtetschenskaja, mit der Überschrift „Die Deutschen werfen ihre Worte nicht einfach in den Wind“. „In Deutschland vergißt man das deutsche Sonderkontingent nicht“. Der Text lautet wie folgt:

„Unlängst erreichte das regionale Tajmyrer Heimatkunde-Museum ein Buch mit dem Titel „Die Deutschen des Tajmyr“. Seine Autoren, das Ehepaar Leo und Viktoria Petri, ehemalige Sondersiedler ab 1941. Im Jahre 1942 befanden sie sich als Sondersiedler in der Siedlung Ust-Chantajka, im Bezirk Dudinka. Das Buch erschien in Moskau in einer Auflage von 1000 Exemplaren; es ist den Rußland-Deutschen gewidmet, die 1942 ins Tajmyr-Gebiet verschleppt wurden. Das Buch beeinhaltet dokumentarische Berichte der Autoren, die diese Zeit als Augenzeugen miterlebt haben, sowie anderer Teilnehmer an den Ereignissen jener Jahre.
Am Beispiel einzelner Familien tritt das tragische Schicksal von Deutschen, Letten und Finnen zutage, werden die Bilder des Alltags der Sondersiedler während des Krieges und nach Kriegsende reproduziert. Im Sommer 2002, sechzig Jahre nach den tragischen Geschehnissen, trafen Leo und Viktoria Petri aus Deutschland im Tajmyr-Gebiet ein. Hier begegneten sie ehemaligen Sondersiedlern, Freunden aus der Verbannungszeit. Die Eindrücke von diesen Begegnungen mit den Menschen, mit den Orten, an denen sich alles abspielte – Kummer und Gram, Tod, Verzweiflung und die erste Jugendliebe, aber auch die Freunde, die ihnen in ihren Abschiedsworten die Bitte mit auf den Weg gaben, über alles zu schreiben, was mit ihnen geschah, zwangen Leo Petri schließlich nach seiner Rückkehr nach Hamburg dazu, sich mit Hilfe der Zeitung „Heimat“ an ehemalige Tajmyrer zu wenden, die heute in Deutschland Leben. Als Antwort kamen Briefe mit Erinnerungen, die auf den Seiten der deutschen Zeitung „Heimat“ veröffentlicht wurden. Übrigens wurden dort auch Museumsmaterialien über die Sondersiedlung aus dem „Museumsboten“ (N° 1, 2000) veröffentlicht, den die tajmyrer Museumsmitarbeiter den Gästen schenkten, als sie das regionale Heimatkunde-Museum besuchten. Einige Jahre vergingen. In dieser Zeit starb die Freundin, helfende Hand und Mitautorin des Buches – Viktoria Theodorowna Petri (Walter). Leo Ottowitsch Petri hielt sein Versprechen, das er den tajmyrer Freunden beim Abschied gegebn hatte. Das neue Buch ergänzt und vervollständigt mit seinen neuen Zeugnissen das, was wir bereits aus den Archiven sowie Veröffentlichungen in den Massen-Kommunikationsmitteln erfahren konnten, wenngleich viele Seiten dieser Tragödie bis heute unenthüllt geblieben sind. Bis heute ist die genaue Zahl der umgekommen und auch der hierher abtransportierten Menschen nicht bekannt. Leo Petri vermutet, dass man etwa drei- bis dreieinhalbmal mehr Menschen auf der Tajmyr-Halbinsel aussetzte, als für die Erfüllung des Fischfang-Plansolls in den Kriegsjahren erforderlich war, woher dann auch die hohe Sterblichkeitsrate, u.a. aufgrund von Hunger, innerhalb des Sonderkontingents rührte.

Der Autor des Buches, Leo Petri, wurde am 10. August 1926 in der Stadt Balakowo, im Gebiet Saratow, in eine deutsche Familie hineingeboren. Er ist ein Altersgenosse von Lewin Lewinowitsch Loch, einem Ehrenbürger des Tajmyr. Leo Petri und seine Mutter verließen den Tajmyr im Jahre 1948. Es gealng ihm, die Schule zu besuchen, eine Ausbildung zu machen; 1967 verteidigte er am Moskauer Institut für Energetik seine Doktorarbeit und wurde Kandidat der technischen Wissenschaften und Dozent. Bis zum eintritt ins Pensionsalter übte er dreißig Jahre lang an demselben Insitut in Moskau Lehrtätigkeiten und die wissenschaftliche Leitung der Aspirantur (7 Aspiranten) aus. 1994 reiste er mit seiner Familie nach Deutschland aus. Er ist Vorstandsmitglied der Deutschen Assoziation der Absolventen und Freunde der Moskauer Lomonossow-Universität (Berlin)“.

Ich bin Nina Anatoljewna Predtetschenskaja für ihr wohlwollendes Echo auf unser Buch zu tiefstem Dank verpflichtet.

Zum Abshluß wollen wir allen, die uns Briefen mit ihren Zeugenberichten geschickt haben, unseren Dank aussprechen. Ganz besonders möchten wir den Redakteur des Verlags der „Moskauer deutschen Zeitung“, G.G. Martens und die Doktorin der Philosophie und Professorin T. Ilarionowna RAGS hervorheben, durch deren Bemühungen, Hilfsbereitschaft und Unterstützung dieses Buch überhaupt erst erscheinen konnte. Ebenfalls bringen wir unseren tief empfundenen Dank unseren Studenten-Enkelkindern in Braunschweig und Hamburg – Julia Hilpert (Petri) und Nikolaj – zum Ausdruck, die alle komplizierten Probleme mit dem Computer gelöst und mit ihren Worten und Taten die termingemäße Herausgabe des Buches beschleunigt haben.

Fotomaterial (an dieser Stelle einfügen)

Literaturangaben

1. „Museumsbote“ des Tajmyrer Heimatkunde-Museums. Ausgabe 1, 2001, Dudinka
2. „Dudinka“, gesellschaftspolitische Zeitschrift, N° 1,2, 2002, Dudinka
3. „Die Geschichte der Rußland-Deutschen in Dokumenten“ (1763-1992), Internationales Institut für humanitäre Programme, 1993, Moskau
4. A.A. German „Die Geschichte der deutschen Wolgarepublik“, „Gotika“, 1996, Moskau
5. N. Sikorskij „Über wissenschaftliche Entdeckungen im Tajmyr-Gebiet im 20. Jahrhundert“, Zeitschrift „Dudinka“, N° 8, 9, 2002, Dudinka
6. G. Jakuschkin, W. Pawlow, E. Jakubenko „Die wundersame Tajmyr-Region“, Verlag „Sowjetisches Rußland“, 1976, Moskau
7. N.N. Urwanzew, „Die Entdeckung von Norilsk“, Verlag „Wissenschaft“, Moskau, 1981
8. Zeitschrift „Volk auf dem Weg“ N° 11, November 2005, Stuttgart
9. Zeitung „Heimat-Rodina“ N° 3-6, März bis Juni 2003; N° 10+12, Oktober, Dezember 2006, Böblingen
10. „Moskauer deutsche Zeitung“ N° 19, 21, 7 (168, 170, 182) September, Oktober 2005, April 2006, Moskau
11. Zeitung „Landsleute“ N° 3, 12 (25, 118), März, Dezember, 1998, 2005, Kalletal
12. Zeitschrift „Flämmchen“ N° 26, 1997, Moskau
13. Lomonossow DAMU-Hefte, Nr. 1/2003, 2/2004, Berlin
14. L.O. Petri,J.W. Dolbilina “Zum Problem der Spannungsmessung eines elektrischen Feldes in einem geschlossenen Raum“, Tr./Moskauer Institut für Energetik, Ausgabe 580, Moskau
15. Zeitung „Tajmyr“ des Tajmyrer Dolganen- und Nenzen-Gemeindebezirks, 31. Januar 2005, 19. Juli 2006, Dudinka
16. Zeitung der Murmansker See-Dampfschifffahrt „Arktischer Stern“, N° 2, Februar 2006, Murmansk
17. Zeitung des Norilsker Industriegebiets „Polar-Wahrheit“, N° 55 (12886) vom 4. April, N° 57-58 (12889) vom 9. April, N° 61 (12892) vom 12. April, 2003, Norilsk
18. A.M. Paschkow, I.L. Podletschnikow. “Buch der Erinnerung – Region Sachalin”, Band 15, “Wiederkehr der Namen von Opfern politischer Repressionen”, 2004, Süd-Sachalinsk
19. D. Wierling (Hrsg.), „Heimat finden“, Körber-Stiftung, 2004, Hamburg
20. A.P. Tschechow, „Gesammelte Werke. Die Insel Sachalin, Aus Sibirien. Notizbüchlein, Tagebücher“, Band 11. Verlag „Prawda“, 1950, Moskau
21. György Dalos, „Die Reise nach Sachalin“, Auf den Spuren von Anton Tschechow. Europäische Verlagsanstalt, Rotbuch-Verlag, 2001, Hamburg
22. „Die Zone“, Gedichte, Permer Buchverlag, 1990, Perm
23. Georgij Kononowitsch, „Gesetze des Meeres“, Die Murmansker Seeschifffahrt, 1996, Murmansk
24. A.M. Paschkow, „Bibliographischer Anzeiger“, Verlag „Lukomorje“, 2006, Süd-Sachalinsk
25. O.P. Kornejewa, N.A. Predtetschenskaja, „Kerze der Erinnerung“, Der Tajmyr in den Jahren der Repressionen, Erinnerungen, 2006, Dudinka
26. P.Chlebnikow „Der Kreuzesvater des Kreml Boris Beresowskij oder die Geschichte der Plünderung Rußlands“, Verlad „Detekiv-Press“, 2001, Moskau
27. Viktor Suworow „Der Schatten des Sieges“, „Stalker“, 2003, Donezk
28. Leonid Mletschin „Stalins Tod“, Verlag „Zentrpoligraf“, 2003, Moskau
29. W.N. Wojmowitsch „Die antisowjetische Sowjetunion“, „Materik“, 2002, Moskau
30. „Die alten Moskauer Zeiten“, „Prawda“, 1989, Moskau
31. A. Pristawkin „Die Vergötterung der Zone“, AST-Verlag, 2001, Moskau
32. I. Bunitsch „Eine wahre Erzählung über grenzenlose Willkür“, „Oblik“-Verlag, 1995, Sankt-Petersburg
33. Gerhard Wolter „Die Zone der totalen Ruhe“, W.Weber-Verlag, 2004, Augsburg
34. „Tajmyrer Lesungen – 2010“, Teil 1, Teil 2, Vortragssammlung, 2010, Norilsk
Die zahlreichen Telefonanrufe und Dankesschreiben der Leser zeugen davon, dass es vielen aufgrund der vielseitigen Informationen in der ersten Ausgabe dieses Buches gelungen ist, in Dudinka, Krasnojarsk, Hannover und anderen Teilen Deutschlands ehemalige Freunde wiederzufinden und somit die einstigen Kontakte wiederherzustellen. Da wir mit Lesern nicht nur einer einzigen Generation gerechnet haben, wollten wir in der zweiten Ausgabe unseres Buches diesem „Informationshunger“ ehemaliger Sondersiedler aus Rußland mit den an uns herangetragenen neuen Informationen für unterschiedliche Altersgruppen und Interessen gerecht werden.

L.O. Petri, V.T. Petri, Oktober 2006, Hamburg

 


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