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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Anhang 9 . Treffen der Absolventen des Sibirischen Technologischen Instituts 1978 in Krasnojarsk – 25 Jahre nach Abschluß ihres Studiums

Treffen in Krasnojarsk 1978 – 25 Jahre nach Beendigung des Sibirischen Technologischen Instituts (STI) im Jahre 1953.

Mit den Jahren wurde die Realisierung einer Begegnung mit den Leuten zum größten und sehnlichsten Wunsch. Daher werden diese Treffen ehemaliger Absolventen an allen Lehreinrichtungen nicht nur zufällig praktiziert – schließlich gibt es nach 20 – 25 - 30 Jahren immer etwas zu erzählen, und man kann die lieben, bekannten Gesichter endlich einmal wiedersehen. Im Großen und Ganzen hat mir das Tajmyr-Gebiet in puncto Gerechtigkeit den Weg ins Leben gewiesen. Urteilen Sie selbst: dort habe ich, trotz des Verlusts von insgesamt vier Jahren, meine mittlere Schulbildung und die Berechtigung erhalten, anschließend an einer Universität zu studieren, dort lernte ich Viktoria Walter kennen, mit der ich später eine glückliche Familie gründete. Was kann im Leben wichtiger sein als eine fundierte Ausbildung und eine Familie?! Dank meiner Ausbildung entstanden zahlreiche Verbindungen zu Menschen, die einem stets lieb und teuer waren. Zu diesen „Lieben und Teuren“ gehören die ehemaligen Studenten, die mit mir gemeinsam das Studium absolvierten. Traditionsgemäß feiern alle Universitätsabsolventen den 25. Jahrestag ihres Abschlusses - zu einem Zeitpunkt, an dem jeder von ihnen bereits mit beiden Beinen fest im Berufsleben steht.

Die Initiatoren dieser Begegnung waren Viktor Kondratew und Konstantin Trifonow. Es begann damit, dass sie die Adressen der Absolventen der Fakultät für Forst-Ingenieurwesen (das sind etwa 50 Leute) des Jahrgangs 1953 ermitteln mußten. Dorthin wurde dann eine Mitteilung mit folgendem Aufrufversendet: LIEBER FREUND! Wenn dir die Erinnerungen an die Studienjahre etwas bedeuten, wenn wichtige Dinge und der Lauf der Jahre deine Seele nicht hart und unempfindlich gemacht haben, wenn neue Freunde die warme, aufrichtige Studentenfreundschaft nicht in den Schatten gestellt haben, dann komme auch du ins vertraute Institut zu einem Treffen mit jenen, die du vor 25 Jahren als deine Studienkameraden bezeichnet hast. Bevor du jedoch an den Feierlichkeiten teilnehmen kannst, mußt du folgendes vorweisen:

1. Selbständigkeit – du mußt selbst entscheiden, ob auch andere Mitglieder deiner Familie
an dem Treffen teilnehmen;

2. Diszipliniertheit – du mußt bis zum 1. Juni 1978 pro Nase (der Bezirkskoeffizient wird sich beim Treffen herausstellen) 15 Rubel an diese Anschrift schicken: 660097, Krasnojarsk, ul. Ulizkogo 47, kv. 25, Viktor Iwanowitsch Kondratew.

3. Keine Knauserigkeiten – verlang dein Geld nicht zurück, wenn du aus irgendeinem Grunde doch nicht teilnehmen kannst.

ORG-Komitee mit einem „Scherz-Fragebogen“:

Scherzfragebogen

1. Nachname, Vorname, Vatersname: PETRI LEO OTTOWITSCH

2. Familienstand (Angabe, wieviele Jahre Sie schon mit Freuden die Last des Familienglücks tragen; falls dies bereits mehrmals der Fall war, Angabe wie oft): SOGAR BEIM CREDO DER EHEFRAU: „DU UND ICH – WIR SIND ZWEI BÄUME, DIE ANDEREN NUR BAUMSTÜMPFE“. DIE LAST DES FAMILIENGLÜCKS TRAGE ICH SEIT NUNMEHR 24 JAHREN UND LEHNE JEDE HILFE AB.

3. Waren Sie während Ihrer Ehe jemals untreu: NICHT ERTAPPT – KEIN SÜNDER.

4. Als was und wo arbeiten Sie: ALS DOZENT AM MOSKAUER INSTITUT FÜR ENERGIEWIRTSCHAFT – ANDERE FREIE STELLEN UNDÄMTER HAT MAN MIR AUS IRGENDEINEM GRUNDE NICHT ANGEBOTEN.

5. Haben Sie Auszeichnungen erhalten: ERSUCHE DARUM.

6. Wieviele Kinder haben Sie, einschließlich der Kinder in Ihrer Familie: ICH BEFINDE MICH IM EIN-KIND-SYSTEM.

7. Ihre Hobbies: IN DER ZEIT ZWISCHEN DEN URLAUBEN – FAULENZEN, IM URLAUB – VAGABUNDENLEBEN, SONNTAGS – UNTER FREIEM HIMMEL BEI DEN RUINEN, ABENDS – TELEFONIEREN.

8. Ihre Größe in cm: 1953 – 175 cm, 1978 – 173,6 cm. Ihr Taillen-Umfang in cm: 1953 – 75 cm, 1978 – 90 cm. Ihr Gewicht in kg: 1953 – 64 kg, 1978 – 76 kg.

9. Was haben Sie im Laufe der letzten 25 Jahre erworben:
eine Glatze: IST DAS EIN LEDERKOPF? ICH HABE DAS VON NIEMANDEM ZU ERBEN; graue Haare: KOMMEN MIR NICHT IN DIE WOLLE; Hypertonie: BLUTHOCHDRUCK FÜHRT ZUR EXPLOSION, HOHE ANSTRENGUNG – ZUM DURCHBRUCH, ICH LEBE UND ARBEITE WEDER MIT DEM EINEN NOCH MIT DEM ANDEREN; ein Geschwür: WENN GOTT MICH BESTRAFEN WOLLTE, WÜRDE ER MICH VOR DIESER FREUDE BEWAHREN; Ihre Wohnung: ES GIBT KEINE WELT OHNE GUTE MENSCHEN – MAN HAT MIR EINE WOHNUNG VERKAUFT; ein Auto: 75 PFERDESTÄRKEN, OHNE GARAGE UND EIN SCHLAFPLATZ AUF DEM FENSTERBRETT.

10. Wieviele Zähne besaßen Sie 1953 – 28; wieviele sind geblieben: 30 – SIE SIND AUS METALL UND MIT CHEMIE.

11. Ihr Titel und akademischer Grad: auf Beschluß des Gelehrtenrats – DOKTOR DER TECHNISCHEN WISSENSCHAFTEN, nach Meinung meiner Ehefrau – DOKTOR UND MEISTER FÜR DIE REPARATUR HÄUSLICHER METALLTEILE, laut eigenem Wunsch – EWIGER STUDENT.

12. Was für ein Temperament besitzen Sie: Choleriker, Phlegmatiker, Melancholiker: KANN MAN HIER AUCH ALLE DREI ZUSAMMEN NEHMEN?

13. Ihre Arbeitswaffen: Kopf, Hals, Hände, Beine oder sonst noch irgendetwas: NUR DIE ZUNGE, DENN DER KOPF IST FÜR DEN HUT, BEI DER KEHLE PACKEN DICH ANDERE, DIE BEINE SIND WIE PAPIER UND HÄNDE HABE ICH NICHT; KONTAKTE UND BEZIEHUNGEN HELFEN EINEM WEITER.

14. Ihr größter Wunsch: MÖGE IMMER DIE SONNE SCHEINEN!

15. Ihr Toast anläßlich des Jubiläumstreffens: LIEBE FREUNDE! 25 JAHRE SIND VERGANGEN, SEIT WIR UNSER VERTRAUTES INSTITUT VERLASSEN HABEN, MIT DEM VIEL FREUDE; VIELE ERLEBNISSE VERBUNDEN SIND. MEINE VERTEIDIGUNG DES DIPLOMPROJEKTS FAND AM 17. JUNI 1953 STATT. ICH FREUE MICH SEHR, DASS SICH DIE MÖGLICHKEIT ERGEBEN HAT, EUCH TEUFEL AN DIESEM EHRWÜRDIGEN TAG WIEDERZUSEHEN. ICH MÖCHTE EINEN TOAST AUSBRINGEN AUF DIE BLÜTE UND DEN ERFOLG DES SIBIRISCHEN TECHNOLOGISCHEN INSTITUTS, AUF DEN ERFOLG BEIM STUDIUM, BEI DEN WISSENSCHAFTLICHEN UND GESELLSCHAFTLICHEN AKTIVITÄTEN UND AUF DIE GESUNDHEIT UNSERER LEHRKRÄFTE, DIE GESUNDHEIT DER ORGANISATOREN DIESES TREFFENS UND AUF EUCH, LIEBE FREUNDE, DAMIT SOLCHE BEGEGNUNGEN ZUR TRADITION WERDEN.

Einem Studenten des Jahrgangs 1953-1978 gewidmet.

Unser Studienfreund Anatolij Fjodorowitsch Kyrillow, unser ehemaliger „Poet“ und „Professor“ an der Fakultät, wie wir ihn gutmütig nannten, hatte für unser Treffen extra folgendes Gedicht verfaßt:

Wo du auch immer warst,
Wo du auch gelebt hast,
Vielleicht hast du keine Heldentaten begangen
Und die Tür zur Wissenschaft nicht geöffnet,
Aber ich weiß genau, du hast dich angestrengt,
Viel Kraft in deine Arbeit gelegt.
Du hast schließlich am STI studiert,
Aber auch am Petersburger Technikum,
Student warst du – und wenig ausgeschlafen,
Hast dich mit Integralrechnung befaßt.
Hast beim Professor deine Prüfung abgelegt.
Man kann es nicht verheimlichen,
Du hast auch Gruben ausgehoben, Kohle abgeladen,
Doch nie warst zu verzagt,
Hast Lieder oft gesungen:
„Ein Student ist immer lustig
Zwischen den Prüfungen,
Und die finden bei uns zweimal im Jahr statt“.
Fünf Jahre lang waren wir Studenten
Und lebten freundschaftlich, wie in einer Familie.
Wir sangen Lieder, waren fröhlich,
Eilten immer zu den Vorlesungen.
Mehrmals hast du ein Examen abgelegt,
Als du den Lehrstoff gar nicht konntest.
Du hast die Karte genommen und bist auf deinen Platz gegangen,
Wo du mutig deinen Spickzettel hervorholtest.
Am Fluß Katscha haben wir nicht in der Sonne gelegen,
Nichts zum Trinken mitgenommen.
Wir gingen auf die „Lassalle“,
Um uns dort mit Mädchen anzufreunden.
Wir waren auf der Datscha in Karaul,
Irrten nicht im Wald umher.
Dort übten wir die Praxis,
Aber Touristenwanderungen haben wir nicht gemacht.
Wo findest du eine schönere Natur:
Wald, Berge, der Fluß Jenisej,
Natürlich bist du dort mit ihr gegangen,
Mit einer Freundin aus deiner Jugend,
Dort ist die Luft sauber, es gibt Blumen,
Alles, was du so sehr liebst.
Egal, ob dies in weiter Ferne liegt
Oder erst vor kurzem war,
Heute jedenfalls bist du ein wichtiger Mann, dünn,
Wahrscheinlich mit spärlichen oder grauen Haaren,
Du bläst beim Rauchen Ringe in die Luft,
Hast Kinder großgezogen, hast auch eine Frau,
Natürlich immer nur die eine.
Eine Familie gründen ist nicht gerade einfach,
Obwohl die Aufgabe an sich nicht neu ist.
Ohne überflüssige Worte, ohne Toast, sage ich,
Jetzt brauch’ ich eine Enkelin.
Gibt es eine Enkelin, dann gibt’s auch einen Trinkspruch,
Ich bin bereit ihr zu begegnen.
Ja, 25 Jahre – sie sind schnell vergangen,
Man kann sie nicht zurückholen,
Aber wir könnten wieder zusammentreffen,
Schon nicht mehr alle, aber immerhin noch fünfundzwanzig.
Der eine ist mit seiner Arbeit sehr beschäftigt,
Alle Tage ist er voller Sorge,
Andere befinden sich im Ausland oder in Moskau;
Wir konnten nicht alle zu dem Treffen kommen.
Bereits aus dem Leben geschieden sind Igor, Petja,
Auch Alla weilt schon nicht mehr unter uns.
Gern würd’ ich euch in meinem Lied besingen,
Und ewig werden wir Euer gedenken.
Wir sind verstreut im ganzen Land,
Schorsch befindet sich in Leningrad,
Leo in Moskau,
Schenja wohnt in Sawodoukowsk
Und bereitet die Kader für die Flugtechnische Schule vor.
Es gibt unter uns einen Jugendfreund –
Dozent ist er – Doktor der Wissenschaften,
Ein einfacher Bursche und kein Magier,
Er hat einen würdigen Beitrag zur Wissenschaft geleistet.
Wenige von uns sind noch im Wald geblieben,
Man kann sie an den Fingern abzählen:
Wolodja, Igor, Ljonja, Tolja,
na ja – und dann natürlich noch Tolmat.
Noch einmal trafen wir in Krasnojarsk zusammen,
Zuerst am Institut,
Dann ein Spaziergang durch die Stadt, und anschließend
Saßen wir einträchtig beim Essen.
Wir brachten Trinksprüche aus, sangen, tranken,
Tanzten alle und waren fröhlich.
Bei unseren Erinnerungen weinten wir so manche Träne,
Dann gingen alle ruhig schlafen,
Um am nächsten Morgen erneut zusammenzukommen.
Zum Augenwaschen das Kommando
Erteilte uns der „Divisionskommandeur“.
Dann ließen wir uns alle auf dem Dampfer nieder
Und sangen auf der Fahrt gar viele Lieder.
Wir haben eine einträchtige Familie geschaffen,
Anders vermag ich es nicht auszudrücken.
Wir beide sitzen zusammen am Tisch
Und sehen eine Brücke, dahinter eine weitere.
Und vor uns die Natur – die göttliche Diva!
Alles ist so wunderbar, so schön!
Alles ist genau so wie im Märchen,
Nur daß Rusalka nicht in den Zweigen sitzt,
Ein gelehriger Kater läuft nicht an der Kette.
Dort geht Alitet in die Berge.
Dort ist der Wald viel dichter,
Berge,
Steile Hänge,
Und dunkle Wolken schweben überm Krasnojarsker Meer,
Und in den Wolken, auf dem Berg, da sitzt der „Drachen“.
Auf die Göttliche Stadt schaut er herab.
Zwischen schlanken Kiefern und Birken
Ist jene Stadt sehr schnell gewachsen.
Eine Altersgefährtin des Jahrhunderts – Diwnogorsk.
Das Volk hat ihr den Namen so gegeben –
In der Ferne ist der Staudamm sichtbar,
Er leistet Großes, verfügt über Kraft,
Vegleichbares hat die Welt noch nicht gesehen.
Unser Volk hat den Fluß bezwungen.
Der Mensch hat dort ein Kraftwerk errichtet,
Das alle Menschen mit Elektrizität versorgt.
Ein leistungsstärkeres Kraftwerk gibt es nirgends in der Welt,
Das russische Volk ist stolz darauf –
Und auf euch meine lieben Freunde.
Zum Abschied möchte ich euch sagen
Zwei freundschaftliche Worte noch.
Das ist kein Märchen –
Das ist alles Wirklichkeit.
Das alles ist die reine Wahrheit-
Dort bist du gewesen.
Anläßlich unseres Treffens wollt’ ich halten eine Ode,
Aber schade, so etwas ist derzeit wohl nicht in Mode,
Aber nach dieser dreitägigen Begegnung
Wird unsere Freundschaft noch viel fester sein.
Laßt uns ein weitres Mal zusammenkommen,
In zehn, noch besser fünf, Jahren,
Um uns noch einmal gemeinsam zu erinnern,
Wie wir mit dreiundzwanzig waren.
Nun möchte’ ich meine Botschaft enden,
Du bist seit fünfundzwanzig Jahren Ingenieur,
Aber du sollst dein ganzes Leben erinnern,
Daß du auch weiterhin ein Student
Der fünfziger Jahre bist.

Euer „Professor“.
Anatolij Fjodorowitsch Kirilow
P.S. Ich bin weder Schriftsteller noch Poet,
Ich bin kein Meister im Gedichteschreiben,
Sondern genau wie du, ein ehemaliger Student,
Sondern genau wie du, ein ehemaliger Student.

Krasnojarsk, 1978

 

Gekommen waren meine Mitstudenten aus dem ganzen Land: aus Wladiwostok, Chabarowsk, Workuta, Angara, Norilsk, Altai, Chakassien, dem Ural, der Ukraine, aus Moskau, Leningrad, Riga, Swerdlowsk, Krasnojarsk und anderen Orten. Es war eine Begegnung von lieben, erwachsen gewordenen Menschen. Vor dem Hintergrund des Instituts wurden, zusammen mit Prorektor Larionow, von allen Erinnerungsfotos aufgenommen; anschließend wurde „zu Tisch gebeten“ – mit Trinksprüchen und Tanzen. Äußerst interessant waren die Erinnerungen am Ort des geodätischen Praktikums auf der „Karauler Datscha“. Hier ereignete sich, was meine Person betrifft, eine lustige Episode. Man hatte mich nicht vorgewarnt, als ich beschloß, im Jenisej ein Bad zu nehmen, vom Ufer aus ins Wasser tauchte und sogleich, wie von einer Tarantel gestochen, ans Ufer zurückschoß. Unsere ganze Gesellschaft fiel ins Gras vor Lachen – das Wasser ist nämlich schrecklich kalt – hinter dem Staudamm wird gerade mal eine Temperatur von 6-8 Grad erreicht, es ist fast eisig. In so ein fröhliches Taufbecken war ich also hineingeraten. Später organisierte man für uns eine Exkursion mit dem Dampfer auf dem Jenisej – zum Krasnojarsker Kraftwerk, dem mächtigsten der Welt ( 5 Mio KW). Dieses interessante Treffen nach 25 Jahren am Ufer des vertrauten Jenisej wird uns allen bis ans Ende unseres Lebens in der Erinnerung bleiben.

Krasnojarsk, 1978


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