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P. Sokolow. Schlaglöcher

2. Buch. „Die Söldner“

Teil IV. Ritter mit Regenmantel und Dolch

Kapitel 35. Mit Erlaubnis des Reichsführers der SS

„Die Ausreise ist vom Reichsführer SS genehmigt.“
(Eine schlauer „Untertanen“-Trick des Hauptmanns Semjonow)

Der Rückweg nach Deutschland war nicht gerade kurz, denn es gab unterwegs mehrere Landungen und Verzögerungen, so dass sich das ganze Unternehmen über drei Tage hinzog. Ich werde das ziemlich ausführlich beschreiben, denn diese Einzelheiten geben Auskunft über die Art und Weise der gesamten deutschen Operation, die es den Deutschen gestattete, unter dem mächtigen Ansturm der gegnerischen Koalition und der systematischen Luftangriffe derart lange durchzuhalten. Das hätte auch für uns äußerst lehrreich sein können, wenn wir nur einen etwas größeren Hang zur Analyse all unserer Unzulänglichkeiten bekundet hätten, sowie auch den Wunsch sie zu umgehen, ihnen auszuweichen. Beginnen wir mit dem ersten Tag unserer Abreise. Ich habe bereits geschrieben, dass sie uns zur vorgegeben Zeit mit Schuhwerk und Kleidung ausstatteten, ohne die Kartothek ausfindig gemacht und auch ohne eine neue angelegt zu haben. Ebenso schnell vollzog sich auch die Ausfertigung der Reisedokumente. Sie bestanden aus einem einzigen Vordruck – dem Marschbefehl, in den eingetragen wurde, dass ein gewisser, in diesem Fall Hauptscharführer Chodolej, hier oder dort hin soll, und zwar mit insgesamt 6 Mann. In diesem Dokument war ferner angegeben, dass sie an jenem Tag mit Verpflegung versorgt würden. Bei der Landung wurde das Papier überprüft, möglicherweise auch noch irgendwo unterwegs, wobei ich mehrfach sah, dass zusätzlich auch noch persönliche Papiere verlangt wurden, dass sie Fotografien miteinander verglichen usw. (In diesem Fall meine ich die militärischen Transportzüge). Unsere erste Etappe ging bis nach Tauroggen, einem litauischen Städtchen an der Grenze zum Reich. Hier durchliefen alle Reisenden aus dem Osten eine Gesundheitsuntersuchung. Von diesen Läusebekämpfern gab es eine ausreichende Zahl, so dass niemand lange in der Schlange stehen mußte. Die Kleidungsstücke wanderten in die Dampfdesinfektion und ihre Besitzer – ins Bad. Am Ausgang nahm eine Sanitäter die eigentliche Untersuchung vor. „Die Sauberen“ wurden entlassen, aber denjenigen, die Anzeichen von Läusebefall zeigten, wurde ein blaues Kreuz auf den Bauch gemalt, und anschließend schickte man sie erneut zur Behandlung. Waffen und Gepäck wurden gegen Empfang eines Kontrollabschnitts in der Aufbewahrungskammer abgegeben, als würde man einen Hut in die Garderobe geben. Gleich am Bahnhof, wie auch an jedem beliebigen Bahnknotenpunkt während der Fahrt, gab es einen Verpflegungspunkt, wo eine Schwester im gestreiften Kleid das Tagesdatum für die Genehmigung zur Versorgung mit Lebensmitteln prüfte, und wenn der Zeitpunkt herangekommen war (oder der Zeitpunkt für einen Vorschuß), gab sie bereits vorbereitete Pakete mit Brot, Wurst u.ä. aus und drückte anschließend einen Stempel mit ausgewiesenem neuem Datum auf die Karten, mit dem der Inhaber des Dokuments dann erneut Essen beziehen konnte.

Fronturlauber, die ein anderes Dokument besaßen – nämlich ihre Urlaubsbescheinigung, erhielten an einem anderen Schalter ein Geschenkpaket (Führer-Paket), das recht umfangreich aussah. Was sich alles darin befand, weiß ich nicht, ich bekam so etwas nicht. Den zweiten Halt machten wir buchstäblich schon nach wenigen Kilometern, in dem kleinen ostpreußischen Städtchen Insterburg (heute die ureigene russische Stadt Tschernjachowsk). Dieser Aufenthalt war mit dem Umsteigen in einen anderen Zug verbunden, der nach Breslau fuhr. In Insterburg verweilten wir einige Stunden und hatten dabei ausreichende Gelegenheit, durch die Stadt zu streifen. Es war ein herrlich sauberes und ruhiges Städtchen, das der Krieg noch nicht gestreift hatte, mit kleinen Häusern, asphaltierten Straßen und viel Grün – natürlich nur im Sommer. Jetzt standen hier lediglich die kahlen Stämme zahlreicher Bäume. Auf dem Weg nach Breslau, wohin wir ebenfalls in einem Militär- und nicht in einem zivilen Passagierzug fuhren, was ebenfalls möglich gewesen wäre, wurden wir noch einmal an einem großen Bahnhof verpflegt. Kleine Leiterwagen mit Warmhaltebehältern kamen auf dem Bahnsteig herangerollt, und Schwestern gaben an alle Interessenten heiße Suppe und Kaffee in Pappschalen aus, die anschließend gestapelt und in einem extra dafür vorgesehenen Müllbehälter entsorgt wurden. All das nahm einige Minuten in Anspruch. Bei der Ankunft in Breslau gelang es uns noch, zu den Schwestern Erika und Herta zu laufen, und später fuhren wir in dem Zug, der nach Krakau fuhr, bis zu der Bahnstation, an der sich das Lager Sandberg befand. Unsere alten Freunde aus Jugoslawien waren immer noch dort. Das von ihnen aufgestellte Bataillon litt unter Langeweile und Müßiggang. Man brachte uns in einem kleinen Zimmer in einer großen Baracke unter, in der der Kommandostab des Bataillons wohnte.Ein-zwei Tage später erschien Hauptmann Semjonow mit seinem Stab. Wir wandten uns mit der Bitte oder mit der Forderung) an ihn uns Urlaub zu bewilligen. Eigentlich war der Urlaub in jenen Zeiten offiziell abgeschafft, aber der Gauner Semjonow, der bei sich die ganze Schuld an diesem schmutzigen Abenteuer witterte, war die Liebenswürdigkeit in Person; er meinte, alles sei ganz einfach, und buchstäblich innerhalb einer Stunde händigte er uns unsere Dienstreisebescheinigungen nach Belgrad beziehungsweise Sofia aus. Über dem gedruckten Formulartext war mit einer Schreibmaschine die Bemerkung geschrieben, dass die Reise mit persönlicher Erlaubnis des Reichsfühers der SS erfolgte. Herr Himmler hatte bis zu seinem Tode weder eine Vorstellung von uns, noch von Hauptmann Semjonow, aber der pfiffige russische Verstand Hauptmann Semjonows hatte schnell begriffen, dass nicht ein einziger ordnungsliebender Deutscher am Inhalt des gedruckten Dokuments mit dem Wappenstempel zweifeln würde.

Und so stand uns also ein fast einmonatiger Aufenthalt zuhause bevor. Was würde in einem Monat sein? Im Augenblick dachten wir nicht daran. Wir waren ganz von der Freude über unsere wundersame Rettung und das bevorstehende Wiedersehen mit unseren Angehörigen durchdrungen. Übrigens, ich weiß nicht für welche Dienste und welche Leistungen dies geschah - jedenfalls wurde mir der Rang eines Feldwebels verliehen, und ich fuhr mit einem neuen Sternchen auf Schulterstücken und Kragenspiegeln nach Hause. Ich nahm auch meine Maschinenpistole vom Typ Spagin sowie 1000 Patronen mit, denn wer wußte schon, wie die Ereignisse sich entwickeln würden. Die Frage mit den Waffen war außerordentlich simpel. Die vom Staat zur Verfügung gestellte Waffe war praktisch nirgends registriert und die Trophäen, die wir einkassiert hatten, erst recht nicht, und zu unseren Habseligkeiten, die zusammen mit uns aus Riga hier angekommen waren, besaßen wir ungehinderten Zugang. So begab ich mich also Anfang März 1944 auf meine letzte Heimreise. Das Wetter hatte einige Überraschungen für uns parat: wenn uns das Baltikum mit Schnee und leichtem Frost begleitet hatte, so trafen wir in Deutschland bereits auf frühlingshafte Wärme – es war trocken und sonnig. Allerdings lag Wien unter einer flauschigen Decke frisch gefallenen Schnees, und als wir am nächsten Tag in Belgrad eintrafen, konnten wir vor lauter Hitze kaum atmen; wir entledigten uns unserer Soldatenmäntel. In Belgrad mußten wir übernachten. Das war früher auch schon der Fall gewesen, aber damals hatten wir uns zum Bataillonsstab begeben, wo wir in der großräumigen Kaserne stets ein Plätzchen zum Übernachten gefunden hatten, wenngleich wir uns dort gelegentlich auch mit Wanzen abplagen mußten, die nach den Worten irgendeines Witzbolds, den letzten Tropfen deutschen Blutes aus uns heraussogen. Jetzt waren wir hier Fremde. Diesmal mußten wir auf ein Nachtlager zurückgreifen, das neben dem Bahnhof lag. Hier befanden sich in einem zweistöckigen Haus eine ganze Reihe von Zimmern, vollgestopft mit zweigeschossigen Bettstellen. Der Diensthabende gab uns im Tausch gegen unsere Reisedokumente Bettzeug und ein paar Decken. Am folgenden Morgen erfolgte der Rücktausch. Alles ging ganz einfach über die Bühne, ohne Fragebogen, Unterschriften und anderes bürokratisches Getue. Dort bekamen wir entsprechend unserer Einlieferungsnummer unser Gepäck und unsere Waffen wieder, und dann verließen wir diese gastfreundliche Herberge. An ihrem Eingang stand ein Wachmann: ein italienischer Soldat mit einer Feder am Hut und einem Umhang um die Schultern, der Ähnlichkeit mit einem Musketier hatte. Sein kurzes Gewehr lehnte an der Wand, der „Wächter“ selbst saß auf einem Hocker und klimperte auf einer Mandoline herum. Er war offenbar einer der letzten Anhänger Mussolinis, denn die Mehrheit der italienischen Truppen war nach dem Ausscheiden Italiens aus dem Krieg von den Deutschen entwaffnet worden, und ich hatte bereits ehemalige Alliierte gesehen, die sich, zusammen mit anderen Kriegsgefangenen, mühsam zur Arbeit schleppten. Nach Materialien unserer Presse wurde ein Teil von ihnen sogar erschossen.

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