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Erinnerungen von Illarion Fjodorowitsch Tytschinin

Illarion Fjodorowitsch Tytschinin wurde 1906 im Gebiet Woronesch, Semljansker Kreis, in der Ortschaft Dolgoje, geboren. Schulbildung – vor der Revolution absolvierte er insgesamt 4 Schulklassen. Er entstammte einer Bauernfamilie; Russe.

Im Dezember 1925 trat er dem Komsomol (Kommunistische Jugendorganisation; Anm. d. Übers.) bei. 1927 wurde er zum Vorsitzenden des Komitees zur gegenseitigen Hilfe der verarmten Bauern gewählt. Später fuhr er von dort fort, um die Betriebsfachschule zu besuchen – er wollte Tischler werden. Er begann die Lehre, wurde jedoch im Jahre 1929 in das Dorf Dolgoje zurückberufen als Komsomolze und einer, der die Bewohner seines Dorfes kannte; sie wählten ihn zum Sekretär des Dorfsowjets; sie wählten ihn nicht zum Sekretär der Komsomolzen-Einheit, sondern zum Parteikandidaten der WKPb (Allrussische Kommunistische Partei der Bolschewiken; Anm. d. Übers.).

Im Mai 1937 las ich die Zeitung „Woronoeschsker Kommune“, in der geschrieben stand, daß Jan Borisowitsch Gamarnik, der als Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der WKPb in Erscheinung getreten war, Leiter der politischen Verwaltung der Arbeiter- und Bauern-Armee, angeblich in diesem antisowjetischen Verbrechen durcheinandergeraten war und aus Angst davor, daß irgendetwas herauskam, seinem Leben durch Selbstmord ein Ende gesetzt hatte. Als ich das in der Zeitung las, da sagte ich, daß ich nicht glauben könne, daß dieser alte Bolschewik, der eine derart verantwortungsvolle Arbeit geleistet hatte, unmöglich ein antisowjetischer Verbrecher sein konnte; er tat einfach nur nicht das, was Stalin gesagt hat. Denn zu dieser Zeit waren bereits verhaftet worden: Tuchatschewskij, Ubarewitsch, Blücher und andere – und alle Leute hatten bereits davon gehört. All das hatte ich im Beisein von zwei Männern gesagt. Einer von ihnen war Kommunist, der andere befand sich wegen eines Fehlbetrages in der Kasse in einem Untersuchungsverfahren. Und der war es auch, der dem NKWD über mich Mitteilung machte.

Am 26.Juli 1937 kam ich zum Dorfsowjet, und da nahmen sie mich fest und brachten mich ins Woroneschsker Gefängnis. Dort saß ich zehn Monate. Ein Sonderkollegium verurteilte mich nach § 58, Art. 10 (Agitation); sie bestraften mich mit 8 Jahren Lagerhaft und dem Entzug aller bürgerlichen Rechte und behaupteten, daß ich den Führer beleidigt hätte. Und dann transportierten sie mich mit einer Etappe zu verschiedenen Lagerpunkten in der Region Krasnojarsk. Der letzte Lagerpunkt befand sich im Sajan-Kreis, in der Siedlung Tugatsch. Im Juli 1945 hatte ich meine Strafe verbüßt, besaß jedoch kein Recht, von dort abzufahren.

In der Zeit, als ich im Woroneschsker Gefängnis in der Zelle No. 32 saß, waren dort insgesamt 55 Mann – alle wegen § 58. Hauptsächlich stellvertretende Leiter der Gebiets-wirtschafts-und Parteimitarbeiter.

Nach meiner Freilassung erlaubten sie mir nicht, den Ort zu verlassen, aber ich bekam Arbeit. 1948 heiratete ich hier in Tugatsch Maria Pawlowna, und blieb mit ihr das ganze Leben zusammen.

19149 kehrte ich in meine Heimatstadt Woronesch zurück, ich wollte dort versuchen, eine Arbeit zu finden, aber meine Frau Schrieb mir aus Tugatsch, daß sie erneut mit Verhaftungen begonnen hatten, und zwar jene, die bereits ihre erste Haftstrafe verbüßt hatten. Ich ging zum Staatsanwalt, um mich beraten zu lassen. Er empfahl mir nach Tugatsch zurückzukehren, wo ich meine Strafe abgesessen hatte, daß man mich da kennen würde, und ich dort arbeiten könnte. Ich war in der Effektenkammer tätig, in der Buchhaltung. Und so blieb ich hier zeitlebens wohnen.

Ich wurde rehabilitiert, ich war vollkommen unschuldig.

In der Umgebung von Tugatsch gab es zahlreiche Lagerpunkte, deren Zonen mit Stacheldrahtzaun eingefaßt waren. Mehrere Tausend Häftlinge. Auch weiter in der Taiga, in den Sümpfen, gab es Lager-Nebenstellen. Ich möchte mich nicht daran erinnern.

Meine Adresse:
Region Krasnojarsk
Sajan-Kreis
Siedlung Tugatsch
Illarion Fjodorowitsch Tytschinin

Alles ist mit meinen eigenen Worten niedergeschrieben, meine Erinnerungen sind richtig – das bestätige ich hiermit. Wenn man meine Erinnerungen zum Zwecke der Veröffentlichung verwenden möchte – so habe ich nichts dagegen einzuwenden.

Die Erinnerungen mit den Worten des Illarion Fjodorowitsch Tytschinin wurden von Irina Wassiljewna Ljutowa, Mitglied des Korrdinationsrates der Nowosibirsker Gesellschaft „Memorial“ niedergeschrieben.

29.08.1989
Siedlung Tugatsch-Nowosibirsk


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