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Adam Alexandrowitsch Wiliwaldt

Adam Alexandrowitsch wurde 1923 in Nowgorod geboren. Er war deutscher Herkunft und stolz auf seinen Nachnamen, den der Vater dem einjährigen Sohn als Erbe vermachte, als er das sündige Land verließ. 1929 brachte ihn die Mutter nach Leningrad... Wie lange das schon her ist, doch Adam Alexandrowitsch ist ganz in seine Gedanken vertieft – und an seinen Augen ziehen die lieben Ebenbilder aller Wiliwaldts vorbei.

Nachdem er hungernd fünf Schulklassen an der Newa absolviert hatte, begann er als Schlosserlehrling in der Genossenschaft "Metallprodukt" zu arbeiten, wo er feuerfeste Schränke anfertigte. Und 1941 wurde Adam Kriegsfreiwilliger. Zuerst holten sie ihn ins 87. Kampfbataillon, schickten ihn jedoch einen Monat später zur 23. Division. Aber bereits im Frühjahr 1942 trat ein Sonderdekret in Kraft, und sie mussten Finnen, Karelier, Sowjetdeutsche über den Ladoga-See zur Eisenbahnlinie bringen. Die Züge fuhren in den Osten und Norden. Es war die Zeit, an die sich nicht nur Adam Alexandrowitsch, sondern auch seine Ehefrau Jekaterina Jakowlewna nur ungern erinnern und über die zu sprechen ihnen schwerfällt.

Adam Wiliwaldt geriet in den Norden, ihn schickten sie in die Trudarmee. Turuchansk – Igarka, Igarka – Turuchansk – elf lange Jahre musste er beim Fischfang am Jenissei arbeiten. Schon nach dem Krieg arbeitete er als Motorenmechaniker auf einem Kutter, und einmal hielt das Schicksal ihn zum Überwintern in Jermakowo fest – sie retteten ein sinkendes Boot. Und hier begegnete ihm auch Eva-Jekaterina. Sie war ebenfalls Leningraderin – hatte bis zur Aussiedlung in Kolpino gelebt. Es stellte sich heraus, dass sie mit ein- und demselben Zug in den Norden gefahren waren. Und nun gehen sie schon seit fast fünfzig Jahren ihren gemeinsamen Lebensweg.

- Ich war auch beim Fischfang beschäftigt; wir verluden Fisch auf amerikanische Schiffe, - erzählt Jekaterina Jakowlewna. Das erste Jahr war ein Hungerjahr. Wir tauschten Sachen gegen Essbares. Vor der Aussiedlung erlaubten uns die unverschämten Kerle 30 Kilogramm Gepäck mitzunehmen, und all die Sachen tauschten wir ein. Sie siedelten uns gemeinsam mit den Eltern ein. Ich war damals 16 Jahre alt.

- Ach, was war das für Fisch! Manchmal rettete er uns vor dem Skorbut. Heute gibt es das nicht mehr, - erinnert sich Adam Alexandrowitsch. Am besten wäre es, wenn man diese Erinnerungen nicht hätte, am besten wäre es sie zu vergessen – die Erinnerungen an die Blockade, die Kriegsbomben, wie wir im Pferdestall hausten und auf dem Boden schliefen, ohne unsere Oberbekleidung auszuziehen. Später wurde dann eine Baracke errichtet, in der vier Familien in einem Zimmer lebten.

- Aber in Turuchansk war es wärmer, und es gab mehr zu essen. Ich arbeitete bereits auf dem Kutter, brachte Gemüse aus den Dörfern, wir bauten unsere Kartoffeln an und Fleisch brachten uns die Jäger, - berichtet Adam Alexandrowitsch. – Im Norden zu leben war natürlich schwierig: Regen, Kälte, und vor allem – die Aufsicht der Kommandantur. Bis 1956 waren wir ihr unterstellt. Sehr angespannt war der Sommer 1953: sie ließen die Finnen und Karelier frei und danach auch die Gewohnheitsverbrecher, es kam zu allgemeinen Raubüberfällen und Plünderungen, zurück blieb eine nicht zu Ende gebaute Bahnstrecke vom Ob bis nach Jakutsk.

Adam Alexandrowitsch erhielt die Erlaubnis, mit seiner Familie nach Atschinsk zu den verschleppten Eltern zu fahren. Und erneut verflochten sich drei zerrissene Fäden zu einem einzigen. Sie wohnten in Atschinsk in der Kujbyschew-Straße, später kauften sie ein Haus in Surikowa. Jekaterina Jakowlewna arbeitete 27 Jahre in der Näherei, Adam Alexandrowitsch 40 als Schlosser und Werkzeugmacher in einer Maschinenfabrik. Ihre drei Kinder schlugen hier wurzeln, wurden großgezogen; eins davon beerdigten sie. Viele Begräbnisse gab es in ihrem Leben: sowohl innerhalb der Familie als auch fremde. Und es gab so viel Kummer und Leid, dass er auch heute noch die Lippen zusammenpresst, wenn er sich daran erinnert. Aber gewärmte wurden sie die ganze Zeit über von der Liebe zueinander. Wahrscheinlich ist die Familie aufgrund dieses Gefühls auch erhalten geblieben. Sehr-sehr selten hört man in diesem Haus jemanden Deutsch sprechen, die Eltern gibt es schon längst nicht mehr, und Kinder und Enkelkinder können die Sprache nicht. In ihren Stammbaum sind auch russisches und baschkirisches Blut eingeflossen. Fünf Enkel haben Adam Alexandrowitsch und Jekaterina Jakowlewna bereits, eine Enkelin und einen Urenkel. Man kann sich jetzt über diesen Reichtum nur freuen, denn die Wurzel ist zäh und langlebig, aber die beiden Alten sind, wie ich sehe, traurig, wenn sie sich anschauen.

- Die Gesundheit ist verbraucht, und ich kann das Arbeiten nicht sein lassen. Ich bin zwar in Rente, aber ich diene immer noch der Fabrik, wenn es notwendig ist. Elf Direktoren haben sich in den vierzig Jahren meiner Tätigkeit in der Mechaniker-Werkstatt abgewechselt. Drei von ihnen haben sie entlassen. Und heute stehen die Dinge ganz schlecht. Es gibt keine Hoffnung, dass das Land aus dem Ruin herauskommt. Es gibt also nichts, worüber man sich freuen kann. Und auch zu Hause gibt es genug Sorgen. Bald kommt der Herbst. Es wird regnen, Surikowa wird absaufen – vier Häuser haben mit dem Grundwasser zu kämpfen. Als sie das fünfgeschossige Haus am Ufer der Tjeptjatka errichtet haben, wurde die Ader abgeklemmt, und so dringt nun Wasser ins Haus ein. Man hat eine Drainage angelegt, aber die bringt wenig Nutzen. Wir Pumpen das Wasser ab, aber das ist kein leichtes Unterfangen, und weder die Behörden noch Gott kümmern sich um die Menschen.
Alle überleben heute wie in einer Kolonie...

In einer so traurigen Verfassung habe ich mich von diesen mutigen Menschen verabschiedet, für die Russland die Heimat war und ist.

O.G. Kulikowa

Archiv des Atschinsker «Memorial». Kommunale budgetierte Kultur-Einrichtung «Atschinsker Heimatkunde- Museum namens «D.S. Kargopolow»


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